Читать книгу Ich will brennen - Jasmin Winter - Страница 9

Kapitel 7

Оглавление

„Wenn das Liebe ist, warum bringt es mich um den Schlaf?“ - Glashaus

Aber noch war es nicht so weit und ich lebte weiter mein stürmisches Leben. Gemeinsam mit Miri – und auch ohne sie – verbrachte ich geniale Abende im Jugendtreff Hängematte und im Happy Rock, bei denen wir uns den ein oder anderen Typen quasi teilten und ich darüber hinaus immer auf der Suche nach neuen „Verehrern“ war. Dass ich aber eigentlich vergeben war, spielte dabei nur eine sehr geringe Rolle. Meine Knutschereien liefen zwar heimlich ab, ein schlechtes Gewissen hatte ich jedoch überhaupt nicht. Im Gegenteil: ich war sehr stolz auf meine zahlreichen Knutsch-Eroberungen und auch, dass wir inzwischen zu den richtig „Coolen“ gehörten. Es waren viele verrückte Aktionen, wie mit älteren Jungs, die wir natürlich vom Sehen kannten, von Party zu Party durch die Gegend zu fahren, immer mit dem Ziel, im Happy Rock zu landen. Letzten Endes erkannte ich aber selbst, dass mein ganzes Leben ein Witz sei. Vermutlich hatte Felix von meinen heimlichen Aktionen dann doch mehr mitbekommen als ich dachte und beendete unsere „Beziehung“. Zunächst war ich gekränkt, dann aber auch erleichtert. Ich war wieder frei und es gab doch schließlich noch so viel zu erleben. Wenngleich mein Herz sowieso nur einem gehörte.

Die nächste Party fand bei mir zu Hause statt, zu meinem 17. Geburtstag. Die ganze Clique inklusive Neu-Single Vincent war bei mir versammelt und ich suchte mir dennoch wieder einen meiner Happy Rock-Jungs aus zum Knutschen und nahm ihn sogar mit in mein Zimmer. Da ich aber zu viel getrunken hatte, mussten wir unser Schäferstündchen frühzeitig beenden und nachdem ich etwas geschlafen hatte, gesellte ich mich wieder zu den anderen. Miri schlief in meinem Zimmer und die verbliebenen Partygäste waren mein Cousin, Alex und Vincent. Sie suchten sich ihre Schlafplätze und ich stand mit Vincent vor einer Matratze. Schüchtern fragte ich ihn, ob wir da beide zusammen darauf passen würden. Anstelle einer Antwort umarmte er mich, sah mir lang in die Augen, hielt inne und dann küsste er mich. Wow! Endlich! Mein Herz klopfte und die Schmetterlinge in meinem Bauch tanzten wie verrückt.

Leider sollte dies aber noch nicht das lang ersehnte Happy End unserer Geschichte sein. Mir fiel es immer noch sehr schwer, mich einer monogamen Beziehung hinzugeben. Ich spürte viel zu sehr den Drang nach Freiheit und – wie Vincent es nannte - „Ausleben“. In mir herrschte ein Zwiespalt: ich wollte ihn wirklich, andererseits war ich noch nicht bereit, weil ich das Gefühl hatte, ich würde dadurch eingeschränkt sein. Meine lang erkämpfte Freiheit und Unabhängigkeit wären dann verloren. So hing ich eine Zeitlang zwischen zwei Welten: meiner Party-Welt im Happy Rock und der Vincent-Welt. Wir verbrachten wunderschöne Abende zu zweit in seiner Wohnung mit leckerem Essen, Filmen und unschuldigen, zögerlichen Berührungen. Ich genoss es wirklich sehr und sehnte mich nach mehr. Vielleicht war es doch langsam an der Zeit, dem alten Leben Auf Wiedersehen zu sagen und den Sprung ins Neue zu wagen. Ich hoffte darauf, an seinem Geburtstag meinem Ziel einen Schritt näher zu kommen. Während der Feier hatten wir wenig Gelegenheit zu reden oder uns näher zu kommen. Als guter Gastgeber war er sehr beschäftigt und ich unterhielt mich mit anderen Gästen. Miri war natürlich auch da und verbreitete miese Stimmung, wie so häufig in letzter Zeit. Ich vermutete, dass sie nicht damit klarkam, dass ich inzwischen zu einer eigenständigen Person geworden war und auch sehr gut ohne sie zurechtkam. Als dann bereits der Morgen graute, nahm mich Vincent bei der Hand und wir gingen eng umschlungen in sein Bett. Dort redeten wir noch lange über unsere wachsenden Gefühle füreinander und die Schwierigkeiten, die uns im Wege standen. Vor allem sahen wir es problematisch, wie Miri darauf reagieren könnte (warum das damals so war, kann ich heute überhaupt nicht mehr nachvollziehen). Wir kamen dann zu dem Schluss, dass wir uns liebten, es die Umstände aber im Moment nicht zulassen würden. Beim Abschied später küssten wir uns sogar vor den verbliebenen Übernachtungsgästen. Plötzlich war mir klar: ich liebte ihn, ich wollte eine feste, monogame Beziehung mit ihm führen und würde ab sofort damit aufhören, mich für andere Jungs zu interessieren. Es dauerte noch einige Wochen, bis wir es dann endlich offiziell machten und unseren Freunden, auch Miri, davon erzählten. Ich schwebte im siebten Himmel und war verliebt wie nie. Das erste Mal in einem Leben wurde meine Liebe erwidert und es war das Schönste, was ich mir nur vorstellen konnte.

