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Kapitel 4 – Valion

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Die Nacht war beinahe so hell wie der Tag. Es war unerträglich heiß, die Luft flirrte, grelle Funken tanzten zwischen Rauchschwaden einzelner Brandherde. Schweiß rann über sein Gesicht in seine Augen. Valion blinzelte nicht, ließ sein Ziel keine Sekunde unbeobachtet. Er holte einen Pfeil aus dem Köcher auf seinem Rücken und legte ihn auf die Bogensehne. Jeder Muskel in seinem Körper brannte, das Blut in seinen Adern war zu flüssigem Stahl geworden. Alles, was er hörte, war das stetige Wummern seines Herzens. Der Rhythmus, dem jede Bewegung, jeder seiner Schritte folgte.

Eins …

Er hielt den Atem an.

Zwei …

Erfasste sein Ziel und spannte den Bogen.

Drei …

Ließ die Sehne los und atmete aus. Der Pfeil durchschnitt blitzschnell und lautlos die dichte Luft und bohrte sich durch das linke Auge der Wache. Der Mann taumelte zurück und brach tot zusammen. Das Schwert, mit dem er eben noch zum Streich ausgeholt hatte, rutschte über den feuchten Boden.

Das war die letzte Wache.

Valion atmete schwer und riss die Maske von Mund und Nase.

»Hilfe!« Der spitze Schrei einer Frau schrillte in seinen Ohren. »So helft uns doch!«

Der Dunkelelf drehte den Kopf. Der Morast unter seinen Stiefeln war nicht durch Regen aufgeweicht worden. Er konnte den intensiven Geruch des Blutes metallisch auf seiner Zunge schmecken. Es roch nach Rauch, verkohltem Holz und verbranntem Fleisch. Kelna brannte. Die stechend roten Flammen loderten hoch in den schwarzen Nachthimmel.

»Lauf«, brüllte eine Männerstimme. »Rette dich und deine Schwester!«

»Papa«, kreischte ein Mädchen angsterfüllt. »Ich will nicht! Papa!«

Valion verlor seinen Fokus. Seine Gedanken verschwammen in einem undeutlichen Nebel, während er versuchte zu verstehen, was um ihn her passierte.

Das war nicht Teil des Plans gewesen. Canis Lupus hatte gesagt, sie würden die Zivilisten verschonen.

Der Dunkelelf ließ den Blick schweifen.

Ein Junge, der höchstens zehn Jahre alt sein konnte, zerrte ein kleines Mädchen an der Hand hinter sich her. Sie wehrte sich gegen ihn, streckte die freie Hand nach einem älteren Mann aus, der zwei Rebellen gegenüberstand. Hinter ihm lag der leblose Körper einer Frau, die mit leeren Augen in den Himmel starrte.

»Papa!«, rief das Mädchen wieder.

»Wir müssen laufen«, keuchte der Junge unter Tränen.

Valions Körper war taub, seine Schläfen pochten. Die Kinder kamen direkt auf ihn zu.

Einer der Rebellen holte aus und stach den Mann nieder. Noch während er zu Boden ging, traktierten beide Dunkelelfen ihn mit Tritten. Ihr hysterisches Gelächter übertönte die Schreie des Mädchens.

Der Junge erblickte ihn. Valion war überrascht zu erkennen, dass er ein Hochelf war. Seine Augen waren hellgelb wie blühender Raps im Spätsommer und erfüllt mit namenlosen Grauen. Das Mädchen an seiner Hand, der Mann und die Frau waren Menschen. Vielleicht war er adoptiert worden? Während Valion mehr Gedanken daran verschwendete, als es in dieser Situation vermutlich angebracht wäre, wechselte der Junge abrupt die Richtung und riss das Menschenmädchen mit sich. Sie schluchzte verängstigt auf, stolperte und verlor ihren Schuh.

»Tötet sie alle!« Die Stimme des Rebellenanführers Canis Lupus polterte mit der Gewalt einer Stampede durch das Chaos. »Keiner entkommt dem Zorn der Grauwölfe. Erkämpft euch eure Freiheit!«

Valions Ohren klingelten. Mehrere Dunkelelfen stürmten, wildgeworden von der Schlacht, an ihm vorbei. Er sah sie bloß für den Moment zwischen zwei hektischen Herzschlägen. Sie trugen nicht die Kluft der Rebellen. Keine roten Stirnbänder und weißen Mäntel.

