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14. Juni

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»Hast du von der Jagd auf die Wölfe gehört, die ab heute für die nächsten Wochen angesetzt ist?«

Charlotta drehte sich angewidert um. Viel zu oft lief sie Horst in die Arme, wenn sie nach dem Frühdienst Feierabend hatte und er sich noch im Haus befand. Das Gesicht des kleinen dicken Mannes wurde vor Aufregung hochrot. Mit berechnendem Blick sah er sie an. »Neulich habe ich einen riesigen braunen Wolf in deiner Straße gesehen.«

Charlotta erstarrte. Horsts Gesicht zeigte sicheren Triumph. Ob es sich dabei um einen der Wölfe aus Robs Dorf handelt? Dann jedoch ging ihr auf, was Horst außerdem noch gesagt hatte. »Was, Horst, hast du bitteschön in meiner Straße zu suchen?«

»Darf ich nicht herumlaufen, wo ich will?« Horst fühlte sich ertappt, und das Triumphgefühl zerplatzte wie eine Seifenblase.

»Doch, natürlich darfst du das. Aber ich kann’s nicht leiden, wenn die Leute mir ins Haus und in den Garten gucken. Oder schlimmer noch, in meinem Garten herumschleichen. Daaas kann ich ü-ber-haupt nicht leiden, Horst!«, sagte sie scharf.

»Dann erklär mir, was du mit den Wölfen zu tun hast!«, forderte er heftig.

»Was ich mit den Wölfen …? Was soll ich mit Wölfen zu tun haben?« Charlotta sah ihn an, als befürchte sie, er habe nicht alle Tassen im Schrank.

»Ich habe dich mit ihm gesehen!« Horst hatte sich zu Charlotta vorgebeugt und fuchtelte mit ausgestrecktem Zeigefinger vor ihrer Brust herum.

»Mit wem hast du mich gesehen, Horst? Werde bitte deutlicher. Sonst gehe ich!« Charlotta spürte Wut in sich hochsteigen. Du liebe Güte, was spielte der sich plötzlich auf!

»Mit dem Wolfsmann!«

»Wolfsmann? – Wolfsmann!« Sie schnaubte durch die Nase. »Horst, hast du was getrunken oder irgendwelche lustigen Kräuter geraucht? Was ist ein Wolfsmann?«

Horst stutzte und stellte sich wieder aufrecht hin. »Du weißt es wirklich nicht, oder?«

»Oh Horst! Waaas! Was weiß ich nicht?« Dieser Mann bringt mich echt noch mal um!

»Dieser Typ, mit dem du dich triffst. Das ist ein Wolfsmann.«

Rob? Charlotta lachte. »Sorry, Horst. Aber selbst wenn sein Hund aussieht wie ein Wolf. Man würde auch keinen Hundehalter Hundemann nennen. Oder einen Katzenbesitzer Katzenmann. Was …«

»Nein, nein, nein!« Vor Aufregung sprühte Horst der Speichel nur so aus dem Mund. Instinktiv trat Charlotta angewidert einen Schritt zurück. »Der ist Mann und Wolf!« Jetzt verspürte er es wieder, das Triumphgefühl.

Verständnislos sah Charlotta ihn an. »Wie kann … Moment mal, du glaubst, dass die Wölfe eigentlich Menschen sind?« Der hat irgendwas eingeschmissen! Oder andersherum heute Morgen seine Pillen nicht genommen! Ich bin mir ganz sicher!

»Ja, ja, genau das glaube ich!« Endlich hatte sie’s begriffen! Horst war stolz auf seine Entdeckung. Er würde den anderen beweisen, dass er recht hatte. Und dann würde man ihn endlich und verdientermaßen feiern! Keiner würde mehr auf den blöden dicken Horst herabschauen.

Charlottas Stimme klang jetzt gefährlich leise, als sie sagte: »Abgesehen davon, dass ich mir das erstens nicht vorstellen und das deswegen zweitens nicht glauben kann … Weißt du was, Horst? Du erzählst mir hier, dass du ganz aufgeregt bist, weil die Jagd auf die Wölfe losgeht.« Horst nickte, und vor Erregung zitterte sein Körper. »Du erzählst mir dann, dass du glaubst, dass diese Wölfe Menschen sind. Wenn du das wirklich glaubst – und hier zählt im Moment nur, was du glaubst, Horst – dann willst du also Menschen jagen? Du glaubst daran, dass das Menschen sind, und du willst sie töten?« Zum Schluss hin war Charlottas Stimme hart und laut geworden. Bevor sie weitersprach, atmete sie noch einmal tief durch. »Du bist ein echter Held, Horst. Und – du widerst mich an!« Es schüttelte Charlotta, und sie drehte sich um.

