Читать книгу Schwertsänger - Jennifer Roberson - Страница 10

FÜNF

Оглавление

Ohne mich zu Rate zu ziehen (natürlich), änderte Del ihre Meinung. Wir würden Harquhal, wie sie mir sagte, erst am nächsten Morgen verlassen. Sie wollte eine Nacht abwarten, um zu sehen, ob jemand mit wahren Informationen über Ajani herausrücken würde.

Ich stimmte sehr bereitwillig zu. Del hatte ihre Entscheidung getroffen, und ich hatte keine Lust, mit ihr zu streiten. Zum einen war es schön, wieder in einem richtigen Bett zu schlafen und in einem südlichen Wirtshaus unter Männern zu trinken, in dem Wissen, daß ich solche Annehmlichkeiten mit der Dämmerung hinter mir lassen würde. Zum anderen war es nicht schwer, die Dinge aus Dels Sichtwinkel zu betrachten. Eine Bande südlicher Räuber hatte die Karawane ihrer Familie an der Grenze überfallen und alle außer Del und ihrem jüngsten Bruder brutal getötet. Man brauchte nicht viel Phantasie, um herauszufinden, was die Räuber Del und Jamail angetan hatten, bevor sie entkommen konnte. Ich hätte mich an ihrer Stelle genauso der Rache verschrieben. Sie wollte Ajani, den Anführer, und ich hatte nicht die Absicht, sie davon abzubringen.

Der Tag war nicht so langweilig, wie er hätte sein können. Del war ziemlich ruhig, in persönlichen Gedanken versunken, doch jetzt, da unsere Namen bekannt waren — dank Dels Zutun und einem geselligen Bellin —, kamen Männer heran und fragten mich nach meinen Heldentaten. Del mieden sie weitgehend, da sie nicht in der Lage waren, einer Frau zu verzeihen, daß sie einen der Ihren in einem Kreis getötet hatte — was bisher eine streng männliche Domäne gewesen war—, aber sie waren äußerst redselig mir gegenüber. Es dauerte nicht lange, und ich war der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, trank kostenlosen Aqivi und erklärte, wie es dazu gekommen war, daß ich der beste Schwerttänzer des Südens geworden war.

(Andere südliche Schwerttänzer würden diese Tatsache vielleicht bestreiten, aber ich würde dies so lange nicht tun, wie diese großzügigen Individuen das Bedürfnis hatten, mir Drinks zu spendieren. Nebenbei gesagt, ist es wahrscheinlich wahr, Dels Können ungeachtet. Und außerdem ist sie Nordbewohnerin.)

Als die Nacht hereinbrach, änderte sich nicht viel, obwohl der Aqivi und der Wein zäher flossen und die Geschichten weitschweifender wurden, sogar wenn ich sie erzählte. Und ich war mir Bellins lächelnden Gesichtes am Rande der Menge bewußt, sehr bewußt. Er beobachtete mich, er beobachtete die anderen und empfand offensichtlich die Freude an dem mit, was er selbst so sehnlichst zu erfahren wünschte: dem Ruhm.

Ich hätte ihm sagen können, daß der Name des Spiels nicht Ruhm war. Überleben hieß es. Ich wußte niemals, wem ich im Kreis begegnen würde oder wann, und ich wußte sicherlich niemals, wie es ausgehen würde. Ich bin gut, sehr gut, aber ich bin auch Realist. Jeder Mann kann besiegt werden, abhängig von unzähligen Umständen.

Das Gespräch wandte sich schließlich Del zu, aber eher nebenbei. Niemand wollte in bezug auf sie viel sagen, aber unterschwellig war Neugier verschiedenster Art spürbar. Sie wollten alle wissen, wie es dazu gekommen war, daß der Sandtiger mit einer nordischen Bascha unterwegs war, die sich selbst als einen Schwerttänzer bezeichnete, obwohl dies Blasphemie gleichkam.

Ich erzählte ihnen nicht alles. Ich erzählte ihnen genug. Genug, um ihr Interesse anzustacheln und sie dazu zu bringen, sich zu fragen, ob die nordische Bascha tatsächlich so gut war, wie sie schien. Ich empfand es als offensichtlich, aber niemand ändert seine Meinung über Nacht. Auch ich nicht. Und die Götter wußten, daß ich Grund genug hatte, es besser zu wissen, da Del sowohl das Bett als auch den Beruf mit mir teilte, ganz abgesehen vom Lebensstil.

