Читать книгу der dämon und die lethargie - Jeanette Y. Hornschuh - Страница 12

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5.

Ich schließe meine Augen. Es knirscht zwischen meinen Zähnen. Ein angenehmer Schauer überkommt mich. Dieses Knirschen und das leise Knistern und Rauschen des Kaminfeuers - es ist nichts anderes zu hören als dieser Wohlklang. Langsam öffne ich die Augen und schaue auf den kleinen messingfarbenen Kerzenhalter, der auf dem truheartigen Wohnzimmertisch steht. Der Halter ist nichts Besonderes. Er sieht aus wie eine kleine Schale, auf die jemand einen geschwungenen Miniaturkelch geklebt hat. Die unregelmäßige Rundung der Schale wird am Rand von einem kleinen Ring durchbrochen, der als Griff fungiert. Eine schmale, honigfarbene Kerze steckt im Halter. Die kleine Flamme der Kerze tanzt ruhig hin und her. Wie lange war es schon her, dass ich eine Kerze in diesem Halter habe brennen sehen? Das letzte Mal saß ich ebenfalls einem Jäger gegenüber… Das letzte Mal… es war ein harmonischer ruhiger Abend… Heute fühlt es sich seltsam an, daran zu denken.

Als das Knirschen zwischen meinen Zähnen abnimmt, greife ich in die kleine Dose auf dem Beistelltisch neben mir, angle ein Stück Zucker heraus und lege es mir auf die Zunge. Der penetrant-süße Geschmack, der mich immer ein wenig anekelt paradoxerweise aber gleichzeitig auch ein seltsam wohliges Gefühl in mir auslöst, hinterlässt ein leichtes Prickeln auf meinen Lippen.

„Mh…“ - ich gebe einen zufriedenen Laut von mir und schaue von meinem Sessel aus zu Traian herüber. Summend starrt er auf das Buch, das er sich auf seinen Schoß gepackt hat. Es behandelt die Pflanzenzucht. Irgendwie seltsam ist das schon - warum beschäftigt er sich auf einmal mit diesem Thema? Vielleicht ist es auch gar nicht so sehr die Naturkunde selbst, die ihn interessiert, als vielmehr der Drang, sich überhaupt mit irgendetwas zu beschäftigen. Und viele abwechslungsreiche Themen hat das hiesige Bücherregal nicht gerade zu bieten.

Mein Blick wandert zum Fenster. Vor ein paar Augenblicken noch leuchtete der Himmel als wäre er in Brand gesteckt worden. Rosa, Rot, Orange, Gelb, Blau… die gelbe Scheibe dort oben hat heute eine wahrhaft atemberaubende Show geliefert, bevor sie am Horizont verschwunden ist. Von den prächtigen Farben ist jetzt allerdings nicht mehr viel zu sehen. Bald wird das Schwarzblau des Nachthimmels die letzten rosafarbenen Fäden vertreiben, die noch vereinzelt über den Horizont hinwegziehen. Auch wenn der Zucker in meinem Mund eine süße Verzückung in mir aufschwämmen lässt, werde ich doch stetig unruhiger. Traian und ich hatten wirklich lange für den kleinen Ausflug zum Dorf gebraucht. Einige Pausen hatten wir einlegen müssen, auf dem Rückweg noch mehr als auf dem Hinweg, sodass wir erst am frühen Nachmittag wieder heimgekehrt waren. Seit unserer Rückkehr sitzt er nun mit ausgestreckten Beinen auf dem Sofa und erholt sich. Er wirkt sehr müde und doch zeichnet ein zufriedenes Lächeln sein Gesicht - zurecht, wie ich finde, denn er hat die ganze Strecke ohne Hilfe bewältigt. Es ist nur ein kleiner Erfolg, aber es ist ein Erfolg.

