Читать книгу Handbuch Niederländisch - Jelle Stegeman - Страница 35
2.4.2.1. Änderungen der Formkategorien der Verben
ОглавлениеIm Germanischen entstanden umschriebene Verbalformen, die synthetische Strukturen ersetzten, welche Verbalendungen mit eventuell Umlaut kannten. So enthält das Gotische im Präsens des Passivs zum Beispiel noch synthetische Strukturen, so nimada mit der Wurzel nim, dem stammbildenden Element a und der Endung da mit der Information, dass es sich um die erste und dritte Person Indikativ Präsens des Passivs handelt (‚ich/er wird genommen‘). Umschriebene, periphrastische Verbalformen, die beispielsweise das Verb worden (‚werden‘) umfassen wie ndl. ik word gered (‚ich werde gerettet‘), sollten synthetische Strukturen wie got. nasjada (‚ich/er werde gerettet‘) ablösen. Unsicher ist es übrigens, ob sich umschriebene Strukturen mit Verben wie hebben (‚haben‘), zijn (‚sein‘), willen (‚wollen‘), worden (‚werden‘ für Passiv), zullen (‚werden‘ für Futurum) und ähnliche in Kombination mit Partizip oder Infinitiv, die auch in romanischen Sprachen entstanden, bereits vor der schriftlichen Überlieferung in westgermanischen Sprachen entwickelt hatten.
Die Umstrukturierung der Verbalgeschlechter im Germanischen betrifft Aktiv, Medium und Passiv. Aktiv kennzeichnet sich durch eine nach aussen gerichtete Aktivität oder Wirkung des Subjekts, wie in sie sluogan mich (‚sie schlugen mich‘ LWR 84, 3). Medium betrifft eine auf sich selbst bezogene Tätigkeit oder Zustand des Subjekts, wie uon thannan wunderon ich mich (‚darum verwunderte ich mich‘ LWR 106, 5). Passiv deutet eine Einwirkung oder Tätigkeit von aussen auf das logische Subjekt, wie these herren wrthon sus geslagen (‚diese Herren wurden so getötet‘ MRB 522).
Im Laufe der Zeit ergänzten umschriebene Strukturen einzelsprachlich die synthetischen Verbalformen des Aktivs. So kennt das Altniederländische einerseits synthetische Bildungen wie bin in mistrot bin (‚missmutig bin ich‘ WPS 54, 3). Andererseits kommen umschriebene Strukturen mit werthan (‚werden‘) und skulan (‚sollen‘ in der Bedeutung von ‚werden‘) im Futurum vor, so sal in Unillico sal ic offran thi (‚willig werde ich Dir opfern‘ WPS 53, 8). Auch willen (‚wollen‘) kommt bereits im Altniederländischen in Kombination mit einem Infinitiv vor, so in Nu willon ich ufsteen ande willo hine suochen (‚Jetzt will ich aufstehen und will ihn suchen‘ LWR 48, 3). Dass perfektische Strukturen wie hebban hagunnan (‚haben angefangen‘) im viel zitierten Satz hebban olla vogala nestas hagunnan (‚Haben alle Vögel damit angefangen, Nester [zu bauen]‘, siehe 3.3.2.) nach Van der Wal/Van Bree im Altniederländischen noch äusserst selten vorkommen, trifft für die aus dem 9. oder 10. Jh. stammenden Wachtendonckse Psalmen zu: wo aus heutiger Sicht Perfekt oder manchmal Plusquamperfekt auch aufgrund der lateinischen Vorlage zu erwarten wäre, steht in der Regel Präteritum, so in ic gesag unriht (‚ich sah Unrecht‘ WPS 54, 10). Der Leidener Williram und die Mittelfränkische Reimbibel, die zweihundert Jahre jünger sein dürften, weisen hingegen zahlreiche Konstruktionen mit hebben (‚haben‘) oder zijn (‚sein‘) und Perfekt auf, wie Van der Horst darlegt, so nehauon fundan (‚habe nicht gefunden‘) in Ienoch nehauon ich sin niet fundan (‚Ich habe ihn immer noch nicht gefunden‘ LWR 48, 5) oder auch is cuman (‚ist gekommen‘) in Thu quithes, thaz ich scona si, auor al mina sconheyd thiu is mer uan thich cuman (‚Du sagst, ich sei schön, aber alle meine Schönheit ist mir von Dir gekommen‘ LWR 23, 3). Es ist nicht immer sicher, ob es sich in diesen Strukturen jeweils um Hilfsverben mit Partizip handelt oder um die semantisch selbstständigen Verben hebben und zijn, verknüpft mit Nomina, so beispielsweise in Gestekit bin ic an leimo diupi (‚Im Schlamm der Tiefe bin ich steckengeblieben‘ WPS 68, 3). Die im Althochdeutschen geläufigen Konstruktionen mit haben und sein und Partizip als nominaler Ergänzung lassen sich wie bei Nübling et al. anhand des immer wieder angeführten Satzes phīgboum habēta sum giflanzōtan in sīnemo wīngarten, d.h. ‚(einen) Feigenbaum hatte einer als gepflanzten in seinem Weingarten‘ verdeutlichen. Diese nominale Lesart stützt sich auf die Kongruenz zwischen der Mask. Akk. Sing.-Endung -an in giflanzōtan und Mask. Akk. von phīgboum.
An Stelle der synthetischen Formen für Medium entwickelten sich umschriebene Strukturen mit Aktiv und Personalpronomina oder Reflexivpronomina. Auch im Altniederländischen lässt sich diese Entwicklung belegen, so scamin sig in Gescendoda uuirthin in scamin sig, thia suokint sela mina (‚geschändet mögen sie werden und sich schämen, die meine Seele suchen‘ WPS 69, 3).
