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8. Kapitel
ОглавлениеAm dann folgenden Dienstag war Max sehr pünktlich zur "Akropolis" gekommen, eigentlich fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit. Er war sich nicht ganz sicher, ob er vor dem Restaurant warten sollte, oder ob er hineingehen sollte. Überhaupt fragte er sich, ob sein „neuer Bekannter“ – Freund wollte er nicht denken – kommen würde. Als er ein wenig unschlüssig und zögernd das Restaurant betreten wollte, kam Franz. Er war also gekommen. Vielleicht freute er sich genauso wie Max auf die Begegnung. Franz war wieder mit seinem Anorak und einer grauen Hose bekleidet, die Haare wehten unordentlich herum, was bei dem Wind kein Wunder war. Die Haare könnten dennoch einen Friseur gut gebrauchen, dachte sich Max. Vielleicht wollte oder konnte Franz das Geld für den Friseur nicht aufbringen.
Sie gingen ins Restaurant, und sie fanden am gleichen Tisch in der hinteren Ecke Platz, und es war der gleiche Kellner, der sie bediente. Max begrüßte ihn mit Handschlag, denn dieser Guiseppe, ein schlanker Mann von vielleicht 30 Jahren, war stets freundlich, und er schien sich über den Besuch von Max zu freuen. Vielleicht war das eine professionelle Freundlichkeit und die Freude vielleicht gespielt, aber deswegen gefiel es Max trotzdem. Es gab ihm das Gefühl, willkommen zu sein.
Die Beleuchtung des Restaurants war nicht besonders gut. Das gedämpfte Licht war wohl vom Restaurantbetreiber auch beabsichtigt. Dennoch kam es Max so vor, als sehe Franz blasser – und ein wenig gelb – aus. Nach den üblichen und herzlichen Worten der Begrüßung fragte Max denn auch, ob alles in Ordnung sei. Ehe Franz antworten konnte, war der Kellner gekommen, um die Bestellung aufzunehmen. Max blieb bei seinem Spieß, und Franz nahm eine Gemüsesuppe. Dazu bestellten sie Rotwein, der auch gleich kam.
„Das ist der gleiche Wein wie beim letzten Mal,“ bemerkte Franz. Max lächelte, ja, es war der gleiche Wein.
"Den Wein trinke ich hier immer," bemerkte Max. "Das ist vielleicht nicht der beste Wein, aber mir schmeckt er, und er passt auch zum Essen."
„Du siehst schlechter aus als beim letzten Mal,“ erklärte Max sehr direkt. Er sagte weiter: „Nun erzähl mir mal, was los ist.“
„Da gibt es nicht sehr viel zu erzählen,“ meinte Franz ernsthaft. „Du weißt, ich bin in Behandlung, und es ist Krebs. Der frisst mich innerlich auf. Da ist nichts zu machen – außer der Schmerzbehandlung. Man hat natürlich mit Chemotherapie und Bestrahlung herumgemacht, aber das alles wollte ich nicht mehr.“
Max schaute auf die Haare von Franz. Der musste kurz auflachen, und er sagte, dass die Therapie den Haaren nicht geschadet habe, denn ihm seien keine Haare ausgefallen.
„Die Sache mit dem Krebs musst du mir näher erklären,“ forderte Max den Jüngeren auf. „Du sagst mir, dass du Krebs hast, und dass du etwas gegen den Schmerz tust. Und was ist mit dem Krebs selbst? Was tust du dagegen? Ich meine, du hast die Behandlung offensichtlich abgebrochen, aber wie geht es weiter?“
Eine weitere Flasche Wein wurde gebracht, denn die erste Flasche war bereits geleert. Der Kellner schenkte ein. Max prostete Franz zu, sie tranken.
„So, und nun zu deinem Krebs,“ begann Max, kaum dass er sein Glas abgesetzt hatte. Meine Güte, dachte Max, er fühlte bereits den Wein. Er sagte sich, dass er jetzt vorsichtig sein müsse.
„Können wir nicht über etwas anderes reden?“ Franz stöhnte. Dann winkte er ab. „Ich habe Darmkrebs, und der hat sich ausgebreitet. Nun sind auch Leber und Niere befallen, und der Prozess geht weiter. Eigentlich sollte ich gar nicht herumlaufen, sagt der Arzt, und er meint, ich gehöre in ein Krankenhaus. Aber das will ich nicht, denn aus dem Krankenhaus komme ich nicht mehr heraus. So kann ich noch etwas um die Kinder sein. Und du siehst ja, ich kann laufen, ich kann essen – wenngleich nicht mehr so wie vor einem Jahr.“ Franz fuhr sich über das Gesicht, dann fuhr er fort: „Ich bilde mir ein, dass das Herumlaufen den Krebs bremst, denn das Herumlaufen stärkt das Immunsystem, sagt man.“
Max schaute Franz an. Er wollte noch mehr hören. Er fragte nicht, aber er wollte hören. Das Essen wurde gebracht. Max rührte seinen Spieß nicht an.
