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Mit der Weberei ging es derweil so erbärmlich, als möglich. Ich lebte in Haggers Büchern, sie lagen immer in unmittelbarer Nähe des Webstuhls; ich wendete mancherlei Künste auf, während der Arbeit lesen zu können, aber es ging nicht, und das Ende vom Liede war in den meisten Fällen, daß ich das Weben dem Lesen opferte. Die Mutter schimpfte weidlich Tag für Tag, stellte mir trotz unserer protestantischen Konfession die längsten und strengsten Fastenzeiten in Aussicht und auch hinsichtlich der Kleidung wurde mit fast waldbruderlicher Einfachheit gedroht. Der Vater mischte sich wenig darein und lehnte es stillschweigend ab, wenn die Mutter ihm zu schärfern Maßregeln riet. Da war die arme arbeitsame Mutter gewiß zu bedauern, die nichts als endlosen Ärger vor sich sah; sie wurde mir denn auch bitter abgeneigt und ihr Sinnen und Trachten ging dahin, meiner Gegenwart los zu werden. Sie hatte einen Verwandten in dem zwei Stunden von Grünau entfernten Klosterflecken Bergwinkeln, der seines Berufes ein Schlosser war und daselbst das Geschäft ordentlich ins Große trieb. Mit diesem Vetter unterhandelte die Mutter insgeheim, daß er mich als Lehrjungen annehmen möchte. Derselbe kannte meine persönliche Wenigkeit noch nicht und verlangte, bevor er eine entscheidende Antwort gäbe, mich zu sehen.

Infolge dieses Verlangens wurde ich dann eines Tages veranlaßt, einen Ausflug nach Bergwinkeln zu machen. Ich sollte allein gehen, man ließ sich jedoch erbitten, mir noch den Bruder Jakob als Begleiter mitzugeben. Der Weg führte über einen hohen Berg, auf welchem Gentianen und Alpenrosen in schönster Fülle blühten. Es war ein herrlicher Sommertag, dessen Herrlichkeit vornehmlich in solcher Höhe zu Augʼ und Herz sprechen mußte. Da lagen die Fernen im durchsichtigsten Duft sommerlicher Bläue, durchschimmert von den Silberfäden klarer Flüsse und den Spiegelflächen ruhiger Seen. Auf den nahen Weiden tummelten sich lustige Rinder, weideten bedächtliche Kühe, klangen in vielfältigen Akkorden die hellen Glocken und die mißtönigen Schellen, jauchzte der Melker den Reigen und sang die alte Kräutersammlerin:

Mein erst Gefühl sei Preis und Dank usw.

und sangen auch wir arme Schlucker:

Wie schön istʼs im Freien,

Bei grünenden Maien! usw.

Ja, mit weit offenen Schnäbeln sangen wirʼs und fühlten an den vollern Schlägen unserer gedrückten Herzen, wie tief der Jammer aller Fabrikindustrie heute unter und hinter uns lag. In unsäglichem Behagen setzten wir uns nach kurzen Strecken in den Schatten des Grünhages, hochragender Eichen und Buchen, überhängen­der Felswälle. All unser Gespräch war Jauchzen, all unser Plau­dern Gesang. Daß bei solcher Stimmung der Gedanke an die Ursache unseres Ausfluges nicht wuchern konnte, versteht sich. Einesmals kamen wir an eine Stelle, wo ich Halt gebot. Wir befanden uns bei einem kleinen Gemäuer, der mir bereits von einem frühern Ausfluge her bekannten Nische, welche das lebensgroße Bild der heiligen Ida enthielt, an der Stelle erbaut, wo die Heilige, der Sage nach, dreißig Jahre lang einsam gelebt hatte, nachdem sie von ihrem eifersüchtigen Gatten von der Toggenburg über einen hohen Felsen hin­untergestürzt worden war. Am Fuße des Gemäuers, wo über uns die schöne Heilige mit reichem Gewande angetan saß, erzählte ich Jakob die hochromantische Geschichte von der edlen Dulderin, die, in ihrer Jugend in Üppigkeit und Bequemlichkeit erzogen, später in einer selbsterbauten Hütte bei Himbeeren und Holzäpfeln ein zufriedenes Leben führen konnte.

