Читать книгу der dämon und die lethargie - Jeanette Y. Hornschuh - Страница 14
Оглавление7.
Erste Sonnenstrahlen wärmen meine Haut. Ich sitze auf dem Dach des kleinen Backsteinhauses und betrachte den Horizont. Unzählbare Sonnenaufgänge habe ich während meiner nicht enden wollenden Existenz auf dieser Erde schon gesehen. Man könnte meinen, dieser Anblick würde im Laufe der Zeit an Reiz verlieren. Doch tatsächlich ist dies eines der wenigen Bilder, an denen man sich nie sattsehen kann. Aber auch wenn die Farben dort am Himmel noch so sehr leuchten, sie vermögen es heute nicht die Melancholie zu vertreiben. Dieser Ort hier… Es ist als würde die Zeit an diesem Ort stillstehen. Ein ewiger Winter, der alles in Starre versetzt. Ewig trauern wir, ewig warten wir auf bessere Zeiten…
Vor kurzer Zeit noch war ich froh, dass Levian aufgrund seiner depressiven Stimmung davon abgegangen war, einen Weg zu suchen, um seinen Bann von mir zu lösen. Heute jedoch könnte ich nicht mehr sagen, was mich daran froh gestimmt hat. Alles wäre besser als diese Lethargie, die ihn gefangen hält. Selbst einem ,Dämon‘ gleich scheint sie sich in sein Herz zu fressen, sie lähmt ihn nahezu, lässt ihn erkalten. Diese Ausflüge, die er nun seit Kurzem unternimmt… Langsam beschleicht mich das Gefühl, dass ich mich geirrt habe… Dass Levian nun draußen umherläuft ist kein Zeichen dafür, dass er sich schon ein Stück weit aus diesem tiefen Loch herausziehen konnte. Vielmehr ist es ein Zeichen dafür, dass er tiefer drinsitzt als je zuvor. Mit zusammengebissenen Zähnen betrachte ich meine vibrierenden Hände. Im Haus ertönt nun dumpf Traians Stimme: „Morgen, Levian!“
„Morgen.“ antwortet dieser knapp.
„Möchtest du noch was essen, bevor du losgehst? Oder vielleicht einen Tee? Ist zwar leider kein Zucker mehr im Haus, aber…“
Den Rest kann ich nicht verstehen, ich kann jedoch hören, dass Traians Stimme eine Spur Belustigung begleitet, als er den Zucker erwähnt. Levian antwortet irgendetwas, dann ist ein leises Rumpeln vom Eingangsbereich zu hören. Vermutlich zieht er sich gerade die Schuhe an. Als er die grüne Haustür öffnet, wirft Traian noch hinterher: „Pass auf dich auf!“, doch Levian erwidert nichts. Gleichmäßigen Schrittes läuft er durch den Vorgarten. Natürlich weiß er, dass ich mich noch irgendwo beim Haus befinden muss. Sein Jägerspürsinn verrät ihm, dass sich ein Untoter in seiner unmittelbaren Nähe aufhält. Aber es scheint ihn nicht sonderlich zu interessieren… Nachdem er das quietschende Gartentor hinter sich gelassen hat, schreitet er weiter den schmalen Weg entlang. Wieder trägt er seine dunkelgraue Winterjacke, obgleich noch ein dunkler Fleck den linken Ärmel ziert. Er hat nicht einmal versucht, das Blut seiner gestrigen Wunde herauszuwaschen - noch strahlender könnte die Einladung für einen Meinesgleichen nicht sein. Ich beiße mir kräftig auf die Lippe… Nicht nur, weil ich Levian in so einem Zustand sehe, auch weil Traian mit seiner Vorhersage gestern Abend Recht hatte. Ich werde ihn heute nicht bei der Zuckerbeschaffung begleiten…
Es ärgert mich, dass ich stattdessen den Wachhund für einen Jäger spielen muss, der mich aus tiefstem Herzen zu hassen scheint. Erst heute, wo ich darauf verzichten muss, fällt mir auf, was ich an der gemeinsamen Zeit mit Traian habe. Zumindest gibt er sich Mühe, unbeschwert zu wirken und manchmal kommt es mir vor, als würde ich meine Lasten wenigstens für einen Augenblick vergessen können, wenn er bei mir ist. Dieser Gedanke fühlt sich so zwiespältig an… denn… schließlich handelt es sich um Traian… Ich nehme mir vor, ihn nach meiner Rückkehr heute Abend dafür etwas mehr zu necken als sonst.