»Das sind aber auch Wölfe«, schrie Horst hinter ihr her. »Die sind doch gefährlich! Die ganzen Meldungen von wildernden Hunden und Wölfen – das sind in Wahrheit diese Wolfsmenschen.«

Charlotta machte sich nicht die Mühe, ihm zu antworten. Sie lief eilig zu ihrem Auto und setzte sich hinein. Ihre Hände zitterten so stark, dass sie den Zündschlüssel nicht ins Schloss stecken konnte. Sie probierte es noch einmal, doch er fiel ihr in den Fußraum.

Plötzlich konnte sie sich nicht mehr beherrschen. Sie legte die Stirn aufs Lenkrad und weinte. Sie vermochte nicht einmal zu sagen, weshalb genau. Sie wusste nur, sie spürte Angst. Eine ganz unbestimmbare Furcht, die ihr die Luft zum Atmen nahm. Außerdem befanden sich Rob, seine Familie und seine Freunde in Gefahr, und sie wussten es nicht. Sie konnte ihn ja nicht einmal erreichen, um ihn zu warnen. Dazu kam, dass sie einen so unglaublichen Ekel empfand, wegen Horst und seiner Äußerungen über Wolfsmenschen und darüber, Jagd auf sie zu machen. Was für ein Schwachsinn war das denn überhaupt?

Die Fahrertür öffnete sich, und Charlotta schrak zusammen. »Horst, ich …« begann sie hysterisch. Sie verstummte. »Rob? Rob!«

»Rutsch rüber, ich fahre.«

»Was? Ich …«

»Los, tu, was ich sage! Rutsch rüber!« Charlotta wunderte sich zwar über den herrischen Ton, folgte aber seiner Aufforderung, wobei sie der Eile und ihres schmerzenden Rückens wegen die Beine nur mit Mühe über den Schaltknüppel ziehen konnte.

»Was ist los?« Sie hatte mit einem Mal noch mehr Angst. Rob, der ihr bislang bei ihren Zusammentreffen so unglaublich souverän begegnet war, schien es eilig zu haben und wirkte dabei plötzlich überhaupt nicht mehr so cool.

»Das erkläre ich dir bei dir zu Hause. Wo sind die Schlüssel?«

»Die sind mir runtergefallen!« Sie konnte ein Schluchzen nicht ganz unterdrücken.

»Na, dann ist es ja doch mal gut, dass du so einen großen Bund hast. Einer der Schlüssel lässt sich bestimmt finden, um daran alle wieder rauszuziehen.« Er ächzte, weil sich einer der Schlüssel unter der Sitzschiene verklemmt hatte. Dann steckte er eilig den richtigen ins Zündschloss, startete den Wagen und fuhr rasant und mit quietschenden Reifen los.

Hastig holte Charlotta das Anschnallen nach. Was war los? Na, zumindest wollte er sie nicht entführen sondern ihr in ihrer Wohnung alles erklären.

Unter Missachtung sämtlicher Verkehrsregeln, grober Gefährdung von mindestens fünf fremden Autofahrern, die Gänge so hochziehend, dass es Charlotta fast körperlich schmerzte, kamen sie in ihrer Straße an. Rob parkte auch hier grob verkehrswidrig den Wagen halb auf dem Gehweg, aber dafür fast direkt vor ihrem Haus. Na, da brauchte sie sich wohl weder wegen ihres Fahrstils noch wegen ihrer Einparkfähigkeiten vor ihm zu genieren!

Der Motor erstarb mit einem erbarmungswürdigen Husten und ihr Apfelsinchen tat noch einen letzten Hopser, bevor es still stand. Hastig versuchte Charlotta aus dem Auto zu springen, merkte aber, dass sie in der Eile vergessen hatte, sich abzuschnallen. Endlich stand sie auf dem Gehweg und hielt sich ihrer weichen Knie wegen mit einer Hand an der Tür, mit der anderen am Autodach fest. Sie fixierte Rob mit einem bösen Blick über das Auto hinweg, den der jedoch mit einem belustigten Zucken der Mundwinkel beantwortete, bevor er sich auch schon wieder umwandte.

