Читать книгу WOLF CALL - Jara Thomas - Страница 10
7. Juni
Оглавление»Charlotta, warte eben«, rief eine atemlose Stimme hinter ihr.
Die junge Frau blieb stehen, drehte sich aber nicht um und schloss ergeben die Augen. »Was willst du, Horst?« Es klang nicht sehr freundlich, aber sie merkte selbst, dass sie bei Horst sehr schnell sehr ungeduldig wurde.
»Am ersten Juliwochenende ist doch der große Krankenhausball. Ich habe mich gefragt, ob du vielleicht mit mir dorthin gehen würdest.« Charlotta atmete tief durch und wandte sich nun doch zu ihm um.
Horst arbeitete in der Krankenhausverwaltung. Seit etwa zwei Jahren schmachtete er Charlotta auf eine Art und Weise an, die sie äußerst unangenehm fand. Sie konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen, aber sie war sich sicher, dass er ihr gelegentlich eine Rose hinter den Scheibenwischer klemmte. Und das auch schon zu der Zeit, als sie noch mit Ralph zusammen gewesen war. Aber seit es sich herumgesprochen hatte, dass Ralph und sie kein Paar mehr waren, machte er sich anscheinend immer mehr Hoffnungen und hatte seine Bemühungen intensiviert.
Es verging kaum eine Woche, in der er ihr nicht ein kleines Geschenk machte. Mal lag eine Schachtel Pralinen vor ihrem Spind, mal wurde ein Strauß Blumen zu ihr nach Hause geliefert. Gelegentlich fand sie dann ein winziges Kärtchen, das an das Geschenk geheftet wurde, auf dem aber nur sein Name stand. Sonst nichts. Dazu kamen die vielen kleinen Sachen, die sie immer wieder fand, auf denen aber kein Name stand.
Längst waren sie beide Gesprächs- und Kicherthema im gesamten Krankenhaus. Charlotta hatte ihn schon mehrfach gebeten, das zu unterlassen. Doch er lächelte sie dann immer mit einem Blick an, der lange vorm Spiegel geübt worden sein musste, der bei Charlotta aber keine, vor allem keine positive Wirkung zeigte. Und am nächsten Tag klebte trotzdem wieder eine teure Praline an ihrem Spind.
Wenn sie ihm die Pralinen, das Parfüm oder die CD zurückgeben wollte, leugnete er, dass sie von ihm kamen. Dabei zwinkerte er ihr allerdings zu, sodass sie seinen Worten nicht glaubte, die Sachen aber nicht wieder an ihn loswurde. Dabei konnte Horst nicht einmal zwinkern: Er kniff beide Augen zu und zog dann das Gesicht zu einer Seite hin schief, in der irrigen Annahme, dass es aussah wie ein Augenzwinkern.
Auch fand sie nach längerer Pause seit vielen Wochen immer mal wieder eine anonyme Rose hinter ihrem Scheibenwischer. Hier hoffte sie fast schon, dass die von Horst waren, um sich nicht mit der Möglichkeit auseinandersetzen zu müssen, sich noch wegen eines weiteren Mannes Gedanken machen zu müssen. Auf der anderen Seite hielt sie sich für realistisch genug nicht anzunehmen, dass sich plötzlich die Hälfte der Männer der Stadt unrettbar in sie verliebt haben könnte. – Rob? Nein, das wäre nicht sein Stil. Dennoch konnte Charlotta nicht leugnen, dass ihr Herz ein bisschen schneller schlug.
Horst war ein netter Mann. Allerdings war in diesem Fall »nett« der kleine Bruder von »scheiße«. Horst galt im Krankenhaus wirklich nur als nett und sehr hilfsbereit. Mehr nicht. Sie kannte niemanden, der sich vielleicht mal mit Horst verabredet hätte. Charlotta fand keine gemeinsamen Themen für eine Unterhaltung mit ihm und umgekehrt schien es genauso zu sein. Wenn er sie auf dem Krankenhausgelände abfing, entstand nach der Begrüßung meist ein unangenehmes Schweigen. Von Attraktivität konnte man bei Horst mal so gar nicht sprechen. Irgendwo in diesem Universum mochte es eine Frau geben, die das anders sah – doch nicht Charlotta. Fast sechzig Jahre alt, hatte er ihr auch schon verkündet, wie hoch seine Rente sein würde und was sie beide sich davon leisten könnten … Mit seiner penetranten Hartnäckigkeit machte er ihr manchmal sogar ein bisschen Angst.
Und beim Gedanken an den Krankenhausball, den ihr Arbeitgeber einmal pro Jahr für seine Angestellten veranstaltete, gruselte es sie. Charlotta stellte sich gerade vor, wie Horst sie zum Tanzen auffordern und dabei mit schwitzig-nassen Händen anfassen würde … In diesem Moment musste sie sich zusammenreißen, um sich nicht zu schütteln. Es gab nur wenige Menschen, die ihr so unangenehm waren, wie Horst Myers.
