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2.2.1. Frühere Darstellungen der Vorgeschichte des Niederländischen

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Bereits im 16. Jh. erfreute sich die Suche nach der Herkunft einzelner Sprachen Europas einer grösseren Beliebtheit. Neben fantasievollen Versuchen von Humanisten wie Goropius Becanus, das Niederländische als älteste Sprache der Welt einzustufen (siehe 5.2.1.2.), entstanden ernst zu nehmende Beschreibungen von Sprachen und Darstellungen ihrer Verwandtschaftsverhältnisse. So inventarisierte der schweizerische Gelehrte Conrad Gessner 1555 in seinem Mithridates um die 130 Sprachen, nebenbei stellte er übrigens in der Nachfolge von Aegidius Tschudi zwischen dem schweizerischen Deutsch und dem älteren Niederländischen vor der neuniederländischen Diphthongierung der langen i, u und ü eine nähere Verwandtschaft fest. Als erster Gelehrter Europas beschrieb Cornelis Kiliaan (1529?–1607) in seinen Wörterbüchern schon ab 1574 mehrere Sprachen systematisch-vergleichend, indem er zur Erklärung der Stichwörter, die aus seiner brabantischen Muttersprache stammen, Etymologien wie Entsprechungen in anderen Sprachen anführte. So berücksichtigte er für die etymologischen Erklärungen und die damit angedeuteten Verwandtschaftsbeziehungen in seinem 1599 erschienenen Etymologicum Teutonicae Linguae sive Dictionarium Teutonico-latinum französische, deutsche, niederdeutsche, englische, sächsische, spanische, italienische, gotische, griechische, lateinische und hebräische Entsprechungen; seine systematische Beschreibungsweise, die er in der Einleitung begründete, stützte er auf der einschlägigen Fachliteratur seiner Zeit ab (siehe 5.2.2.3.). Im gleichen Zeitalter erwähnte der englische Jesuit Thomas Stephens, Verfasser der ersten Grammatik einer Sprache Indiens, in einem später veröffentlichten Brief von 1583 Übereinstimmungen zwischen einer Sprache des indischen Subkontinentes, dem Konkani in Goa, und dem Lateinischen beziehungsweise dem Altgriechischen. Zwei Jahre später stellte der florentinische Geschäftsmann Filippo Sassetti lexikalische Ähnlichkeiten zwischen dem Sanskrit und dem Italienischen fest.

Dann beschrieb Marcus Zuerius Boxhorn (siehe 5.1.2.1.) 1647 in einer dreiteiligen Veröffentlichung als Erster systematisch die Verwandtschaft indoeuropäischer Sprachen, wobei er sowohl Griechisch, Lateinisch, Altsächsisch, Holländisch, Deutsch, Gotisch, Russisch, Dänisch, Schwedisch, Litauisch, Tschechisch, Kroatisch, Walisisch als auch Sanskrit, Persisch, Keltisch und Baltisch berücksichtigte. Er war seiner Zeit weit voraus mit der Annahme einer Urverwandtschaft aller dieser Sprachen, die er bemerkenswerterweise auf grammatikalische Merkmale zurückführt. Ausdrücklich lässt er in seiner Beweisführung zufällige lexikalische Übereinstimmungen zwischen Sprachen nicht gelten: twee dosijnen (‚zwei Dutzend‘) willkürliche Wörter, die sich in unterschiedlichen Sprachen ähneln, seien für seine Annahme einer Verwandtschaft ebenso wenig gültig, so schreibt Boxhorn, wie ein weit verbreitetes ‚Fremdwort‘, wie das in vielen Sprachen vorkommende kemel (‚Kamel‘). Sodann führen Aussagen vom Typus Griecken ende Duytschen (hebben) aan de borsten van eene moeder gelegen, ende uyt eene mondt leeren spreecken (‚Griechen und Niederländer/Deutsche – haben – an den Brüsten einer Mutter gelegen und haben aus einem Munde sprechen gelernt‘) zur Annahme einer Art indoeuropäische Ursprache. Obschon Boxhorn diese irrtümlicherweise als ‚Scytisch‘ bezeichnete, hatte er mit seiner Arbeit die Grundzüge einer historisch vergleichenden Sprachwissenschaft formuliert.

Als Geburtsstunde des Faches gilt allerdings der Vortrag des Juristen Sir William Jones vor der Asiatic Society in Calcutta 1786, in dem er auf einen gemeinsamen Ursprung von Sprachen wie Griechisch, Latein, Gotisch, Keltisch, Sanskrit und Altpersisch schloss. Vorher hatte der Jesuit Gaston-Laurent Cœurdoux 1767 übrigens in einem erst 1808 veröffentlichten Brief Übereinstimmungen zwischen Sanskrit, Griechisch, Latein, Deutsch und Russisch beschrieben. Die Arbeit von Gelehrten wie Friedrich von Schlegel, Rasmus Christian Rask, Franz Bopp, Jacob Grimm und ihrer Nachfolger ermöglichte dann ab dem 19. Jh. die systematische Beschreibung der Verwandtschaft beziehungsweise Urverwandtschaft indoeuropäischer Sprachen, so auch des Niederländischen. Bedeutende Beiträge zur Forschung der Verwandtschaft des Niederländischen und der niederländischen historischen Grammatik haben auch Sprachhistoriker wie M. Schönfeld und seine Nachfolger geliefert, die im Folgenden mit berücksichtigt werden.