Sein Blick haftete am Kinderschuh. Es waren die Dunkelelfen, die sie befreit hatten. Wofür sie eigentlich hergekommen waren.

Er hörte die Kinder einstimmig schreien, das Schmatzen von Fleisch und den Aufprall, als zwei Körper zu Boden gingen.

Die umliegenden Geräusche schwanden mehr und mehr aus seiner Wahrnehmung. Ihm war, als versänke er langsam in tiefem Gewässer. Alles wurde kalt und unklar. Bis auf den Schuh vor seinen Füßen.

»Unsere Planungen sind abgeschlossen. Es wird Zeit für einen weiteren Befreiungsschlag. Einen weiteren Schritt auf unserem Weg zu einem besseren Adular.«

Lupus’ letzte Ansprache an sie hallte durch seine Erinnerungen. Er sah den Rebellenanführer vor sich stehen. Das Antlitz war zu einer hasserfüllten Fratze geworden, in seinen glutroten Augen brannte das Feuer seines Kampfwillens. Der weiße Totenschädel, der in sein Gesicht tätowiert war, verlieh seiner Mimik etwas Furchteinflößendes, gar Monströses.

»Dieses Dorf beherbergt eine Arena und Ihr wisst so gut wie ich, was dort geschieht. Der Boden der Arena ist mit dem Blut unserer Brüder und Schwestern getränkt. Wir werden diesen grausamen Spielen heute für immer ein Ende bereiten.«

Die umstehenden Rebellen trampelten im Gleichtakt auf den Boden. Valion glaubte zu fühlen, wie die Erde bebte. Unter dem Lederharnisch und seinem durchtränkten Hemd rann Schweiß über seinen Oberkörper.

»Die Dorfbewohner behandeln unsereins wie Vieh. Wir befreien unsere Brüder und Schwestern von ihrer Qual und holen sie in unser Rudel.«

Der Jubel der Rebellen zerriss die Nacht und trug ihn zurück in die Gegenwart. Valion schreckte auf wie aus einem Albtraum, nur um sich in einer viel scheußlicheren Realität wiederzufinden.

»Hey, Valion!«

Ungelenk drehte er sich der Stimme zu. Der Name des Dunkelelfen, der ihn gerufen hatte, war Rovan. Er war eine Schattenklinge, die wie Valion selbst unter Taremia in Malachit gedient hatte. Gemeinsam mit ihm war er aufgebrochen, um die Wachen auszuschalten.

Rovan hielt eine junge Frau fest und stieß sie in seine Richtung. »Feiere unseren Sieg mit uns!«

Die Frau wankte auf ihn zu. Lange Strähnen ihres dunkelblonden Haars hatten sich aus der Haube auf ihrem Kopf gelöst und fielen wirr über ihre Schultern. Ihr Kleid war zerrissen, gab den Blick auf ihre Brüste und den Unterleib frei. Frisches Blut bedeckte die Innenseite ihrer Schenkel.

Valion wurde übel. Er bewegte sich auf sie zu, als würde er an unsichtbaren Fäden gezogen werden, und streckte die Arme aus, um ihr eine Stütze anzubieten.

Ihre glasigen Augen weiteten sich angstvoll und sie stolperte hastig zur Seite. »N-Nein«, würgte sie hervor.

»Sie lohnt sich.« Rovan lachte hämisch und griff sich demonstrativ zwischen die Beine.

Eine Welle von Ekel und Zorn stieg in Valion auf. Er spürte das Verlangen, Rovan mit seinem Dolch zu entmannen und ihm seine eigenen Testikel in den Rachen zu stopfen.

Die junge Frau nutzte ihre letzten Kräfte und rannte. Weit kam sie nicht. Zwei Pfeile beendeten schnell und gnadenlos ihr Leben.