Hastig schlucke ich den süßen Brei, der sich beim Auflösen des Zuckerwürfels in meinem Mund gebildet hat, hinunter und versuche damit auch den Gedanken runterzuschlucken, dass ich heute einem Jäger geholfen habe, den ersten Schritt zurück in ein normales Leben zu machen. Aber ich mache es ja, damit er in der Lage ist, sich im Notfall zu verteidigen… Was ist es wohl, das Traian dazu antreibt, die Jägergabe auszuüben? Bei Levian ist es die krampfhafte Überzeugung, jeden beschützen zu müssen. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass Traian der Typ ist, der sich um die Seinen derart sorgt…

Sich sorgen… wieder starre ich zum Fenster hinüber.

„Kann es denn wahr sein…“ brubbelt der Jäger vom Sofa aus nun, die Augen weiter aufs Buch geheftet.

„Mh?“

„Naja… er braucht einfach ein wenig Zeit für sich allein.“ meint Traian in einem seltsamen Tonfall.

Ich denke einen Augenblick über das Gesagte nach. Erst nach ein paar Sekunden begreife ich, worauf er hinauswill. Hng… Wütend stampfe ich meine Füße auf den Boden, greife nach der Zuckerdose und verschwinde Richtung Küche.

Ungehindert fährt er fort: „Du hast doch selbst zugegeben, dass es gut ist, wenn…“

„Sei endlich still!“ unterbreche ich ihn. Ja, es kann schon sein, dass Levian sein ZeitfürsichalleinAusflug guttut, aber… hng…!!! Etwas zu überschwänglich knalle ich die Zuckerdose auf das Wandboard. Sie bleibt zum Glück dennoch heil. Es ist besser so, dass ich sie wegstelle, denn sonst wäre der ganze Zucker, den Traian im kleinen Dorflädchen für uns ergattert hat, schon an einem Abend aufgebraucht… Missmutig stapfe ich nun zurück zum Sessel und lasse mich drauf plumpsen. Eine Weile lang starre ich ins Kaminfeuer, während Traian sich weiterhin summend seinem Buch widmet. Dann fange ich an, an der Sessellehne herumzupopeln. Ich ziehe einen Faden aus dem gestreiften Stoff und starre auf das immer größer werdende Loch in der Lehne. Dann starre ich zum Kerzenständer, auf den Kamin, zu Traian, wieder zum Kerzenständer… nicht zum Fenster……… Es gleicht einem Kampf - sich zu zwingen, den Blick nicht Richtung Fenster zu wenden.

Schließlich gebe ich doch auf… Ja, ich gebe es zu: Levians Abwesenheit versetzt mich in Unruhe. Gerade heute sollte ich dabei doch froh sein, ihn nicht sehen zu müssen. Nachdem, was gestern vorgefallen ist… Hng… Aber es geht nicht… Ich will mich ja gar nicht sorgen… um diesen ichbezogenen Einsiedler… Ihm ist es schließlich auch egal, wie wir uns fühlen…

Ich will es nicht…

Aber ich kann nichts dagegen tun.

Arg… es ist ein so entsetzliches Gefühl…

Ich brauche etwas Ablenkung…

„Sag mal, Jäger, was ist das für ein Lied, das du immer summst?“ platzt es schließlich aus mir heraus.

Die Antwort interessiert mich nicht wirklich, aber was anderes fällt mir nicht ein, um mich von dieser Endlosschleife meiner Gedankenwelt abzulenken…

„Es ist eine alte Jägerweise.“ antwortet Traian und blättert weiter summend im Buch.

„Aha… so, so… und von was handelt die Weise?“

„Von einem Jäger, der von den Menschen keine Gaben erhält und schließlich den Hungertod stirbt.“

Meine Gesichtszüge entgleisen mir. Hat er das gerade ernsthaft gesagt?

„Wa… was?“ stammle ich entrüstet, aber da fängt er tatsächlich und wahrhaftig an zu singen:

„…die Teufel allein, sie schwinden nicht,

die Gaben dein niemand verspricht.

