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Montag, 21. September 2015

Denis Kowalski stand an einem Bushäuschen in der Nähe der ‚Rue du Faubourg-Saint-Antoine‘ und versuchte, auf der dort angebrachten Straßenkarte die ‚Rue Trousseau‘ zu finden, die ganz in der Nähe sein musste. Er fand sie nur nicht.

„Mist!“, sagte er laut. Er zog sein Smartphone aus der Hosentasche und versuchte erneut, ein Netz zu finden, um endlich ins Internet zu kommen. Doch vergeblich.

Ich hasse Frankreich, dachte er zum wiederholten Male, seit er in diesem Land war. Warum zum Teufel funktionierte das Internet hier nicht?

Es war gerade mal sechs Uhr morgens und er war ein schrecklicher Morgenmuffel. Zu seinem Leidwesen hatte er die Nacht zuvor verdammt schlecht geschlafen. Die Absteige, in der er untergekommen war, war mit dem unbequemsten Bett ausgestattet, in dem er je gelegen hatte. Ihm tat noch immer der Nacken weh und seine rechte Rückenseite machte heute auch nicht mit. Er hatte sich hoffentlich nicht schon wieder einen Nerv eingeklemmt. Doch es war nicht der richtige Moment, um länger darüber nachzudenken. Er musste zusehen, diese ‚Rue Troirgendwas‘ zu finden. Er hatte keine Ahnung, wie das ausgesprochen wurde und es interessierte ihn auch nicht. Er schaute noch einmal auf die Karte und entschied, in irgendeine Richtung loszulaufen. Auf einem Zettel hatte er eine Adresse notiert. Er würde den nächstbesten Passanten anhalten und ihm den Zettel vor die Nase halten. Die Franzosen sollten wohl in der Lage sein, ihm wenigstens die Richtung zu zeigen, wenn er ihnen klarmachte, dass er absolut nichts verstand, dachte er.

Nachdem er wenige Meter nach der Bushaltestelle in eine größere Seitenstraße abgebogen war, hörte er Kinderstimmen. Seine Hoffnung wuchs. In der Nähe war vermutlich ein Kindergarten und sicher auch jemand, den er anhalten konnte. In dem Moment stieg eine Frau aus einem nicht weit von ihm entfernt geparkten Auto aus. Sie öffnete die Hintertür und beugte sich nach unten. Er blieb stehen und beobachtete, wie sie ein kleines Mädchen vom Rücksitz hob.

Na bitte! Da haben wir doch jemanden gefunden!

Die Frau war bereits dabei, mit dem kleinen Mädchen an der Hand loszulaufen. Er versuchte, sie einzuholen. Als er sie erreicht hatte, griff er der Frau von hinten an den Arm. Sie zuckte zusammen.

„Mais qu’est-ce que vous faites?“, schrie sie ihn an.

Er zuckte mit den Schultern und stotterte herum. „Äh, Madame, tut mir…äh…ich spreche nicht…ähm…Französisch…Ach verdammt, was soll ich denn sagen?“ Er kam sich blöd vor. Das war wohl eine dumme Idee gewesen!

Die Frau schaute ihn immer noch fragend an. Schließlich hatte sie keine Geduld mehr, griff nach der Hand ihrer Tochter, die sie vor Schreck losgelassen hatte, drehte ihm den Rücken zu und lief los.

„Warten Sie doch!“, versuchte er, sie aufzuhalten. Da sie jedoch nicht reagierte, beschleunigte er seinen Schritt und stellte sich direkt vor sie. Er zog den Zettel hervor und hielt ihn ihr vors Gesicht.

„Vous cherchez la Rue Trousseau? Elle est juste là.” Sie zeigte nach vorne. „Il faut aller tout droit, environ 500 mètres et puis c’est à gauche.“

„Was? Ich verstehe nur Bahnhof!“ Er hob seinen Arm und zeigte nach vorne, um sich damit nochmals bestätigen zu lassen, dass er sie halbwegs richtig verstanden hatte. „Da lang?“

Die Frau nickte. „Bah oui! Et puis à gauche“, antwortete sie ihm und zeigte gleichzeitig nach links.

