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KAPITEL 3

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Das Empfangspersonal in dem Midtown-Hotel war über meine Ankunft informiert und behandelte mich äußerst zuvorkommend, obwohl meine Garderobe angeschmutzt war und meine Schuhe auf dem Marmorboden Abdrücke hinterließen. Man nannte mir ein nahe gelegenes Geschäft, wo ich eine Hose, drei Baumwollhemden, eine helle Sportjacke, ein Paar Laufschuhe, Unterwäsche und Socken erstand.

Kaum hatte ich das triste, ausschließlich in Schwarz, Grau und Grauweiß gehaltene Doppelzimmer in der dritten Etage betreten, schaltete ich den Fernseher ein. Ich brauchte dringend etwas Farbe im Raum und Ablenkung. Nach dem Duschen packte ich meine neuen Oberhemden aus, wusch sie im Handwaschbecken, damit die Falten und die Appretur herausgingen, und wrang sie aus, so gut es ging. In der kühlen Luft aus der Klimaanlage würden sie bis zum nächsten Morgen trocknen und konnten dann gebügelt werden. Mit den Unterhemden verfuhr ich ebenso.

Das Telefon läutete, und der Empfang informierte mich darüber, dass gerade ein Paket für mich abgegeben worden war. Ein kleiner Latino brachte mir den Umschlag aufs Zimmer. Links oben in der Ecke prangte der NYPD-Stempel. Das waren die Berichte, von denen Waltz gesprochen hatte. Wie er schon angedeutet hatte, ließ der Stand der Dinge zu wünschen übrig, doch das verwunderte angesichts der kurzen Dauer der Ermittlung nicht.

Der vorläufige Bericht der Spurensicherung, die Vangies Zimmer untersucht hatte, kam zu folgendem Ergebnis: keine Kampfspuren, kein Blut, keine erkennbaren Körperflüssigkeiten, keine Anzeichen, dass etwas geraubt oder der Raum durchsucht worden war. Vermerkt war auch, dass man in ihrem Schrank ausschließlich Freizeitbekleidung gefunden hatte, die etwa für eine Woche reichte und darauf hindeutete, dass ihre Reise nicht beruflich motiviert gewesen war.

Andererseits hatte Vangie Prowse mit einer Kamera ein Video gedreht, meine Erfahrung mit Serienmördern erwähnt und verkündet, sie hätte eine befremdliche Entscheidung getroffen und wäre »mit Dingen befasst, die nicht unbedingt sinnvoll erscheinen, aber ich brauche einen seriösen …«.

Vangie war nicht in der Lage gewesen, den Satz zu beenden. Sie brauchte einen seriösen was? Wieso befasste sie sich mit Dingen, die nicht unbedingt sinnvoll erschienen? Und als wäre die Botschaft nicht schon kryptisch genug, blickte sie auch noch in die Kamera und entschuldigte sich.

»Carson, es tut mir unendlich leid.«

Was zum Teufel hatte Vangie getan?

Ich lag auf dem Bett, starrte an die Decke und ließ mir diese Frage hundertmal durch den Kopf gehen, bis ich langsam eindöste und in einen unruhigen, schweißgebadeten Schlaf fiel.

Das Läuten des Telefons auf dem Nachttisch weckte mich. Ich ließ versehentlich den Hörer fallen, zog ihn an der Strippe hoch und presste ihn ans Ohr.

»Hmm?«

Waltz. »Wir haben eine Tote, Detective Ryder. Ziemlich schlimme Sache.«

»Kenne ich sie?«, murmelte ich, noch halb verschlafen.

»Mann, wachen Sie endlich auf, Detective. Nein, Sie kennen sie nicht. Gott, das hoffe ich jedenfalls. Ich bin am Tatort und schicke Ihnen einen Wagen. Warten Sie vor dem Hotel.«

»Äh, Waltz, hören Sie. Ich muss mich erst mal …«

Er hatte schon aufgelegt. Auf der Uhr war es zehn nach acht Uhr abends. Ich hatte zwei Stunden geschlafen. Da meine gewaschenen Hemden noch feucht waren, blieben mir nur die getragenen Klamotten, die nach Schweiß und Verzweiflung rochen. Beim Anziehen hielt ich die Luft an und stürmte dann nach draußen.

Das Tageslicht schwand schnell. Die tiefstehende Sonne färbte den Himmel bernsteinfarben. Der Großstadtlärm schallte durch die von Menschen geschaffenen Straßenschluchten. Gleich neben der Hoteltreppe wartete ein Streifenwagen neben dem Bürgersteig. Ich saß noch nicht richtig, da fädelte sich das Fahrzeug schon in den brausenden Verkehr ein. Ich drehte den Kopf zum Fahrer: Koslowski. Mein Geruch veranlasste ihn, die Nase zu rümpfen, mir einen Blick von der Seite zuzuwerfen und das Fenster herunterzukurbeln.

