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Kapitel 5 – Elanor

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Elanor bewegte sich rasch über den morgendlichen Markt von Malachit, der noch verhältnismäßig leer war. Sie starrte auf den Boden, beachtete ihre Umgebung kaum. Die Welt um sie herum war grau; tonlos, ohne Gefühl oder Geruch. Sie spürte weder den Wind auf ihrer Haut noch den Pflasterstein unter ihren Schuhen. Die Gerüche des Marktes, normalerweise ein dichtes Knäuel aus verschiedenen Lebensmitteln, Personen, Tieren und Parfüms, erreichten ihre Nase nicht. Gesichtslose Schatten zogen an ihr vorbei, ihre Stimmen trugen undeutliche Gespräche an ihr Ohr, denen sie jedoch kein Gehör schenken konnte. Das frische Obst in den Auslagen sah farblos und unappetitlich aus wie Kohlestücke, die man statt Äpfeln ausgestellt hatte. Allein der Gedanke, etwas davon in den Mund zu nehmen, ließ die allmorgendliche Übelkeit bis in ihren Rachen schlagen.

In zwei Tagen würde sie mit diversen Händlern sprechen, denen sie ihr Hab und Gut verkaufen wollte. Ob sie damit wirklich zweitausendfünfhundert Goldkronen zusammenbekam, stand in den Sternen. Elanor hielt es für unwahrscheinlich. Sie besaß keinen wertvollen Schmuck oder hochwertige Kleidung. Das teuerste Kleidungsstück in ihrem Besitz war ein Morgenmantel aus feiner Seide, den sie von ihrer Freundin Noriel geschenkt bekommen hatte.

»Warum trägst du kein Halsband, Grauhaut?«, fragte eine weibliche Stimme.

Es war dieses furchtbare Wort, das Elanor aus ihren Gedanken holte. Diese herablassende Bezeichnung für Dunkelelfen, die sie auf eine angeborene Äußerlichkeit reduzierte.

»M-Mein Herr hat …«, stammelte der angesprochene Dunkelelf, »er hat mich g-geschickt, um V-Vorräte zu kaufen. E-Er hat mir etwas mitge-gegeben. E-Eine Erlaubnis, mich ohne Leine ü-ü-über den Markt zu bewegen.«

Träge kämpfte sich Elanors Geist aus der Lethargie und wurde sich ihrer Umgebung deutlich gewahr. Wie die Wassermassen bei einem brechenden Damm stürzten Sinneseindrücke auf sie ein. Personen drängten sich an ihr vorbei. Händler priesen lautstark ihre Ware an. Irgendwo zu ihrer Linken gackerten mehrere Hühner aufgebracht und eine Gruppe von jungen Hochelfen lachte laut darüber.

»Lasst meine Hennen in Frieden«, keifte die Händlerin.

Elanor ließ den Blick schweifen, suchte nach der Quelle der Stimmen, die sie eben gehört hatte. Um einen Dunkelelfen hatte sich ein kleiner Pulk gebildet. Vor ihm ein grimmig dreinblickender Hochelf, hinter ihm hatte sich ein waldelfisches Paar aufgebaut. Neben ihm befand sich ein Obststand, dessen Verkäuferin sich herausfordernd über ihren Tresen beugte.

Der Dunkelelf war sicherlich keine zwanzig Jahre alt. Sichtlich verängstigt stand er geduckt zwischen ihnen und klammerte sich an einen Korb, in dem er Einkäufe transportierte.

Mit zitternder Hand zeigte er ein Stück Leinen vor, auf dem etwas geschrieben war, was Elanor nicht lesen konnte. »Mein Herr i-ist krank und kann das Haus selbst nicht v-v-verlassen. I-Ich bin der Einzige, der ihm etwas zu essen …«

»Das interessiert niemanden.« Der grimmige Hochelf riss ihm die Erlaubnis aus der Hand, warf sie zu Boden und trat mit seinem Stiefel drauf. »Gehörst du zu den Rebellen, Grauhaut?«

Die orangeroten Augen des Dunkelelfen weiteten sich panisch. Hektisch schüttelte er den Kopf. »I-I-Ich bin k-kein Rebell.«

Elanor verlangsamte ihre Schritte.