Irgendetwas lief entsetzlich schief. Das alles sollte nicht passieren. Blut tränkte Kelnas Straßen. Rovan hatte er längst vergessen. Valions Beine bewegten sich von allein, trugen ihn zu einem Ziel, das er nicht kannte. Egal wohin er blickte, überall lagen Tote. Männer, Frauen, Kinder. Menschen, Zwerge, Waldelfen. Die wenigen Dunkelelfen, die er entdeckte, schienen Sklaven zu sein.

»Grauwölfe!« Wieder war es die Stimme des Rebellenanführers, die alles durchdrang und ihn sogar in seinem geistesabwesenden Zustand erreichte. »Freie Dunkelelfen, kommt zu mir!«

Canis Lupus hatte sich vor der Arena platziert. Hinter ihm waren die Leichen der Wachen aufeinandergestapelt. Das Fell des weißen Wolfes, das er stets über seinen Schultern trug, war immer noch rein und unberührt. Der Anführer selbst war blutverschmiert, das graue Hemd und die schwarze Hose nahezu durchtränkt und schwer vor Nässe. Er breitete feierlich die Arme aus. Rote Sprenkeln bedeckten sein tätowiertes Gesicht, ein manisches Grinsen entblößte sämtliche seiner Zähne.

Valion bemerkte, dass er sich gemeinsam mit den anderen Rebellen und den Dunkelelfen aus der Arena um ihn versammelt hatte.

»Heute Nacht haben wir einen Sieg errungen«, verkündete Lupus stolz. »Kelna ist gefallen.«

Die Rebellen brüllten einstimmig. Sie reckten ihre blutigen Fäuste in die Luft, trampelten im Gleichtakt. Valion fühlte sich wie ein Fremdkörper zwischen ihnen. Er blickte auf seine Hände und fand den Kinderschuh des Mädchens. Wann hatte er ihn aufgehoben?

»Heißt unsere neuen Brüder und Schwestern in unserem Kreis willkommen.« Lupus bedeutete den dunkelelfischen Kämpfern, näher zu treten.

Sie stellten sich hinter ihm auf. Es waren insgesamt achtzehn, sechs Frauen und zwölf Männer. Die Rebellen jubelten ihnen überschwänglich zu.

»Sie werden uns fortan zur Seite stehen. Gemeinsam werden wir jeden zermalmen, der es wagt, sich uns in den Weg zu stellen«, rief Lupus. »So wie wir dieses Dorf von der Landkarte getilgt haben, wird es bald jedem Dorf, jeder Stadt Adulars ergehen. Wir werden mächtig sein wie eine Sturmflut, die das Kaiserreich in Blut, Rauch und Feuer versinken lässt.«

Valion strich mit dem Daumen über die Sohle des Kinderschuhs. Das vielstimmige Johlen der Rebellen dröhnte unangenehm in seinen Ohren.

Er wird unsere Zukunft nicht besser machen, sondern schlechter. Träge grub sich der Gedanke durch den Nebel in seinem Geist. Er wird jeden töten, der sich gegen ihn stellt. Jeden.

»… und eines Tages werden wir den Obsidianturm erreichen und Galdir den Thron rauben. Ihr werdet zusehen, wie ich den Kaiser aus dem Fenster stoße und er am Boden zerschellt. Und dann werde ich der neue Kaiser«, brüllte Canis Lupus. »Freiheit den Dunkelelfen!«

»Lang lebe Kaiser Canis Lupus«, rief einer der Rebellen euphorisch. Die anderen stimmten ein.

»Freiheit den Dunkelelfen«, jubelten einige von ihnen. »Tod den anderen Völkern!«

Kaltes Grauen senkte sich wie eine Dolchklinge tief in Valions Herz.

Nein, sagte seine innere Stimme. Das darf nicht passieren.

Drei Tage später war die Truppe von Canis Lupus in den Dämmerwald zurückgekehrt. Dieser diente den Rebellen, gemeinsam mit den anderen großen Wäldern Adulars, als Versteck und Rückzugsort. Er war nach dem legendären Nachtwald benannt, dem Reich des gefallenen Gottes Ater. Einem Ort, an dem es niemals Tag wurde, der von Dunkelheit umhüllt und dennoch nicht finster war.