Nachdem Levian einige Entfernung zwischen sich und das Haus gebracht hat, springe ich vom Dach herunter. Als ich am Gartentor ankomme und es mit dem gewohnt lauten Quietschen öffne, schaue ich erwartungsvoll zum Haus zurück.
Aber nichts passiert…
Mh…
Irgendwie… hätte ich erwartet, dass Traian sich noch zeigt, um etwas zum Abschied zu sagen. Aber… das wäre nun wirklich mehr als albern… Ich werde ja nur ein paar Stunden weg sein. Energisch laufe ich den Pfad entlang, in dieselbe Richtung, in die Levian wandert.
Sein Weg führt ihn in einer langen Kurve Richtung Maels Gebiet. Erst wundere ich mich, warum er diese Richtung nicht gleich direkt eingeschlagen hat. Aber dann wird mir klar, dass er damit nur einen möglichst großen Umweg um das kleine Birkenwäldchen gehen will. Nachdem ich mich die letzten Wochen und Monate intensiv darauf getrimmt habe, dort die Fährte aufzunehmen, die Imees ekelerregendes Blut kennzeichnet, bin ich ganz froh darüber, dass er diesen Ort meiden möchte.
Langsam geht die weitläufige Felder- und Wiesenlandschaft in ein bewaldetes Areal über. Ich kenne diese Gegend nur zu gut… Vor nicht allzu langer Zeit bin ich hier entlanggekommen - als ich mich auf der Flucht vor dem Nomaden befand. Ein beklemmendes Gefühl steigt in mir auf. Um Levian zwischen den hohen Tannen nicht aus den Augen zu verlieren, muss ich ein Stück weiter aufschließen. Neben den prächtigen Wurzeln einer kürzlich erst umgestürzten Kiefer bleibt er abrupt stehen. Im gebührenden Abstand halte auch ich an. Gebannt beobachte ich ihn, aber er steht einfach nur da und macht nichts - weder sieht er sich um, noch setzt er sich hin, um eine Pause zu machen, oder gibt irgendein Zeichen von sich. Er steht wirklich einfach nur da…
…
Was soll das denn?! Warum macht er das?
…
Nach ein paar Minuten jedoch verstehe ich, was es mit diesem Verhalten auf sich hat… „Grrrr…“ ertönt es zwischen meinen Lippen. Ich balle meine Hände und laufe den Weg weiter entlang – direkt auf ihn zu…
Klar entgeht ihm als Jäger nicht, dass trotz Verlassen des Backsteinhauses immer noch die Präsenz eines Unsterblichen zu spüren ist. Aber… naja… ich hatte gedacht, dass er, nachdem er die letzten Monate ja nicht gerade sehr kontaktfreudig war, einfach sein Ding machen und mich wie auch sonst ignorieren würde.
Nun scheint mir, dass ich mich dahingehend getäuscht habe…
„Warum läufst du mir nach?“ grummelt Levian, kaum, dass ich nah genug bin.
„Das fragst du noch?“ gebe ich zurück. Etwa fünfzehn Schritte entfernt bleibe ich stehen. Bis jetzt hatte er mir den Rücken zugewandt, nun jedoch dreht er sich um. Kalt fixieren mich seine blauen Augen.
„Ich will allein sein.“ erklärt er mit einem abweisenden Ausdruck.
Als ich ein gleichgültiges „Aha.“ erwidere, ziehen sich seine Augenbrauen noch stärker zusammen.
„Geh!“ fordert er nun deutlich energischer.
„Nein.“ blaffe ich.
Seine Zähne schlagen vor Wut auf seine Unterlippe. Nun weiß er nicht, was er noch sagen soll.
Für einen kurzen Augenblick stiert er auf seine linke Hand.