Dank diesen wissenschaftlichen Leistungen lässt sich die historische Entwicklung der indoeuropäischen Sprachgruppe, die mit etwa 300 Sprachen und heute über drei Milliarden Sprechern, d.h. der Hälfte der Weltbevölkerung, die grösste Sprachfamilie der Welt ist, wohl weiter zurückverfolgen als die Geschichte irgendeiner anderen Sprachgruppe. Als Grundlage dazu diente die Hypothese einer indogermanischen Spracheinheit, auch ‚Urindogermanisch‘ oder nach dem englischen ‚Proto-Indo-European‘ von manchen ‚Protoindoeuropäisch‘ genannt, die man zwischen 3400 und 3000 v. Chr. südlich der Ostsee oder wohl auch in der Nähe des Schwarzen Meeres vermutet.

Traditionell wurde diese aufgrund späterer Lautentwicklungen der palatovelaren, velaren und labiovelaren Plosiven in zwei Klassen unterteilt, die einer Isoglosse im Indogermanischen entsprechen würden, eine umstrittene Annahme, welcher namentlich die Lokalisierung des Hethitischen und des Tocharischen widerspricht. Zudem fehlen weitere gemeinsame Lautentwicklungen für jede der beiden Gruppen, die diese Klassifizierung begründen könnten. Für eine Inventarisierung der indogermanischen Sprachen scheint es dennoch zweckmässig, Kentum- und Satemsprachen zu unterscheiden. In Kentumsprachen sind Palatale mit Velaren verschmolzen, während Labiovelare erhalten blieben. Dabei dienen die jeweiligen Bezeichnungen für ‚hundert‘ mit /k/ im Anlaut, wie das lateinische centum, als Prüfstein. Durch Lenisierung hat sich dieser Laut übrigens im Germanischen weiter zu/ch/oder/h/wie in nl. honderd (aus *hunda in der Bedeutung ‚grössere Menge‘ und *raþa, ‚Zahl‘), dts. hundert entwickelt. Zu den mehrheitlich im Westen vorkommenden Kentumsprachen gehören Keltisch, Italisch, Germanisch, Illyrisch, Griechisch, Lykisch, Lydisch, Phrygisch, so auch Hethitisch, das aber in Anatolien, und Tocharisch, das im Nordwesten Asiens anzusiedeln ist. In den Satemsprachen fielen labiovelare und velare Plosive zusammen, das palatale/*k/wurde zu einer Art Sibilant, einem sogenannten Zischlaut. Die Gruppe der Satemsprachen mit Bezeichnungen wie altind. śatám oder iran. sata für ‚hundert‘ umfasst Baltisch, Slawisch, Albanisch, Thrakisch, Armenisch, Iranisch und Indisch, während Pelasgisch laut H. Haarmann eine Substratsprache ist. Einige Nachfolgesprachen des Lateinischen weisen übrigens später eine ähnliche Entwicklung auf, so das Spanische mit cien/θien/für ‚hundert‘. Die Frage, ob die lautlichen Entwicklungen der Kentum- und Satemsprachen den am frühesten aufgetretenen Unterschied zwischen indogermanischen Sprachen markieren, wäre ebenso Gegenstand der historischen vergleichenden Sprachforschung wie auch das Problem, inwiefern man die Ausdifferenzierung der Sprachgruppen aus der rekonstruierten indogermanischen Spracheinheit erklärt: welche Bedeutung ist beispielsweise räumlicher Nähe und möglichen Kontakten zwischen Sprechern von weniger verwandten Sprachen innerhalb des Indoeuropäischen für die Verwandtschaftsverhältnisse beizumessen?

Als Vorläufer der germanischen Sprachen nimmt man traditionell das Urgermanische an, das im ersten Jahrtausend v. Chr. in Gebieten westlich des Baltikums anzusiedeln wäre, sodann das Frühgermanische, das einige Jahrhunderte vor und nach dem Beginn der Zeitrechnung zu datieren ist (siehe 2.2.2.). Die sprachliche Auseinanderentwicklung im Germanischen mit der frühen Herausbildung des Gotischen, die im Folgenden zur Diskussion steht, sollte später, in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends n.Chr. zur Ausdifferenzierung weiterer altgermanischer Sprachen, so auch des Altniederländischen (siehe 3.2.) führen.

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