Читать книгу Handbuch Niederländisch - Jelle Stegeman - Страница 21

2.1.2. Die römische Zeit

Оглавление

Um die Zeitenwende lebten auch im Deltagebiet Stammesverbände, die traditionell zu den ‚Germanen‘ gerechnet werden, deren ethnische Identität sich aber nicht zweifelsfrei bestimmen lässt. Anhaltspunkte zu einer Gliederung germanischer Völker und zu ihrer geografischen Zuordnung in Europa bieten antike Zeugnisse. So wären nach Plinius die folgenden fünf Stammesgruppen zu unterscheiden: (1) Vandilier, die man als Nordostgermanen bezeichnen kann, zu denen die Burgunder, die Variner, die Chariner und die Goten zählen, (2) Ingwäonen mit den Kimbern, Teutonen und Chauken, heute auch als Nordseegermanen zusammengefasst, (3) am Rhein lebende Istwäonen, die sogenannten Rheingermanen mit den Sugambrern, (4) Hermionen oder Binnenlandgermanen, wozu die Sueben, Hermunduren, Chatten und Cherusker zu rechnen sind, und (5) Völker wie Peukiner und Bastarnen, die zu den weiteren Ostgermanen gehören. Ohne zwischen den Stämmen weiter zu differenzieren, unterteilt Tacitus die alten Festlandgermanen in Ingaevones, Nordseegermanen, Hermiones, Binnenlandgermanen und ceteri Istaevones, die übrigen Nord- und Ostgermanen. Für das Deltagebiet sind weitere Bezeichnungen der dort lebenden Stammesverbände überliefert. So sollen zwischen Rhein und Maas Eburonen gewohnt haben, die Caesar zwar Germanen nennt, die vermutlich aber Kelten waren. Die Siedlungsgebiete von Stämmen wie Aduatuker und Nervier, von Caesar als Belgae bezeichnet, lagen zwischen Schelde und Maas. Ausserdem wohnten im Delta weitere Bevölkerungsgruppen, die man traditionell als ‚Kelten‘ bezeichnet, zudem dürfte es Gebiete gegeben haben, wo eine keltisierte Aristokratie zwischen einer germanischen Bevölkerung lebte. Neben den antiken schriftlichen Quellen bieten Ergebnisse archäologischer Untersuchungen Argumente zu einer Gruppierung der Germanen um die Zeitenwende, die Übereinstimmungen mit den antiken ethnografischen Zeugnissen der Ingwäonen, der Istwäonen und der Hermionen aufweist. Aus sprachhistorischer Sicht ist eine Gliederung der Germanen zu Beginn der christlichen Zeitrechnung allerdings problematisch, da die benötigten sprachlichen Daten, abgesehen von verhältnismässig wenigen Orts- und Personennamen, erst Jahrhunderte später zur Verfügung stehen.

Die Römer besiegten ab 57 v. Chr. Stämme der Belgae, schlugen 51 v. Chr. Ambiorix, Anführer der Eburonen, nachträglich auch als ‚alte Belgier‘ bezeichnet, drängten dann die Nervier und Menapier in den Süden und vereinnahmten den nördlichen Teil des hauptsächlich von Kelten, Galli, bewohnten Galliens, links des Rheins bis südlich der Mündung bei Katwijk. In seiner Darstellung der Ereignisse hält Caesar mit der Aussage Horum omnium fortissimi sunt Belgae die Belgae für die stärksten, fortissimi, aller seiner Gegner, eine Wertschätzung, die Jahrhunderte später die Aufständischen während der Auflehnung gegen König Wilhelm I. und der Entstehung des belgischen Staates 1830 gerne anführten.