„Was willst du machen?“, höhne ich, „Mich mittels Bann dazu bringen, dich in Ruhe zu lassen?“
Ein kurzes erschrockenes Zucken durchfährt ihn. Eine ganze Weile lang steht er so da, mit gesenktem Kopf, schweigend. Dann schließlich versucht er es in einem deutlich matteren Tonfall: „Ich will doch nur… ich brauche Zeit… verstehst du? Um meine Gedanken zu ordnen…“
An manch anderen Tagen hätte das sofort bei mir gezogen - doch nicht nach dem, was gestern passiert ist. Nein… heute bleibe ich stur: „Eine seltsame Umschreibung dafür, dass du dich umbringen lassen willst.“
„Was? Ich will mich nicht… Wie kommst du auf so einen Schwachsinn?! Nur weil ich einen kleinen…“
„Sag jetzt nichts von wegen ,kleiner Kratzer‘ - ich kann es nicht mehr hören! Nochmals: es ist mir egal, wie tief die Wunde war! Es geht darum, wo sie saß - und das allein sagt schon alles, was ich wissen muss! Niemand sonst außer jemand Meinesgleichen hätte die Bann-Hand eines Jägers als Ziel für einen Angriff gewählt!“
„Und wenn schon…“ murrt er leise, doch ich fahre bereits fort: „Und was hast du bitte getan, als derjenige dich angegriffen hat? Hast du dein Messer gezückt? Hast du dich verteidigt, Levian? Ich kenne dich! Glaub nicht, dass mir das alles entgeht! Du sahst gestern Abend nicht aus wie jemand, der sein Leben auf Teufel komm raus verteidigt hat. Du sahst eher aus wie jemand, der-“
„HÖR AUF DAMIT!“ schreit Levian nun wutentbrannt. Doch von einer Sekunde auf die andere interessiert mich das alles nicht mehr, denn ich nehme einen seltsam intensiven, modrigen Geruch wahr. Alarmiert sehe ich mich zwischen den hohen Tannen um, doch ich kann nichts Ungewöhnliches ausmachen. Mein Blick wandert zurück zu Levian und ein ersticktes „Nein…“ gleitet mir über die Lippen. Mit Entsetzen starre ich auf das porzellanartige Frauengesicht, das plötzlich neben meinem Jäger aufgetaucht ist. Ich sprinte los, auf Levian zu, stoße ihn davon und schleudere der Gestalt meine Faust entgegen.
„Hihihi!“ vibriert das furchtbar schrille Lachen der Frau in meinen Ohren, als sie sich geschickt wegdreht, auf den Ast einer hohen Tanne springt und im Nadelgewirr verschwindet.
Levian liegt am Boden, die Augen vor Schreck geweitet. Zähnefletschend stelle ich mich vor ihn und warte stumm auf den nächsten Angriff.
„Hihihi“, hallt es von den hohen Tannen wider, „Stimmt es, hübscher Jäger? Stimmt es, dass du den Tod suchst?“
Gern würde ich ihr etwas über ihre kindische Art zu kichern oder ihre idiotische Aufmachung - die blasse Frau trägt nichts als eine Art mehrlagigen, eierschalfarbenen Seidenmantel - an den Kopf werfen. Wenn ich jedoch während der Kämpfe an der Seite von Levian eines gelernt habe, dann ist es, dass man während eines Kampfes besser die Klappe hält. Und so stehe ich kampfbereit da und warte ab, dass sie sich zeigt. Als sie merkt, dass sie von uns keine Antwort zu erwarten hat, zeigt die Frau ihr grässlich puppenhaftes Gesicht. Selbst aus dieser Entfernung scheint das Rot ihrer Augen geradezu schreiend zu leuchten. Ihre dunklen Haare trägt sie zu einem Knoten, aus dem sich jedoch einige Strähnen gelöst haben. Endlich rappelt sich der Jäger hinter mir auf und zieht sein Kampfmesser. Heute scheint der Kristall, der den oberen hinteren Teil der Klinge umgibt und vom selben tiefen Blau ist wie Levians Male und Augen, seltsam klar zu leuchten.
„Hihihi, dann lass mich dir eine Frage stellen, bevor du dich der süßen Sehnsucht des Todes hingibst: hast du jemals geküsst?“
WAAAHAAAAAHAAAAAA?!!!!!!!!!!
Was… hat?!!!
Hnaaa?!!!
Fast überkommt mich ein Hustenanfall und ich kann fühlen, dass es Levian neben mir nicht anders geht.