»Sag mal, hast du eigentlich überhaupt einen Führerschein?«, herrschte Charlotta ihn an. »Wenn du mich töten willst …« Sie merkte, dass Rob ihr gar nicht zuhörte, und verstummte.

Rob sah die Straße rauf und runter und blähte die Nasenflügel. Er schien zu lauschen, dann schlug er die Wagentür zu. »Los, lauf!« Die Stimme klang nicht laut, aber drängend. Es trennten sie noch etwa zwanzig Meter von ihrer Wohnung. Jetzt lief Rob auch wieder ruhiger, behielt aber merkwürdig auffällig die Umgebung im Blick.

Am Haus angekommen wühlte Charlotta in ihrer Tasche, bis ihr einfiel, dass Rob den Bund hatte. »Würdest du so nett sein …« Sie hielt die Hand auf, doch ihr Begleiter fand mit schlafwandlerischer Sicherheit auf Anhieb den richtigen Schlüssel und öffnete die Tür. Er schob Charlotta vor sich her. Bevor er ihr folgte, sah er noch einmal die Straße rauf und runter.

Endlich standen sie in ihrer Wohnung. »Rob, was ist los?« Ihr Rücken schmerzte schon wieder, und sie versuchte, möglichst unauffällig ihre Wirbel zu dehnen.

»Du hast …« Er verstummte. »Bitte gib mir einen Moment, meine Gedanken zu sortieren. Setzen wir uns doch hin … vielleicht setzen wir uns in Ruhe hin und trinken einen Schluck oder … wir …«

Irritiert sah Charlotta ihn an. Sie würde sicherlich nicht so weit gehen wollten, zu sagen, dass sie den Mann kannte, der da in ihrem Flur stand. Aber sie wusste, dass er sich plötzlich komplett anders verhielt als die Male, die sie ihn vorher gesehen hatte. Unsicher wies sie auf die Tür zum Wohnzimmer und wandte sich zur Küche um.

Als sie mit einer Flasche Wasser und zwei Gläsern in der Hand zurückkam, saß Rob in ihrem Wohnzimmer. Nicht auf der Terrasse? Nun, vielleicht wollte er bei dem, was er ihr zu erzählen geplant hatte, nicht belauscht werden. Er schien, seinem Verhalten nach zu urteilen, irgendwelche Verfolger zu fürchten. Paranoid? Hat der auch was eingeschmissen oder geraucht? Was ist denn heute los mit den Männern?

Charlotta goss die Gläser voll und setzte sich Rob gegenüber. Erwartungsvoll sah sie ihn an, gespannt, was sie jetzt erfahren würde.

»Entschuldige, du hast neulich gesagt, du hättest auch Saft. Bist du so nett …«

»Klar!« Charlotta sprang auf, um das Gewünschte zu holen. Sie goss ihm einen Schuss in sein Glas, nach kurzem Zögern tat sie bei ihrem das Gleiche. Nervös nahm sie einen großen Schluck – und verzog das Gesicht. Irritiert nahm sie die Saftflasche in die Hand. »Ich weiß nicht, ob der schlecht ist, aber der schmeckt irgendwie komisch. Probier du mal vorsichtig.« Sie nahm noch einen weiteren kleinen Schluck und verzog erneut das Gesicht. Dann stellte die das Glas auf den Tisch. »Apropos komisch. Was ist hier eigentlich los, Rob? Du verhältsss dich ganz komsch … kommsch … na ja und jetz kucks du auch … Rob, was is los???« Panik und Verstehen traten in Charlottas Augen. Sie verlor die Kontrolle über ihre Zunge, das Wohnzimmer verschwamm … »Nein, nein, neiiin!«

Die Matratze war hart. Es war hell im Raum. Sie lag nicht in ihrem Bett und auch nicht in ihrem Schlafzimmer.

Der alte Mann mit dem faltigen Gesicht kam durch den Raum auf sie zu. Er sprach kein Wort, sondern sah sie nur freundlich an, legte eine Hand auf ihre Stirn und fühlte mit dem Fingerrücken ihre Wange.

Sie schien krank zu sein? Aber wie ein Krankenhauszimmer sah das hier auch nicht aus.

»Schlaf noch ein bisschen«, hörte sie seine ruhige Stimme, und sie tat, was er sagte. Ein seltsamer Traum.

WOLF CALL

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