»Tut mir leid, Horst. Ich gehe gar nicht hin.«
»Waas?« Horst sah aus wie ein geprügelter Hund und fuhr sich mit der Hand nervös durch die flusigen schütteren rotblonden Haare. »Warum nicht?« Er schien fest mit ihrer Zusage gerechnet zu haben, wobei Charlotta wirklich kein Grund einfiel, womit er seine Zuversicht begründen könnte. Allerdings fiel ihr so schnell auch keine Ausrede ein, mit der sie absagen konnte – außer, keine Lust zu haben. Die Wahrheit sagte sie besser nicht.
»Weil sie an dem Tag schon mit mir verabredet ist.« Als sie die ruhige tiefe Stimme in ihrem Rücken vernahm, wurde Charlotta augenblicklich furchtbar warm. Verzweifelt bemühte sie sich, ihren Atem unter Kontrolle zu bekommen und nicht allzu verstört zu wirken. Auch Horst wirkte überrascht – offensichtlich hatte er den Mann nicht kommen sehen, obschon der nun direkt hinter Charlotta stand. Die holte tief Luft, dann drehte sie sich um. An einem Laternenmast, keine zwei Meter von ihr entfernt, lehnte Rob und machte nach außen hin einen aufgeräumten lässigen Eindruck. »Du siehst so überrascht aus, Lotta. Ich habe fast den Eindruck, du hast vergessen, dass ich dich heute abholen wollte.« Er grinste, und seine Augen funkelten.
»Ähm …«
»Du hast mir gar nicht gesagt, dass du einen neuen Freund hast.« Horst war offensichtlich beleidigt.
Hilflos und verzweifelt sah Charlotta Rob an, der netterweise noch einmal für sie das Antworten übernahm. »Es ist vielleicht auch noch ein bisschen zu früh von mir als ’nem neuen Freund zu sprechen«, sagte er in versöhnlichem Ton, setzte dann aber hinzu: »Ist es bei Ihnen in der Klinik üblich, dass das Pflegepersonal in der Verwaltung bekannt gibt, mit wem es verabredet ist?« Robs Stimme klang jetzt ernst und ehrlich überrascht, doch erkannte Charlotta, die ihn immer noch ansah, dass es in seinen Augen blitzte.
Horst schnappte nach Luft. »Nein, natürlich … ich meine … woher wissen Sie überhaupt, dass ich …«, stammelte er.
»Irgendwer hat’s mir wohl erzählt. Jetzt müssen wir aber los, damit wir uns nicht verspäten. – Kommst du, Lotta?«
»Ähm … ja …« Sie wandte sich zu Horst um. »Du hörst ja, ich bin an dem Tag nicht auf dem Ball. Mach’s gut!« Im gleichen Augenblick spürte sie eine Hand in ihrem Rücken, die sie zielstrebig über den Parkplatz schob.
»Weißt du, dass er immer wieder Blumen an dein Auto hängt und auch oft bei dir vorm Haus herumschleicht?«, zischte Rob im Weitergehen. »Ich habe ihn auch schon in deinem Garten gesehen.«
Überrascht blieb Charlotta stehen und stürzte fast, als Rob sie einfach weiterschob. »Woher weißt du, dass Horst in meinem Garten war?«
»Nachts schleicht er da rum!«
»Nachts? Was machst du denn nachts, dass du siehst, was dann in meinem Garten passiert? Und woher weißt du von den Blumen?« Fassungslos sah sie ihn an. Das Ganze wurde immer undurchsichtiger.
Die letzten Meter schwieg Rob, doch Charlotta war sich sicher, dass sie noch mal nachhaken würde. An ihrem Auto angekommen, ließ Rob seinen Blick über den großen Parkplatz schweifen. »Er steht immer noch dort und starrt hinter uns her«, verkündete er und wandte sich zu Charlotta um.
»Nett, dass du mir geholfen hast«, sagte sie leise und sah ihn dankbar an. Sein Blick und sein Schweigen verunsicherten sie sehr, sodass sie mit dem Ersten herausplatzte, was ihr einfiel. »Rob, sie machen Jagd auf Wölfe. Es scheint mehrere zu geben. Ich weiß nicht, ob du die hiesige Zeitung liest oder vielleicht im Radio …«
»Danke für den Hinweis, aber wir haben es schon mitbekommen. Außerdem hast du mich ja bereits gewarnt. Und, ja, es gibt mehrere Wölfe bei uns im Dorf. Aktuell sechzehn, um genau zu sein.«
»So viele?« Die Zahl überraschte Charlotta, und sie vergaß darüber, Rob zu fragen, weshalb er glaubte, sie habe ihn bereits einmal vor den Jägern gewarnt. »Woher …«
»Da wir immer noch von deinem Verehrer beobachtet werden – nicht umdrehen! –, sollten wir vielleicht erst mal woanders hingehen.«
»Traust du dich mit mir mitzufahren«, grinste Charlotta und sah ihn herausfordernd an.
