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KAPITEL 4

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»Miiister Ryder? Zimmerservice. Ich bringe Ihnen das Frühstück.«

Die Stimme mit spanischem Akzent und das Türklopfen ertönten gleich neben meinem Ohr. Ich spürte etwas Hartes an meiner Nase, etwas Grobkörniges unter meiner Wange.

»Miiister Ryder?«

Schlagartig öffnete ich die Augen. Ich lag auf dem Boden neben der Tür, meine Nase auf den Holzdielen, die Wange auf dem Teppich. Gerade hatte ich noch geträumt.

»Eine Minute«, murmelte ich und richtete mich auf. »Bin gleich so weit.«

Zwischen Bett und Tür lagen Bettdecke, Laken und Kissen. Mehrmals pro Jahr quälten mich Träume, die so grauenvoll waren, dass ich im Schlaf versuchte, vor ihnen zu fliehen. Die Bilder, die mich heimsuchten, ähnelten sich stark: stöhnende Schatten, nur aus Zähnen bestehende Gesichter, ein hermetisch wirkendes Haus mit Fenstern, die sich nur weiter ins Haus hinein öffneten. Diese Träume hatten ihren Ursprung in meiner Kindheit.

Ich warf die Kissen und Decke aufs Bett, las das Laken auf, wickelte es um meinen nackten Körper und ging zur Tür. Falls die Dame vom Zimmerservice sich darüber wunderte, dass ihr ein Gast in einer Bettlaken-Toga öffnete, ließ sie sich das nicht anmerken. Ganz im Gegenteil – sie grinste, als würde sie mich kennen, griff nach der Zeitung auf ihrem Wagen und wedelte damit vor meiner Nase herum. »Is err.«

»Nein, danke.« Ich dachte, sie wollte mir die Zeitung geben. »Is err«, wiederholte sie, schlug die Zeitung auf und hielt sie mir vors Gesicht. »Is err berühmt.«

Ich schob die Zeitung weg und starrte die Frau an. »Wie bitte?«

»Aquí«, sagte sie und tippte mit dem Finger auf Seite drei. Dort waren ein Foto von mir und Waltz und ein kurzer Artikel abgedruckt.

Scheußliches Verbrechen in SoHo

New Yorks Polizei hält sich bedeckt über den Fund einer Frauenleiche, die mit aufgeschlitztem Bauch in einem leerstehenden Haus in SoHo gefunden wurde. Vielleicht erklärt der grauenvolle Tatort ja den Gesichtsausdruck von Detective Sheldon Waltz, der hier mit einem unbekannten Kollegen spricht …

Ich entsprach der Bitte der Hotelangestellten, signierte den Artikel und nahm ihr das Frühstückstablett ab. Mit Teller in der einen Hand und Gabel in der anderen ließ ich mich nackt auf dem Bett nieder und fiel über die zu kross gebratenen Eier und den wabbeligen Speck her. Vielleicht konnte das Frühstück das flaue Gefühl in meinem Magen vertreiben, das von dem Traum herrührte. Was hätte ich für eine Portion Maisgrütze mit Käse und Andouille gegeben! Anschließend duschte ich eine Viertelstunde lang und wünschte, daheim auf Dauphin Island zu sein, nur hundert Meter vom Golf von Mexiko, wo um diese Jahreszeit ein angenehm kühles und belebendes Klima herrschte.

Ich zog mich an und ging aufs Polizeirevier, das sich kein bisschen von allen anderen in der zivilisierten Welt unterschied: Die Mitarbeiter waren gereizt und redeten viel zu laut, der Geruch von verbranntem Kaffee und altem Schweiß hing in der Luft, Telefone klingelten unablässig, und die Schreibtische, auf denen sich Akten stapelten, waren eng zusammengepfercht. Waltz saß in einem verglasten Büro an der gegenüberliegenden Wand. Als ich in seinen Raum trat, hielt er eine Ausgabe des New York Watcher mit unserem Foto hoch.