Misch dich nicht ein, flüsterte eine Stimme in ihrem Hinterkopf. Mach dir nicht noch mehr Schwierigkeiten! Geh weiter! Geh weiter und tu so, als hättest du nichts gesehen! Wie alle anderen.

Jemand stieß von hinten gegen sie. »Verdammt noch mal, Weib«, herrschte eine raue Männerstimme sie an, »steht nicht im Weg herum!« Ein Mann ging aufgebracht an ihr vorbei.

An einer Leine, die an einem silbernen Halsband endete, zog er eine rothaarige Dunkelelfin hinter sich her. Die Sklavin wiederum führte einen schwarzen Hund an der Leine.

Elanor starrte ihnen sekundenlang nach.

»Was sagst du dazu, dass die Grauwölfe unsere Farmen niedergebrannt haben?«, fragte der grimmige Hochelf. »Warst du dabei? Hast du auch einem harmlosen Farmer den Schädel eingeschlagen?«

Elanor richtete ihren Fokus zurück auf den Pulk wenige Meter vor sich. Der Überfall der Rebellen auf die Farmen nördlich von Malachit war gut zwei Wochen her. Der Preis für Lebensmittel war seither merklich angestiegen.

»Nein.« Der Blick des Dunkelelfen zuckte nervös zwischen den finsteren Gesichtern hin und her. »E-Es ist f-furchtbar, was p-passiert ist …«

»Von wegen«, schnaubte die Standbesitzerin. »Ich wette, dir hat es gefallen.«

»Hast du einen Freudentanz für deinen falschen Gott aufgeführt, als die Farmen brannten? Zwischen dem Blut und den Leichen?«, fragte der Waldelf. Er entriss ihm den Korb und warf ihn achtlos hinter sich.

Elanors Beine setzten sich selbstständig in Bewegung. Sie ging in die Hocke und sammelte die Lebensmittel ein, die herausgefallen waren.

»Ich habe nichts getan«, stieß der Dunkelelf panisch aus. Hilflos sah er sich nach einer Fluchtmöglichkeit um, einer Lücke in der unüberwindbaren Mauer, die sich um ihn gebaut hatte. Vielleicht auch nur nach jemandem, der ihm nicht feindlich gesinnt war. »B-Bitte, ich wollte nie … i-ich … m-mein Herr wird …«

»Knüpft die Grauhaut auf«, johlte einer der halbstarken Hochelfen, die zuvor die Hühner geärgert hatten.

Die Aufmerksamkeit der Gruppe hatte sich vollends auf den jungen Sklaven gerichtet.

»Wenn er kein Halsband hat, dann bekommt er eines von uns«, sagte die Waldelfin, die neben ihrem Mann im Pulk stand.

Elanor richtete sich mit dem Korb im Arm auf.

Der grimmige Hochelf und der Waldelf packten den Sklaven, der es kaum wagte, sich zu wehren. Die Standbesitzerin holte ein Seil hervor, knotete es schnell zu einer Schlinge und warf sie dem Dunkelelfen über.

»Knüpft die Grauhaut auf«, jubelten die jungen Hochelfen im Chor.

»Bitte nicht«, schrie der Dunkelelf angsterfüllt. »Bitte, lasst mich gehen!«

Elanor lauschte dem umliegenden Gemurmel.

»Das geht zu weit«, flüsterte eine Frau. »Das können sie dem Sklaven nicht antun. Er ist nicht ihr Eigentum.«

»Selbst wenn«, erwiderte ein Mann. »Der Dunkelelf hat nichts getan, was diese Behandlung verdient. Er hat das ausgeführt, was ihm befohlen wurde, und dafür soll er bestraft werden?«

»Wie ängstlich er ist«, raunte die Frau. »Es bricht mir fast das Herz. Aber was sollen wir tun? Meinst du, wir können die Wachen holen?«

»Nicht für einen Sklaven«, murmelte der Mann.

