Читать книгу Handbuch Niederländisch - Jelle Stegeman - Страница 43
3.1. Das Gebiet der Niederlande als Teil grösserer Reiche 3.1.1. Die merowingische Zeit
ОглавлениеBereits Anfang des 5. Jh., vor dem Zusammenbruch des Römischen Reiches im Westen um 476, fielen kriegerische Verbände, welche die antiken Schriftsteller als ‚Germanen‘ bezeichneten, im Nordwesten Galliens ein. Laut Hieronymus zerstörten sie im linksrheinischen Gebiet Städte wie Atrebatum oder Atrecht, Portus Britannicus mit dem höher gelegenen Stadtteil Bononia oder Boulogne, von den Römern wohl nach ‚Bologna‘ benannt, und Turnacum oder Doornik (‚Dornick‘). Um 430 eroberte König Chlodio (siehe 2.1.2.) Doornik und Kamerijk, später auch Atrecht, es entstanden kleinere Staaten, die manchmal die Römer unterstützten, manchmal selbstständig auftraten.
Die kriegerischen Auseinandersetzungen veranlassten ansässige Franken, der Schelde entlang in Richtung Süden zu fliehen, römische villae, Ländereien, wurden verlassen, versteckte Münzschätze deuten darauf, dass die Flüchtlinge auf eine Rückkehr gehofft hatten. Die Frage, ob diese Ereignisse einen Bruch zwischen Spätantike und Mittelalter markieren oder ob von einer ununterbrochenen kulturellen Weiterentwicklung die Rede ist, wird unterschiedlich beurteilt. Allenfalls machte eine gewisse Raumkontinuität die weitere Bearbeitung der Äcker durch die Franken wahrscheinlich, die sich im 5. und 6. Jh. in grösseren Gebieten bis an der Somme niedergelassen hatten. Dass die fränkischen Könige sich in den ehemaligen römischen Zentren niederliessen, zeigt ihr Bemühen, die Verwaltung im geläufigen Rahmen weiterzuführen. Sodann nahmen sie die Staatsgüter in Besitz und fingen an, Münzen nach römischem Beispiel zu schlagen. Auch gesellschaftlich schlossen die neuen Machthaber sich dem Bestehenden an, der germanische und gallisch-römische Adel vermischte sich, neben freien Bürgern gab es Hörige und Sklaven. Das im Römischen Reich stark verbreitete Christentum war nach der Völkerwanderung möglicherweise nicht ganz aus dem Nordwesten Europas verschwunden, erst die Bildung eines Reiches durch Chlodwig I. sollte jedoch im heidnischen Umfeld bessere Voraussetzungen für eine monotheistische Religion schaffen.
Nachdem Chlodwig die übrigen fränkischen Stämme unterworfen hatte, breitete er seine Macht weiter aus. Mit den Siegen über die Burgunder, Alemannen und die Westgoten festigte er seine Macht im grössten Teil Galliens, 507 eroberte er das ripuarische Königreich im Rheinland. Paris wurde Hauptstadt des fränkischen Reiches, über das Chlodwig in spätantiker Tradition als König der Franken von 482 bis 511 herrschte. Die Bekehrung Chlodwigs zum athanasischen Glauben der römischen Kirche ermöglichte auf die Dauer eine Vermischung der Franken mit der Mehrheit der katholischen gallorömischen Bevölkerung. Sprachlich passten sich die Franken dem Vulgärlatein der Besiegten an, der Einfluss der Sieger lässt sich dennoch bis zum heutigen Französischen nachweisen, so im Lexikon, das hunderte ursprünglich fränkische Wortstämme wie beispielsweise guerre (‚Krieg‘) vgl. altfränkisch werra umfasst, weiter im Lautsystem, so mit dem behauchten h, das im Anlaut nicht angebunden wird, oder in der Wortstellung, vergleiche beispielsweise die Voranstellung gewisser Adjektive vor das Substantiv. Durch die fränkischen Eroberungen verschob sich die Grenze des Germanischen nach Norden, ein Gebiet, das sich vermutlich vom Nordwesten Galliens bis in den Süden des Rhein-Maas-Schelde-Deltas streckte, wurde in der Folge mehrsprachig (vgl. 3.2.2.).
Da die Macht der merowingischen Könige ähnlich wie ihre Güter vererbt wurde, sollten sich staatliche Gebilde einmal vergrössern, dann wieder zerstückeln, so entstanden zwischen Seine und Schelde Neustrien, zwischen Maas und Rhein Austrasien. Mittlerweile versuchten fränkische Könige wie Dagobert (625–639), die Friesen zu unterwerfen, nicht nur um ihr Gebiet und damit ihre Macht zu vergrössern oder ein Handelszentrum wie Dorestad am Rhein zu erobern, sondern auch um die Christianisierung zu fördern. Missionare aus Gallien, so Amand, verbreiteten das Christentum in den Gegenden des Schelde-Gebietes, sodann gründeten sie die Sint-Baafs und Sint-Pieters Abteien in Gent, in Antwerpen die Kirche Peter und Paul. Mönche aus Irland wie Columbanus (zirka 540–615), Gründer mehrerer Kloster, so der Abtei Marmoutier im Elsass und Verfasser einer strengen Klosterregel, verkündeten den Glauben auf dem Festland. Auch angelsächsische Geistliche wie Willibrord (zirka 658–739, Gründer des Klosters Echternach) missionierten in West-Europa. Vom Papst zum reisenden Bischof der Friesen ernannt und gestützt vom Hausmeier Pippin, missionierte der ‚Apostel der Friesen‘ ab 690 wahrscheinlich zuerst von Antwerpen aus im nördlichen Teil des Deltas. Utrecht wurde nach dem zweiten Friesenfeldzug 695 zum Zentrum der friesischen Kirchenorganisation bestimmt, erst nach dem Tode des friesischen Königs Radbod 719 konnte Willibrord sich aber in Utrecht niederlassen.
Die merowingischen Machthaber belohnten nach Vorbild des antiken Klientelwesens ihre Anhänger vermehrt mit Schenkungen. Vasallen erhielten Lehen als Gegenleistung für Treue und Dienste, es entwickelte sich das Lehnswesen. Indem die Merowinger die Verwaltungsaufgaben zum grösseren Teil ihren Hausmeiern überliessen, erhielten diese Anfang des 8. Jh. mehr Macht. So nahm der Einfluss der Pippiniden nach dem Tode Dagoberts I. zirka 638 in Austrasien immer mehr zu, der Sieg Karl Martells über die von der iberischen Halbinsel einfallenden Mauren 732 bei Tours und Poitier trug weiter zur Vorherrschaft der Hausmeier im fränkischen Reich bei. Karl förderte in Zusammenarbeit mit Bonifatius die Christianisierung, der ‚Apostel der Deutschen‘, Kirchenreformer im Frankenreich, Gründer mehrerer Klöster und erster Erzbischof von Mainz, wurde zuletzt Erzbischof Utrechts. Er nahm erneut die Missionierung der Friesen auf, wurde aber 754 oder 755 im hohen Alter mit seinen Begleitern von ihnen bei Dokkum erschlagen. Karl Martell führte Kriege gegen die Sachsen, Friesen, Thüringer, Alemannen und Bajuwaren, so gelang es ihm, das fränkische Reich auszubreiten und die Grenzen zu sichern, eine Machtübernahme bahnte sich an.