»Die Stars haben der Presse heute Nacht anscheinend kein Futter geliefert. Sie sind fotogener als ich. Nehmen Sie doch Platz.«

Ich setzte mich. Waltz musterte mich mutlos. »Die Jungs von der Spurensicherung sind mit ihrem Latein am Ende, Detective. Erinnern Sie sich an die Haare auf dem Boden der Tatorte? Sie stammen von mehreren hundert Menschen. Männerhaare, Frauenhaare, unterschiedliche Ethnien. Und mehrere Dutzend Fasern. Das totale Chaos.«

»Wie bitte?«

»Sie haben ein paar Tests gemacht und sind nun der Meinung, dass der Mörder sich die Haare bei Friseuren und Schönheitssalons besorgt hat. Die Fasern können von überall her sein. Beweistechnisch ein totaler Alptraum.«

»Mann, Shelly, selbst wenn Sie in einem der Räume etwas gefunden hätten, mit dem man den Kerl identifizieren könnte …«

»Wären die Beweise unbrauchbar«, beendete Waltz den Satz für mich. »Kein Staatsanwalt, der noch halbwegs bei Verstand ist, würde damit vor Gericht gehen. Wirklich brillant. Wie viele Irre sind klug genug, sich so eine Nummer einfallen zu lassen?«

Ich wüsste da jemanden, dachte ich, doch glücklicherweise saß mein Bruder in einer Festung namens Alabama Institute for Aberrational Behavior für immer hinter Schloss und Riegel.

Waltz schob die Akten auf seinem Schreibtisch beiseite, stützte den Ellbogen auf die Tischplatte und zeigte mir ein Dokument, in dessen Briefkopf Büro des Gerichtsmediziners stand.

»Die vorläufigen Autopsieberichte. Wurden noch gestern Abend gemacht, und zwar gleichzeitig. Das haben Folger und ich durchgedrückt.«

Als ich die stichpunktartigen Informationen las, verzog ich das Gesicht. »Die Gebärmutter wurde entfernt?«

»Zusammengefasst kann man sagen, dass die Opfer eine Amateurhysterektomie erhalten haben. Ich war bei der Obduktion zugegen. Laut Aussage des Pathologen ist der Täter wie ein wütender messerschwingender Affe vorgegangen. Danach hat er den Kopf in die Wunde gesteckt.«

Das Bild, das vor meinem geistigen Auge auftauchte, war so widerwärtig, dass ich es wegdrückte.

»Du meine Güte! Hat die Spurensicherung irgendetwas Nützliches gefunden?«

»Die Haare und Fasern helfen uns nicht weiter, aber wir konnten das Opfer identifizieren. Dora Anderson, sechsunddreißig Jahre alt. Sie arbeitete für einen Immobilienmakler und wollte sich mit einem potentiellen Käufer treffen.«

»Nachts? Allein?«

»Das ist eine ziemlich noble Gegend. Wahrscheinlich hat der Mann am Telefon ganz freundlich geklungen, und sie hatte offensichtlich keine Angst vor ihm.«

Ein Täter, der einen Menschen zerstückeln und dennoch ganz normal erscheinen und auftreten konnte, war ein hundertprozentiger Psychopath, ein menschliches Chamäleon. Ich erschauderte und warf den vorläufigen Bericht auf Shellys Schreibtisch. Er fühle sich schmierig an, als hätte das Papier die Bestialität der Morde aufgesaugt.

»Ihnen ist klar, dass unser Täter Frauen hasst, oder? Und zwar mehr als alles andere?«

Er nickte. »Die Entfernung der Gebärmutter kann man mit einer Kastration gleichsetzen. Ich habe genug Mordfälle bearbeitet, bei denen Hass aufs andere Geschlecht das Motiv lieferte, doch so etwas Extremes ist mir noch nicht unter die Augen gekommen.«

»Shelly, da draußen braut sich ein richtiger Alptraum zusammen.«

Waltz’ Telefon klingelte. Er griff nach dem Hörer. Ich wandte den Blick ab und tat so, als würde ich nicht zuhören, während ich – wie alle anderen Menschen und vor allem Cops – die Ohren spitzte.