»Schluss damit«, rief Elanor, so laut sie konnte. Sie hatte ihre Untätigkeit satt. »Habt Ihr alle den Verstand verloren? Merkt Ihr, was Ihr gerade tun wollt?«

Sie nutzte die Verwunderung der Anwesenden, um dem Dunkelelfen die Schlinge vom Hals zu ziehen und ihn hinter sich zu stellen. »Ihr solltet Euch alle in Grund und Boden schämen«, sagte sie zornig. »Die Rebellen erreicht Ihr nicht, also müsst Ihr Euch an den Schwächsten vergreifen? Warum geht Ihr nicht zu Hastor und haltet ihm sein Versagen vor? Er hätte die Farmen schließlich schützen sollen. Dieser Dunkelelf hier hat Euch nichts getan.« Ihr Gesicht wurde sanfter, als sie sich dem Sklaven zudrehte und ihm seinen Korb zurückgab. »Es tut mir leid, dass sie Euch angegriffen haben.«

Der Dunkelelf schwieg verunsichert. Er zitterte am ganzen Leib und klammerte sich am Korb fest.

Elanor lächelte freundlich. »Jetzt eilt zu Eurem Herrn!«

Der Sklave verneigte sich hastig. »Ich danke Euch, gütige Frau.« Er duckte sich an den beiden Elfenmännern vorbei, warf der Gruppe halbstarker Hochelfen einen nervösen Blick zu und rannte.

Glücklicherweise kamen die Jünglinge nicht darauf, ihn zu verfolgen. Auch der Pulk löste sich nicht auf. Der Waldelf trat zurück an die Seite seiner mutmaßlichen Frau und versperrte Elanor den Rückweg. Der grimmige Hochelf baute sich mit seiner beeindruckenden Körpergröße vor ihr auf.

»Ihr könnt es nicht unterlassen, was?«, knurrte er.

»Ihr doch ebenso wenig«, entgegnete Elanor.

Sie wollte weitergehen, die Gruppe hinter sich lassen. Einer der Waldelfen versetzte ihr einen kräftigen Stoß in den Rücken. Elanor geriet ins Straucheln und stolperte über das ausgestreckte Bein des Hochelfen. Sie stürzte und kleine Steinchen bissen in ihre Handflächen.

Die hochelfischen Jünglinge johlten laut. Bilder blitzten in Sekundenbruchteilen vor ihrem inneren Auge auf. Ein Kreis aus hysterisch lachenden Kindern. »Elanor hat keine Eltern«, kreischten sie im Chor, während sie mit Stöcken auf sie einschlugen.

Sie presste die Zähne aufeinander und stand auf.

»Eine Frechheit«, hörte sie jemanden im Vorbeigehen murmeln. »Eine schwangere Frau so zu behandeln.«

»Dunkelelfenhure«, zischte die Waldelfin. »Man sollte dir die Missgeburt aus dem Leib treten.«

Aus den Tiefen von Elanors Bewusstsein echote das Fauchen einer gebändigten Wut. Sie zerrte an ihren Fesseln, warf sich gegen die Käfigwände, drohte auszubrechen.

»Und dein verfluchtes Haus niederbrennen«, fügte der Hochelf hinzu. »Es scheint dich ja nicht zu tangieren, was mit unseren Farmen geschehen ist. Oder bist du einfach zu dumm, um die Tragweite zu begreifen?«

Elanor klopfte sich das Kleid und die Hände ab. Sie spürte die bohrenden Blicke von mehreren Marktbesuchern und Händlern, die das Geschehen ungeniert beobachteten. Doch niemand schien sich berufen zu fühlen einzugreifen. Nicht bei einem verängstigten Dunkelelfen, der mit dem Tod bedroht wurde. Nicht bei ihr. »Keinesfalls. Die Verantwortlichen sind dafür bestraft worden und noch ist meines Wissens keine Hungersnot ausgebrochen.«

Zumindest nicht bei uns. Wie hungrig die Dunkelelfen unten in der Aschegrube sind, kann ich nur erahnen, fügte sie gedanklich hinzu. Wie hungrig war Dûhirion, bevor Umbra ihn hinrichten ließ?

