Читать книгу Ava & Me - Jennifer Lösch - Страница 9
Kapitel 5
ОглавлениеEs war soweit! Heute war endlich wieder ein Mittwoch und diesmal sollte es auch ein guter Mittwoch werden. Heute hatte ich mir vorgenommen, meine Ma zu besuchen. Gestern hatte ich mich bereits in der Klinik angemeldet und da Sommerferien waren, hatte ich mehr Zeit als noch vor ein paar Wochen. Außerdem wollte ich nach einem Job fragen, der in den Sommermonaten in der Klink ausgeschrieben war. Und vielleicht hatte ich Glück, diesen zu bekommen. Ich kannte ja bereits einige entscheidende Personen in der Klinik. Es war nichts Großes, einfach nur die Post verteilen, wenn die Patienten Post bekamen und ein bisschen mit den älteren Insassen reden. Natürlich nur mit denen, die es wollten und in einer guten geistigen Verfassung waren.
Wieder aus meinen Gedanken gerissen, hörte ich Ava die Treppe runter stampfen und mit Becky zanken. „Ach diese Ava!“, dachte ich. Immer muss es nach ihrer Nase gehen. Sie kam in ihrer adretten, aber auch sehr merkwürdigen Kleidung nach unten. Sie trug wieder einmal einen viel zu kurzen, schwarzen Rock. Dieser hatte breite Falten und bereits ein kleines Loch am unteren Saum. Dazu hatte sie eine Seidenstrumpfhose mit einem Tattoo-Muster an. Ich denke, das sollten Blumenranken mit Dornen darstellen oder so etwas in der Art. Da sie nicht die zierlichste Person war, wirkte das Motiv etwas verzerrt. Daher entfleuchte mir ein leises Kichern.
Ava wünschte sich schon lange eine Tätowierung. Das war bestimmt der Einfluss von Markus, dachte ich. Aber Tante Lynn hielt recht wenig davon und sah es nicht ein, so eine Menge Geld aus dem Fenster zu werfen. Also zog Ava mit voller Absicht diese Strumpfhosen an, um ihre Mutter zu ärgern. Tante Lynn verdrehte daraufhin immer die Augen und machte eine abwinkende Geste mit ihrer Hand. Tante Lynn war heute jedoch schon außer Haus, daher war es eh egal.
Eine weiße Bluse, die diesem Outfit schon wieder das Aggressive nahm und sie wieder gut aussehen ließ, rundete ihre heutige Modereise ab. Ihre langen blonden Haare waren zu einem zerrupften Knoten zusammengebunden und mit ein paar Klammern festgesteckt. Sie sah eigentlich recht nett aus, aber das war sie in den seltensten Fällen zu mir. Die letzte Zeit zumindest. Irgendetwas beschäftigte sie, aber drüber reden wollte Ava schon lange nicht mehr. Ava war sehr rechthaberisch und konnte es die letzten paar Monate nicht ertragen, dass Lynn sich auch um mich kümmerte. Da sie generell viele Freunde hatte, dessen Einfluss mal dahingestellt bleiben sollte, wollte sie mit diesen mithalten. Daher wollte sie sich tätowieren lassen, einen Führerschein machen und immer die neusten Klamotten haben. Einen Nebenjob wollte sie aber nie annehmen. Das sei zu stressig mit der Schule, sagte sie immer. Außerdem müsste sie sich auch bald entscheiden, ob es für sie mit der Schule weiterginge oder was sie eigentlich mal werden möchte. Dafür benötige sie viel Zeit und einen klaren Kopf.
Daher kam oft die Diskussion auf, dass, wenn ich nicht da wäre, Lynn mehr Geld hätte, um Ava mehr zu unterstützen, wie sie es so nett ausdrückte. Bei manchen Streitigkeiten zwischen Ava und Lynn fielen auch sehr schmerzhafte Sätze wie: „Damals, als Dad noch da war, war alles besser!“ oder „Warum muss ich eigentlich unter meiner verrückten Tante leiden?“ Ich tat immer so, als würde ich das nicht mitbekommen und drehte die Musik in solchen Momenten lauter, wenn ich in meinem Zimmer war. Aber natürlich traf mich so etwas sehr und ich würde gern selbst an dieser Situation etwas ändern. Aber das war nicht so einfach. Und ich hoffte, es war nur eine Phase. Auch für Tante Lynn hoffte ich das.
Tante Lynn war schon in der Schule, da sie einen wichtigen Vortrag vor dem Verwaltungskomitee halten musste. Dieses Thema und auch die dazugehörige Präsentation mussten wir uns die letzten Wochen sehr oft anhören. Naja, eigentlich nur Becky und ich, da Ava aktuell nicht gerade eine gute Zuhörerin war. Ich fand heute Morgen nur einen Zettel in der Küche und eine Tüte voll mit Brötchen und Croissants. Auf dem Zettel stand: „Bedient euch und lasst es euch schmecken! Ich bin schon weg! Drückt mir die Daumen. Gruß und Kuss!“ Also griff ich natürlich zu, da ich sowieso immer die Erste in der Küche war.