»Wo befindet sich der Tatort?«, brüllte ich gegen die eingeschaltete Sirene an. Der Verkehr bestand hauptsächlich aus Taxis. Koslowski, der davon ausging, dass die Taxis ihm Platz machten, nahm den Fuß nicht vom Gaspedal. Und so war es auch – alle anderen Fahrzeuge preschten zur Seite.

»SoHo. Wenn ich Sie nicht in fünf Minuten dort abliefere, macht Waltz mich zur Schnecke.«

»Das kann ich mir bei Waltz gar nicht vorstellen.«

»O doch, das tut er, und zwar ohne Worte. Was eigentlich noch schlimmer ist.«

»Er ist ein interessanter Typ«, sagte ich in der Hoffnung, mehr Informationen über den Detective mit dem traurigen Blick aus Koslowski herauszuholen. »Was halten Sie von ihm?«

Statt einer Antwort fuhr Koslowski vor ein italienisch anmutendes Backsteindoppelhaus, in dessen Vorgarten ein ZU-VERKAUFEN-Schild stand. Am Bordstein parkten ein Streifenwagen und ein ramponierter Geländewagen mit dem Schriftzug NYPD-SPURENSICHERUNG auf der Tür, daneben das Fahrzeug des Gerichtsmediziners. Ein blauweißer Streifenwagen blockierte zwei Spuren, um die Schaulustigen fernzuhalten. Das Flackern des eingeschalteten Blaulichts verlieh der Straße eine gespenstische Atmosphäre. Ich sprang aus dem Wagen und hetzte zu dem Haus.

»He, Dixie«, rief Koslowski.

Ich wirbelte herum. »Was?«

»Sie haben mich doch gefragt, was ich von Shelly Waltz halte.« Er legte einen Gang ein. »Wenn überall auf der Welt Nacht ist und alle schlafen, fliegt Shelly Waltz auf einem silbernen Einhorn durchs Universum.«

»Wie bitte?«

Doch da fuhr Koslowski schon mit einem Affenzahn davon, und ich sah nur noch seine roten Rückleuchten immer kleiner werden. Kopfschüttelnd betrat ich das Gebäude. Ein Mann und eine Frau vom Büro des Gerichtsmediziners standen hinter der Eingangstür und öffneten einen Koffer. Sie waren aschfahl und wirkten ziemlich mitgenommen. Die beiden wiesen mir den Weg zu einem Schlafzimmer ein Stück den Flur hinunter. Der Geruch von Blut drehte mir den Magen um.

Zögernd trat ich in den Raum. Wie in den auf die Straße hinausgehenden Zimmern gab es auch hier keine Möbel. Shelly stand mutterseelenallein neben einer verhüllten Gestalt, die in der Mitte des Zimmers auf dem Boden lag. Man konnte zusehen, wie sich das weiße Tuch langsam rot färbte. Waltz rieb sich mit den Handflächen die Augen.

»Was gibt es, Shelly?«

Er schüttelte den Kopf und hob das Tuch. Ein nackter Frauenkörper. Mit weit aufgerissenen Augen starrte mich der Kopf aus der Bauchhöhle an. Ihr Haupt war eingerahmt von Blut, Faszie und gelbem Fettgewebe, das herausgequollen war, als der Täter den Kopf in die klaffende Öffnung gesteckt hatte. Ich prägte mir das Grauen ein, zählte stumm bis fünf und schloss die Augen.

»Schöne Scheiße«, befand Waltz.

»Schlimmer geht’s kaum«, bestätigte ich.

Waltz ließ den Tuchzipfel fallen, was einen kleinen Windstoß verursachte und Haare vom Boden aufwirbelte. Genau wie bei Vangies Tatort waren sie von unterschiedlicher Farbe und Beschaffenheit. Als ich mich umschaute, entdeckte ich sie überall: auf dem Fliesenboden, in den gerinnenden Blutlachen, auf dem Fensterbrett.

Im Flur ertönten schwere Schritte und Folgers lautes Organ. Wir drehten die Köpfe.

»Waltz? Sind Sie da hinten?«

Lieutenant Folger und ihre beiden Spießgesellen vom Morgen gesellten sich mit finsteren Mienen zu uns. Ihre Begleiter waren der Koloss Bullard und Abel Cluff, ein kleinerer, älterer Mann mit Glupschaugen und spitzem Wieselgesicht. Cluff schnaufte schwer, als wäre er in den fünften Stock gerannt. In Wahrheit musste man nur fünf Stufen erklimmen, um von der offenen Veranda hierher zu gelangen. Beide Männer trugen dunkle Anzüge und weiße Hemden. Da Bullards dicke Handgelenke fünf Zentimeter aus den Jackettärmeln herausragten, sah es so aus, als wäre er noch gewachsen, seit er sich den Anzug zugelegt hatte.

