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KAPITEL 5

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»Wie heißt der Irre?«, fragte Folger.

»Jeremy Ridgecliff«, antwortete Waltz. »Hat mit sechzehn seinen Vater und später fünf Frauen brutal ermordet. Ridgecliff wurde vor mehr als zwölf Jahren ins Alabama Institute for Aberrational Behavior überstellt.«

Folger wandte sich an mich. »Haben Sie nicht behauptet, dort käme keiner raus?«

Ich hörte kaum, was sie sagte, und antwortete nicht, sondern saß einfach nur fassungslos in der Ecke. Irgendwie war es Jeremy gelungen, zu entkommen und Vangie zu zwingen, mit ihm nach New York zu reisen. Und nun war Vangie tot, brutal hingemetzelt von meinem Bruder.

Sag es ihnen, riet mir mein Verstand. Sag ihnen, dass er dein Bruder ist. Du musst jetzt den Mund aufmachen.

Gerade als ich mich zu Wort melden wollte, forderte Waltz alle Anwesenden mit einer Handbewegung auf, den Mund zu halten, und wedelte mit ein paar Seiten herum, die das Faxgerät ausgespuckt hatte. »Unsere ersten Infos über Ridgecliff. Er steht auf Messer, Verstümmelung und Symbolik. Und da er jahrelang eingesperrt war, hatte er genug Zeit, seiner Phantasie freien Lauf zu lassen. So viel zu den guten Nachrichten.«

Detective Perlstein, der hinten im Raum stand, schaute von seinen Notizen auf. »Wenn das gut sein soll, Shelly, was verstehst du dann unter schlecht?«

»Ich würde wetten, dass er, was den IQ anbelangt, uns allen überlegen ist. Seiner dürfte schätzungsweise um dreißig Punkte höher liegen.«

Manche stöhnten, andere pfiffen leise. Einen intelligenten und kreativen Mörder zu schnappen war in etwa so, als mache man nachts Jagd auf einen schwarzen Hai im weiten Meer.

Steh auf und sag es ihnen, drängte mein Verstand erneut. Das hier sind Cops. Du bist Cop.

Folger lief nervös auf und ab. Ihre Absätze klackten laut. »Offenbar ist es Ridgecliff irgendwie gelungen, diese Prowse zu überreden, ihn hierherzubringen. Und als er sie nicht mehr brauchte, hat er sie getötet. Das hat ihn wieder auf den Geschmack gebracht, und da hat er noch mal zugeschlagen. Wie Waltz schon sagte, dieses Monster konnte sich jahrelang ganz genau ausmalen, wie er das nächste Mal zuschlägt. Kaum ist er auf freiem Fuß, gibt es zwei verstümmelte Frauenleichen.«

Wie würden sie reagieren, wenn ich sie einweihte? Sie würden mich melken, alle Informationen aus mir herausquetschen und mich dann außen vor lassen, von der Ermittlung abziehen. Ich wäre der nützliche, aber wenig vertrauenswürdige Idiot. Mich auf Eis zu legen war klug. An ihrer Stelle würde ich genauso verfahren.

Waltz’ Stimme riss mich aus meinen Überlegungen. »Dass Detective Ryder Ridgecliff identifizieren konnte, hat uns eine Menge Arbeit erspart, wofür wir ihm zu Dank verpflichtet sind.«

Als sich alle im Raum zu mir umdrehten, lief ich rot an. Die Kollegen, Brüder im Geist, nickten mir voller Dankbarkeit zu. Der eine oder andere klatschte sogar. Folger kam zu mir.

Sag es ihr.

»Gute Arbeit, Detective. Waltz hat recht. Wir alle hier stehen in Ihrer Schuld.«

»Hören Sie, Lieutenant, äh, ich möchte Ihnen noch etwas über Ridgecliff sagen. Er ist …«

Folgers trockene Hand packte meine und drückte sie. »Schade, dass wir einen schlechten Start hatten, aber Sie wissen ja, wie sehr jedes Revier darauf achtet, dass bei ihm kein Fremder wildert, oder? Sie können jetzt getrost nach Hause fahren. In ein, zwei Tagen haben wir Ridgecliff geschnappt und bringen ihn wieder hinter Schloss und Riegel – oder unter die Erde, was mir sogar noch lieber wäre.«

»Peng!«, rief Bullard. »Problem gelöst.«

»Ähm, hören Sie, Lieutenant …«

Aber was, wenn … Was würde sich ändern, wenn … ich den Mund hielt? Wenn ich weiterhin an dem Fall mitarbeitete, war es dann von Nachteil, wenn ich schwieg? Vangie hätte ja erwähnen können, dass Jeremy mein Bruder ist, doch das hatte sie nicht getan. Warum nur?

»Ja?«, fragte Folger und zog eine dunkle Augenbraue hoch.