Die Besitzerin des Obststandes schnaubte verächtlich. »Hört, hört! Wie frech dieses Weib wird. Es sind Leute dabei gestorben. Aber das waren ja vorwiegend nur Elfen und ein paar Zwerge. Kaum einer deiner kostbaren Dunkelelfen. Erzähl doch mal: Wie oft warst du mit den Rebellen im Bett, bevor sie über unsere Farmen hergefallen sind?«

»Ungefähr so oft, wie Ihr bisher im Bordell wart«, erwiderte Elanor scharf.

Einer der jungen Hochelfen pfiff anerkennend.

Die Standbesitzerin blinzelte, zögerte einen Moment zu lang, ehe sie barsch sagte: »Als ob ich es nötig hätte, dieses dreckige Bordell zu betreten.«

»Lenkt nicht von Euch ab«, zischte der Waldelf. Er kam drohend näher, doch Elanor wich nicht zurück. Sie musterte ihn aufmerksam und wartete, bis er so dicht vor ihr stand, dass sie den Geruch seiner Kleidung wahrnahm. Er roch nach kalter Asche und Holzkohle. »Gebt Ihr also zu, dass Ihr Euch von den Rebellen vögeln lasst?«

»Glaubt, was Ihr wollt! Ich kann Euch ohnehin nicht umstimmen«, entgegnete Elanor und starrte ihm herausfordernd in die Augen.

Für einen kurzen Moment, nur zwischen zwei Herzschlägen, sah sie den Anführer der Rebellen an seiner Stelle stehen. Canis Lupus, der jegliche Zusammenarbeit mit der Weißen Feder verweigert hatte. Der Nara, Arik und sie hatte fesseln lassen. Der ihr angedroht hatte, sie zu vergewaltigen. Elanor spürte seine Finger, die sich in ihre Wangen gruben, roch seinen Atem.

Ihr Magen verkrampfte unter einer Welle Übelkeit. Ihre Nackenhaare stellten sich auf und eine unangenehme Gänsehaut kroch über ihre Arme.

Die Standbesitzerin schlug triumphal mit der Faust auf ihren Tresen. »Dann gestehst du.«

»Warum wählt Viriditas jemanden wie Euch aus?«, flüsterte die andere Waldelfin verächtlich. »Warum Ihr und nicht ich?«

»Offenbar«, begann Elanor langsam, verbales Gift triefte von jedem einzelnen Wort, »weil sie mich für würdig befindet und Euch … nicht. Ihr solltet Euch fragen, woran das liegen könnte!«

»Du beleidigst die Göttin mit deiner unheiligen Affäre und wagst es, dich würdig zu nennen?«, fauchte die Standbesitzerin.

Elanors Mundwinkel hoben sich zuckend zu einem zynischen Lächeln. Sie bemerkte kaum, wie sich ihre Hände zu Fäusten ballten. »Wir drehen uns im Kreis. Ich werde mich wegen dieser Diskussion noch verspäten.«

»So einfach kommt Ihr nicht davon«, knurrte die Waldelfin. »Ihr werdet Euch dafür verantworten! Ihr habt uns Rede und Antwort zu stehen!«

»Nein, habe ich nicht«, entgegnete Elanor mit bebender Stimme. »Und ich würde dieses Gespräch jetzt wirklich gerne beenden.«

»Warum?«, fragte die Frau gehässig.

»Weil ich kurz davor bin, Euch ins Gesicht zu schlagen.«

Das Gesicht der Waldelfin verzog sich verächtlich. »Miststück«, zischte sie und spuckte sie an.