Das Brot ist welk, das Wasser gar schal,

der Jäger schwindet in ewig‘ Qual.“

Mit aufgerissenen Augen starre ich ihn an, unfähig etwas zu sagen. „Was ist?“, fragt er irritiert, „Kennst du das denn nicht? Ist ein ziemlich altes Lied…“

Ich schlucke hart und antworte schließlich: „Ist… ist es nicht etwas seltsam, dass gerade DU so etwas vor dich hin summst?“

Doch anscheinend bin ich da mit meiner Meinung allein. „Was? Warum denn?“ entgegnet er verständnislos. Aber ich kann nur den Kopf schütteln. Mit krausgezogener Stirn betrachte ich den grünäugigen Jäger, dem in der Stadt wirklich alles von den dortigen Bewohnern zu Füßen gelegt wurde: die feinsten Restaurants konnte er kostenfrei besuchen, die beste Kleidung wählen und in einer Villa schlafen, in der dieses kleine Backsteinhaus bestimmt zehnmal reinpassen würde. Dann denke ich an Levian, der sich immer nur das Nötigste von der im Vergleich zu den Stadtbewohnern wesentlich ärmeren Landbevölkerung nimmt. Ich denke an seine löchrigen Shirts, zerschlissenen Jacken und abgewetzten Hosen. Wie oft schon habe ich gesehen, dass zwei verschiedene Paar Socken aus seinen Schuhen lugen, einfach nur, weil er vermutlich kaum ein zusammenpassendes Paar besitzt. Und ich denke an dieses kleine Haus hier und die vielen morschen Stellen auf dem Dach, die herunterhängende Regenrinne, die zahlreich abgeplatzten Ziegel, die grüne Haustür, von welcher der Lack schon abblättert… Wenn ich je einmal der Meinung sein sollte, Ironie in seiner reinsten Form zu erleben, dann sollte ich mich an diesen Moment zurückerinnern, denn jetzt gerade schreit mir die Ironie so laut in die Ohren, dass es schmerzt. Ich starre auf den kleinen Kerzenhalter. Nein… dieser Abend hier… er hat so rein gar nichts mit dem ersten Abend gemein, den ich damals mit Nileyn bei Kerzenschein verbrachte. Er ist weder harmonisch, noch ruhig…

Oder… liegt es etwa nur an mir, dass ich diesen Eindruck habe…?

„Eher nicht…“ murmle ich zu mir selbst. Im selben Moment vernehme ich von draußen das Geräusch von sich nähernden Schritten. Die Haustür öffnet sich. Ein kalter Windhauch bläht sich im Raum auf und treibt einzelne Flocken hinein. Mein blonder Jäger steht verhüllt im Eingangsbereich und klopft sich den Schnee von den weizenblonden Haaren.

„N’abend Levian!“ grüßt Traian seinen Freund.

Levian zieht sich die Schuhe aus und schaut in unsere Richtung. Als sich unsere Blicke treffen, versuche ich ein möglichst gleichgültiges Gesicht aufzusetzen, aber ich merke, wie wenig Erfolg ich damit habe… verdammt…

„Mh…“ erwidert er zum Gruße, durchschreitet den Hauptraum und ist auch schon in seinem Zimmer verschwunden.

Ich seufze.

Traian klappt sein Buch zu: „Tja, das heißt dann wohl gute Nacht.“

Tiefe Falten bilden sich auf meiner Stirn. Vermutlich hat er auch gewartet, um sich zu vergewissern, dass Levian heil nach Hause zurückkehrt.

„Also es ist schon…“ hebe ich an, aber dann halte ich inne. Es war ein anstrengender Tag - für jeden von uns. Über Themen wie Ironie und Empathie können wir uns sicherlich auch ein anderes Mal unterhalten. Traian schaut mich teils skeptisch, teils erwartungsvoll an.

„Uff… Äh, dir auch eine gute Nacht?“ winke ich nun ab.

„Danke?“ gibt er im selben Tonfall zurück.

Kurz darauf ist auch er in seinem Zimmer verschwunden und ich bleibe allein im Wohnzimmer zurück. Wieder sitze ich hier und betrachte die stetig kleiner werdende Flamme, die auf der Kerze kämpft. Ich erhebe mich vom Sessel und entscheide mich sie dieses Mal auszupusten, bevor die Kerze ganz runter gebrannt ist.