Das an uns vorbeirauschende Trio wich den Blutlachen und -schlieren aus. Cluff beugte sich hinunter und hob das Tuch an, das den Leichnam verhüllte. Sein Blick verriet weder Überraschung noch Betroffenheit, woraus ich schloss, dass einen alten Hasen wie ihn nichts mehr schrecken konnte.

»Du meine Güte«, stöhnte Folger beim Anblick der Leiche. »Sagen Sie mir, dass ich träume, dass da draußen kein wahnsinniger Schlächter herumläuft.«

»Die Abtrennung des Kopfes könnte auf den Versuch einer Entpersonalisierung hindeuten«, versuchte ich mich nützlich zu machen. »Und indem der Täter ihn anschließend in den Bauch steckt, will er vielleicht seine Macht demonstrieren: Seht, wozu ich imstande bin. Oder es könnte …«

Folger wirbelte zu mir herum. »Was zum Teufel haben Sie hier zu suchen?« Sie holte Luft, verzog die Nase und versuchte, durch Wedeln ihrer Hand meine Ausdünstungen zu vertreiben. »Herrje, gibt es denn da unten, wo Sie leben, weder Seife noch Deo?«

»Ich habe Detective Ryder gerufen, Lieutenant«, sagte Waltz. »Bei seiner Erfahrung mit Geisteskranken dachte ich, er würde …«

»Er ist hier überflüssig«, meinte sie. »Setzen Sie ihn in einen Bus und schicken Sie ihn nach Hause.«

Bullard hielt seine Nase zu und lachte gurgelnd. »Vielleicht sollte man ihn vorher mit etwas einsprühen.«

»Haben Sie sich einen Überblick verschafft, Detective?«, fragte Waltz und warf mir einen Blick zu, der mir signalisierte, dass er wusste, dass dem nicht so war, er diesmal jedoch klein beigeben musste. Um den Frieden zu wahren, nickte ich, und wir gingen nach draußen. Inzwischen standen drei Streifenwagen, ein Krankenwagen, der Van von der Spurensicherung, ein Befehlskraftwagen als eine Art mobile Einsatzzentrale und Waltz’ verbeulter blauer Chevy Impala auf der Straße. Die Gegend war mit gelbem Absperrband gesichert. Cargyle, der Mitarbeiter des Technischen Dienstes, stürmte mit dem Handy am Ohr und einer schweren Schultertasche an uns vorbei.

»Sieht ganz so aus, als würden Ihre Leute jetzt so richtig loslegen, Shelly. Ich nehme mir besser ein Taxi und haue ab.«

»Eine Frage noch, Detective. Die Augen der beiden Opfer. Was halten Sie davon?«

»Sie spielen darauf an, dass sie offen sind?«, hakte ich nach. »Nicht geschlossen, zugedeckt oder verstümmelt?«

»Genau.«

»Er schämt sich nicht für das, was er tut, Shelly. Meiner Meinung nach erfüllt es ihn mit Stolz, wenn seine Opfer ihm bei der Arbeit zuschauen.«

Waltz nickte traurig und wurde so blass wie ein Mann, der vom Blitz getroffen wurde – was auch der Wahrheit entsprach, denn als ich mich umdrehte, sah ich ganz in der Nähe einen Fotografen mit Kamera und Blitzlicht.

Blitz.

»He, Detective Waltz, was ist da denn los? Wer ist das Opfer?«

Blitz. Blitz.

Ich sah blaue, durch die Luft schwirrende Quadrate. Waltz bedeutete einem Streifenpolizisten, den Fotografen fortzuschaffen. Der kleine Bursche mit den Plattfüßen entfernte sich, grinste über beide Ohren und hielt die Hände hoch, um zu zeigen, dass er sich geschlagen gab. Alles an dem Mann war rund – Gesicht, Bauch und Hintern.

Ich blickte zu Waltz hinüber. »Ein Vertreter der vierten Macht im Staat?«

»Dieses Stück wandelnde Scheiße ist der berüchtigte Benny Mac. Ein gefeierter Schmierfink vom New York Watcher. Das ist ein Blatt für Menschen, die nicht gern lesen. Und morgen sind wir auf der Titelseite, es sei denn, er findet etwas, was er für wichtiger hält, beispielsweise einen Promi, der betrunken Auto fährt. Oder eine Katze, die sich auf ein richtiges Klo setzt.«

Ich beobachtete, wie der Bursche die Straße überquerte und einen Arm hochriss wie ein Imperator, der dem Volk zuwinkt. Einen Straßenblock weiter unten sprang ein Motor an und ein in zweiter Reihe parkender Hummer raste zu Benny Mac. Der Journalist stieg ein, brüllte seinem Fahrer etwas zu, fuhr davon und grinste dabei süffisant aus dem Fenster.

Bestialisch

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