Und so gab ich ihnen ein bißchen was zum Kauen, wobei ich sehr genau wußte, daß sie von einer blonden, blauäugigen Frau träumen würden, wenn sie in dieser Nacht ins Bett kröchen. Als ich gerade daran dachte, fragte ich mich, ob es nicht vielleicht Zeit wäre, selbst ein wenig ins Bett zu kriechen.

Mit Del natürlich, was bei weitem besser war, als nur von ihr träumen zu dürfen.

Aber es schien, als würde ich trotz allem darauf beschränkt bleiben, denn Del war verschwunden. Irgendwann zwischen dem ersten und dem letzten Krug Aqivi war meine nordische Bascha verschwunden.

Ich ging aus dem Wirtshaus hinaus in die Nacht. Fackelschein malte bizarre Schatten auf die Wand und ließ Ecken, Biegungen und Gassen zu schwarzen Taschen werden. Es war nicht sehr spät. Häufig gingen Leute vorbei. In der Ferne hörte ich den Stundenruf, die neunte Stunde nach Mittag. Und dann hörte ich die Schritte hinter mir.

»Ein ganzes Leben, Sandtiger.« Bellin trat an meine linke Seite. »Vielleicht eines Tages ...«

»Vielleicht wirst du eines Tages ein alter Mann sein und im Bett sterben.« Ich lächelte ihn nicht an, denn das Thema war nicht besonders amüsant. »Ein Mann erzählt Geschichten, um sein Publikum zu erfreuen, und schmückt sie im Verlauf aus.«

»Dann ist keine davon wahr?«

»Leidlich wahr.« Ich schaute ihn offen an. »Ich lüge nicht, Bellin. Lügen verursachen Schwierigkeiten.«

Irgendwie traurig kratzte er sich seinen dürftigen Schnurrbart. »Das weiß ich zur Genüge.« Er grinste. »Noch etwas Aqivi?«

»Kein Platz mehr.« Ich lehnte mich mit der rechten Schulter gegen den senkrecht stehenden Stützpfeiler neben mir und blinzelte ihn an. »Was willst du, Bellin?«

»Das habe ich Euch gesagt. Mit Euch reisen.«

»Del und ich reiten allein.«

»Ich wäre nicht im Weg.«

Ich grunzte. »Was wir tun, tun wir nicht aus Spaß oder für den Ruhm, Junge. Es ist unser Beruf.«

»Das weiß ich. Ich bin nicht ganz dumm.« Sein Lächeln strafte den leichten Vorwurf seiner Worte Lügen. »Ihr könntet mir eine Chance geben, es auszuprobieren.«

Ich seufzte. »Du kommst nicht aus diesem Gewerbe. Weißt du überhaupt, was ein Schwerttänzer ist?«

Bellins weiße Zähne schimmerten. »Das hängt davon ab«, sagte er fröhlich. »Einige, vielleicht die meisten, sind ehrbare Leute, die stolz sind auf ihre Arbeit. Aber andere, denke ich, sind nicht besser, als, sagen wir ...« Sein Lächeln wurde breiter und geriet an einer Seite schief. »... ein Pirat.«

Ich runzelte die Stirn. »Was ist ein Pirat?«

Er blinzelte. Dachte einen Moment über die beste Antwort nach. Nickte dann leicht und hob eine Schulter in beredtem Achselzucken. »Ein Mann, der auf den Meeren segelt und ...«, er hielt inne, »rettet, was andere versäumen, angemessen zu schützen.«

»Aha.« Ich nickte. »Ein Borjuni, würden wir in der Punja sagen, abhängig von der von ihm angewandten Grausamkeit. Hier oben, so nahe an der Grenze, wäre das beste Wort vielleicht Dieb.«

Bellin die Katze lachte. »Vielleicht«, räumte er ein und war nicht im geringsten verblüfft durch meine Offenheit.

»Schwerttanzen ist ein wenig anders«, erklärte ich.

»Wir sind nicht zu dem Zweck unterwegs, den Reichtum eines Gegners an uns zu bringen.«

»Nein. Nur sein Leben.« Bellin seufzte und schaute hinauf zum Mond, einem messerscharfen Halbmond, der die Mauern erglühen ließ.

»Ich bin kein Pirat mehr.«

»Aber immer noch ein Dieb.«

Er blinzelte mir zu, ganz Unschuld. »Ich wäre lieber ein Panjandrum.«

Ich konnte nicht anders, ich lachte. Bellin die Katze war so ziemlich das einnehmendste und natürlichste Individuum, dem ich je begegnet war, besonders wenn man bedachte, daß das, was er erstrebte, Affektiertheit geradezu hervorrief. Ich sah ihn von der Seite an. Jung, Jahre jünger als ich selbst, aber schließlich fühlte ich mich manchmal direkt noch älter, wenn Del in der Nähe war.