Rob lachte. »Du fährst tatsächlich ziemlich … sportlich, aber routiniert und sicher. Doch, ja, ich traue mich.« Er öffnete die Beifahrertür und stieg wie selbstverständlich ein. Charlotta, die noch stehen geblieben war, um zu grübeln, woher Rob ihren Fahrstil kennen konnte, musste grinsen, als sie hörte, dass er erst aufstöhnte, dann den Sitz nach hinten schob und schließlich erleichtert aufatmete.
»Wohin möchtest du denn? Ich würde vor allem gerne erst nach Hause, eben unter die Dusche und mich umziehen.«
»Ich komme mit.«
»Zu mir nach Hause?«, platzte sie heraus und hörte selbst, wie überrascht ihre Stimme klang.
»Hast du ein Problem damit?«
Charlotta sah, dass er sie provokativ angrinste. »Nö, wenn es dich nicht stört, dass ich ziemlich spartanisch eingerichtet bin. Stilmix inklusive.«
»Wenn ich in eine Möbelausstellung wollte, würde ich dir das sagen. Wenn man gerade eine Wohnung bezogen hat, ist eine komplette und aufeinander abgestimmte Einrichtung meist etwas schwierig.« Ohne sie anzusehen, schnallte er sich an.
Dankbar über Robs Sensibilität und dass er ihr die Gelegenheit gab, sich nicht für ihre Einrichtung schämen zu müssen, griff auch sie nach ihrem Gurt. Sie hätte Ralph viel mehr Geld abknöpfen sollen. In den Möbeln, die er jetzt mit seiner Neuen benutzte, steckte schließlich auch ihr Geld!
Nicht weit von ihrer Wohnung ergatterte Charlotta einen Parkplatz, und zu ihrer großen Erleichterung kam sie auch auf Anhieb problemlos in die Parklücke, ohne sich vor ihm zu blamieren. Wie viele Männer konnte er das vermutlich wie eine Eins und feierte wahrscheinlich außerdem das Vorurteil, dass Frauen das angeblich nicht so gut konnten. Da hatte sie ihn eines Besseren belehrt, freute sie sich. Sie schnappte sich ihre Tasche vom Rücksitz und sah belustigt zu, wie Rob sich aus ihrem kleinen Auto herausfaltete. »Ich denke, beim nächsten Mal laufe ich lieber«, stöhnte er.
Charlotta beschloss, sein Gejammer zu ignorieren. Sie überlegte gerade, ob sie schnell duschen und sich umziehen sollte, um dann mit Rob irgendwohin zu gehen, oder ob sie sich besser auf ihre Terrasse setzten. Da sie ihm vor nicht allzu langer Zeit sehr unmissverständlich geraten hatte, sich aus ihrem Leben herauszuhalten, wäre eine Einladung bei ihr zu Hause … auf ihrer Terrasse … gemeinsam … Ach was, ich mache mir zu viele Gedanken. Ich kann doch wohl auf meiner Terrasse sitzen, mit wem ich will! Und wir wollen uns ja nur ein bisschen unterhalten. Sollte ich feststellen, dass ich das doch nicht will, können wir ja immer noch woandershin gehen. Komisch, dass er nach der Abfuhr neulich doch wieder hier aufkreuzt und so tut, als sei nichts gewesen.
Während Charlotta auf die Haustür zuging, blieb Rob stehen. »Du weißt, dass man dich durch deine Gardinen hindurch sehen kann?«, erkundigte er sich und wies auf ihr Schlafzimmerfenster.
Vor Schreck fiel ihr der Schlüssel aus der Hand. »Waas? Wie …? Wann …?«, stammelte sie. »Habe ich mal vergessen die Übergardinen …?«
Robs Lachen ließ sie verstummen. »Wenn du Licht im Raum an hast, kann man auf den Gardinen deine Konturen als Schatten erkennen und genau sehen, was du tust.«
»Das ist nicht dein Ernst!« Sie spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde, und sah ihn hoffnungsvoll an. Sag mir, dass das nicht wahr ist und du mich nur ärgern willst!
Robs Grinsen sprach Bände, und sie stöhnte auf. »Ich werde aus dieser Nachbarschaft wegziehen müssen. Oh nein, das glaube ich nicht! Wieso hat mir das denn noch niemand gesagt?!«
Als Antwort schürzte Rob die Lippen und zog süffisant eine Augenbraue hoch. Charlottas Blick wurde vorwurfsvoll. Sie bückte sich nach ihrem Schlüssel, doch Rob war schneller. »Du liebe Güte, wie viele Schlüssel hast du denn an deinem Bund? Der passt doch in keine Tasche!« Er klang entsetzt.
»In meine Tasche«, sagte sie pointiert, »passt er. Nicht in die Hosentasche, aber ich habe doch sowieso immer ’ne Handtasche dabei. Da sind alle wichtigen Schlüssel dran, die ich brauche.« Blitzschnell schnappte sie sich den Bund aus seiner Hand und ging die letzten Meter zur Haustür. Rob folgte ihr.