Sodann besiegte Drusus 12 v. Chr. die nördlich des Rheins lebenden Frisii, Friesen, die Tacitus zusammen mit den Chauken und den Sachsen zu den Ingwäonen rechnet, baute dann vermutlich am Vlie, das von Mela und Plinius lacus Fleuo (vergleiche ger. *flewa ‚fliessendes Wasser‘) genannt wird, die Verstärkung Flevum, vermutlich an irgendeiner Stelle, wo heute das IJsselmeer liegt. Ungewiss ist übrigens, ob der von Plinius verwendete Name Frisiavones einen separaten, möglicherweise südlichen Stamm der Friesen bezeichnet. Nach der Niederschlagung friesischer Aufstände 28 und 47 n.Chr. bestimmte Claudius I. den Rhein als Limes des Imperiums. Nach späteren erfolgreichen Kriegen gegen germanische Völker zwangen die Sieger die Friesen, sich als halbfreie laeti südlich des Rheins niederzulassen. Mittlerweile zogen weitere Stämme, manchmal auf Drängen der Römer, in die Nordwestecke des Imperiums, so die Cananefaten in der Küstengegend mit Forum Hadriani, dem heutigen Voorburg, als Mittelpunkt ihres Gebietes, die Bataver entlang Maas und Rhein oder die Tungerer am linken Ufer des Niederrheins nördlich von Lüttich mit der Hauptstadt Atuatuca, dem späteren Tongeren, das ein Zentrum römischer Kultur wurde. Weiter sollen Sturii und Marsaci auf Inseln im Westen des Deltas gelebt haben. Um die Grenze zu verstärken, schlossen die neuen Herrscher mit einigen Stämmen Bündnisse, u.a. mit den Batavern, die sich auch an der Rheinmündung angesiedelt hatten.

Einen von Gaius Julius Civilis geleiteten Aufstand der Bataver in Germania inferior schlugen die Römer 69–70 n.Chr. nieder. Trotz dieser Niederlage entstand in der Neuzeit, als die niederländischen Provinzen sich gegen die zentralistische Macht der Habsburger auflehnten, der Mythos der Bataver als unüberwindliche Vorfahren, der die Humanisten (siehe 5.1.2.1.) veranlasste, in ihren neolateinischen Texten die Niederlande mit Batavia zu bezeichnen oder Leiden phantasievoll in Lugdunum Batavorum umzutaufen, was der Name der ältesten Universität der Republik (siehe 5.1.2.1.) Academia Lugduno Batava noch immer festhält. Auch in der bildenden Kunst zeigt sich die Verehrung der Bataver, so bearbeitete Otto van Veen 1612 den Bataveraufstand in einer Serie von Radierungen, die Rembrandt wohl zu seinem Gemälde Die Verschwörung der Bataver inspirierte, das für das neue Rathaus von Amsterdam, der mächtigsten Stadt der damaligen niederländischen Weltmacht, bestimmt war. Weiter halten die Hauptstadt niederländisch Ostindiens, Batavia (siehe 5.1.4.2.) oder der Name der nördlichen Niederlande in der französischen Zeit Bataafse Republiek die angeblich heldenhaften Vorfahren in Ehren.


Abb. 2: Germanen im Rhein-Maas-Schelde-Delta (vgl. Bosatlas 45).

An der nördlichen Grenze des Imperiums bauten die Römer Militärstützpunkte. Aus diesen Heereslagern entstanden Nimwegen, Ulpia Noviomagus Batavorum, Köln, Colonia Claudia Ara Agrippinensium und Trajecto, später Utrecht, dessen Name aus lat. traiectum, ‚(Fluss-) Überquerung‘ und ger. ūta- ‚flussabwärts‘ zusammengesetzt ist. Sodann legten die Römer Strassen an, so eine von Köln entlang der Grenze nach Katwijk, eine weitere von Köln zum Ärmelkanal, welche die Maas bei Trāiectum überquerte und bis Boulogne lief. Letztere Strasse erwähnt Heinrich von Veldeke, der erste bekannte Schriftsteller der niederländischen Literatur, in seiner Servatius-Legende, einem der ältesten im Mittelniederländischen überlieferten Texte, als er Maastricht beschreibt: Des steyt die stat te maten/Aen eynre ghemeynre straten/Van Inghelant in Ongheren (‚So liegt die Stadt günstig an einer allgemeinen Strasse von England bis Ungarn‘, siehe 4.3.4.1.). Spätere Zufügungen wie Mose-, Mase- oder Maas- liessen Maastricht‚ in der Bedeutung von ‚Übergang über die Maas‘, übrigens von anderen Orten mit ähnlichem Namen unterscheiden, tricht oder trecht dürfte das älteste aus dem Lateinischen entlehnte lexikalische Element im Niederländischen sein. Augustus’ General Drusus liess eine Wasserverbindung zwischen Rhein und Vecht graben und einen Damm zur Regulierung des Rheins bei der Abspaltung der Waal bauen, der römische General Corbulo verband Rhein und Maas mit einem Kanal. Der Ausbau der Infrastruktur diente militärischen Zwecken, sollte aber auch dem Verkehr – manche Hauptverbindung wurde bis zur napoleonischen Zeit benutzt – und dem Handel zugute kommen. Links des Mittel- und Niederrheins befestigten die Römer die Provinz Germania prima mit der Verwaltungsstadt Tongeren und dem militärischen Stützpunkt Nimwegen, weiter südwestlich gründeten sie Belgica secunda mit der Hauptstadt Reims und weiteren Bezirkshauptstädten wie Kamerijk, Atrecht und Doornik. Unter der Herrschaft der Römer wuchsen Städte wie Voorburg, Nijmegen, Tongeren, Doornik, Maastricht oder Heerlen; auf dem Lande, zum Beispiel in der Gegend Aachens, bauten die Privilegierten Villen. Handel, Gewerbe und Handwerk gediehen in Gebieten, die nun zum zentral verwalteten, ethnisch allerdings heterogenen Imperium gehörten. Münzgeld vereinfachte den Zahlungsverkehr, ein neuer, später julianisch genannter Kalender trat in Kraft, der auch im Niederländischen mit Monatsnamen wie juli (‚Juli‘) oder augustus (‚August‘) an römische Kaiser erinnert. Die römische Rechtsprechung förderte eine geordnete Gesellschaft, was wohl auch eine gewisse Alphabetisierung voraussetzte.