Und das erinnerte mich: Jetzt war sie es nicht.

Bellin sah, daß ich stirnrunzelnd die unmittelbare Umgebung absuchte. »Sie sagte, sie würde bald zurück sein.«

Das ließ mich herumfahren. »Was?«

Zuvorkommend wiederholte er seine Feststellung.

Ich runzelte die Stirn. »Das hat sie dir gesagt?«

Er kratzte sich am Kinn. »Ihr habt nicht zugehört.«

»Jetzt hör mal gut zu ...« Aber ich brach ab, denn

grundsätzlich stimmte es.

»Sie sagte, sie würde zum Wirtshaus zurückgehen, die Pferde in den Stall bringen und Euch dann holen.«

Mich holen. Mich holen, wie eine Mutter, die ihr unpünktliches Kind nach Hause holt.

Ich sah ihn unheilvoll und stirnrunzelnd an. Ein sehr kühler junger Mann war Bellin, so freigiebig mit seinen Informationen. »Weißt du irgend etwas über Ajani?«

Er war damit beschäftigt, die Falten seines safranfarbenen Gewandes zu richten. Verzögerungstaktik.

»Ajani«, sagte ich sanft.

»Der Name ist bekannt.«

»Erinnere dich daran, was ich über Lügen gesagt habe, Junge. Wie sie dich am Ende zum Stolpern bringen können.«

»Nur, wenn man ungeschickt ist.« Er grinste, griff unter dem Gewand an seinen Rücken und nahm aus seinem Gürtel drei seltsam geformte Äxte oder etwas Ähnliches. Ich hatte solche Gegenstände nie zuvor gesehen.

Nachlässig, ohne Anstrengung, begann Bellin die Katze sie in die Luft zu werfen, kopfüber, von einer Hand in die andere, bis die Waffen kaum mehr waren als ein nebelhaftes Wirbeln von Holz und Leder und Stahl. »Auf dem Schiff«, erzählte er mir, »wurden wir oft sehr unruhig. Dies ist eine Art, die Zeit zu verbringen.«

Von der anderen Seite des Pfostens her, wohin ich schneller ausgewichen war, als beabsichtigt — und die Zeche mit meinem aqiviwirren Kopf bezahlte —, beobachtete ich die fliegenden Äxte. Hinauf. Hinunter. Rundherum. Näher an seinem Kopf, als mir lieb war. Und all diese Bewegungen machten mich allmählich benommen.

Bellins Hände waren geschmeidig und außerordentlich schnell. Zweifellos war er ein hervorragender Taschendieb, obwohl seine meisterliche Beherrschung der Äxte das Handeln auf einer insgesamt höheren Ebene anzeigte.

Er fing sie eins, zwei, drei auf, hörte auf, sie zu werfen, und gab mir eine.

Ich begutachtete sie schweigend. Insgesamt ungefähr eineinhalb Fuß lang, aber seltsam geformt. Eine Seite des Schafts war grob als abgeflachte Stahlklinge ausgearbeitet, ziemlich scharf, ganz ähnlich der einer normalen, einfach geschliffenen Handaxt. Aber die andere Seite war ein abgerundeter Knauf aus Metall. Der hölzerne Griff war für besseren Halt mit Leder umwickelt. Meiner Meinung nach war das Gleichgewicht unausgewogen, aber offensichtlich kam Bellin perfekt damit zurecht.

»Versucht es«, schlug er vor.

»Um was damit zu tun? Diesen Pfosten spalten?« Ich schaute den besagten Pfosten an. »Gerade jetzt denke ich, daß ich das brauche.«

»Nein. Nein — hier. Seht!« Und er warf eine Axt über die Straße in einen hölzernen Pflock, wo sie steckenblieb.

Ich blinzelte über die Entfernung hinweg und sah den axtgeschmückten Pflock lange Zeit an. Dann die Axt in meiner Hand. Schließlich Bellin selbst. »Es sind Leute auf der Straße«, belehrte ich ihn streng.

Nun, es waren Leute dort gewesen. Die meisten waren in Panik geraten und hatten die Straße verlassen, nachdem sie bemerkt hatten, was Bellin warf. Oder sie hatten sich in den Staub geworfen und ihn nach allen Regeln der Kunst verflucht.