»Wofür braucht man denn so viele Schlüssel?«, erkundigte er sich, während er sich ungeniert in ihrem Wohnungsflur umsah.
»Na ja! Je einen Haustürschlüssel für die Tür draußen und drinnen. Autoschlüssel, Briefkastenschlüssel, der vom Krankenhaus, von meinem Spind dort, einen, um dort kostenlos auf den Parkplatz zu kommen …« Während sie sprach, hatte sie den Bund auf eine Anrichte gelegt und zog ihre Schuhe aus.
Ein Klirren ließ sie herumfahren. »Und wohin gehört dieser Schlüssel?«
Verblüfft, dass er genau wusste, dass der Schlüssel, den er ihr unter die Nase hielt, nicht zu den bisher aufgezählten gehörte, antwortete sie, ohne nachzudenken: »Das ist der von der Wohnung meiner Mutter.«
»Lebt deine Mutter auch hier in der Stadt?«
»Nein, sie ist vor einigen Jahren gestorben.«
Rob sah sie einen Augenblick nachdenklich an, dann legte er den Schlüsselbund kommentarlos wieder auf die Anrichte.
»Tu mir bitte einen Gefallen«, bat Charlotta. »Ich gebe dir kaltes Wasser und Gläser. Setz dich doch bitte schon mal auf meine Terrasse. Ich dusche fix und zieh mir was anderes an.«
»Wie lange dauert bei dir denn fix?« Rob zog skeptisch eine Augenbraue hoch.
»Da ich nicht beabsichtige, meine Haare zu waschen, ist fix wirklich fix«, lachte sie. Sie öffnete den Kühlschrank, dessen Inhalt Rob sich interessiert ansah. »Ich habe auch noch Saft, wenn du lieber Saft statt Wasser …«
»Lass mal. Wasser ist okay.« Rob nahm ihr die Flasche und zwei Gläser ab und lief zielstrebig auf ihre Wohnzimmertür zu, um von dort in den Garten zu gelangen.
Nachdenklich und leicht irritiert, dass er wusste, wohin er musste, sah Charlotta hinter ihm her. Dann beeilte sie sich, damit er sah, dass sie wirklich schnell sein konnte. Sie war überrascht, wie scheinbar mühelos die Unterhaltung gerade möglich gewesen war, obwohl sie ihn beim letzten Mal furchtbar wütend zum Teufel geschickt hatte.
»Du hast es schön hier!«
Obwohl Charlotta sich sehr bemüht hatte, kein Geräusch zu machen und ihn eigentlich auch noch einen Moment unbemerkt beobachten wollte, hatte er sie offenbar gehört. »Ja, ich bin auch ganz glücklich mit der Terrasse. Von den Nachbargärten guckt mir hier keiner rein, und es ist schön windgeschützt. Im Hochsommer ist es an einigen Tagen dann zwar auch sehr warm, weil hier kein Lüftchen weht, aber ich kann viel draußen sitzen.« Sie lief um ihn herum und ließ sich in einen zweiten Stuhl fallen.
Rob schnappte sich die Wasserflasche und das leere Glas, hielt aber in der Bewegung inne. Statt ihr das Glas vollzugießen, sah er sie interessiert an. Ein Blick, der Charlotta irritierte.
»Wenn du die Haare hochgesteckt hast, sieht man, dass du einen schönen schlanken Hals hast. Von deinem Gesicht erkennt man auch mehr. Nein! Lass das! – Bitte«, setzte er hinzu, als Charlotta sich verlegen anschickte, die Klammern aus ihrem Haar zu entfernen. Damit es beim Duschen nicht nass wurde, steckte sie ihr Haar meist in einem unordentlichen Knoten am Hinterkopf zusammen. Sie hatte schlichtweg in der Eile vergessen, die Klammern herauszunehmen.
»Aber …«, begann sie verlegen, verstummte aber.
Nun nahm Rob auch den Blick von ihr und konzentrierte sich darauf, Wasser für sie in ein Glas zu gießen.
Charlotta beschloss, dass der direkte Weg der Beste sein dürfte. »Rob, woher kommst du? Was hast du mit den Wölfen zu tun? Und weshalb weißt du so viel von mir? Du scheinst mich ja tatsächlich auch schon mal beobachtet zu haben.« Mit Unbehagen dachte sie an ihre Schlafzimmergardinen.