Inzwischen zogen immer wieder, auch während der Pax Romana (27 v. Chr. bis 180 n.Chr.) Völkerschaften aus dem von Caesar als Germanien bezeichneten Gebiet über den Rhein, führten einmal Raubzüge im römischen Gebiet durch, schützten dann wieder römische Niederlassungen in der Grenzgegend oder dienten in römischen Heeren. Auch die aus dem Gebiet zwischen Rhein und Weser stammenden Franci (‚Franken‘ wohl in der Bedeutung von ‚Mutige‘), die antike Quellen erst im 3. Jh. erwähnen, fielen regelmässig in Gallien ein. Sie setzten sich wahrscheinlich aus mehreren germanischen Stämmen, so den Saliern, Chamaven, Chattuariern und Brukterern zusammen. Während der Regierungszeit Kaiser Julians durften sie sich 358 als foederatii (‚Verbündete‘) auf römischem Gebiet nahe der Grenze in Toxandrien, dem heutigen Brabant niederlassen, um den Limes zu schützen; Köln wurde das Zentrum der ripuarischen Franken. Im folgenden Jahrhundert verbreiteten die Franken sich weiter in Gallien, als Chlodio, König der Salfranken, Kamerrijk und Doornik besetzte und trotz einer Niederlage gegen die römischen Truppen bei Atrecht ein fränkisches Reich gründete, das sich bis zur Somme ausdehnte. Chlodios Nachfolger soll der legendäre Merovech gewesen sein, der möglicherweise Vater Childerichs I. respektive der Grossvater Chlodwigs I. und in der Folge Stammvater der späteren Frankenkönige aus dem Geschlecht der Merowinger war.

Der Name Saksen (‚Sachsen‘), der seit dem 4. Jh. belegt ist und von den Römern wohl als Sammelbegriff für seefahrende Räuber benutzt wurde, dürfte eine Gruppe von Stämmen wie Chauken, Angrivarier und Cherusker bezeichnen, die sich zusammengeschlossen hatten und zwischen dem Harzgebirge, dem Süden Schleswig-Holsteins und dem heutigen IJsselmeer lebten. Diese sog. Altsachsen, die vermutlich andere germanische Stämme wie u.a. die Tubanter in der heutigen Landschaft Twenthe eingliederten, besiedelten allmählich weite Teile des heutigen Nordwestdeutschlands und der östlichen Niederlande, so Groningen, Drenthe, Overijssel und Achterhoek. Aus ihrer altsächsichen Sprache entstanden niedersächsische Dialekte, die auch für die Entwicklung des Niederländischen von Bedeutung sein sollten (siehe 3.2., 3.4.).

Es stellt sich nun die Frage, wie man sich die Entwicklung der Sprache der Deltabewohner vorstellen kann. Damit sind komplexe Sachverhalte angesprochen, die u.a. Verwandtschaftsverhältnisse indogermanischer und germanischer Sprachen betreffen.

Literatur zu 2.1.: Bazelmans 2009; Berendsen 2009; Blok 1979; Blok et al. 1977/83, Bd. 1; Blonk et al. 1960/62, Bd. 1; Derks et al. 2009; Van Es 1981; Geyl 1948/59; Gysseling 1960; Haase 1972/73 ff; James 1988; Jonge et al. 2006; Joris 1966; Philippa et al. 2003/09; Van der Sijs 2001; Sonderegger 1979; Van Veen et al. 1991; Vercoullie 1925; Woodman 2009.

Handbuch Niederländisch

Подняться наверх