Читать книгу Handbuch Niederländisch - Jelle Stegeman - Страница 14
1.1.1. Beschreibungsperspektive und Beschreibungsgegenstand
ОглавлениеDie sprachhistorischen Beschreibungen gehen im vorliegenden Buch von der Fragestellung aus, wie das Niederländische von heute entstand und wie es sich herausbildete. Somit dient das Bestehen der Allgemeinen Niederländischen Standardsprache als Ausgangspunkt bei der Berücksichtigung früherer sprachlicher Entwicklungen. In dieser Beschreibungsperspektive sollen somit jene spezifischen dialektgeografischen, sprachhistorischen und gesellschaftlichen Daten inventarisiert werden, die in der Rückblende den Ursprung und die Entwicklung des heutigen Niederländischen näher erklären können beziehungsweise begleiteten.
Dass Merkmale germanischer Sprachvarietäten, die im Delta-Gebiet vorkamen, sprachhistorisch in Zusammenhang mit Eigenschaften benachbarter, verwandter Schreibdialekte im kontinentalsüdgermanischen respektive kontinentalwestgermanischen Gebiet zu sehen sind, spricht für sich. Forschung, welche die Sprache, die aus heutiger Sicht als Altniederländisch zu begreifen ist, in ihrem zeitlichen und räumlichen Umfeld beschreibt und erklärt, hat daher im Kontext eines kontinentalsüdgermanischen beziehungsweise kontinentalwestgermanischen Schreibsprachenkontinuums zu erfolgen, wie u.a. De Grauwe dargelegt hat. So wären Merkmale des in der niederländischen Sprach- und Literaturwissenschaft viel zitierten Satzes Hebban olla uogala nestas h[b?]agunnan, hinase hi[c] [e?][a?]nda thu uug… un[m?]biada…e [uuat unidan uue?] nu (‚Haben alle Vögel Nester angefangen [zu bauen], ausser Du und ich. Was erwartet Ihr jetzt?/Worauf warten wir noch?‘, vgl. 3.2.3., 3.3.2.1.) in dieser Perspektive im Kontext allgemeinerer Entwicklungen zu beschreiben. Die Entstehung periphrastischer Muster vom Typus hebban hagunnan wäre beispielsweise im Rahmen des Kontinentalwestgermanischen näher zu beleuchten.
Dagegen stehen in der hier gewählten Beschreibungsperspektive sprachliche Eigenschaften dieser vorher zitierten Probe einer Schreibfeder im Mittelpunkt, die als relevant für das entstehende Niederländisch einzustufen sind. Es wäre in dieser Optik zum Beispiel zu erforschen, warum periphrastische Muster in den ersten anl. Texten äusserst selten vorkommen, in den jüngeren aber keine Ausnahme bilden (vgl. 3.4.2.5.). Ebenso stellt sich in dieser Betrachtungsweise beispielsweise die Frage, inwiefern olla als ‚Küstenniederländisch‘ (vgl. Dekeyser 2007, Louwen 2009) einzustufen wäre und wie es sich im Niederländischen entwickeln sollte. So wird im vorliegenden Buch versucht, in der Rückblende sprachliche Entwicklungen aufzuzeichnen, die zur Herausbildung des allgemeinen Niederländischen führten.
Versucht man die Faktoren zu beschreiben, welche die Entstehung der geschriebenen und gesprochenen niederländischen Standardsprache ermöglichten, so umfasst der Gegenstand der Geschichtsschreibung niederländischer Sprachkultur auch in dieser Beschreibungsperspektive sehr viel mehr als die zögerliche Standardisierung des geschriebenen Niederländischen seit der frühen Neuzeit und die bedeutend später erfolgte Vereinheitlichung des gesprochenen Niederländischen. Merkmale des Altniederländischen, die sich in einer späteren Phase zum Niederländischen herauskristallisierten, gehören ebenso dazu wie Eigenschaften lokaler mittelniederländischer Sprachvarietäten sowie der überregionalen mittelniederländischen Verkehrs- und Kultursprache, welche die Herausbildung des Neuniederländischen ermöglichten (vgl. 5.2.).