Robs Blick war in die Ferne gerichtet. Dann holte er tief Luft und wandte sich zu ihr um. »Das ist alles nicht ganz einfach. Ich kann dir nur so viel verraten: Ich komme aus einem kleinen Dorf, das von hier aus fast auf der anderen Seite des Waldes liegt. Die Wölfe … gehören zu uns … wohnen sozusagen in unserem Dorf.«
»Wenn du regelmäßig bei uns herumläufst, ist es offensichtlich nicht so furchtbar weit weg. Abgesehen davon, dass ich – obwohl ich hier geboren bin – nicht wusste, dass es in der Nähe ein Dorf gibt, in dem so viele Wölfe leben, solltet ihr vorsichtig sein.«
»Warum?«
»Na, weil die gesamte Jägerschaft der Stadt sich vereint hat, um den bösen Wolf zu töten. Es wird gemunkelt, er hätte die drei kleinen Schweinchen und auch noch die sieben Geißlein vernascht.« Sie grinste, wurde dann aber wieder ernst und ignorierte Robs verdutzt-irritierten und leicht skeptischen Blick, mit dem er sie bedachte. »Auch wenn es nur Tiere sind – wenn sie in so großer Zahl mit euch zusammenleben, wird es zwischen euch eine große Bindung geben. Dann solltet ihr sie schützen.«
»Nur Tiere …«, murmelte Rob und schürzte die Lippen. »Ja, die Bindung«, sagte er wieder mit normaler Stimme, »ist schon wirklich sehr, sehr eng. Wir versuchen sie sehr wohl zu schützen.« Dann drehte er sich noch ein bisschen weiter zu ihr um und heftete seine Augen auf ihr Gesicht. »Sag mir bitte, was ich falsch gemacht habe.«
Irritiert sah Charlotta ihn an und wartete darauf, dass Rob konkreter wurde.
»Na, als du neulich so böse auf mich warst und gesagt hast, du möchtest mich nicht wiedersehen.«
Charlotta war überrascht von dem plötzlichen Themenwechsel. Außerdem spürte sie einen Teil des Ärgers wieder in sich hochsteigen und atmete tief durch. Um noch einen Augenblick Zeit zum Überlegen zu haben, nahm sie einen Schluck aus ihrem Wasserglas. »Das habe ich … weil … Ich glaube nicht an Vorsehung, Rob. Ich glaube nicht, dass jemand ein vorherbestimmtes Schicksal hat und es dem Zufall oder dem Himmel überlassen bleibt, ob es sich erfüllt. Ich möchte auch gar nicht glauben, dass ich mein Schicksal nicht selber beeinflussen kann.«
»Wenn du aber vor dich hin dümpelst und nicht weißt, wohin du gehen sollst, fehlen dir dann nicht die Gewissheit und Zuversicht, zu wissen, dass alles einen vorbestimmten Weg geht?«
»Nein, solange ich nicht weiß, wohin der Weg mich führen wird, gibt mir das überhaupt keine Gewissheit. Führt es mich ins Glück? Führt es mich in Krankheit, Leid und Tod? Im Gegenteil, es macht mir Angst, daran glauben zu müssen, dass irgendwo schon ’ne Landkarte für mich aufgemalt ist und das Schicksal mich immer wieder auf den für mich vorgezeichneten Weg schubst, falls ich mal was getan habe, was nicht in dieses Raster passt.«
Rob schwieg einen Augenblick. »Wenn das die Antwort auf meine Frage ist, überlege ich gerade, was ich in puncto Schicksal oder so gesagt habe.«
»Du hast gesagt, wir sind für einander bestimmt!«
»Ähm … ja … das ist so. Ich meine … was ist das Problem?« Rob schien verwirrt.
»Du hast angedeutet, dass wir uns wohl noch häufiger sehen würden oder so«, sagte Charlotta etwas ungeduldig, wegen seiner Begriffsstutzigkeit. »Und dann habe ich geantwortet, dass ich das ja wohl mitzuentscheiden hätte. Wütend gemacht hat mich, dass du daraufhin so selbstherrlich behauptet hast, dass ich dich sowieso nicht mehr loswürde, weil wir füreinander bestimmt wären.«
Rob schien das Problem immer noch nicht zu verstehen und sah sie ratlos fragend an.
»Rob! Erst einmal waren das genau die Worte, mit denen Ralph mir erklärt hat, dass er sich von mir trennt. Weil er nämlich die Frau getroffen hätte, die für ihn bestimmt sei. Und außerdem habe ich gerade versucht dir zu erklären, weshalb ich eben nicht an diesen Schicksalskram glauben will und kann.«
Endlich schien er verstanden zu haben. »Okay, dass dich das wegen deines Freundes getroffen hat, das wusste ich nicht. Das tut mir echt leid. Sorry! Aber – wehrst du dich ernsthaft, daran zu glauben, dass es auch noch Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die die Wissenschaft nicht erklären kann?«
»Na ja, nicht so ganz. Zumindest noch nicht. Die Wissenschaft forscht doch immer weiter und wenn …«
Rob lachte laut auf. »Oh Mann, Charlotta, du bist echt ein harter Brocken!«
»Wieso?« Pikiert sah sie ihn an.