„Ah, verstehe! Danke! Äh, merci heißt das doch, oder?“

Ohne sich noch einmal umzudrehen, lief er den Weg weiter geradeaus. Er schaute auf jedes Straßenschild. Es war fast sieben Uhr. Wieso war so viel Zeit vergangen? Er hatte Angst, dass er zu spät dran war. Andererseits waren noch nicht viele Leute zu dieser unwürdigen Uhrzeit unterwegs. Vermutlich würde sie auch nicht so früh aus dem Haus gehen. Er beschleunigte dennoch seinen Schritt und plötzlich sah er sie von weitem: die ‚Rue Trousseau‘.

Endlich! Er bog in die Straße ab und hielt nach der Hausnummer vierundfünfzig Ausschau, die er kurz darauf fand. Was sollte er jetzt machen? Er suchte nach einer Stelle, wo er unauffällig warten konnte, doch es gab weit und breit nichts. Keine Bank und auch sonst nichts. Er nahm schließlich sein Handy und tat, als ob er telefonieren würde. Er redete irgendwelches Zeug zusammen. Die Franzosen, die das mitbekamen, würden es sowieso nicht verstehen, war er sicher. Er lief dabei hin und her, ließ aber nie das Haus mit der Nummer vierundfünfzig aus den Augen. Eigentlich brauchte er dringend einen Kaffee. Leider hatte er es heute Morgen versäumt, das im Preis inkludierte Frühstück in der billigen Pension wahrzunehmen. Jetzt knurrte sein Magen, was ihn jedoch weniger störte als sein Verlangen nach einer heißen Tasse Kaffee. Er zündete sich eine Zigarette an. Vielleicht half das vorübergehend. Wie lange sollte er hier warten? Vielleicht ging sie heute gar nicht zur Arbeit. Vielleicht hatte sie woanders übernachtet. Wer konnte ihm denn garantieren, dass sie heute Morgen überhaupt aus dieser verdammten Tür herauskam? Er hatte keine Lust, seinen Tag hier zu verbringen. Außerdem würde das irgendwann auffallen. Vielleicht sollte er lieber in den Verlag fahren und dort nach ihr fragen. Er wusste schließlich, dass sie da arbeitete.

Er nahm das Telefon vom Ohr. Mittlerweile ging ihm sein „Telefonieren-Getue“ selbst auf die Nerven. Er wollte höchstens noch eine halbe Stunde hier verharren. Wenn er sich wenigstens kurz setzen könnte. Sein Rücken plagte ihn und das Hin- und Herlaufen machte es nicht besser.

Plötzlich ging die Tür auf und eine junge Frau kam heraus. Das könnte sie sein, dachte er sofort. Er versteckte sich hinter einem Auto, schaltete die Kamera in seinem Handy an und zoomte die Unbekannte heran.

Das ist sie! Er fotografierte sie mehrmals, während sie den Bürgersteig hinunterlief und die Straße überquerte, um zu einem Auto auf der gegenüberliegenden Seite zu gelangen. Sie durfte ihn auf keinen Fall bemerken. Obwohl es ihm wegen seines angeschlagenen Rückens schwerfiel, musste er sich nach unten beugen. Er drückte fleißig weiter auf den Auslöser. Gut, dass diese neumodernen, integrierten Kameras keine Geräusche machten. Den Blitz hatte er vorsorglich ausgeschaltet, was der Qualität der Bilder nichts abtat.

Kurz darauf startete sie ihren roten BMW, verließ die Parklücke und fuhr davon.

Er trat aus seiner gebückten Haltung hervor. „Mission erfüllt!“, beglückwünschte er sich selbst.

Haus der Vergangenheit

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