»Ich bin gerade mitten in einer … Sie ist in der Stadt? Der Polizeichef hat mich persönlich angefordert? Nein, das geht schon in Ordnung. Mir bleibt doch keine andere Wahl, oder? Hören Sie, wir haben hier einen Typen, einen Spezialisten für … äh … Menschen mit bösen Absichten. Geht es in Ordnung, wenn ich ihn mitbringe? Gut. Wir kommen gleich.«

Er legte auf. »Ich weiß, dass Sie zugehört haben, Detective. Wenn nicht, wäre ich schwer enttäuscht.«

»Wohin gehen wir denn?«

»In etwa einer Woche findet hier ein politischer Kongress statt. Weibliche Führungspersönlichkeiten aus dem ganzen Land werden daran teilnehmen. Ich habe versprochen, mich um die eingegangenen Drohungen zu kümmern und herauszufiltern, welche heiße Luft sind und welche man ernst nehmen muss.«

»Drohungen?«

»Die Hauptrednerin ist Cynthia Pelham.«

»Verdammte Scheiße«, flüsterte ich. Cynthia Pelham bewegte sich seit mehr als fünfundzwanzig Jahren auf der politischen Bühne. Ihr Siegeszug begann, als die County-Süßkartoffelkönigin nach vier Semestern an der Uni einen achtundfünfzig Jahre alten Senator aus Georgia heiratete.

Mit dreißig vertrat sie öffentlich Positionen zur Gleichbezahlung von Frauen und zum Mutterschaftsurlaub, die denen des Senators entgegenstanden. In der Zwischenzeit hatte sie ihr Jurastudium wieder aufgenommen. Sie hatte sich für ein Abendstudium entschieden, da sie sich tagsüber mit ihrem Süßkartoffellächeln am Arm des Senators vor den Kameras präsentieren musste.

Mit fünfunddreißig hatte sie ihr Diplom gemacht und den Senator verlassen. Nach einer aufsehenerregenden Scheidung verbreiteten die zahlreichen Verbündeten des Senators widersprüchliche Gerüchte: Cynthia Pelham war lesbisch, stieg mit jedem Mann ins Bett, der ihr über den Weg lief, nahm Drogen, soff oder stammte dem New York Watcher zufolge möglicherweise sogar von einem anderen Planeten. Ms Pelhams Freunde, die man damals an einer Hand abzählen konnte, meinten nur: »Sie wurde erwachsen.«

Mit vierzig vertrat Pelham im Kongress einen überwiegend ärmlichen Bezirk und tat dies mit solcher Inbrunst und Leidenschaft, dass es bei der nächsten Wahl keinen Gegenkandidaten gab. Da sie geschieden war, feministische Ideale hochhielt und über ihr Privatleben Stillschweigen bewahrte, hielt sich das Gerücht, sie wäre lesbisch, und ihre Dementis riefen Spott und Hohn hervor. Bald tauchten Websites und Blogs auf, wo sie entweder verunglimpft oder seliggesprochen wurde.

Jetzt, im Alter von zweiundfünfzig Jahren, hatte die Parteibasis die ambitionierte Kandidatin, die ihren Ehrgeiz nie verhehlte, davon überzeugt, sich um das Präsidentenamt zu bewerben. Trotz der tiefen Spaltung zwischen Parteisoldaten und Ideologen fand sie bei der Mitte der Gesellschaft so viel Zuspruch, dass die Wetten auf ihren Sieg eins zu eins standen.

Ein paar Tage zuvor hatte ich in den Abendnachrichten einen Bericht über einen typischen Pelham-Auftritt in Florida gesehen. Drei Viertel der Anwesenden waren Anhänger, während der grölende Rest ihr mit Fäusten drohte und Plakate und Schilder hochhielt. Auf einem Poster war eine räudige Hündin mit überdimensionierten Zitzen zu sehen, deren Kopf durch Pelhams Gesicht ersetzt worden war. Darunter stand in dicken Lettern: Höchste Zeit, dass das Biest endlich eingeschläfert wird.

»Wie lange wird Pelham in der Stadt bleiben, Shelly?«, fragte ich.