»Weil du noch sehr viel lernen musst. Zum Beispiel, auf dich zu hören. Auf deinen Körper. Auf deine Wünsche. Auf deine Träume.«
Alarmiert sah Charlotta ihn an. Der Traum. Ich wollte ihn doch noch was zu dem Traum fragen, wenn ich ihn wiedersehe. Mist!
Sie überlegte gerade, ob es ein günstiger Moment sein könnte, das Thema jetzt anzuschneiden, da erhob Rob sich. Automatisch stand sie auch mit auf. Einen Augenblick sah er sie noch nachdenklich an, dann grinste er. »Ich hoffe, dass es für dich diesmal nicht genauso unangenehm ist wie neulich, wenn ich dir sage, dass du mich nicht wieder loswirst. Ich gehe jetzt, wir sehen uns aber bald wieder.«
Einerseits war Charlotta über den abrupten Aufbruch überrascht. Andererseits musste sie das Gesagte noch mal sortieren und sich Gedanken machen, bevor sie mit ihm weiter darüber diskutierte. Er schien über solche Dinge schon viel häufiger nachgedacht zu haben. Und – er hatte ja angedeutet, dass sie sich bald wiedersehen würden. Dann könnte sie ihre weiteren Fragen auch noch loswerden. »Willst du … hast du … meine Telefonnummer …?«, stammelte sie. Normalerweise hätte er sie fragen sollen. Wie wollte er sich mit ihr verabreden, wenn er sie nicht anrufen konnte?
»Heißt das, dass du diesmal nicht böse auf mich bist und mich auch wiedersehen möchtest?« Die hellbraunen Augen waren fest auf ihre graublauen gerichtet. Nervös nickte Charlotta. Sie lächelte verlegen, während sich Robs Gesicht zu einem breiten Grinsen verzog. Noch bevor sie ahnte, was er plante, umfasste er ihr Gesicht mit beiden Händen und drückte ihr einen überraschend festen Kuss auf die Lippen. Er lachte fröhlich über ihren empörten Gesichtsausdruck, lief durch den Garten und war mit einem beachtenswerten Sprung über den nicht allzu niedrigen Gartenzaun verschwunden.
»Na, wenn das so einfach ist, wofür habe ich dann überhaupt einen Zaun?«, murmelte Charlotta beeindruckt. Gedankenverloren fuhr sie mit dem Finger über ihre Lippen, die dort kribbelten, wo er sie berührt hatte.
Langsam drehte sie sich um und schlenderte zurück ins Haus. Im Flur hing ein großer Spiegel, und sie besah sich kritisch darin. Zuerst ihre Haare. Sie hatte sie in der Eile unordentlich hochgesteckt. Ein paar kleinere Strähnen im Nacken waren beim Duschen nass geworden und kringelten sich über den Blusenkragen.
Die Bluse. Sie hatte extra eine frisch gebügelte Bluse aus dem Schrank gezogen, nicht einfach nur ein T-Shirt. Warum? Um ihm zu gefallen? Dann hätte sie auch an ihre Haare denken müssen und daran, dass es nicht schlecht gewesen wäre, ihre Wimperntusche und gerne auch den Lippenstift noch einmal zu benutzen.
Ihr Blick wanderte über ihren Körper. Sie sah eine etwas pummelige junge Frau, die ihr mit einem Gesichtsausdruck entgegensah, als fühle sie sich nicht so recht wohl. Charlotta war nie richtig dick gewesen, aber leider auch nicht so schlank wie Sara und Angie.
Abrupt drehte sie sich um. ›Eitelkeit ist die erste der sieben Todsünden‹, glaubte sie die Stimme ihrer Mutter zu hören.
Ihre Mutter! Charlotta spürte, wie ihr die Brust eng wurde. Ihre Mutter, die ihr so viel Zeit ihres Lebens geraubt hatte – eigentlich immer schon und zuletzt noch mehr, um sich von ihr pflegen zu lassen. Das sei ihre Bestimmung als Tochter, hörte sie erneut die Anklage ihrer Mutter.
Da war sie wieder, die Bestimmung!
Wenn es die Bestimmung von Töchtern sein sollte, sich um egoistische anspruchsvolle Mütter zu kümmern, was hatte das Schicksal sonst noch für sie zu bieten? Konnte die Bestimmung auch Positives für sie bereithalten? Für sie war der Begriff ausschließlich mit Negativem behaftet.
Charlotta versuchte tief durchzuatmen, doch die Enge in der Brust blieb.
Um nicht den ganzen Abend an diese merkwürdigen Begegnungen mit Rob zu denken, griff Charlotta zum Telefon. Eine knappe Stunde Plauderei später hatte sie mit Sara geklärt, dass sie am Abend mit ihr und Angie gemeinsam in ihrer Wohnung etwas kochen wollte. Damit sie noch Zeit für den Einkauf hatte, sollte Sara Angie über den Plan informieren. Ansonsten könnte es durchaus passieren, dass das Telefonat noch einmal locker ein Stündchen in Anspruch nahm.