»Wegen Jeremy Ridgecliff … ich gehöre einer Sondereinheit an, die sich mit ungewöhnlichen Fällen befasst, mit psychotischen Tätern, mit Soziopathen. Ich kann Ihnen nützlich sein, auch wenn Sie das momentan nicht so sehen.«

»In New York gibt es auch geisteskranke Mörder, Ryder. Von daher denke ich, dass das NYPD allein …«

»Sie haben Ridgecliff sofort erkannt, Detective Ryder«, unterbrach Waltz sie. »Darf ich daraus schließen, dass Sie sich mit dem Verdächtigen beschäftigt haben?«

Ich bemühte mich, keine Miene zu verziehen und gelassen zu wirken. »Ich habe Gespräche mit Mr Ridgecliff geführt. Eine ganze Reihe, um ehrlich zu sein.«

Waltz wandte sich an Folger. »Es ist ja nicht nur so, dass Detective Ryder eine Menge über Ridgecliff weiß. Wenn wir einen Verbindungsmann hätten, könnte das auch die Kommunikation mit den zuständigen Polizeibehörden im Süden erleichtern. Vielleicht stellen sie uns einen Profi vor Ort zur Verfügung, der die Mitarbeiter der Klinik verhört.« Waltz richtete den Blick auf mich. »Könnten Sie uns in diesen Punkten behilflich sein, Detective Ryder?«

Obwohl mein Herz wie ein Presslufthammer klopfte, versuchte ich, ruhig zu antworten. »Ich verfüge über exzellente Kontakte zur Alabama State Police und kann dafür sorgen, dass mein Partner die Leute in der Klinik verhört. Er besitzt ebenfalls große Erfahrungen mit dieser Art von Verbrechen.«

»Ich glaube nicht, dass wir …«, begann Folger.

Waltz klatschte einmal in die Hände, was nicht als Beifall gedacht war, sondern einen Schlusspunkt setzen sollte. »Damit wäre die Sache geklärt und dürfte auch oben gut ankommen. Detective Ryder wird noch ein paar Tage bei uns bleiben. Als Berater, wenn Sie so wollen.«

Tu das nicht. Sag es ihnen jetzt. Das ist deine letzte Chance.

Ich musterte eingehend meine Schuhe. Und hielt den Mund.

Was mache ich da nur?

Folger machte mit Bullard und Cluff einen schnellen Abgang. Waltz traf sich mit dem Staatsanwalt wegen eines anderen Falles. Ich hatte weiche Knie und warf einen Blick auf meine Uhr: halb elf am Vormittag. New York war Mobile eine Stunde voraus. Mit dem Ärmel wischte ich mir den Schweiß von der Stirn, atmete tief durch, holte mein Handy heraus und wählte. Zwölfhundert Meilen weiter im Süden nahm mein Partner Harry Nautilus ab.

»Cars? Mann, was ist denn da los? Bist du etwa immer noch in New York?«

Vor meinem geistigen Auge sah ich, wie Harry die Stirn runzelte. Er war ein großer und breiter Schwarzer, der heute vermutlich ein gelbes oder neongrünes Sakko trug. Seine Hose war wahrscheinlich pflaumenfarben oder mauve. Harry hatte ein Faible für Farben, und niemand getraute sich ihm zu sagen, dass die Farben manchmal kein Faible für ihn hatten.

»Ich werde wohl noch ein paar Tage hierbleiben, Harry.«

»Wieso? Ich meine, die eine Minute bist du noch hier, und die nächste bist du …«

»Jeremy ist abgehauen«, sagte ich. »Er ist in New York.«

»Was?«

»Irgendwie ist es ihm gelungen, Vangie Prowse zu belabern, dass sie mit ihm hierherfährt. Und jetzt ist Vangie tot, Harry. Jeremy hat sie und eine andere Frau umgebracht und mit den Leichen grauenvolle Dinge angestellt. Der Junge dreht völlig durch.«

»Gütiger Gott«, flüsterte Harry. »Wie, verflucht noch mal, ist er rausgekommen?«

»Keine Ahnung. Vermutlich mit List und Tücke. Vielleicht ist er an eine Waffe rangekommen, oder er hat eine Sicherheitslücke entdeckt. Eigentlich darf so etwas gar nicht passieren, aber er hat es geschafft. Hör mal, Harry, ich weiß, dass die Staatspolizei den Fall übernehmen wird, aber könntest du dich bitte in der Klinik umhören und in Erfahrung bringen, wie …«

»Hast du es ihnen gesagt, Cars? Hast du ihnen gesagt, dass er dein Bruder ist?«

Mir schnürte es die Kehle zu. Ich hatte das Gefühl, als würde ich unter den Ereignissen des Tages zusammenbrechen. Tränen stiegen mir in die Augen. Ich schnappte nach Luft, wischte das Gesicht auf der Schulter ab. Wartete, dass Harry mich in der Luft zerriss, mir sagte, dass ich mich wie ein Idiot oder noch dümmer aufführte.

Stattdessen meinte er: »Sag mir, was ich hier für dich tun soll, Bruder.«

Wir besprachen uns ein paar Minuten lang. Nach dem Telefonat schleppte ich mich mit einer dicken Papiertüte Richtung Ausgang; sie enthielt Kopien aller Faxe, die Waltz von der Alabama State Police bekommen hatte. Auf dem Weg nach draußen entdeckte ich Alice Folger allein in einem dunklen Besprechungszimmer. Sie fixierte einen Fernsehbildschirm, als hinge ihr Leben davon ab. Da ich weder den Bildschirm sehen noch etwas hören konnte, fragte ich mich, ob in den Nachrichten ein Beitrag über das NYPD gesendet oder über die Urteilsfindung in einem Fall informiert wurde, den sie bearbeitet hatte.

Im Schneckentempo durchquerte ich den Flur und riskierte einen Blick zum Monitor, auf dem ein Mann im Anzug auf farbige Linien über einer Landkarte deutete.

Warum verfolgte Alice Folger wie hypnotisiert einen Bericht des Wetterkanals?

Bestialisch

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