»Sie will von hier aus die Kampagnen an der Ostküste koordinieren und wird während der nächsten Woche immer mal wieder auftauchen.«

»Was ist mit dem Secret Service?«

»Der wird Pelham auf Schritt und Tritt begleiten, während wir uns um alles andere kümmern.«

»Mit ›wir‹ sind Sie gemeint?«

»Um ihre Sicherheit muss ich mich nicht kümmern. Ihr steht ein Team von Leibwächtern zur Verfügung, das die Fahrrouten und alles andere kontrolliert.« Er stieß einen Seufzer aus. »Von mir erwartet der Boss, dass ich Ms Pelhams Team erkläre, was das NYPD tut, damit keiner durch die Maschen schlüpft.«

Ich nickte mitfühlend. Da sich an Pelham die Geister schieden, wurde ein erfahrener Mann gebraucht, der sich mit Drohungen auskannte und wusste, welche man ernst nehmen musste. Die Shelly übertragene Aufgabe war in etwa so, als müsste man mit bloßen Händen eine Jauchegrube ausheben.

Waltz erhob sich und schnappte sich seinen Hut. »Wie Sie ja mitbekommen haben, habe ich versprochen, Sie mitzubringen. Also, rücken Sie Ihre Krawatte zurecht. Wir haben es eilig.«

Die Besprechung fand in Pelhams New Yorker Wahlkampfzentrale statt, einem ehemaligen Ladengeschäft unweit der Cooper-Union-Hochschule. An den Wänden hingen – wie nicht anders zu erwarten – Banner, Poster und Fotos von der Kandidatin. An den Schreibtischen saßen Menschen, die mit ernster Miene telefonierten und sich fleißig Notizen machten.

In einem der hinteren Räume trafen wir uns mit Ronald Banks, einem vierschrötigen, afroamerikanischen Secret-Service-Agenten mit Brille, der die Operation leitete. Meiner Einschätzung nach diente dieses Zimmer als Planungszentrum. Jemand hatte eine detaillierte Karte von New York City an die Wand gepinnt. Gelbe Haftzettel markierten die Bezirke und die Ämter, in denen man sich zur Wahl registrieren lassen konnte. Es gab einen runden Tisch, ein paar Stühle, und auf dem Boden stapelten sich Kartons mit Wahlkampfbroschüren.

»Hat sie viele Drohungen erhalten?«, fragte Waltz Banks.

»Die Leute lieben oder hassen sie. Die, die sie hassen, leiden offenbar an Tollwut. Viel Glück, Detective Waltz.«

Wir drehten die Köpfe, als es vorn laut wurde und die Helfer applaudierten und pfiffen. Entweder verteilte da jemand Geld, oder die Kandidatin war erschienen. Kurz darauf gesellten sich Cynthia Pelham und zwei ihrer Mitarbeiter zu uns. Allem Anschein nach hatte sich die Süßkartoffelkönigin im Lauf ihrer politischen Karriere in ein anzugtragendes Energiebündel verwandelt. Sie ging in eine Ecke, presste ein Handy gegen das eine Ohr, drückte das andere mit dem Finger zu und sprach so laut, als wäre sie ganz allein.

»Verdammt, was kümmert es mich, wie viel Geld der Mistkerl hat? Der Typ ist einfach nicht koscher. An dem Tag, an dem wir seine Spende annehmen, wird man den Hurenbock wegen Sodomie oder etwas Vergleichbarem anklagen. Lassen Sie sich was einfallen und verprellen Sie den Kerl. Vielleicht unterstützt er dann ja die Gegenseite …«

Kaum hatte sie das Handy zugeklappt, klingelte es wieder. Sie nahm den Anruf entgegen und hörte zehn Sekunden lang zu. »Die Antworten lauten: Ja, ja, nein, selbstverständlich ja und Hummersuppe.« Sie schaltete das Handy aus und warf es der Frau an ihrer Seite zu. Die zierliche Blondine mit dem kantigen Kinn und einem Blick, der signalisierte, dass sie sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen ließ, verstaute das Handy in der großen Aktentasche der Kandidatin, die gleichzeitig als Handtasche fungierte.

Aus der jungen und hübschen Süßkartoffelkönigin war eine attraktive Frau geworden. Das braune Haar hatte ein paar graue Strähnen, die Fältchen im Gesicht zeugten von Erfahrung, und sie hatte ein paar Pfund Übergewicht. Der Blick, der im Fernsehen bohrend wirkte, verriet – wenn man ihr gegenüberstand – Neugier. Sie musterte Waltz und mich und kam näher, als würde sie von uns magisch angezogen.