Das Ziehen in mir… jetzt wo ich allein hier sitze, nimmt es wieder zu… Ich versuche mich von dieser packenden Unruhe abzulenken, indem ich etwas im Wohnraum umherlaufe, vorbei am Kamin mit dem runden Sims… Früher standen hier kleine Schalen und Kerzenhalter direkt vor der steinernen Kaminumrandung, aber das alles wurde nun weggeräumt… Hinter dem Sofa ziert eine alte schiefe Vitrine den Raum. Ich betrachte die Wand daneben. Viele dunkle Stellen sind hinzugekommen, Stellen, an denen mal Bilder hingen.

„Hnggg…“ es kostet mich viel Kraft… mich zu beherrschen… Gequält wende ich den Blick ab und schreite weiter Richtung Küche… Jeder meiner Schritte wird so unendlich schwer. Als ich über den Dielenweg laufe, der zum hinteren Bereich des Hauses führt, werde ich immer langsamer. Meine Gedanken rasen dahin… Wie in Trance laufe ich an der Küche vorbei, weiter zu Levians Zimmer. Leise stelle ich mich vor die Tür. Meine Hand gleitet zitternd über das dunkle Holz, ich schaffe es nicht mich loszureißen… Sooft schon bin ich durch diese Tür geschritten. So vertraut ist mir das geschwungene Muster auf der alten metallschwarzen Klinke. Ich stehe hier in der tiefsten Dunkelheit. Absolute Stille umgibt mich. Dann übermannt es mich… dieses heulende Kribbeln… Ich drücke die Klinke herunter und trete ins Zimmer hinein. Levian liegt auf dem Rücken, die Decke bedeckt gerade noch einen Teil seines rechten Beins. Es bereitet mir Mühe, mich so weit zu beherrschen, um die Tür leise zu schließen. Ich gehe einen Schritt in den Raum hinein. Seine Atmung ist ruhig und gleichmäßig. Ich gehe noch zwei Schritte, noch einen Schritt … Dieses entsetzlich drängende Gefühl… es ist so intensiv… Angespannt stehe ich da und starre zu seinem Bett herüber. Sein Mund ist ein wenig geöffnet, die Augen verharren dieses Mal ruhig unter den geschlossenen Lidern. Ich beiße die Zähne zusammen und blicke zum Dielenboden, genau zu der Stelle vor dem weißen Schrank, die mir so vertraut ist…

Der Klang seiner Atmung verändert sich, er wird unruhig. Ich beobachte, wie er mit der Decke kämpft. Schließlich dreht er sich auf die Seite, mit dem Rücken zu mir.

Wieder ist der gleichmäßige Rhythmus zu hören.

Ich schließe die Augen, stehe einfach nur da und lausche diesem Klang. Obwohl er dort unten in seinem Bett liegt, ist mir, als würde dieses Geräusch direkt neben meinem Ohr erklingen. Alles andere um mich herum verliert an Bedeutung… Nach einer Weile weiß ich nicht mehr, wie lange ich eigentlich schon so verharre… Dann raschelt es erneut vor mir. Als ich meine Augen öffne, sehe ich, dass Levian die Decke nun ganz weggetrampelt und sich umgedreht hat. Er liegt mit dem Gesicht zu mir… Ich stoße ein gequältes Seufzen aus, drehe mich nochmals zu der Stelle am Boden und wieder zurück zu seinem Bett… Schließlich tue ich es doch… Wie schon so unzählige Male lasse ich mich auf meinem Stammplatz nieder. Resigniert lasse ich mein Kinn auf meine Knie fallen… Ich beobachte sein Gesicht, lausche weiter seiner Atmung… doch…

…das treibende Gefühl will nicht ganz verschwinden…

„Wann wachst du endlich auf?“ murmle ich.

Aber ich bin mir nicht ganz sicher, wem von uns beiden ich diese Frage stelle…

der dämon und die lethargie

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