Es war hoher Mittag geworden, als wir in Bergwinkeln ankamen. Vetters Mittagessen war schon vorbei, daher eilte die Frau Bas so schnell sie konnte, uns noch aparte etwas zur Stillung unseres Appetites zu bereiten. Vetter Schlosser wurde aus der Schmiede ge­rufen, es erschien in ihm ein Riese von Person, der mit offenbarer Geringschätzung auf seine kleinen Vettern herniedersah. Er setzte sich pressiert ein wenig zu uns hin und fragte ohne weiteres, ob ich Lust habe zum Schlosserhandwerk. Ich sagte: «Pah ja, jedenfalls mehr als zum Weben.» Aber nicht so besonders, daß ich es allen andern Berufsarten vorzöge? fragte er weiter. «Pah, nein», erwiderte ich, «ich wollte allweg lieber ein Apotheker oder Gelehrter werden.» «So», bemerkte er kurz, «Du bist jedenfalls nicht geeignet für die Schlosserei, dazu bist Du zu schwach an Leib und Seele, da kann man auch die Probezeit ersparen. Siehʼ, ich habe viel zu tun, sagʼ zu Hause, ich lasse den Vater und die Mutter freundlich grüßen und mit Dir wisse ich nichts anzufangen.» – «Je so», antwortete ich nur unmerklich betroffen, «ja, ich willʼs ordentlich ausrichten.» Eben, als der Vetter gehen wollte, kam die Bas mit dem Essen herein. Sie hörte, daß es mit meiner Einstellung nichts sei, und da sie nicht wußte, wie gleichgültig ich das Mißlingen der Angelegenheit hinnahm, hatte sie ein ziemliches Bedauern mit mir und sagte zu ihrem Manne: «Aber eine Freude mußt Du den Buben doch machen; sie sind vielleicht noch nie im Kloster gewesen, schick den Franz herein, er kann eine Stunde mit ihnen herumspazieren.»

Es geschah so. Franz war ein aufgeweckter und wie es schien überall gut gelittener Junge. Es wurde uns unter seiner Anführung gestattet, die Klosterräume nach allen Richtungen zu durchkreuzen. Die Geschichte der heiligen Ida, in Bildern dargestellt, prangte hier von vielen Wänden und Decken; und die Toggenburg, in der alten Manier der Vogelperspektive gemalt und in so engem Rahmen, daß die nördlichen Türme nur noch zur Hälfte Platz gefunden, ragte stolz von dem durch einige Tännchen bewaldeten Felsen. Ich betrachtete alles mit dem Interesse, das sich an eine natur­getreue Darstellung knüpft. Auf meine Anregung vermochte Franz dann sogar, den Bibliothekar zur Öffnung der großartigen Bücherei zu be­wegen. Dieser Mann, Pater Benedikt, war eine ausnehmend freund­liche Persönlichkeit; sobald er merkte, daß es bei mir mehr als gewöhnliche Neugierde, daß es ausschließlich Liebe zu Büchern war, die mich in sein Bereich getrieben, gab er sich alle erdenkliche Mühe, dem unscheinbaren, unwissenden Knaben einen allgemeinen Begriff von den wertvollsten Gegenständen und vornehm­s­ten Sehenswürdigkeiten der Bibliothek beizubringen. Welch hohen Genuß mir diese Gefälligkeit gewährte, ist nicht auszusprechen. Dem Pater entging meine Freude ebenfalls nicht, und da er es ja einzig und allein darauf abgesehen hatte, so rieb er sich darob recht vergnügt die Hände. Nun fragte er auch beiläufig, weshalb wir heute nach Bergwinkeln gekommen seien, und ich berichtete gerade und ehrlich über die Veranlassung. Er lachte herzlich, ließ jedoch kein Wort darüber fallen. Seine Freundlichkeit machte mich so kühn, daß ich schließlich die bittende Frage an ihn richtete, ob ich nicht das eine oder andere von den zahllosen Büchern geliehen bekommen könnte. Er besann sich lächelnd ein wenig, begab sich auf die mittlere Galerie und kam mit einem in Schweinsleder gebundenen Quartbande herunter. Das Buch war schweizergeschichtlichen Inhaltes und enthielt viele Kupfer. Dieses Buch wolle er mir auf sein Risiko anvertrauen, sagte er, wogegen ich ihm versprechen mußte, zu demselben alle Sorge zu tragen und es innert zwei Monaten wieder zurückzugeben.

Wir blieben länger als eine Stunde im Kloster. Den Quartband unterm Arme schritt ich seelenvergnügt zum Hofe hinaus. Der Tag neigte sich, als wir zu dem hohen Berge kamen, allein so müde wir waren und so wenig ich auf einen freundlichen Empfang bei Hause rechnen konnte, so klommen wir doch den steilen, dunkeln Hohl­weg durch den Wald recht wohlgemut hinan, indem wir die erhaltenen Eindrücke durch stetiges Geplauder lebendig erhielten. Als wir die schmale Ebene der Bergkuppe erreicht hatten, war der Mond aufgegangen und schien hell auf den baumlosen Plan, wie eine Sonne zweiten Ranges. Die Luft war mild und kaum ein leises Ge­säu­sel fühlbar, und es war, als klängen die Herdeglocken zwar durchdringender, doch leiser und harmonischer als am Tage, gleichsam, um die Schlummerstille der Talschaften ringsum nicht zu stören. Ich setzte mich an einer Stelle, wo die kleine Ebene schroff abfallend eine Kante bildete, ins leicht betaute Gras, stützte die Knie unter das aufgeschlagene Buch und fing an die Abbildungen zu betrachten. Jakob setzte sich zu mir und wir vertieften uns noch eine gute Stunde lang in diese bildlichen Mannigfaltigkeiten, bevor wir uns ernstlich zur Heimkehr anschickten.