Heute

Beim Gedanken an unsere fantastische Liebesgeschichte müssten mir eigentlich die Tränen kommen. Ich bin zwar sehr traurig über das Ende unserer Liebe, kann aber nicht weinen, ich fühle mich leer und abgestumpft. Um die Geschichte zu verarbeiten und damit abzuschließen, verfasse ich einen Brief an Vincent, den ich natürlich nie abschicken werde. Vielleicht kann ich so meinen Frieden damit schließen. Es plätschert weiter mit verschiedenen Therapien dahin: nun muss ich statt Gymnastik zur Gestalttherapie, was mir überhaupt nicht passt. Darin sehe ich kein Talent bei mir und das macht mich wütend, sodass überwiegend Bilder mit rot-schwarzen Wutspritzern Ergebnis der Therapiestunden sind. Mein Gewicht klettert weiter nach oben und ich beschäftige mich mit meinen Ängsten, allen voran der Angst vor dem Dicksein, gefolgt von der Angst vor der Zukunft, das Studium nicht zu schaffen, keinen Job zu bekommen oder überhaupt in meinem Leben zu scheitern. In der Freizeit gehe ich mit den Mädels ins Kino, an den See oder einfach nur so in der Stadt spazieren oder wir gucken gemeinsam „Desperate Housewifes“ und „Deutschland sucht den Superstar“.

Mit Andi, der ja aktuell mein Freund ist, gibt es jetzt immer häufiger Streit am Telefon. Er macht mir Vorwürfe, dass ich egoistisch sei und er daran kaputt ginge. Auch im Chefarztgespräch thematisiere ich das und dieser ist der Meinung, dass Andi immer eine Art Retter oder Held für mich war und nun kann ich mir selbst ganz gut helfen, also brauche ich ihn nicht mehr. Das könnte in ihm ein Gefühl der Nutzlosigkeit auslösen und die ganze Beziehung in Frage stellen, weil er mit der neuen Situation nicht zurechtkommt. Je gesünder ich werde, desto gleichberechtigter werden wir sein. Das ist für uns beide eine neue Erfahrung und wir müssen uns damit erst einmal zurechtfinden. Als Andi mich an einem Samstag besuchen kommt, versuchen wir uns auszusprechen. Wir entspannen im Erlebnisbad und können endlich offen über alles reden. So offenbart er mir, dass er Angst hätte, zurückzufallen in frühere Verhaltensweisen (Drogenmissbrauch), weil er sich sehr labil fühle. Er versichert mir zwar, das habe nichts mit mir zu tun, aber dennoch fühle ich mich schuldig und habe ein schlechtes Gewissen. Ich weiß aber auch, dass es nichts bringt, wenn ich mir den Kopf darüber zerbreche: jeder muss sich selbst helfen! Schon zwei Tage nach unserem Treffen streiten wir uns wieder am Telefon. Es geht ihm sehr schlecht und eigentlich müsste er für seine Klausuren lernen; was genau sein Problem ist, kann er mir aber nicht sagen. Immer öfter habe ich jetzt den Gedanken, dass er die Beziehung beenden könnte. Um das zu vermeiden, vereinbaren wir, etwas auf Abstand zu gehen und weniger Kontakt zu haben, schließlich geht es uns beiden immer schlechter damit. Viel lieber möchte ich mich ganz meinem Klinikleben widmen, wo ich mich mit den vielen lieben Menschen um mich herum immer wohler fühle.

Ich will brennen

Подняться наверх