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Achter Brief.
Von Clara.

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Sie besitzen mehr Liebe als Delicatesse, und verstehen es besser, Opfer zu bringen, als sie bei Anderen zu würdigen. Wie können Sie an Julie bei dem Zustande, worin sie sich befindet, im Tone des Vorwurfs schreiben? Und müssen Sie, weil Sie leiden, es gegen sie auslassen, die noch weit mehr leidet? Ich habe es tausend Mal gesagt, mir ist in meinem Leben noch kein so schmollsüchtiger Liebhaber vorgekommen wie Sie; immer gleich fertig, über Alles zu zanken, ist für Sie die Liebe nur ein Kriegszustand, oder, wenn Sie einmal folgsam sind, so thun Sie es nur, um sich hinterher zu beklagen, daß Sie es thaten. O, wie sind dergleichen Liebhaber zu fürchten, und wie glücklich schätze ich mich, daß ich immer nur solche gemocht habe, die man verabschieden kann, wenn man will, ohne daß es Jemanden eine Thräne kostet!

Glauben Sie mir, Sie müssen Ihre Sprache gegen Julie ändern, wenn Sie sie am Leben erhalten wollen; es ist zu viel für sie, ihren eigenen Schmerz und Ihre Unzufriedenheit zugleich zu ertragen. Lernen Sie einmal dieses zu empfindliche Herz schonen; Sie sind ihr den liebreichsten Zuspruch schuldig; hüten Sie sich, die beiderseitigen Leiden durch Klagen zu vermehren, oder schütten Sie wenigstens Ihre Klagen nur gegen mich aus, die ich allein die Urheberin Ihrer Entfernung bin. Ja, mein Freund, Sie haben recht gerathen; ich habe ihr den Entschluß eingegeben, den ihre bedrohte Ehre erheischte, oder vielmehr ich habe sie gezwungen, ihn zu ergreifen, indem ich die Gefahr übertrieb; ich habe auch Sie überredet, und Jeder hat seine Schuldigkeit gethan. Ich habe noch mehr gethan, ich habe sie davon abgebracht, die Vorschläge Milord Eduards anzunehmen; ich habe mich Ihrem Glücke in den Weg gestellt, aber Juliens Glück ist mir mehr werth als das Ihrige; ich wußte, daß sie niemals glücklich werden könnte, nachdem sie ihre Eltern in Schande und Verzweiflung gestürzt hätte, und ich kann mir auch in Ihrer Seele nicht recht vorstellen, wie Sie sich ein Glück auf Kosten des ihrigen möglich denken.

Wie dem nun sei, das ist meine Handlungsweise, das, was ich Ihnen zu Leide that, und da es Ihnen Vergnügen macht, die Leute, welche Sie lieb haben, auszuschelten, so haben Sie nun Grund und Ursache, sich an mich allein zu halten; wenn Sie damit nicht Ihrer Undankbarkeit ein Ende machen, doch wenigstens Ihrer Ungerechtigkeit. Ich für mein Theil, mögen Sie sich stellen, wie Sie wollen, werde gegen Sie stets dieselbe bleiben; Sie werden mir so theuer sein, als Julie Sie lieben wird, und ich würde sagen, mehr, wenn das möglich wäre. Ich bereue es nicht, daß ich Ihre Liebe weder aufgemuntert noch bekämpft habe. Der reine Eifer der Freundschaft rechtfertigt mich gleichermaßen in dem, was ich für, und in dem, was ich wider Sie gethan habe; und wenn ich bisweilen einen vielleicht lebhafteren Antheil an Ihrer Liebe nahm, als es mir zu ziemen schien, so genügt das Zeugniß meines Herzens, um mich darüber ruhig zu fühlen; ich werde mich nie der Dienste schämen, die ich meiner Freundin habe leisten können, und ich habe nichts zu bedauern, als daß sie nichts gefruchtet haben.

Ich habe nicht vergessen, was Sie mir früher über die Standhaftigkeit des Weisen im Mißgeschick lehrten, und ich könnte Ihnen, wie mich dünkt, einige Maximen sehr zur Zeit ins Gedächtniß rufen; aber Juliens Beispiel belehrt mich, daß ein Mädchen in meinem Alter für einen Philosophen in dem Ihrigen ein eben so schlechter Lehrer als eine gefährliche Schülerin ist; und es würde mir ja nicht wohl anstehen, meinem Lehrer Unterricht zu geben.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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