Der Juni war außergewöhnlich trocken und warm, ideal für laue Sommernächte auf der Terrasse. Die drei Freundinnen beschlossen, an dem winzigen Gartentisch, der dafür eigentlich viel zu klein war, zu essen und dann den Abend mit ein oder zwei Gläsern kaltem Weißwein draußen zu verbringen. Sara zündete sich nach dem Essen eine Zigarette an und freute sich, mal nicht allein an der frischen Luft stehen zu müssen, während die anderen sich drinnen weiter unterhielten.
»Na, was macht deine neue geheimnisvolle Bekanntschaft?« Mit einem leicht provokativen Grinsen sah Angie ihre Freundin an.
»Och!« Charlotta bemühte sich um einen unaufgeregten Ton und eine ruhige Stimme. »Der saß noch vor ein paar Stunden genau dort, wo du jetzt sitzt.«
»Waaaas?«, klang es synchron aus zwei Kehlen. »Los, erzähl! Warum war der hier? Wieso erzählst du das jetzt erst?«
Charlotta lachte. »Als ich heute von der Arbeit kam und zu meinem Auto wollte, hielt Horst mich auf.«
Auch Aufstöhnen ging synchron!
»Er wollte sich mit mir für den Krankenhausball verabreden.«
»Uuuuh!« Sara schüttelte sich, und auch Angie verzog das Gesicht.
»Ja, so ging’s mir auch. Ich hab ihm dann gesagt, dass ich gar nicht hingehe – was ich auch vorhabe. Es tut mir echt ein bisschen leid, weil das grundsätzlich sicher nett wäre. Aber wenn ich mir vorstelle … Nee, Mädels! Na ja, und dann wollte er wissen, warum ich nicht käme.«
Sie legte eine bedeutungsvolle Pause ein. Die beiden Freundinnen beugten sich instinktiv noch ein bisschen vor, die Augen auf Charlottas Lippen geheftet. »Und plötzlich höre ich ’ne Stimme hinter mir, die sagt, ich sei an dem Tag mit ihm verabredet.«
»Und das war ER?« Angie mochte es nicht glauben.
»Na, was denkst du denn? Chuck Norris?« Sara boxte ihr in die Rippen. »Und dann?«
»Dann hat er so getan, als hätten wir verabredet, dass er mich von der Arbeit abholt. Damit die Geschichte dann auch passte, ist er mit mir weggefahren. Und als ich gesagt habe, dass ich aber erst nach Hause wolle, um mich zu duschen, wollte er mit.«
»Duschen?« Angies Augen waren groß wie Untertassen.
»Neiiiin! Natürlich nicht! Nur in meine Wohnung. Und das habe ich dann auch gemacht, also ihn mitgenommen, meine ich. Während ich geduscht habe, hat er auf meiner Terrasse gesessen, und dann haben wir noch ein bisschen geplauscht …«
»Worüber denn?«, wollte Sara wissen.
»Ach, so ganz komisch über Schicksal und Bestimmung und Träume und … ach, ich weiß nicht. Nach ziemlich kurzer Zeit ist er aber auch schon wieder gegangen.«
»Hat er gesagt, dass er dich noch mal wiedersehen will?«
Charlotta wusste nicht, weshalb sich ihre Wangen röteten, als sie stumm nickte.
»Wow!«
»Geil!«
»Ich will den jetzt auch mal kennenlernen!«, flötete Angie.
»Ich habe ihn ja nur ganz kurz in dem Café gesehen, und dann vor allem von hinten. Aber als der an mir vorbeigegangen ist … Der sieht totaal süß aus.« Sara schnalzte genüsslich mit der Zunge.
Charlotta erinnerte sich plötzlich daran, dass offensichtlich außer den Wölfen auch Rob und Horst und Wer-weiß-wer-noch um ihre Wohnung herumschlichen. Darum bemühte sie sich, die Lautstärke des Gesprächs ein wenig zu dämpfen. Da sie gerade die dritte Flasche Weißwein entkorkte, erwies sich das als nicht ganz einfach. Aber Charlotta drohte damit, das Thema zu wechseln, wenn die beiden sich nicht ein bisschen mehr beherrschten.
»Wann hast du dich denn das nächste Mal mit ihm verabredet?«
»Gar nicht!« Charlotta füllte die Gläser wieder auf.
»Was? So eine Gelegenheit lässt du dir entgehen?« Angie war entrüstet. »Du wirst ihn aber anrufen!«
»Ich habe keine Telefonnummer von ihm!«
»Anfängerfehler!« Verzweifelt über Charlottas Dummheit rollte Sara mit den Augen.
»Nein, ich habe ihm sogar angeboten, ihm meine Nummer zu geben – aber irgendwie hat er abgelenkt, und dann war er auch schon weg.« Als sie es aussprach, spürte Charlotta, dass sich ein Gefühl der Beklemmung und Hilflosigkeit in ihrer Brust festsetzte. Ein Gefühl, als habe sie etwas Wichtiges verloren.