Ich schaute Ava an, als sie in der Küche stand und hielt ihr die Tüte hin. Sie rollte mit den Augen, nahm sie mir ab und holte sich ein Brötchen raus. Als ich fragte, ob alles okay sei, antwortete Becky: „Frag doch mal deine Cousine!“ Eigentlich mochten Becky und Ava sich, da sie wie entfernte Schwestern zueinander waren. Aber in letzter Zeit wurde die Stimmung immer eisiger zwischen ihnen. Heute ging es wohl um Kleidung, die Ava einfach von Becky genommen hatte und ungewaschen wieder zurücklegte. So etwas kam des Öfteren vor, da Becky sehr oft bei uns war oder Ava auch mal bei ihr drüben. Sie hatten fast die gleiche Klamottengröße und tauschten ab und an mal ihre Kleidung. Auch wenn Beckys Sachen höherwertiger waren, als die von Ava, sagte sie nie etwas dagegen und schenkte ihr auch mal Dinge. Aber es dreckig zurücklegen oder zu bringen, konnte sie nicht leiden.
„Du, Emma, leider muss ich früher gehen, als geplant!“, sagte Becky. Ich schaute sie an und öffnete meinen Mund, wollte etwas sagen, aber Ava war schneller! „Ja super, oder? Becky muss weg und in der Bar eine neue Lieferung annehmen. Ihr Personal war krank und daher musste sie selbst hin. Eigentlich wollte sie mich in die Galerie fahren. Das kann ich wohl knicken!“, sagte Ava und schnaufte theatralisch dabei. Becky ist quasi zu ihrem Taxi geworden, seit Ava 16 wurde und möchte gern überall hingefahren werden. Bei mir steht lediglich immer nur ein Termin in der Woche fest und das ist der Mittwoch. Daher stand ich wohl auch auf Beckys To-Do-Liste, nahm ich an. Becky schaute mich an und fragte mich, ob es heute bereits einen Anruf aus der Klinik gäbe. Ich nickte langsam, aber traurig, mit dem Kopf. Da riss Becky die Augen auf und lächelte mich an. „Du darfst sie also besuchen?“, fragte sie. Auch hier konnte ich nur nicken und schaute auf mein Croissant, um nicht allzu geknickt zu wirken.
In dem Moment merkte Becky, dass sie mich ja fahren wollte. Als Ava wieder anfing, zu meckern, aber dabei den Raum verließ, weil sie ihr Telefon zückte, um eine Voicemail zu versenden, kam Becky zu mir rüber. Sie grinste mich an und nahm meine Hand. „Schau nicht so traurig, du darfst sie besuchen. Das schaffst du heute auch allein“, sagte sie sanft. Im nächsten Moment griff sie in ihre Hosentasche und zog 50 Pfund aus ihrer Jeans. Sie steckte mir diese schnell zu und hielt den Finger auf ihren Mund, um mir zu zeigen, dass ich leise sein soll. „Nimm dir ein Taxi, Liebes. Das schaffst du und genieß es, ja?“ Darauf kam Ava wieder in die Küche und schaute uns an. „Was ist hier los?“, zischte sie und holte sich noch ein Croissant aus der Tüte. „Die sind ja furztrocken“, motzte sie weiter. „Fährst du uns wenigstens trotzdem, Becky“?, fragte sie trotzig.
Ich lächelte Becky an und zwinkerte ihr zu. Dann sagte ich zu Ava: „Madame von Hudson, wäre der Bus nicht auch genehm für Sie, Ihre wohlgeboren?“ Becky lächelte und schaute Ava neckisch an. Ava schmollte und nahm ihren Rucksack vom Boden. Sie zog ihre Jeansjacke an und rollte die Augen. „Naaaaa guuuuut“, seufzte sie und ging bereits die Tür raus. „Bis später! Und Danke für nichts.“ Weg war sie.
Becky verabschiedete sich nochmal und entschuldigte sich. Sie würde erst am späten Nachmittag zurück sein, aber wenn was wäre, dürfe ich gern anrufen. Nach meinem zweiten Croissant und meinem Kaffee machte ich mich auch so langsam fertig und merkte, so nervös war ich schon lange nicht mehr....
Dabei war ich doch erst letzte Woche bei meiner Ma. Aber irgendwie war es anders, als sonst. Ich lief den Flur zuhause entlang und sah eins ihrer selbst gemalten Bilder aus der Klinik hängen. Eine große, graue Blumenvase mit Verzierungen und vielen weißen und roten Rosen darin. Es war eins meiner Lieblingsbilder und es strahlte so viel positive Energie aus, sodass ich mir das Grinsen nicht verkneifen konnte und mich frohen Mutes auf den Weg machte.