Die Ohrfeige kam schnell und unerwartet, auch für Elanor selbst. Ein klatschendes Geräusch hallte unnatürlich laut über den Markt. Ihre erhobene Hand zitterte, die Handfläche wurde von einem brennenden Kribbeln überzogen. Auf der Wange der anderen Waldelfin zeichnete sich eine deutliche Röte ab. Ein wütender Aufschrei entfuhr der Standbesitzerin. Elanor biss sich auf die Unterlippe, war selbst fassungslos darüber, dass sie tatsächlich zugeschlagen hatte.

»Wie könnt Ihr es wagen?«, fauchte der Waldelf und trat vor seine Frau. Er schubste Elanor grob zurück, sodass sie gegen den grimmigen Hochelfen prallte.

Wieder sah Elanor die hämische Kinderschar vor sich. Ihr Gelächter füllte ihre Ohren wie Watte.

»Ich?«, stieß sie ungläubig hervor. »Wie kann ich es wagen?«

Die Waldelfin hielt sich ihre Wange. »Das werdet Ihr bereuen.«

»Ich habe Euch gewarnt«, knurrte Elanor und wandte sich abrupt ab.

Ein rohes Ei traf sie an der Schläfe und zerplatzte. Schleimig und zäh rann der Inhalt über ihr Gesicht. Einer der halbstarken Hochelfen lachte hämisch. Sie starrte ihn fassungslos an.

Er griff sich ein zweites Ei vom Stand und warf es nach ihr. Es traf sie an der Schulter. Die Standbesitzerin lachte und klatschte begeistert in die Hände.

»Soll Ater dir deine Kinder nehmen«, rief der grimmige Hochelf. »Soll er sie in Abscheulichkeiten verwandeln, die sich den Weg aus deinem verfluchten Leib mit Zähnen und Klauen bahnen!«

Ater, der gefallene Gott. Der Gott der Dunkelelfen. Andere nahmen seinen Namen nur in den Mund, wenn sie etwas Abscheuliches über einen anderen bringen wollten.

Elanor schluckte trocken.

Der halbstarke Hochelf lachte lauter. »Borkenkäfer.«

Die Kinderschar aus einer verdrängten Erinnerung stimmte mit ein. »Borkenkäfer, Borkenkäfer. Niemand liebt dich. Niemand will dich.«

Sie hörte, wie die Standbesitzerin den Jüngling ermutigte weiterzumachen. Seine Freunde sammelten kleine Kieselsteine vom Boden auf. Andere Personen auf dem Markt liefen eilig und mit geduckten Köpfen weiter oder starrten ganz ungeniert.

»Elanor hat keine Eltern.«

Ein Stein traf ihr Knie. Sie war umstellt. Vor ihr die zwei Waldelfen, die sie zu Fall gebracht hatten; hinter ihr der grimmige Hochelf und der Halbstarke; neben ihr die Standbesitzerin. Überall gaffende Augenpaare und lauschende Ohren.

Was ist jemand wie du schon wert?, raunte eine dunkle Stimme in ihrem Hinterkopf. Nichts. Du bist Dreck. Borkenkäfer. Waisenkind. Elanor hat keine Eltern. Elanor hat niemanden, der sie liebt. Niemanden, der willens ist, die Bastarde in ihrem Leib mit ihr aufzuziehen.

Ein weiterer Kiesel sauste an ihr vorbei. Sie musste hier weg. Egal was sie tat oder sagte, nichts würde ihr in dieser Situation helfen. Ein Rückzug war das Klügste.

Die Waldelfen versperrten ihr stur den Weg.

»Lasst mich durch«, forderte Elanor wutentbrannt.

Was danach passierte, konnte sie kaum begreifen. Eine angenehme Wärme breitete sich in ihrem Bauch aus. Ein Gefühl von Geborgenheit und Liebe erfüllte ihr Herz. Trotz der Bedrohung fühlte sie sich beschützt und sicher.

Sie hob die Hände, um das Paar fortzuschieben, doch ehe sie auch nur einen von ihnen berührte, wurden sie von einer unsichtbaren Macht zurückgeworfen. Als hätte eine plötzliche Windböe sie frontal ergriffen. Beide landeten rücklings auf der Erde.