»Ich weiß«, sagte er strahlend und nickte zustimmend. »Ein Teil des Tricks ist natürlich das Zeitgefühl, das ist die wahre Herausforderung.« Sein Lächeln war angesprochen unschuldig. »Einmal habe ich sogar nicht getroffen.«

»Oh-hoh.« Ich gab ihm seine Axt zurück, als sich Del von links näherte, und wollte zu ihr gehen. »Vielleicht sprechen wir uns eines Tages wieder.«

»Glaubt Ihr, es besteht eine Chance, daß ich Euch begleiten könnte?« fragte Bellin und folgte mir.

Ich spürte das Gewicht von Therons Schwert auf meinen Schultern. »Wo wir hingehen«, belehrte ich ihn, »ist kein Platz für drei. Und es geht um eine persönliche Angelegenheit.«

Bellin blieb stehen. Seufzte. Nickte. Und versenkte zwei weitere Äxte in den Pflock, erneute — und lautere — Flüche mißachtend.

Dels Brauen waren gehoben, als ich sie einholte. Da ich in ihrem Gesicht lesen konnte, zuckte ich zur Antwort die Achseln. »Zeitvertreib.« Ich stolperte über einen Schatten, was ihr ein kurzes, gehauchtes Schnauben der Erheiterung entlockte. »Er will uns wirklich begleiten.«

»Nein.«

Wir bogen um eine Ecke und gerieten in eine engere, verlassene Straße. »Das habe ich ihm gesagt.« Wir stießen zweimal mit den Ellenbogen zusammen, während wir gingen, und ich hörte Del seufzen. Nun, ich hatte eine Menge Aqivi getrunken. »Ich habe es ihm gesagt ...«

Ich konnte ihr nicht sagen, was ich ihm gesagt hatte, denn vier Umrisse lösten sich aus den Schatten und griffen uns an.

»O Hoolies«, murmelte ich und riß Therons Schwert aus der Scheide, »hätten sie das nicht machen können, als ich nüchtern war?«

Das war natürlich eine rhetorische Frage, und Del verschwendete keine Zeit mit einer Antwort. (Obwohl sie zweifelsohne eine hatte.) Ich hörte das Winseln von Boreal, als Del sie aus der Scheide zog. Ich hörte auch ein Bruchstück eines Gesangs und wußte, daß Del für die Punja-Würmer nicht allzu große Anstrengungen aufwenden würde. Sie stimmte das Schwert, was bedeutete, daß sie noch weniger Chancen hatten als zuvor.

Das Licht war schlecht, aber nur einen Moment lang. Dels Klinge brannte lachsfarben-silbern in der Dunkelheit, und ich sah vier dunkle südländische Gesichter plötzlich zum Relief werden: ganz Flächen und Hohlräume und schwarze Flecken für die Augen und Münder. Sie blinzelten, fluchten und kamen dann mit bemerkenswerter Entschlossenheit heran.

Zwei von ihnen griffen mich an, und zwei Del. Zumindest hatten sie soviel gelernt, als sie sie im Kampf beobachtet hatten.

Sie trugen sackartige Gewänder über ebenso sackartigen Jodhpurs und Tuniken. Dieses Übermaß an Gewebe macht es schwieriger, Haut von Stoff zu unterscheiden und den Teil zu durchbohren, der zählt, bevor er zu-rückstechen kann. Ich zerriß ein Gewand, durchschnitt eine seidene Schärpe, erwischte eine Rippe, aber kaum mehr. Er war sehr schnell, oder ich war langsamer geworden. (Möglicherweise aufgrund angesichts des Aqivi, der in meinem Kopf und Bauch umherschwappte.)

Etwas stach in mein linkes Handgelenk. Durch göttliche Vorsehung bestimmt, wie es sich herausstellte. Der Schmerz schleuderte mich direkt aus dem Alkoholnebel heraus und machte mich erheblich aufmerksamer. Ich spießte einen Mann am Bauch auf, schnitt in das andere, weiter unten liegende Teil, so daß er sein Schwert ganz fallen ließ und sich darauf konzentrierte, seine Eingeweide daran zu hindern, hervorzuquellen und seine Seidenstoffe zu füttern.

Ich fand mein Gleichgewicht wieder, wandte mich um und sah Del einen ihrer Angreifer töten. Und dann, als sie herumfuhr, um den vierten ins Jenseits zu befördern, stellten wir fest, daß dies nicht nötig war. Der pockengesichtige Südbewohner war gerade im Begriff, flach aufs Gesicht zu fallen, wobei er sehr bestürzt darüber war, sich tot zu finden, und landete ohne Protest am Boden.

Aus seinem Rückgrat ragte eine von Bellins Äxten heraus.