Weiter wird Passiv, das im Gotischen im Präsens noch eine synthetische Form kannte, neu in umschriebenen Strukturen mit Verben wie worden (‚werden‘) und zijn (‚sein‘) zum Ausdruck gebracht, so uuerthin gihorda (‚wurden gehört‘) in Ne sint spraken noh woorth, thero ne werthin gihorda stemmen iro (‚Es gibt keine Äusserungen oder Wörter, worin ihre Stimmen nicht gehört werden‘ WPS 18, 3). Inwiefern Strukturen mit zijn und worden in Kombination mit einem Partizip sich eindeutig als Passiv kategorisieren lassen, soll in diesem Rahmen weiter nicht zur Diskussion stehen.
Aus dem komplexen urgermanischen Tempus-Aspektsystem entstand ein einheitliches Präsens im Germanischen, zudem wurde das indogermanische Perfekt zum Tempus der Vergangenheit. Futurum liess sich im Germanischen erst mit Präsens ausdrücken, wie dies heute nach wie vor im Niederländischen und im Deutschen möglich ist, später entstanden daneben umschriebene Strukturen mit Hilfsverben. Das neue Tempussystem mit spezifischen Formen für Präsens und Präteritum sowie mit Umschreibungen für das Futurum kennzeichnet das ältere Niederländische. Präfigierte Verbalformen mit Präfixen wie gi oder ge, althochdeutsch gi, können übrigens Perfekt beziehungsweise Plusquamperfekt wie im oben zitierten ic gesag unriht (‚ich habe Unrecht gesehen‘ WPS 54, 10) zum Ausdruck bringen, so auch im Mnl. mit Verneinung, vgl. hi en conste dat niet ghesegghen (‚er konnte das nicht sagen‘).
Die Umstrukturierung des indogermanischen Modussystems, das aus Indikativ, Imperativ, Konjunktiv und Optativ bestand, betrifft die Aussageweisen der Mitteilung, der Aufforderung, des Wunsches, der Möglichkeit, der Irrealität und der indirekten Rede. Dieser Beziehungsbereich wird im Germanischen vom Optativ, in der Regel Konjunktiv genannt, erfüllt, der im Alt- und im Mittelniederländischen zum Teil erhalten ist, so uuerthe (‚werde‘) in That nat uuerthe fuot thin an bluode (‚Dass dein Fuss nass werde von Blut‘ in der Bedeutung ‚Dass dein Fuss bade im Blut‘ WPS 67, 24). Viele der Konjunktivformen sind allerdings bereits im Altniederländischen mit dem Indikativ zusammengefallen, im modernen Niederländischen kommen sie kaum mehr vor. Dafür werden Wünsche usw. in der Regel mit dem Präteritum des Verbs ausgedrückt, so ik kwam graag (‚ich käme gerne‘) oder mit dem Präteritum von zullen (‚werden‘) und Infinitiv wie in ik zou graag komen (‚ich würde gerne kommen‘).
Abgesehen vom Nordfriesischen vereinfachte sich im Spätgermanischen das Numerusgefüge, das ursprünglich Singular, Dual und Plural umfasste, zu einem System, bestehend aus Singular und Plural. Von dieser Erneuerung zeugt auch das Niederländische seit seinen frühesten Überlieferungen.
Die Vereinfachung der ursprünglichen nominalen Formen des Verbums führten im Germanischen zu einheitlichen nominalen Bildungen des Partizips Präsens, so anl. ruopinde, ndl. roepend(e) (‚rufend‘). Weiter entstanden ablautend nominale Bildungen aus dem Partizip Präteritum der starken Verben, die dann im Altniederländischen das Suffix -an beziehungsweise -en, ndl. en kannten, so anl. fundan, ndl. gevonden. Aus Partizipien der schwachen Verben bildeten sich Nominalformen mit Dentalsuffix, vergleiche anl. geleget (‚gelegt‘). Diese Partizipien, die als Adjektive flektiert wurden, kommen im Altniederländischen gelegentlich als Attribut vor wie drunchan in eiusdem pomi in wine drunchan (‚diese Frucht in Wein getränkt‘ LWR 128, 20) oder sonst als prädikatives Attribut wie ruopinde in Ic aruidoda ruopinde (‚Ich strengte mich rufend sehr an‘ in der Bedeutung ‚ich habe mich mit dem Rufen sehr angestrengt‘ WPS 68, 4). Aus den Infinitiven der starken Verben entwickelten sich im Germanischen nach dem Präsensstamm einheitlich Nominalformen mit anl. -an, ndl. -en so ezzan (‚Essen‘) in Ther hals ther dragat thaz ezzan in then buch ande dragat auor thie stemma uz (‚Der Hals, der bringt das Essen in den Bauch und bringt aber die Stimme nach aussen‘ LWR 17, 2). Die Bildung von Nominalformen aus schwachen Verben kannte die germanische Klassendifferenzierung -jan, -ōn, -ēn, die sich zu anl. -an, -en, ndl. -en vereinheitlichten, so anl. *fisken (‚Fischen‘), vgl. uischenes in Petrus ande sin brôther nit ne hauodon. ne war that se sig uischenes be drâgodon (‚Petrus und seine Brüder hatten nichts anderes als was sie durch Fischen bekamen‘). Die Nominalbildungen aus dem Infinitiv wurden wie Substantive flektiert, was die zitierten Beispiele zeigen, so die Flexion von drinchenes und uischenes als Genitiv Singular.