„Hihihi, sag es mir, Jäger! Denn keiner sollte das irdische Leben aufgeben, bevor er nicht diesen süßen, einzigartigen Moment eines Kusses erleben durfte! Hihihi!“
Blärg! Ich gebe es ja zu: einige Exemplare meiner Gattung sind wirklich schräg. Es gibt Untote, die benehmen sich wie blutrünstige Tiere: fressen rohes Fleisch, geben seltsame Laute von sich - die ganze Palette - und ich will an dieser Stelle wirklich nicht erwähnen, was sonst noch so dazu gehört… Es gibt Exemplare, die kleiden sich nur mit dem, was die Natur zu bieten hat - oder auch nicht… - oder welche, die ständig vor sich hin sabbern, kreischen, stumm sind oder ununterbrochen faseln… Einmal habe ich einen Unsterblichen getroffen, der alles zwanghaft wiederholte, was ich sagte - das war vielleicht nervtötend… Aber so jemanden wie sie… Würde ich eine gedankliche Liste über irre Untote führen, würde diese Frau hier sehr, seeehr weit oben landen…
Immer noch stehen Levian und ich kampfbereit da und warten darauf, dass die Irre angreift. Aber… einiges an Konzentration hat dieses Gefasel schon vermocht, mir zu rauben… Hng… Hoheitsvoll stolziert die Untote auf einem Tannenast entlang. Bevor der Ast zur Spitze hin zu dünn wird, um ihr leichtes Gewicht zu tragen, springt sie hinunter auf den nächsten Ast und ist nach ein paar eleganten Sprüngen am Boden angekommen. Dort steht sie und zieht verwundert ihre bemalten Augenbrauen nach oben: „Nun, wie es scheint, bist du nicht gerade gesprächig, Jäger? Aber das musst du auch nicht… ich sehe es auch so…“, die Irre führt die rechte Hand an ihre rotverschmierten Lippen, „…dass dir das Leben noch einen ersten Kuss schuldig ist… Lass mich dir zeigen, wie das ist…“ Langsam beginnt sie auf uns zuzulaufen. Einen ersten Kuss schuldig……… Nrrrr… Ich spanne meine Beine an, atme aus und rase auf sie zu. Meine Hand schnellt auf ihr Gesicht zu, ich ziele mitten auf ihre ekelerregend roten Lippen. Doch sie rollt sich geschickt weg und hastet nun ihrerseits auf Levian zu. Das hatte ich befürchtet… Nicht nur, dass es sich um eine Untote mit solider Kampferfahrung handelt, sie scheint mich nicht nur konversationstechnisch, sondern auch kampftechnisch vollkommen zu ignorieren. Anscheinend falle ich nicht in ihr Beuteschema…
„Hnggggg, hiergeblieben!“ fauche ich und renne ihr hinterher. Gerade noch schaffe ich es, sie am Kragen zu packen. Aus der Drehung heraus saust mein Fuß auf ihre Beine zu, doch da lässt die irre Frau sich plötzlich fallen! Es scheint, als wäre jegliche Kraft aus ihr gewichen. Damit habe ich nicht gerechnet, mein Tritt geht damit ins Leere. Verblüfft lasse ich ihren Kragen los - hätte ich das doch nur nicht getan… „Hihihi“ ertönt es wieder schrill. Blitzschnell rappelt sie sich auf und saust abermals auf meinen Jäger zu. Die Art, wie sie sich dabei bewegt, erinnert an eine Marionette. Als würden ihre Gliedmaßen ihr nicht ganz gehorchen, zappelt sie über den Boden hinweg. Als sie bei Levian ankommt, hebt sie langsam ihre Hände empor, so als wolle sie sein Gesicht darin umschließen…
„ARRRRGGGG!!!“ quetsche ich erschrocken hervor und springe los. Fast schon berührt sie sein Gesicht… und er unternimmt……
…nichts.
Levian ist wie erstarrt. Manchmal… ja… manchmal, da hasse ich es, im Recht zu sein… Ihre Fingerspitzen berühren seine Wange… da erst beginnt sein Messer sich auf die Untote zuzubewegen. Gerade noch rechtzeitig trifft meine Faust ihre linke Gesichtshälfte und schleudert sie in einiger Entfernung zu Boden. Als ich kurz zu Atem komme, packe ich Levian an der Schulter: „BIST DU VERRÜCKT GEWORDEN?! Was zur Hölle sollte das denn?! So? So soll es enden, ja?!!! Hast du nicht eben noch vehement abgestritten, dass dich die Todessehnsucht befangen hat?!“
„Warum interessiert es DICH, ob ich getötet werde?!“ brüllt er nun wutentbrannt zurück. Entsetzt starre ich ihn an, unfähig etwas zu erwidern… Levian beißt sich gequält auf die Lippe und senkt den Blick auf das Messer in seiner Hand: „Ich hatte sie doch beinahe…“
„Hihihihi!“, kichert die Untote, während sie langsam beginnt sich zu erheben, „Nur den ersten Kuss, mehr musst du do-“ Weiter kommt sie nicht, da trifft sie schon meine rechte Faust direkt im Gesicht. Noch während des Schlags ergreift sie mit der linken Hand meinen Arm und hält mich fest. Zitternd und mit gesenktem Kopf fährt sie sich mit der rechten Hand über die Stelle, wo sie meine Faust getroffen hat. Ich versuche mich von ihrer Umklammerung loszureißen, doch ihre spitzen roten Nägel bohren sich tief in meine Haut. Hurrg… diese verdammte…! Als sie ihren Kopf hebt, kleben ihr blutgetränkte Strähnen im Gesicht. Überall zieren sie dicke rote Spritzer, die sich in einem harten Kontrast von ihrer weißen glänzenden Haut abheben. Der Anblick hat etwas Bannendes… Mein Schlag hat ihr eine Platzwunde verpasst, direkt an der Lippe… „Knnnnyyaaaaa! Duuuuuuu! Duuuu ekelerregendes Frauenzimmer!!!“ keucht sie nun unheilvoll. Ihre Nägel bohren sich immer tiefer in meine Haut.
