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Neunter Brief.
Milord Eduard an Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Der Sieg ist unser, reizende Julie; ein Irrthum hat unseren Freund zur Vernunft gebracht. Die Scham, einen Freund einen Augenblick verkannt zu haben, hat seine Wuth verscheucht und ihn so lenksam gemacht, daß wir nun mit ihm Alles werden machen können, was wir wollen. Ich sehe mit Vergnügen, daß die Schuld, welche er sich vorwirft, ihm mehr Bedauern als Kränkung hinterläßt, und daran, daß er in meiner Gegenwart demüthig und beschämt, nicht aber verlegen und gedrückt ist, erkenne ich, daß er mich liebt [Vergl, die Erfahrung, die Rousseau an sich selbst gemacht hat, „Bekenntnisse" Th. 3. S. 95.]. Er fühlt seine Ungerechtigkeit zu sehr, als daß ich sie ihm nachtragen könnte, und ein Unrecht, so erkannt, macht Dem mehr Ehre, der es wieder gut macht, als Dem, der es vergiebt.

Ich habe diese Umwälzung und die Wirkung, welche sie hatte, benutzt, um mit ihm einige Abrede zu nehmen, die nothwendig war, bevor wir uns trennen; denn länger kann ich nun meine Abreise nicht aufschieben. Da ich nächsten Sommer zurückzukehren gedenke, so sind wir übereingekommen, daß er mich in Paris erwarten solle, und daß wir dann mit einander nach England gehen. London ist der einzig würdige Schauplatz für bedeutende Talente und wo sich ihnen die weiteste Laufbahn öffnet [Dieser Mann ist auf wunderliche Art für sein Vaterland eingenommen; denn ich habe nicht gehört, daß es ein Land auf der Welt giebt, wo im Allgemeinen Fremde weniger gut aufgenommen sind und größere Hindernisse finden, fortzukommen, als gerade England. Die Sinnesart der Nation ist ihnen in keiner Hinsicht günstig, die Regierungsform ist von der Art, daß sie zu nichts gelangen können. Man muß freilich auch sagen, daß der Engländer auswärts auf eine Gastlichkeit keinen Anspruch macht, die er daheim dem Fremden nicht gewährt: an welchem Hofe außer dem zu London sieht man diese stolzen Insulaner elend kriechen? in welchem Lande außer ihrem eigenen gehen sie darauf aus, sich zu bereichern? Sie sind hart, ja! aber diese Härte mißfällt mir nicht, wenn sie mit Gerechtigkeit Hand in Hand geht. Ich finde es ganz gut, daß sie blos Engländer sind, da sie kein Bedürfniß haben, Menschen zu sein.]. Die seinigen sind in vieler Hinsicht überlegen, und ich verzweifle nicht daran, ihn in kurzer Zeit mit Hülfe einiger Freunde einen Weg machen zu sehen, wie es seine Fähigkeiten verdienen. Ich werde Ihnen meine Aussichten ausführlicher darlegen, wenn ich bei Ihnen durchkomme. Inzwischen sehen Sie wohl ein, daß man mit Hülfe von persönlichen Erfolgen viele Schwierigkeiten heben kann, und daß es Stellungen im Leben giebt, welche die Geburt aufwiegen können, selbst in den Augen Ihres Vaters. Dies ist, wie mir scheint, das einzige Mittel, das noch zu versuchen übrig bleibt, um Ihr und sein Glück herbeizuführen, da euch das Schicksal und die Vorurtheile jedes andere geraubt haben.

Ich habe Regianino geschrieben, er solle mit der Post hierher kommen; ich will ihn mir die acht bis zehn Tage, welche ich noch bei unserem Freunde bin, zu Nutze machen. Des Letzteren Schwermuth ist zu tief, um für Zerstreuungen viel Raum zu lassen. Die Musik wird die Zwischenräume, in denen man sich nichts zu sagen hat, gut ausfüllen, ihm Freiheit lassen, zu träumen, und seinen Schmerz allmählig in Wehmuth umwandeln. Diese Gemüthsverfassung erwarte ich, um ihn sich selbst zu überlassen: eher möchte ich nicht trauen. Was Regianino betrifft, so werde ich ihn Ihnen bei meiner Durchreise da lassen und ihn erst wieder mitnehmen, wenn ich aus Italien zurückkomme; dann hoffe ich nach den Fortschritten, die ihr schon beide gemacht habt, werdet ihr ihn nicht mehr brauchen. Für den Augenblick ist er Ihnen sicherlich unnütz, und ich entziehe Ihnen nichts, wenn ich ihn Ihnen auch einige Tage wegnehme.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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