»Und nun? Wie willst du ihn wiederfinden?«
Charlotta zuckte, scheinbar gleichgültig, mit den Achseln. »Ich schätze, wenn er mich wiedersehen will, wird er mich wiederfinden. Der Mann ist so was von überzeugt von Schicksal und Ich-weiß-nicht-was … Wenn er meint, dass das Schicksal uns füreinander bestimmt hat, wird er sich melden. Dass ich ihn nicht erreichen kann, weiß er.«
»Und?«, sagte Sara ungewöhnlich ernst. »Willst du ihn wiedersehen?«
»Mhm … glaub schon …«
»Na, Begeisterung sieht anders aus«, lachte Angie.
»Nein, er ist … so ganz anders als die Männer, die ich bislang kennengelernt habe. Er hat … irgendwas … Ich kann’s nicht beschreiben. Auf jeden Fall hat er es geschafft mit seiner außergewöhnlichen Art so plötzlich aufzutauchen, dass er mich interessiert.«
»Interessiert«, wiederholte Angie tonlos. »Na, das ist bestimmt das, was er hören möchte: ›Hey Rob, ich glaube, du interessierst mich!‹« Sie kicherte albern.
»Angie, ich bin nicht die Frau, die sich spontan Hals über Kopf in einen Mann verliebt. Ich will mich nicht von jemandem abhängig machen. Also, so emotional auch, meine ich.«
Sara nickte verstehend. »Du stehst schon wieder ziemlich unter Stress, Süße, stimmt’s? Du bist total verspannt und drehst dich die ganze Zeit so komisch hin und her. Du hast auch schon wieder Atemprobleme, gib’s zu!«
»Na ja, wenn ich tief einatme … aber das kriege ich wieder hin.«
»Du solltest hurtig zu deinem Orthopäden damit, bevor sich das manifestiert. Wieder die alte Geschichte? Deine Mutter lässt dich auch nach ihrem Tod nicht los, was?«
»Immer, wenn ich daran zurückdenke … angeblich liegt’s am Zwerchfell, weil ich falsch atme. Ich habe sowieso bald wieder einen Termin beim Chiropraktiker.« Charlotta verstummte, denn all das hatte sie ihren Freundinnen schon häufiger erklärt, während diese ihr wiederum jedes Mal versicherten, dass sie ihrer Mutter keine schlechte Tochter gewesen sei. Ja, es stimmte, ihre Mutter ließ sie auch nach deren Tod nicht los. Aber die vorsichtigen Vorschläge ihrer Freundinnen, sich deshalb einen Psychotherapeuten zu suchen, wies sie jedes Mal weit von sich.
Auf Saras Frage hin zog Charlotta deshalb nur kurz eine Schulter hoch. Damit erklärte sie das Thema für beendet.
Als Charlotta das nächste Mal aufsah, wechselten ihre Freundinnen gerade vielsagende Blicke. »Was ist los?«
Noch ein bedeutungsvolles Blinzeln und ein Nicken. »Ähm … ich denke, du wirst es sowieso die Tage erfahren, und dann haben wir gedacht, ist das hier … also, hier im geschützten Raum …«
»Was. Ist. Looos?«
»Na ja, Leon erzählte, dass er bei Ralph und Insa Trauzeuge sein soll. Noch in diesem Jahr. September oder Oktober oder so …«
Dass ihr das nichts ausmachte, konnte Charlotta ihren Freundinnen nicht weismachen. Vor allem nicht nach dieser kurzen Zeit, die Ralph und Insa sich kannten. Mit ihr hatte die Beziehung immerhin sieben Jahre gewährt. Und auch wenn sie selbst ohnehin nicht hätte heiraten wollen, schien aber auch Ralph das nie in Erwägung gezogen zu haben – zumindest nicht mit ihr, wie sich nun zeigte. Aber es traf sie tatsächlich nicht so heftig, wie sie es vermutet hätte. »Tja, wenn man die Frau gefunden hat, die für einen bestimmt ist – worauf warten?« Ihre Stimme klang rau, und sie räusperte sich.
Der braune Wolf der – vor Blicken geschützt durch einen dichten Busch – am Zaun zu Charlottas Garten gesessen hatte, erhob sich. Er hatte eine Menge gehört. Viel, über das es sich nachzudenken lohnte. Er sah sich um und verschwand dann in einer dunklen Seitenstraße. Dabei übersah er den hochgewachsenen schlanken Mann. Der drückte sich gerade noch etwas fester in einen Hauseingang und schaute mit zusammengekniffenen Augen und einem hinterhältigen Grinsen hinter ihm her. Der Mann war erleichtert, dass der Wind günstig für ihn gestanden hatte, sonst hätte das riesige Tier ihn entdeckt. Er zog die Kappe, die seine braunen Haare verbarg, noch ein Stückchen tiefer in die Stirn und lief beschwingten Schrittes, eine lautlose Melodie auf den gespitzten Lippen, in die andere Richtung davon.