»Meine Herren, Sie sind doch garantiert von der Polizei. Habe ich mal wieder falsch geparkt?«

Waltz, der Mann mit der ewig traurigen Miene, gab sich große Mühe und rang sich ein Lächeln ab, was aussah, als wollte er sich ein Niesen verkneifen. »Frau Kongressabgeordnete, wir sind hier, weil es eine Menge Leute gibt, die Sie nicht leiden können. Vor allem Männer. Zumindest wird das in den Nachrichten so dargestellt.«

Pelhams schallendes Lachen schien von Herzen zu kommen und klang fast derb. Ihre Konkurrenten verkniffen sich derlei Gefühlsäußerungen aus Angst, zu menschlich zu erscheinen – und somit auch ungeeignet fürs höchste Amt im Staat. Pelham schien das nicht zu kümmern.

»Es gibt auch eine Menge Frauen, die etwas gegen mich haben. Mann, wenn ich an meine Post denke, können mich sogar eine Menge Haustiere nicht ausstehen.«

»Anscheinend haben Sie die Gabe, einige Leute so richtig aus der Reserve zu locken«, meinte ich.

Als sie meine Stimme hörte, richtete sie den Blick auf mich und hob eine Augenbraue. »Viele Politiker bekommen Hassbriefe von Menschen, die hinterm Mond leben. Meine stammen leider von Leuten, die noch weniger Durchblick haben. Als wir in den Vorwahlen gegeneinander antraten, habe ich Rich Stanzaro ein paar von meinen Briefen gezeigt. Er sagte, er hätte auch schon bizarre Nachrichten bekommen, aber ihm hätte wenigstens noch niemand damit gedroht, ihm die Titten abzuschneiden.«

»Wie ich schon sagte, wir haben es mit Wahnsinnigen zu tun«, wandte Banks sich an Waltz.

Pelham musterte mich neugierig. »Ich kann mich nicht erinnern, schon mal einen New Yorker Cop mit Südstaatenakzent getroffen zu haben.« Wieder hob sie eine Augenbraue und grinste. »Sind Sie vielleicht aus der Südbronx?«

»Ich bin vom Police Department in Mobile, Ma’am. Da ich gerade in einem anderen Fall mit Detective Waltz zusammenarbeite, dachte er, ich könnte vielleicht auch hier von Nutzen sein.«

»Weil Sie sich mit so was auskennen? Weil Sie früher schon mal jemanden vor dem wütenden Mob beschützt haben?«

»So könnte man es formulieren. In Mobile gehöre ich einem Team an, das sich mit mental instabilen Kriminellen befasst.«

»Wie instabil?«

»Die würden Ihnen nicht nur die Titten abschneiden, Ma’am, sondern sie auch panieren, braten und zum Abendessen verspeisen.«

Alle anderen machten große Augen. Selbst Waltz schaute recht argwöhnisch. Einen Moment lang herrschte Schweigen, ehe die Kongressabgeordnete in lautes Gelächter ausbrach und mir jovial auf die Schulter klopfte.

»Ich bin froh, dass das NYPD jemand aus dem Süden dazugeholt hat. Ihr habt Pfeffer da unten.«

Pelham hob Zeige- und Mittelfinger, um Frieden oder Sieg zu signalisieren, und ging dann nach vorn zu ihrem Wahlkampfteam. Ich schwieg, während Waltz den Helfern und Mitarbeitern erläuterte, wie er die Hassbriefe und geschmacklosen Telefonanrufe auswertete. Außerdem riet er allen Anwesenden, ein Auge auf schrullig wirkende Fremde, eigenartige Vorfälle und ungewöhnliche Gegenstände in der Post zu haben.

*

Die Stippvisite in Pelhams Hauptquartier hatte insgesamt knapp ein Stunde gedauert. Als wir in das Büro der Detectives kamen, lief Cargyle, der Mann von der Spurensicherung, mit einer Kassette in der Hand auf und ab.