Ähnlich war es auch hier. Sobald die Nacht über den Dämmerwald hereinbrach, begann die seltsame Flora und Fauna des Waldes zu leuchten, zu glühen und zu funkeln. Die fluoreszierenden Pilze und Blüten schimmerten in eigenartigen Blau- und Grüntönen. Riesige Glühwürmchen, beinahe so groß wie die Faust eines Kindes, trafen sich um Mitternacht mit den ansässigen Irrlichtern zum Tanz. Von den Blättern der immergrünen Bäume ging ein schwaches, dennoch unablässiges Glimmen aus.

Es war finster im Wald, ohne dass es wirklich dunkel wurde. Das Herz des Waldes bildete der See Ithil, der je nach Mondphase hell leuchtete oder gänzlich schwarz war.

Valion zog es oft an diesen See. Er empfand das milchig weiße Leuchten, das an diesem Abend nur sehr schwach war, als etwas Schönes und Besänftigendes. Er brauchte die Ruhe, die er hier hatte. Die Ereignisse in Kelna ließen ihn nicht mehr los. Besonders die junge Frau und die beiden Kinder verfolgten ihn.

Der Dunkelelf hob einen flachen Kiesel auf und ließ ihn über das Wasser springen. Insgesamt vier Mal, bevor er versank.

Hinter ihm raschelte es, kleine Zweige zerbrachen. Er sah über die Schulter und erblickte einen Waldelfen, der gemächlich auf ihn zuschlenderte.

Sein Äußeres verstieß gegen jedes Schönheitsideal, das die waldelfische Kultur vorgab. Sein Haar war für einen Mann zu lang und brachte ihm sicherlich spöttische Bemerkungen ein, ob er sich denn für einen Hochelfen hielte. Er ließ sich einen Bart stehen, vielmehr einen Bartschatten. Andere Waldelfen achteten penibel darauf, jegliche Körperbehaarung zu entfernen. Er trug auch nicht die Farben seines Volkes, sondern die Rottöne des hochelfischen Adels. Sein Name war Casas, Valion hatte ihn im Zuge seiner Bemühungen kennengelernt, Verbündete für die Grauwölfe zu finden.

Lupus hasste es, dass der Waldelf sich in Valions Lager befand. Wenn es nach dem Rebellenanführer ginge, würde das Rudel der Grauwölfe allein aus Dunkelelfen bestehen. Das war einer der Punkte, bei denen Valion immer wieder mit dem Anführer aneinandergeriet.

Seit sich der Assassine eine hohe Position erarbeitet hatte, versuchte er Lupus klarzumachen, dass sie Verbündete brauchten, wenn sie etwas erreichen wollten. Verbündete mit Einfluss und das waren in Adular eben die anderen Völker. Doch Lupus wollte nichts davon hören.

Valion war inzwischen egal, ob es ihm passte oder nicht. Ihm war das westliche Lager anvertraut worden und dorthin durfte er einladen, wen er wollte, solange er der Rebellion nicht schadete.

»Ich wusste, ich würde Euch hier finden«, grüßte Casas.

Valion nickte ihm zu. »Guten Abend, Casas.«

Der Waldelf stellte sich neben ihn und zupfte die dunkelroten Samthandschuhe zurecht, die er niemals ablegte. »Ich habe gehört, was in Kelna geschehen ist.«

Valion musterte ihn von der Seite, ohne seinen Kopf vom See abzuwenden. »Inzwischen spricht wohl jedes der vier Lager darüber.«

»Wohl wahr. Und alle auf unterschiedliche Art.« Casas hob seinerseits einen Kiesel auf. Er drehte ihn in der Hand, betrachtete ihn von allen Seiten. »Ihr habt den Dorfbewohnern von Kelna Unaussprechliches angetan. Es hätte genügt, die Wachen zu töten, um die Dunkelelfen aus der Arena zu befreien. Aber warum die Dorfbewohner, Valion? Sie waren wehrlos, unschuldig. Haben sie es in Euren Augen wahrlich verdient, so zu sterben?«

Valion war sich dessen nicht mehr sicher. Vor den Ereignissen in Kelna hätte er geantwortet, dass er dieses Dorf mit Vergnügen brennen sehen würde. Nachdem ihm dieser zweifelhafte Wunsch erfüllt worden war, fragte er sich, warum er ihn jemals ersonnen hatte.

