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Kapitel III
ОглавлениеRobert wurde 1974 geboren, in Wilhelmshaven an der Nordseeküste. Ein echter Friese. Außerhalb von Friesland gab es doch tatsächlich Friesen, die verschämt den Kopf senkten, wenn darauf die Rede kam. Er war immer stolz darauf. Von Ostfriesen umzingelt, aber kein Ostfriese, sondern Rüstringer Friese, wie er stets betonte.
Rüstringen war im Mittelalter ein friesischer Gau, wurde Vogtei, später Amt und seit 1911 nach Zusammenlegung mit anderen Gemeinden Stadt. 1937 erfolgte die Vereinigung mit Wilhelmshaven und der Name Rüstringen verschwand. Der Rüstringer Friese wurde in das Stadtwappen von Wilhelmshaven aufgenommen. Später, im Rheinland, freute er sich über die dummen Gesichter, wenn er sich als Rüstringer Friesen bezeichnete. Rheinländer, die sich Pappnasen aufsetzten und mit Bonbons warfen , weil sie ja so humorvoll waren. Friesen waren einfach vernunftbegabter. Im Rheinland gab es Leute, die konnten stundenlang über Ostfriesenwitze lachen, waren aber sofort empört, wenn etwas gegen ihr heiliges Köln gesagt wurde. Humor eben.
Sein Schicksal: Einzelkind in einer liebevollen Familie. So gar nichts zu kritisieren. Schrecklich, wie sollte er da mitreden? Vater verdiente das Geld, Mutter war zu Hause. Klassisch, wie es vielfach war. Kein Schlüsselkind. Wann besaß er eigentlich das erste Mal einen eigenen Schlüssel? Mutter war immer da. Ach Gott, seine Kindheit verlief auch noch harmonisch. Unangenehme Erinnerungen anderer hinsichtlich ihrer Elternhäuser konnte er nicht teilen. Na gut, er litt nicht gerade unter den verfehlten Erfahrungen. Heftige Diskussionen mit Vater in seiner sozialistischen Phase. Sein Che Guevara an der Wand schien das Ende der Welt einzuläuten. Der „Sozialismus“ unter jungen Leuten hatte zwar eigentlich schon ausgedient, aber er war wohl ein Spätberufener. Er probierte ein paar Haschzigaretten, war ganz nett. Zu mehr kam es aber nicht.
Von klein an war er an der See, auf dem See, in der See. Er war die See. Wassergeburt hätte ihm gut zu Gesicht gestanden. Wahrscheinlich konnte er früher schwimmen als laufen. Die Kids sprangen munter in den ölverschmierten Kanal von Wilhelmshaven, ohne Ausschlag zu bekommen und ohne dass sich Ältere darüber aufregten. Wasser schlucken mit Altölanteil? Heute würde einem der Magen ausgepumpt. Natürlich sprang man von den Brücken aus, das war ja verboten und brachte die Brückenwärter zur Verzweifelung. Es gab noch keine Handys, man war nicht dauernd erreichbar. Wenn er heute auf dem Markt einkauft und neben ihm eine Supermutti ihren Filius per Handy fragt, wo er denn gerade sei und was er tue? Überwachung fängt auf dem Marktplatz an. Mutter machte sich keine Sorgen, nach Hause kam man, wenn es dunkel wurde. Streiche? Klar, ohne Ende, aber harmlos. Niemand kam auf die Idee, Sitze in Bussen zu beschmieren.
Robert war später gerne bereit zu akzeptieren, dass es Landstriche gab, die Friesland an Schönheit übertrafen. Weltoffen, oder? Denen aber ohne seine See etwas Entscheidendes fehlte. Die See vermisste er immer. Dolomiten, grandios. Aber warum fielen die verdammten Berge nicht zur Nordsee ab?
Kein Musterschüler, er kam mit. Ihm fehlte Ehrgeiz. Zu den Klassenbesten gehören? Wozu? Das Klassenziel wenigstens war nie in Gefahr. Ohne größere Probleme zum Abitur. Nicht berauschend, es reichte.
Unser Friese war ein großer blonder Junge, introvertiert, aber nicht eigenbrötlerisch. Mit eher roten Wangen, die ihn als Jüngling maßlos störten. Rot werden mit 16, kein wahres Vergnügen. Seine Pubertät verlief wie bei vielen anderen, ohne herausragende Merkmale. Er erfuhr erste Lieben, ersten Sex. Eine jugoslawische Freundin, in die er mit 17 sehr verliebt war, führte ihn an der Nase herum. Das tat weh, ging aber vorbei. Am Ende der Beziehung hörte er zwei Wochen am Stück „Albatros“ von Fleetwood Mac, das war es dann. Erste sexuelle Erfahrungen sammelte er bei einer verheirateten Frau. Er hatte noch lange deren echte Rührung vor Augen, als sie merkte, dass es sein erstes mal war.
Robert machte den Führerschein. Von Autos verstand er rein gar nichts. Beim ersten Autokauf begleitete ihn sein Vater, der nicht einmal einen Führerschein hatte und ein Nachbar, ähnlich autoblind wie Vater. Heraus kam ein Ford mit 120.000 km, dessen Vergaser nach neun Tagen brannte. Robert wurde abgeschleppt, er saß in seinem Auto, Schlüssel nicht umgedreht. Um die Kurve, das Lenkradschloss schnappte ein, ab gegen den Baum. Leidenschaft Auto fahren. Echter Wahnsinn, oder? Fairerweise muss allerdings gesagt werden, es blieb sein einziger Unfall.
Nach dem Abitur leistete er seinen Zivildienst. Ja, und dann war eigentlich klar, dass er studieren würde. Wozu sonst das Abitur? In Wilhelmshaven gab es nur eine Fachhochschule. So schaute er, der eigentlich nie weit von der Küste weg gekommen war, sich reichlich unbedarft um und fand sich in Düsseldorf wieder. Zum Entsetzen seiner Eltern, er wohnte bis dahin zu Hause. Warum Düsseldorf? Keine Ahnung. Robert hatte immer mal wieder keine Ahnung. Vielleicht ein bisschen naiv, der Knabe. Oder unreif? An Düsseldorf hatte ihn wohl der Ruf des Rheinlands gereizt. Im verschlossenen Friesland galten die Rheinländer immer als Inbegriff der Lebensfreude. „Ab in die Kneipe und schon neue Freunde.“ Dass dem ganz und gar nicht so war, lernte er. Alles dem Karneval geschuldet.