»Dr. Prowse’ Ankunft in LaGuardia wurde aufgezeichnet«, verkündete er aufgeregt. »Ich habe zwei Aufnahmen gefunden. Zuerst wurde sie bei der Gepäckausgabe gefilmt und später noch mal, beim Verlassen des Flughafens. Sie benimmt sich ganz normal, holt ihre Tasche vom Band, geht nach draußen und steigt in ein Taxi. Und sie spricht kurz mit einem Mann, der neben ihr steht. Wahrscheinlich nur ein kurzes Geplauder mit einem anderen Passagier.«

»Sind Folger und ihre Jungs da?«, wollte Waltz wissen.

»Die müssten jeden Augenblick auftauchen, aber wann genau, weiß ich nicht.«

»Dann schauen wir uns das Material schon mal an.«

Cargyle, der eine Tasche mit Geräten, elektronischem Schnickschnack und Bändern über die knochige Schulter geworfen hatte, schob ein Abspielgerät in den Konferenzraum. Seine Armbanduhr hatte mehr Bedienelemente als das Armaturenbrett meines Pick-ups. Er besaß nicht ein, sondern gleich zwei ultramoderne Handys. Falls Cargyle so wie die Jungs von unserer Spurensicherung in Mobile gepolt war, las er in seiner Freizeit lieber technische Dokumentationen als Romane.

»Haben Sie das Material eben erst entdeckt?«, fragte ich ihn.

»Ich war die ganze Nacht auf dem Flughafen. Die eine Aufzeichnung habe ich um drei Uhr gefunden, die andere vor einer halben Stunde.«

»Sie waren nachts dort und sind jetzt hier? Schlafen Sie manchmal auch?«

»Cargyle ist noch Trainee und wurde unserem Revier zugeteilt. Ich lege großen Wert darauf, dass er so viel wie möglich lernt«, meinte Waltz.

»Ja, so kann man das auch sehen.« Cargyle grinste und startete die Vorführung. Die Bandqualität war besser als das, was die in Supermärkten installierten Überwachungsmonitore lieferten, woraus ich schloss, dass der Heimatschutz über ein höheres Budget verfügte als die Discounter.

»Das ist die erste Aufzeichnung«, verkündete Cargyle. »Von der Gepäckausgabe.«

Mit angehaltenem Atem verfolgte ich, wie Vangie mit einer Tasche über der Schulter ins Blickfeld trat. Sie flitzte zum Gepäckband, schnappte ihren Koffer, blieb kurz stehen und sprach mit dem Mann neben ihr, der ein weißes Hemd trug, schlank war und nicht in die Kamera schaute. Die ganze Szene dauerte nur fünf Sekunden.

»Das war Nummer eins«, sagte Cargyle. »Die zweite Aufzeichnung ist ein paar Sekunden länger, aber liefert nicht viel mehr.«

Das geschnittene Video sprang zur nächsten Szene vor. Die über der Tür installierte Kamera zeigte, wie die Passagiere wie eine zusammengepferchte Kuhherde auf den Ausgang zusteuerten.

»Da ist sie«, flüsterte Waltz, als er auf dem unscharfen Bildmaterial Vangie inmitten der Herde entdeckte. Ich beugte mich zum Monitor vor. Es dauerte eine Sekunde, bis ich die vertrauten Gesichtszüge, die großen Augen, das volle dunkle Haar, die rosa Lippen entdeckte. Vangies Blick wirkte müde und angespannt, als sie mit dem schlanken Mann, dessen Gesicht wir wieder nicht erkennen konnten, das Terminal verließ. In allerletzter Sekunde drehte er das Gesicht blitzschnell Richtung Kamera. Sein ekstatisches Grinsen nahm den ganzen Monitor ein.

Mir lief ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter, und ich schnappte nach Luft, was die anderen mitbekamen.

»Was?«, fragte Waltz. »Kennen Sie den Mann?«

»Ich habe ihn schon mal gesehen«, flüsterte ich. »Er ist Patient in Vangies Institut. Intelligent, mordlüstern und unberechenbar.«

Dass er mein Bruder war, erwähnte ich nicht.

Bestialisch

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