„Weißt du, es hat angefangen mit dem Tod meiner Frau – nein, vielleicht schon ein wenig früher. Ich hatte noch meine Arbeit. Ja, damals ging ich zum Arzt. Ich hatte Blut, aus dem Darm kam Blut. Und der Arzt sagte, ich müsse mich von einem Spezialisten untersuchen lassen. Ich wollte das nicht, denn damals wurde schon geredet, dass es dem Unternehmen, bei dem ich arbeitete, schlecht ginge, denn es gab keine Aufträge. Ich wollte keinen Tag krankfeiern. Und dann kam die Lungenentzündung meiner Frau. Wir dachten erst, es handele sich um eine schwere Erkältung. Als das Fieber immer höher wurde, haben wir den Notarzt gerufen, und der bestellte den Krankenwagen. Auf dem Weg zum Krankenhaus starb sie, ihr Herz hatte nicht mehr mitgemacht.“
Max schaute Franz weiterhin unverändert an. Nach einer ganzen Weile sagte er ihm, er solle die Suppe nicht kalt werden lassen, denn es nütze nichts, die Suppe stehen zu lassen. Franz löffelt ein wenig, aber Max rührte seinen Spieß immer noch nicht an.
„Dann musste das Unternehmen Insolvenz anmelden, und ein paar Wochen später saß ich auf der Straße. Schiffsmotoren, Schiffe werden nicht mehr gebaut, und ich bin auch zu alt. Und dann passierte auch noch der Unfall mit Friedrich. Friedrich, das ist der Jüngste, und wir nennen ihn Friedo. Er kam ins Krankenhaus, dann in die Reha, und ich dachte nicht daran, zum Arzt zu gehen. Weißt du, ich hatte keine großen Schmerzen – das kam später.“
„Wissen deine Kinder darüber?“ fragte Max.
„Über den Krebs? Nein,“ war die Antwort. „Vielleicht ahnen sie etwas, aber wir reden nicht darüber. Friedrich, das ist der Jüngste, der sagt immer wieder, ich solle zum Arzt gehen, und ich müsse etwas für meine Gesundheit tun. Mia sagte auch einmal, ich hätte schon mal besser ausgesehen.“
„Mit wem redest du denn über deine Probleme? Hast du niemanden, mit dem du darüber mal reden kannst?“ Max schüttelte den Kopf. An seinen Fleischspieß dachte er nicht. Der wurde kalt. Er prostete Franz zu.
„Doch, ich habe einen Menschen,“ entgegnete Franz, und er grinste dabei. Es war ein armseliges Grinsen, dachte Max, und es war keine Freude darin. Nach einer Weile sagte Franz weiter: „Mit dir kann ich jetzt reden, und das tue ich auch.“
„Und was ist mit deinen Kindern? Sie müssen doch wissen, was mit dir los ist,“ Max sprach langsam und sehr deutlich. Er verstand Franz nicht. Max wurde noch deutlicher: „Wenn es mit dir zu Ende gehen sollte, dann müssen sie doch vorbereitet sein.“
Franz errötete leicht. Er hörte auf in seiner Suppe herumzurühren. Schließlich sagte er, dass er Angst habe, den jungen Leuten zu viel zuzumuten. Er sagte weiter:
„Nach dem Tod meiner Frau trieben sich Mia und Friedrich oft auf der Straße herum. Sie kamen auch nicht immer nach Hause. Manchmal blieben sie drei oder vier Tage von zu Hause fern. Als dann auch der Unfall mit Friedrich passierte, hatte ich das Jugendamt im Haus. Der Junge ist jetzt 16, damals war er erst 15.“
„Das sind alles keine guten Gründe deinen Kinder gegenüber den Mund zu halten,“ konterte Max.
„Vielleicht schaffe ich noch ein Jahr. Max, du kannst das nicht verstehen, denn du hast keine Kinder.“ Franz schüttelte den Kopf, dann entschuldigte er sich. Er meinte, er hätte es nicht sagen sollen. Er hätte erst nachdenken sollen, und vor allen Dingen wolle er seinen Freund nicht verletzen, denn er spürte, dass er in dem alten Mann einen guten Freund gefunden hatte, einen Freund, der zuhören konnte.
„Mach dir um mich jetzt keine Sorgen,“ erklärte Max.
Sie schwiegen. Jetzt endlich hob Max einen der Fleischspieße, legte ihn aber wieder zurück. Er hatte keinen Appetit. Dafür bestellte er eine neue Flasche Wein.
„Schmeckt es Ihnen nicht?“ fragte der Kellner Guiseppe. Max grinste, dann antwortete er:
„Es tut mir leid – es riecht sehr gut, es sieht sehr gut aus, aber mit meinem Appetit stimmt etwas nicht.“
„Das tut mir leid. Soll ich Ihnen etwas anderes bringen?“ Der Kellner schien richtig besorgt zu sein.
Max winkte ab. Nein – vielleicht werde er noch etwas von dem Spieß essen, auch wenn das Essen kalt geworden sei. Wenn er etwas brauche, werde er sich melden.
Franz sagte sehr bald, dass er nach Hause gehen wolle. Ja, auch für Max war es Zeit, denn er hatte noch einen längeren Weg vor sich. Außerdem hatte er viel zu viel Wein getrunken. Der Weg zur S-Bahn würde ihm sehr gut tun. Dieses Mal würde er kein Taxi bis zum Bahnhof nehmen. Sie verabredeten sich wieder für den kommenden Dienstag, also in einer Woche, wieder um acht Uhr. Beim Abschied dachte Max traurig, dass er den Freund, den so zufällig getroffen hatte, vielleicht nicht wieder sehen werde.