»Die Dorfbewohner waren stolz auf ihre Arena.« Irgendetwas trieb ihn dazu an, die Vorgehensweise der Grauwölfe zu verteidigen. »Tag für Tag hörten sie den Jubel und das Klirren der Klingen. Tag für Tag sahen sie, wie tote Dunkelelfen herausgetragen wurden. Sie brüsteten sich damit, dass der große Hastor Adaël dort seine Kämpfe ausgetragen und unzählige Dunkelelfen getötet hat.« Er zog die Brauen zusammen. »Unschuldig wären sie gewesen, wenn sie nichts von dem gewusst hätten, was in der Arena geschehen ist.«

»Hört auf damit, Valion! Ich weiß, dass Ihr nicht überzeugt von dem seid, was Ihr da von Euch gebt.« Der Waldelf reichte den Kiesel an den Dunkelelfen weiter. »Löst Euch von dem Gift, das Canis Lupus in Euren Verstand gesetzt hat! Ihr wisst, dass es falsch war, was die Grauwölfe getan haben. Ihr wirkt verändert, seit Ihr aus Kelna zurückgekehrt seid. Ihr habt nicht ein Wort über die Vorkommnisse verloren.« Casas deutete auf den Kinderschuh, den Valion an seinen Gürtel gebunden hatte. »Und ich bin mir sicher, dass Ihr den nicht aus dekorativen Gründen bei Euch tragt.«

Valion ließ den Kiesel insgesamt dreimal über die Wasseroberfläche springen. Anschließend sanken seine Schultern und er fuhr sich mit beiden Händen durchs Gesicht. Als er den Schuh berührte, kroch eine unangenehme Gänsehaut über seine Arme. »Ich habe durch Umbra viele Grausamkeiten erfahren.« Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Sowohl am eigenen Leib als auch durch das Leid der anderen Rekruten. Dennoch hat mich das, was ich in Kelna gesehen habe, zutiefst erschüttert. Ich hätte niemals gedacht …« Er brach ab. Schwieg.

»Bislang hat Canis Lupus’ Handeln das Leben der Dunkelelfen nicht verbessert«, sagte Casas. »Im Gegenteil, es geht ihnen schlechter als zuvor. Orlean war nur der erste Fehler der Rebellen, der dazu beitrug, dass sich das Leid der Dunkelelfen in Adular verschärft hat.«

Orlean war der erste Fehler der Rebellen, wiederholte Valion innerlich, doch die Stimme der Wut widersprach ihm. Erinnerst du dich, was die Einwohner in Orlean zuvor gemacht haben? An die Toten in der Aschegrube? Sie haben die Dunkelelfen in ihren Häusern eingesperrt und bei lebendigem Leib verbrennen lassen. Sie haben ein Viertel in nur einer Nacht ausgelöscht. Wir hätten die gesamte Stadt zerstören sollen.

Er erinnerte sich lebhaft an das Gespräch mit Dûhirion, das er kurz nach dem Angriff der Rebellen mit ihm geführt hatte. Wie es der Zufall – oder das zweifelhafte Glück seines Freundes – so wollte, hatte Dûhirion den Überfall hautnah miterlebt. Die Ereignisse in Kelna hatten Valion dazu gebracht, das Handeln der Rebellen zu überdenken. Die Stadtwache war es gewesen, die das Viertel der Dunkelelfen zerstört hatte. Nicht die Bewohner. Dennoch waren sie es, die von den Grauwölfen zerfetzt worden waren.

Dazu kam, dass sie Orlean längst wieder verloren hatten. Anders als geplant hatten sie nicht, wie es die gängige Meinung war, die gesamte Stadt eingenommen und entvölkert. Sie hatten es lediglich geschafft, einen kleinen Teil für sich zu beanspruchen, und der war wieder unter Hastors Kontrolle und wurde neu aufgebaut.