Die Eltern bedachten uns unserer späten Zurückkunft wegen mit harten Vorwürfen. Besonders auf mich fiel ein voller Hagel von Scheltworten, die den Lippen der Mutter entströmten, sobald sie erfuhr, daß ihr Projekt zu Wasser geworden. Von jetzt an tat sie mir förmlich zu leide, was sie dem Vater gegenüber nur wagen durfte, und zog den Anlaß mich abzukanzeln oft eigentlich an den Haaren herbei. So einmal an einem Sonntagabend, als ich in einem Buche lesend bei Tische saß. Es waren mehrere Frauen aus der Nach­barschaft zugegen, während die Mutter in gewohnter Geschäftigkeit wie eine Bremse hin- und herschoß. Plötzlich fing sie an mich aufs grimmigste auszuschelten. Die plaudernden Frauen stutzten, und da ich ob so öffentlicher Beschämung bitterlich zu weinen anfing, legte sich eine der Frauen herzhaft ins Mittel und nannte die Mutter ein unverständig Mensch, das nicht wisse noch bedenke, wie ungleich die Menschen geartet seien und daß niemand sich anders machen könne, als Gott ihn selber erschaffen. Während sie sprach, trat sie zu mir an den Tisch, ergriff meine Rechte und be­merkte weiter in ihrer Schutzrede: «Ist es nicht, als sehe man es dieser Hand an, daß sie bestimmt sei, etwas anderes zu verrichten, als was jedem Torenbuben möglich ist? Warum haltet Ihr ihn von der Sekundarschule zurück? Probiertʼs und schickt ihn dahin, und tut er auch da nicht gut, dann erst nennt ihn einen Taugenichts.» Die Mutter aber belferte fort und fort und meinte, ich sei «zur Arbeit» geboren, und nicht, um den Herrn zu spielen, und es würde sie jeder Rappen reuen, den sie an mich wenden müßte, damit ich später mit aufrechtem Rücken umhergehen könnte. Und sie wolle doch sehen, ob sie es mit mir nicht noch durchzusetzen vermöge.

Und die gute Mutter in ihrer eifrigen Vorsorge, mich «gehörig» zu beschäftigen, machte eine zeitweilige Arbeit ausfindig, welche mir den Begriff, was arbeiten heiße, einmal recht nahe bringen sollte. Es war beschlossen, ein Stück Weideboden in Ackerfeld zu verwandeln und dieser Metamorphose sollten auch meine Kräfte gewidmet werden. Ich erhielt eine schwere Hacke mit dickem, rauhem Stiel als Werkzeug, damit wurde ich angewiesen, den Rasen vom Boden zu schälen. Der wilde Rasen war sehr zähe, mit Erlen- und Waldrosenstöcken gespickt, und erforderte den Aufwand aller Kräfte meines winzigen Körpers, um nur etwas auszurichten. Kaspar war mit dabei und hatte nicht geringe Not, mich aufrecht und tätig zu erhalten. Die Finger krümmten sich jämmerlich um den Stiel und die Haut klebte daran. Wie lang war ein solcher Tag! Ich konnte emporschauen, so oft ich wollte, die Sonne strahlte immer von gleicher Höhe und es standen mir manche solcher ewiglangen Tage bevor. Als endlich aller Rasen abgeschält war und ich die Verkrümmung meiner schön grad gewesenen Finger nur in dem Gedanken leichter verschmerzen konnte, eine solche Sträflingsarbeit werde so bald nicht wiederkehren, folgte eine weitere dazugehörige, gegen welche das Schälen noch als Erholung gelten konnte. Das geschälte Stück lag an einer steilen Halde und konnte deshalb nur von unten nach oben behackt werden; damit nun oben nicht eine häßliche, unfruchtbare Furche entstehe, war es nötig, unten eine solche auszugraben und die ausgegrabene Erde an das obere Ende des Stückes zu tragen. Zu diesem Zwecke benutzte man Jauchetansen, schrecklichen Angedenkens. Als ich die erste Bürde auf den Rücken nahm, meinte ich nicht sowohl vor Jammer als wirklichem irdischem Drucke in den Boden versinken zu müssen, und mit dieser unerträglichen Last sollte ich die Halde hinaufklimmen, nicht bloß einmal, sondern mindestens einen Tag lang im heißen Monat August. Es war gewiß ein grauenvoller Tag, die Anstrengung ging unmenschlich weit über meine eigentlichen Arbeitskräfte.

Bis in den Spätherbst wurde ich zu den meisten ortsüblichen Landarbeiten verwendet. Als es wieder Winter geworden und alle Weber zu ihren Stühlen zurückkehrten, hatte auch ich mich mit dieser gleichmäßigen und nie übermäßig strengen Arbeit mehr als je ausgesöhnt. Ich ward leidlich fleißig und die Mutter verhielt sich nun auch verträglicher, ja, sie konnte mich ganze Tage lang ungekeift lassen!

Hans Grünauer

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