Elanor spürte mehr Blicke denn je auf sich. Verwirrt starrte sie auf ihre Hände.

Keine Zeit, dachte sie hastig. Ich will fort von hier.

Eilig lief sie an den Waldelfen vorbei, die ebenfalls nicht verstanden hatten, was mit ihnen geschehen war.

»Man sollte Euch aus der Stadt verbannen«, rief die Standbesitzerin. »Ihr bringt nur Unheil.«

Sie beschleunigte ihre Schritte und sammelte Eierschalen aus ihrem Haar. Warum hatte sie sich hinreißen lassen, diese Waldelfin zu schlagen?

Als die Schneiderei in Sichtweite kam, wurde Elanor langsamer. Obwohl sie nicht einmal gerannt war, fühlte sie sich erschöpft und musste zu Atem kommen. Ihr Gesicht war heiß und ihre Fingerspitzen prickelten.

Was war geschehen? Sie war keine Magierin, wie hatte sie die beiden Waldelfen von sich stoßen können, ohne sie zu berühren?

Gedankenverloren betrat sie den vorderen Raum der Schneiderei. Das muntere Geplapper der Näherin Rhina drang aus der Nähstube.

»… als ich ihr dann sagte, dass es unter uns Elfen als Beleidigung gesehen wird, wenn der Name verkürzt oder verniedlicht wird, hat sie mir kaum geglaubt.«

Der schweigsame Lehrling ihres Onkels würdigte Elanor bloß eines kurzen Blickes, als er an ihr vorbeiging, einen Stapel gefalteten Stoff auf den Armen tragend.

»Faredir, ich bin da«, rief die Waldelfin. »Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe.«

Onkel Faredir kam aus der Nähstube nach vorne. Sein kurzes, braunes Haar war heute ausnahmsweise gekämmt. Ein Zeichen dafür, dass er gestern nicht die halbe Nacht in der Schneiderei verbracht hatte und rechtzeitig ins Bett gegangen war. »Guten Morgen, Elanor. Du …« Er hielt mitten in seiner Begrüßung inne und musterte sie von oben bis unten. Der Blick seiner blauen Augen war besorgt und Falten entstanden auf seiner Stirn. »Was ist passiert, Veilchen?«

»Es gab … einen Vorfall auf dem Markt«, antwortete Elanor ausweichend.

Faredir legte die Hände an ihre Oberarme. »Wir sollten dich erst einmal sauber machen. Sind das Eierschalen in deinem Haar?«

»Ja, gut möglich«, murmelte sie. »Ein vorlauter Jüngling hat mit rohen Eiern nach mir geworfen.«

»Bei den Göttern, haben die jungen Burschen heutzutage gar keine Erziehung mehr genossen? Eine Schwangere mit Eiern zu bewerfen.« Faredir schüttelte verständnislos den Kopf, während er sie in die Nähstube zog und ihr bedeutete, sich auf einen Hocker zu setzen. »Warte hier.«

Elanor seufzte und wischte sich zähes Eidotter aus der Stirn. Es tat gut zu sitzen. Fiona, eine Menschenfrau und die ältere der beiden Näherinnen, warf Elanor einen fragenden Blick zu, den sie mit einem beschwichtigenden Lächeln quittierte.

»Du siehst ja furchtbar aus, Elanor«, keuchte Rhina und ließ beinahe ihre Nadel fallen.

»Tatsächlich?«, murmelte die Waldelfin müde. »Kann mir gar nicht vorstellen, warum …«

»Was ist passiert?«, erkundigte sich Rhina mit unverhohlener Neugier.

Fiona machte eine scheuchende Bewegung in die Richtung der jungen Waldelfin. »Jetzt nicht, Mädchen. Arbeite lieber weiter!«

Faredir kehrte mit einer Schüssel voller Wasser zu Elanor zurück und begann eilig damit, die Eierschalenstücke aus ihrem braunen Haar zu sammeln. Sie fischte einen Lappen aus dem Wasser und reinigte ihr Gesicht.