»Ihr schweigt«, stellte Casas nüchtern fest. »Worüber denkt Ihr nach?«

»Orlean war ein Kampf«, murmelte Valion. »Kelna eine reine Machtdemonstration.«

»Das, was Lupus eine Rebellion nennt, ist nichts weiter als sein persönlicher Rachefeldzug gegen das Kaiserreich.« Casas blickte auf den See hinaus. »Er hat die Dunkelelfen von Orlean im Stich gelassen. Er hat Kelna dem Erdboden gleichgemacht. Wie viele Unschuldige sind in dieser Nacht gestorben, Valion? Wie viele Frauen und Kinder? Wie viele dunkelelfische Sklaven, die zwischen die Fronten gerieten? Die Lupus geschworen hat zu beschützen?«

Valion ließ einen weiteren Stein über das Wasser springen. »Zu viele. Ich habe zu spät bemerkt, was vor sich ging. Ich habe mich auf meinen Auftrag konzentriert. Und als ich zu mir kam, stand das Dorf bereits in Flammen.« Er berührte den Kinderschuh an seinem Gürtel. »Ich frage mich, was geschehen wäre, hätten wir sie leben lassen. Hätten sie die Arena, die wir zerstörten, neu aufgebaut und neue Dunkelelfen dort eingesperrt? Wäre alles geblieben wie immer?«

»Es ist möglich, dass das trotz allem passiert«, erwiderte Casas ruhig. »Sie bauen das Dorf auf, mit ihm die Arena, und alles beginnt von Neuem. Wir können nicht in die Zukunft blicken. Was jedoch sicher ist: dass es Konsequenzen geben wird. Wie, denkt Ihr, wird Kaiser Galdir darauf reagieren? Wie wird es den Dunkelelfen in den Aschegruben bald ergehen?«, entgegnete Casas ruhig.

Der Assassine schwieg.

»Hört zu, Valion: Mein Herr mag noch von dieser Rebellion überzeugt und willens sein, sie zu unterstützen. Das wird aber nicht mehr lange so bleiben. Bei Orlean hat er noch eingesehen, dass Euer Handeln gerechtfertigt war. Nach dem Massaker in der Aschegrube verstand er, dass Lupus den Befehl zum Angriff gab. Doch wenn dieser Tunichtgut nun beginnt, wahllos Dörfer niederzubrennen, werde ich ihn dazu anhalten, alle Verbindungen zu den Grauwölfen zu trennen.«

»Bei Ater.« Valion strich sich die lange Seite seiner dunkelroten Haare zurück. »Ich … versuche immer noch zu begreifen, was in Kelna geschehen ist. Wir hätten das nicht tun dürfen. Lupus versicherte, die Zivilbevölkerung werde verschont, und ich Narr habe ihm geglaubt. Ich glaubte ihm, weil ich es glauben wollte.«

»Solange Lupus die Rebellen unter Kontrolle hat, wird es niemals zu einer Kooperation zwischen den Grauwölfen und dem ehrenwerten Theodas Eilran kommen«, sagte Casas ernst. »Lupus würde nie Hand in Hand mit einem Hochelfen arbeiten. Wenn es nach mir ginge, stünde dieses Bündnis ohnehin nicht zur Debatte. Aufmüpfigen, gar tollwütigen Wölfen sollte man das Fell über die Ohren ziehen. Wenngleich ich das Vorhaben meines Herrn, den Dunkelelfen Adulars ein besseres Leben zu schenken, unterstütze, wäre es mir lieber, wenn wir Euch Rebellen raushalten könnten. Adular braucht keine Rebellion. Es braucht eine Revolution. Aber ich habe meine Befehle. Nur deshalb bin ich noch hier.« Der Waldelf rückte erneut seine Handschuhe zurecht und wandte sich ab. »Werdet Euch darüber bewusst, welches Verbrechen Canis Lupus und die Grauwölfe begangen haben. Und fragt Euch, wie viel der Schuld Ihr auf Euch geladen habt.«

Valion seufzte leise und setzte sich auf den Boden, während Casas ihn allein ließ. Er löste den Kinderschuh von seinem Gürtel und legte ihn neben sich.

Adular (Band 2): Rauch und Feuer

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