Читать книгу Soziokratie 3.0 – Der Roman - Jef Cumps - Страница 16

9 EINLADUNGSBASIERTE VERÄNDERUNG

Оглавление

Ich stehe extra früh auf. So kann ich mich mit Bernies Hausaufgabe beschäftigen, bevor ich zur Arbeit aufbreche. Ich will den perfekten Plan und entscheide, dass es zuerst eine klare Kommunikation zu den anstehenden Änderungen braucht. Vielleicht muss ich dafür einen Kommunikationsspezialisten beauftragen.

In der darauffolgenden Zeit gibt es noch keine Veränderung der operativen Arbeit. Erst mal wird eine Handvoll Leute die notwendigen Veränderungen identifizieren müssen. Welche Rollen und Kreise müssen etabliert werden? Wer trifft sich wann mit wem? Welche Entscheidungen müssen wie gefällt werden? Außerdem müssen alle Treiber definiert werden, sodass jede Rolle und jeder Kreis klare Ziele und konkrete Verantwortlichkeiten hat.

Danach werden alle in S3 geschult. Und erst dann können wir wirklich die neue Arbeitsweise im Unternehmen implementieren.


»Ist das dein Ernst?«, fragt Bernie mich, nachdem ich ihm meinen Plan erläutert habe. Er sieht besorgt aus.

»Vielleicht sollten wir mit den Schulungen früher beginnen?«, schlage ich vorsichtig vor.

»Stell’ dir für eine Minute lang vor, du wärst einer der HRS-Mitarbeiter und wüsstest von alldem bisher nichts. Und dann erhältst du plötzlich eine schöne und gut formulierte Mitteilung über den neuen Geschäftsführer und seinen Plan. Was wäre deine Reaktion?«

Ich schweige, während ich versuche, mich in diese Situation zu versetzen.

»Vermutlich würde ich das Ganze für eine der üblichen Veränderungsvorhaben halten, mit meinen Kollegen darüber Witze machen und abwarten, ob das Ganze wirklich mich und meine Arbeit betrifft.«

»Gut«, sagt Bernie. »Und jetzt nehmen wir an, dass der Plan fertig ist und im ganzen Unternehmen ausgerollt wird. Du sollst dein Verhalten komplett ändern, weil der Geschäftsführer es gesagt hat und weil es in einem Dokument steht. Wie würdest du dich fühlen?«

Ich schlucke.

»Ich hätte damit so meine Probleme«, gebe ich zu.

»Und würde es dich glücklicher machen oder würdest du dich ermutigt fühlen? Würdest du mehr Verantwortung übernehmen wollen? Denn das war ja der Treiber für dich, Geschäftsführer zu werden. Erinnerst du dich? Darum tust du das alles. Die S3-Muster sind Werkzeuge, um das zu erreichen – nicht mehr und nicht weniger.«

Stille. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, und fühle mich bedrückt. Ich begreife, dass mein wunderschöner Plan nicht funktionieren kann – ganz im Gegenteil. Wie konnte ich nur so dumm sein?

Glückerweise regt Bernie sich nicht auf. Ich bemerke sogar ein Funkeln in seinen Augen.

»Das ist vielleicht die wertvollste Einsicht, die ich dir geben kann, Chris«, fährt er fort. »Dein plangetriebener Ansatz mag in einigen Situationen funktionieren, aber nicht für HRS, wenn ich bedenke, wo ihr im Moment steht.«

Ich sehe Bernie fragend an und er erläutert: »In einer komplexen Umgebung kannst du nicht mit einem festen Plan navigieren. Stattdessen braucht es mehr Selbstorganisation bei den Beteiligten und die Möglichkeit, dass sich die passenden Praktiken herausbilden. Und du möchtest, dass das Unternehmen als Ganzes agiler wird, sodass es sich schnell an geänderte Gegebenheiten anpassen kann.«

Ich nicke; das ist genau das, was ich will.

»Um das zu erreichen«, fährt Bernie fort, »musst du einen kohärenten, dezentralen Ansatz entwickeln, mit dem die Mitarbeiter selbstständig entscheiden und handeln können. Gleichzeitig müssen sie die Themen mit anderen diskutieren können, wenn es notwendig oder wertvoll erscheint. Du möchtest doch, dass die Menschen die Konsequenzen ihrer Entscheidungen verantworten und Verantwortung für das Wohlergehen des Unternehmens übernehmen, als wäre es ihr eigenes.«

Ich nicke erneut. Er hat recht. Ein detaillierter Plan von oben würde das falsche Signal senden.

»Aber was soll ich stattdessen tun?«, frage ich kleinlaut. Ich habe meinen ganzen Mut verloren.

»Versetze dich noch mal in die Rolle eines HRS-Mitarbeiters. Was würdest du dir wünschen, wie der neue Geschäftsführer das Thema angeht?«

»Ich müsste ihm vertrauen können«, spreche ich das Erste aus, was mir in den Sinn kommt.

»Was meinst du damit?«

»Wenn er sagt, dass mehr Selbstorganisation und eigenständige Entscheidungen gewünscht werden, sollte das glaubhaft sein und nicht wie ein Sales-Pitch klingen.«

»Okay, gut. Und wie kann er das sicherstellen?«

Darüber muss ich einen Moment nachdenken.