„Lass mich endlich los!“ Ich trete mit dem Fuß nach ihrem Bauch und versuche mich gegen sie anzustemmen. Ein gespenstisches Heulen ausstoßend schreit die Frau: „Duuuu willst ihn für dich! Doch ich werde dir dein grässliches Gesicht zerfetzen, sodass er dich nie mehr ansehen wird!!!“
Ehrlich?! SIE nennt mich grässlich?! Aber es hat ja doch keinen Sinn mit dieser Irren zu reden… Ich versuche stattdessen weiter meinen Arm freizubekommen, aber ich komme einfach nicht von ihr los! Wutentbrannt kralle ich nun meine eigenen Nägel in ihre Hand, ihren Arm, ihre Schulter… vergeblich! Langsam hebt sie ihre freie Hand. Doch dann hält die Irre unerwartet inne.
Ihre Augen weiten sich, doch sie nehmen nichts mehr wahr.
Ihr Mund öffnet sich, doch kein Ton kommt mehr heraus.
Ein blaues Leuchten erglimmt… so strahlend blau, dass es mich schmerzt…
Direkt vor meinen Augen beginnt die Untote sich aufzulösen.
Sie löst sich auf…
SIE LÖST SICH AUF!
Ich starre auf ihre Hand, die mich immer noch gefangen hält - ihr Griff lockert sich kein Stück!
SIE LÖST SICH AUF!!!
In meiner wilden Todesangst versuche ich nun, ihre Nägel aus meiner Haut zu pulen. „LASS MICH LOS!!!“ schreie ich verzweifelt, der Schweiß rinnt mir die Schläfen herab, ich wüte wie ein wildes Tier.
Doch es ist zwecklos! Es ist zwecklos!
SIE LÖST SICH AUF! UND…
ICH…
ICH WERDE MICH MIT IHR AUFLÖSEN!!!!
Aus dem Augenwinkel heraus bemerke ich, dass Levian panisch auf mich zu stolpert, um mir zu helfen.
Ein intensiv blaues Flirren verzerrt die Luft, welche die Untote umgibt. Partikel sammeln sich auf ihrer Haut und werden davongetragen. Immer weiter…
Immer weiter…
„HGAAAAAAAAAAAA!“ In wilder Furcht zapple ich kreischend vor der Unbekannten. Ihre leeren Augen sind in die Ferne gerichtet.
Schließlich sinke ich auf meine Knie und flehe unter Tränen: „LASS MICH LOS! BITTE!!! LASS MICH… doch endlich… los…“
Das blaue Flirren umfasst ihre Hand…
Mein Oberkörper neigt sich dem Boden zu. „Bitte…, bitte…“ wimmere ich kraftlos.
Da endlich lässt sie mich frei. Hastig robbe ich weg von ihr. Erst als ich neben mir eine Regung wahrnehme, halte ich inne und blicke fassungslos zu der Frau herüber. Neben mir sinkt Levian zitternd zu Boden. Die Angst steht auch ihm ins Gesicht geschrieben. Ich atme in tiefen Zügen und wische mir über mein nasses Gesicht. Mein Herz pulsiert in einem viel zu schnellen Tempo, es durchzuckt regelrecht meinen Körper. Vorsichtig blicke ich mich um und entdecke den Jäger, der die irre Unbekannte zur Strecke bringt: es ist Mael. Blaue Wellen ergießen sich aus seinen Händen auf die Frau, bis schließlich nichts mehr von ihr übrig ist.
Ich blicke zum Himmel empor, wo die letzten Partikel, die ihren Körper bildeten, in die leere Dunkelheit entschwinden.