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5. Kapitel
ОглавлениеMax hatte sein Haus gegen vier Uhr Nachmittag verlassen. Es war inzwischen gegen acht Uhr abends. Max hatte etwas Hunger – nein, Hunger war es nicht, sagte er sich, es war Appetit, angeregt durch die Gerüche aus „seinem“ griechischen Restaurant in einer der „hinteren Straßen“ der Reeperbahn. Dort hatte er inzwischen mehrfach gegessen, und immer hatte es ihm gefallen. Das Restaurant war gewiss nicht das beste Restaurant in dieser Gegend, und das Publikum war sehr gemischt. Vor allem waren dort Osteuropäer zu gast, vielleicht auch einige Araber, so genau wusste er es nicht, und er wollte es auch nicht wissen. Die Musik war nie laut, was er als wohltuend empfand, und die gesamte Inneneinrichtung war einfach und vielleicht nicht immer ganz sauber. Aber es war gemütlich, man saß auf üppigen Polstern, es roch nach Gebratenem und es gab für seinen Geschmack wunderbaren Rotwein. Ihm war bewusst, dass gute Weinkenner die Nase gerümpft hätten, aber ihm schmeckte dieser Wein. Dass das Restaurant auch für Raucher zugänglich war, störte ihn nicht. Dieser Zigarettenrauch trug, so fand er, zur Atmosphäre, die im Lokal herrschte, bei. Er selbst war kein Raucher. In seiner Jugend hatte er mal geraucht, aber das hatte er bald aufgegeben.
Er wollte wie gewohnt das Restaurant betreten, das den hochtrabenden Namen „Akropolis“ trug. Offenbar gibt es viele Restaurants, die den Namen „Akropolis“ trugen, aber das war letztlich gleichgültig, denn der Name war nicht so wichtig. Gerade als er durch die Tür hinein gehen wollte, fiel ihm ein leicht gekrümmter Mann auf der anderen Straßenseite auf. War der Typ besoffen? Das wäre keine Überraschung, denn betrunkene Menschen gehörten in dieser Gegend fast zum Straßenbild, zumindest abends. Max grinste. Als er genauer hinsah, verwischte sich der Eindruck. Nein, ein Betrunkener war das nicht. War der Mann krank? Das mochte sein, dachte sich Max. Die Beleuchtung war nicht besonders gut, und er war neugierig.
Max überquerte nach einigem Zögern die Straße und ging auf den Mann zu. Der Mann mochte vielleicht etwas mehr als 50 Jahre alt sein. Er sah leicht heruntergekommen und abgewirtschaftet aus, war aber sauber. Max hatte einen kurzen Blick auf die schwarzen Schuhe geworfen: sie waren alt, aber geputzt. Der Fremde trug einen schwarz-blauen Anorak, der bereits bessere Tage gesehen hatte, eine graue Hose, und die dunklen, glatten Haare waren windzerzaust. Was Max aber besonders beeindruckte war, dass das Gesicht des Mannes eine gewisse Hoffnungslosigkeit, eine Traurigkeit, ausdrückte. Vielleicht hatte er Schmerzen, denn er hielt sich etwas krumm, oder er hatte Kummer, mit dem er nicht fertig werden konnte..
„Kann ich Ihnen helfen?“ fragte Max einem Impuls folgend. Normalerweise sprach er keine Menschen an, vor allem nicht in dieser Gegend, von der gesagt wurde, dass sie gefährlich sein könnte. Dieser Mann war aber nicht gefährlich. Der Mann richtete sich halbwegs auf und schaute Max an. Er war etwas größer als Max, sehr hager, und die großen Augen leuchteten. Max hatte den Eindruck, als könne der Mann Fieber haben. Betrunken war er sicherlich nicht, denn das hätte Max spätestens jetzt gerochen. Der breite Mund wirkte blass, die Nase schien etwas gerötet zu sein.
„Nein, danke,“ sagte der Mann mit einer klaren Stimme, und er versuchte so etwas wie ein Lächeln. „Ich komme zurecht. Besten Dank.“
„Vielleicht,“ entgegnete Max. Er wollte sich abwenden, aber dann kam ihm der Gedanke, dass der Mann, der auf ihn keinen schlechten Eindruck machte, doch Hilfe brauchen könnte.
„Hören Sie die Musik aus dem Restaurant?“ fragte Max, und er fügte hinzu: „Es ist eine wundervolle Melodie, finden Sie nicht?“ Es war ein griechisches Lied, wie nicht anders zu erwarten. Was die Sängerin da mit einer rauchigen Stimme von sich gab, konnte Max nicht verstehen. Aber das Lied gefiel ihm. Es war eine einschmeichelnde Melodie, rhythmisch, und doch nicht aufdringlich. Der Fremde richtete sich vollends auf. Er schaute Max erstaunt an, dann nickte er.
„Melodie?“ fragte er mit rauer Stimme, dann hustete er und wiederholte dieses Wort mit klarer Stimme.
„Ja, diese Melodie berührt mich,“ bekannte Max. Er lauschte für einen Augenblick der Musik, dann sagte er:
„Ich gehe hinein. Kommen Sie mit?“
Als Max keine Antwort hörte, sah er den Mann an, der den Kopf schüttelte.
„Kommen Sie nur, ich lade Sie ein,“ drängte Max, und er nickte dazu.
„Ich kann mich nicht revanchieren,“ entgegnete der Mann abwehrend.
„Davon redet kein Mensch. Kommen Sie nur, leisten Sie mir Gesellschaft.“
Der fremde Mann lächelte verhalten, dann nickte er.