»Zum letzten Mal: Hör auf zu starren und mach dich an die Arbeit, Mädchen«, zischte Fiona mahnend in Richtung Rhina.

»Warum hat der Jüngling dich mit Eiern beworfen?«, fragte Faredir, die beiden ignorierend. »War es ein Elf? Ein Mensch oder ein Zwerg?«

»Ein Hochelf. Ich weiß nicht, wer er war, und habe nicht auf seine Kleidung geachtet«, erwiderte Elanor leise.

»Ich hoffe für ihn, dass er kein Adeliger war«, murrte Faredir. Er bemühte sich, die klebrigen Überreste des Eis aus ihrem Kleid zu entfernen. »Ein Sohn aus gutem Hause sollte sich besser zu benehmen wissen.«

»Vielleicht kenne ich ihn«, warf Rhina ein. »Ich kenne fast jeden Elfen in meinem Alter hier.«

»Misch dich da bitte nicht ein«, sagte Faredir, ohne aufzublicken.

Abermals öffnete Rhina den Mund, doch Fiona brachte sie mit einer harschen Geste zum Schweigen.

Faredir sah ihr eindringlich und bittend in die Augen. »Warum hat er dich beworfen, Elanor?«

Sie seufzte und ließ die Hand mit dem Lappen in ihren Schoß sinken. »Ich habe einem Sklaven geholfen, der mit dem Tod bedroht wurde.«

Ihr Onkel hielt inne. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie der Lehrling verächtlich mit dem Kopf schüttelte. Ihr Onkel leckte sich in einem Anflug von Nervosität über die Lippen. »Warum hast du dich wieder eingemischt?«

Sie erzählte ihm, was dem jungen Dunkelelfen angetan worden war, wurde währenddessen immer aufgebrachter. Davon, dass sie Magie gewirkt hatte, erzählte sie ihm vorerst nichts. Es verunsicherte sie zutiefst. Sie wollte zuerst mit jemandem darüber sprechen, der magische Kenntnisse hatte. Arik oder vielleicht eine Hohepriesterin aus dem Tempel von Viriditas. »Solche Leute treten immer nach unten.« Sie warf den Lappen schwungvoll in die Schüssel. Wasser schwappte über den Rand auf den Boden. »Dieser Dunkelelf hatte Todesangst, Onkel. Ich traue ihnen nicht zu, dass sie ihn tatsächlich getötet hätten. Doch hätte ich nicht eingegriffen, hätten sie ihr Spiel weitergetrieben und ihn womöglich verletzt.«

»Es ist eine Schande, wie mit diesem Sklaven umgesprungen wurde«, pflichtete Fiona leise bei. »Überhaupt finde ich das neue Gesetz schrecklich, dass Dunkelelfen sich nur noch mit Halsband und Leine draußen bewegen dürfen.«

»Es hält sie davon ab, schlimme Dinge zu tun«, warf Rhina kleinlaut ein.

»Die Sklaven muss keiner aufhalten«, schnaubte Fiona. »Die Rebellen sind es, die wir fürchten müssen.«

Faredir richtete sich auf. »Ich verstehe, warum du das getan hast. Wenn dieser Sklave eine schriftliche Erlaubnis hatte und sein einziges Verbrechen darin bestand, für seinen kranken Herrn einzukaufen, war die Behandlung nicht gerechtfertigt.«

Elanor blickte schweigend auf die Wasserflecken auf dem Boden.

Er drückte ihr sacht die Schulter. »Sei das nächste Mal vorsichtiger«, bat er. »Frau Noriel hat ihren Besuch für heute angekündigt. Sie möchte ihr Kleid abholen.«

Elanor nickte und überprüfte ihre Kleidung auf Flecken. Der Rocksaum war ein wenig staubig, ansonsten sah alles sauber aus. »Es ist fertig. Ich werde es vorbereiten, damit sie es gleich mitnehmen kann.«

Adular (Band 2): Rauch und Feuer

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