»Er müsste klarmachen, welche Vorteile dadurch für das Unternehmen und für mich entstehen. Ich wäre für die Veränderung nicht bereit, wenn ich das ›Warum‹ nicht verstehe.«

Bernie nickt.

»Und er müsste als Vorbild agieren«, fahre ich vorsichtig fort. »Ich möchte zum Beispiel nicht, dass er alle Entscheidungen selbst fällt. Und ich würde es gerne sehen, dass er selbst mit den S3-Mustern experimentiert. Und das gilt nicht nur für ihn, sondern für das ganze Managementteam.«

Ich fahre fort: »Und natürlich darf das Ganze nicht in Chaos und endlosen Diskussionen enden, in denen nichts entschieden und nichts erledigt wird.«

»Das sind bereits einige wichtige Punkte. Es muss klar sein, warum die Veränderung notwendig ist. Die Geschäftsführung und das Managementteam müssen die Veränderung vorleben und was auch immer du tust, sollte dazu führen, dass das Unternehmen mehr und nicht weniger Wert schafft«, fasst Bernie zusammen. »Was brauchst du noch in diesem Szenario?«

»Ich sollte wählen können, was ich verändern möchte, basierend auf dem, was ich für notwendig und wertvoll für das Unternehmen halte.« Ich sehe Bernie fragend an.

»Im Grunde ja«, sagt Bernie. »Es ergibt Sinn, dass die Menschen selbst entscheiden, wie sie die Arbeit erledigen, für die sie Verantwortung übernommen haben. So entwickeln sie selbst Strategien, die gut für sie funktionieren. Sie spielen ihre Stärken aus, übernehmen Verantwortung und sind generell motivierter.«

Ich fahre laut denkend fort: »Ich vermute, es wird komplizierter, wenn eine Gruppe von Menschen gemeinsam Verantwortung übernimmt. Sie müssen sich schließlich darauf einigen, wie sie weiter vorgehen. Und das Konsent-Prinzip legt nahe, dass wir Einwände gegen Aktivitäten und Entscheidungen suchen und ausräumen, richtig? Bedeutet das also, dass alle jederzeit Einwände vorbringen können, wenn sie begründen können, warum etwas nicht gut genug ist?«

Bernies Augen sagen »ja«, bevor er es ausspricht.

»Daher wäre es gut, wenn die Menschen die Absicht verfolgen, das Konsent-Prinzip vollständig umzusetzen«, fügt er hinzu.

»Hmm, das ist interessant«, sage ich und halte einen Moment zum Reflektieren inne.

»Ich würde vermutlich Informationsveranstaltungen oder Schulungen interessant finden, solange sie freiwillig sind«, fahre ich fort. »So kann ich auswählen, welche S3-Muster mir und meinem Team helfen und welche nicht. Und vielleicht wäre ein Coach nützlich; jemand mit Erfahrung, den ich um Hilfe bitten kann. Das wäre auf jeden Fall besser als ein Manager, der uns Dinge aufzwingt.«

Bei Veränderung geht es nicht nur um die sichtbaren Dinge im Unternehmen, sondern auch um das Unsichtbare: die Art, wie die Menschen denken, und ihre Glaubenssätze.

»Richtig«, sagt Bernie. »Also freiwillige Trainings und Unterstützung. Und selbst wählen, wie man seine Ziele erreicht.«

Ich nicke.

»Ich stimme dir vollständig zu, Chris«, sagt Bernie. »Ich nenne diesen Ansatz ›Einladungsbasierte Veränderung‹, auch wenn das S3-Muster dazu Veränderung einladen heißt. Das ist nach meiner Erfahrung viel kraftvoller als ein Veränderungsvorhaben, das vorher detailliert ausgearbeitet wurde und dann den Mitarbeitern aufgezwungen wird. Das gilt insbesondere für ein Unternehmen wie HRS, das bereits eine gewisse Reife erlangt hat.«

»Einladungsbasierte Veränderung bedeutet aber nicht, dass jeder tun kann, was er will«, erklärt Bernie. »Als Führungskraft setzt du zunächst klare Ziele für das Unternehmen und dann definierst du den Rahmen, in dem Veränderungen und die Arbeit erledigt werden können. Wenn du dann deine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Mitmachen bei den notwendigen Veränderungen einlädst, verstehen sie ihre Verantwortung. Ihre Freiheit besteht primär darin, die Art und Weise zu bestimmen, in der sie die Ziele erreichen. Das erhöht ihre Motivation und ihr Engagement, aber auch die Qualität der Arbeit.«

»Veränderung durch Einladung kann anfangs langsamer sein, aber diese Investition zahlt sich später aus, weil der Ansatz langfristig effektiver ist. Du veränderst nicht nur, was im Unternehmen sichtbar ist – die Strukturen, die Vereinbarungen und das Verhalten –, sondern auch die unsichtbaren Aspekte – die Art zu denken und die Glaubenssätze, auf deren Basis die Menschen agieren.«

Bernie stoppt seinen Redefluss und ich rutsche unruhig auf meinen Sitz hin und her. Ich weiß, dass das stimmt, aber es ist auch ganz anders als das, was wir bei HRS gewohnt sind.

Soziokratie 3.0 – Der Roman

Подняться наверх