Del und ich sahen die Axt einen Moment lang an und schauten dann auf. Der Möchtegern-Panjandrum näherte sich ruhig, beugte sich über den Körper und zog die Axt heraus. Das Geräusch war anders als das, was beim Herausziehen eines Schwertes entsteht. Ich beschloß, daß letzteres weniger beunruhigend war für einen Mann, der zu sehr dem Aqivi zugesprochen hatte.

Bellin inspizierte die Klinge, säuberte sie an dem Gewand des toten Mannes und sah uns an. »Ich habe den Pfosten schon wieder verfehlt.«

Ich seufzte. »Du kannst trotzdem nicht mitkommen.«

Er dachte darüber nach, nickte, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte davon. Wobei er mit seinen drei tödlichen Äxten jonglierte.

»Nun«, bemerkte Del, »zumindest ist der Junge aufmerksam.«

»Junge?« Ich sah sie stirnrunzelnd an. »Er ist in deinem Alter, mindestens.«

Sie sah Bellin nach. Dann wieder mich an. »Nun«, sagte sie erneut, »ich denke, er erscheint mir so jung, weil ich mit dir geritten bin.«

Ich würdigte dies keiner Antwort.

Del grinste und hob helle Brauen. »Nun, was hast du ihm gesagt?« Sie säuberte Boreal und steckte sie wieder in die Scheide. »Was hast du gesagt, bevor wir unterbrochen wurden?«

Ich grunzte und erledigte meine eigenen Säuberungspflichten. »Daß dieses Leben zu kurz für ihn sei, um es damit zu verschwenden, mit uns umherzuziehen.«

»Ist das der Grund, warum du mit mir kommst?«

»Du weißt, warum ich mitkomme.«

»Nein«, sagte sie, als wir erneut die Straße entlangeilten, »du hast es mir nie gesagt. Du hast mich damals einfach eingeholt und bist seitdem immer bei mir gewesen.«

»Und ich vermute, du bedauerst es.«

Sie warf mir einen schrägen Blick zu und musterte mich von oben bis unten. »Hast du mir jemals Grund gegeben, es zu bedauern?«

Ich kratzte wild an einer schmerzenden Armwunde und versuchte, ein Rülpsen zu unterdrücken. »Nicht ich, Bascha. Du brauchst mich.«

Del antwortete nicht, was ich als ausreichende Antwort empfand. Die Frau kann raffiniert sein, aber nicht unfaßbar.

»Hier«, sagte sie, »das Wirtshaus.«

»Paß auf«, warnte ich.

Del sagte nichts. Sie ging einfach hinein und ließ mir

den Vorhang ins Gesicht schlagen.

Wieder.

Später, viel später, schreckte ich aus dem Schlaf in Wachsamkeit, höchste Wachsamkeit, als Del aus dem Bett schlüpfte. Schwerttänzer, die inmitten von Feinden am Leben bleiben wollen, lernen sehr schnell, wie man den Schlaf wahrnimmt, wann immer es möglich ist, und auch, wie man bereitwillig aufwacht, ohne daß beim Übergang etwas verlorengeht.

Ich dachte zuerst, sie wolle sich in den für diesen Zweck bereitgestellten Nachttopf erleichtern. Aber statt dessen hob sie ihr Schwert vom Boden in meiner Nähe auf, zog es aus der Scheide und ging zwei Schritte in die Mitte des Raumes. Dort kniete sie nieder, nackt, das helle Haar wild um ihre Brüste und die Schwertklinge dazwischen gepreßt.

Es gab keine Lampe, aber der Halbmond warf gedämpfte Beleuchtung durch mit Latten versehene Fenster. Die Frau kniete auf dem Boden, eingehüllt in Schatten und silbriges Mondlicht. Und ich hörte, wie sie zu singen begann.

Es war ein kleines Lied. Kaum mehr als das Flüstern eines Geräusches, durchzogen von einem Zischen zurückgehaltener Lautstärke. Sie wollte mich also nicht wecken, obwohl Del meine Schlafgewohnheiten inzwischen genauso gut kannte wie ihre eigenen.

Ich habe ein minderwertiges Gehör. Für mich ist Musik wenig mehr als Geräusche, laute, leise, hohe oder tiefe Töne. Ich hatte sie schon zuvor singen hören, wenn sie sich für den Kreis vorbereitete, aber es hatte mir nichts gesagt. Es waren nur — Geräusche. Irgendeine persönliche Bitte an ihre Götter oder an ihr Schwert. Gesang des Lebens, Gesang des Todes, für mich ein und dasselbe. Kaum mehr als eine charakteristische nordische Eigenart. Theron hatte das auch getan.

Aber Del sang noch immer, und das Schwert erwachte in ihren Händen zum Leben.

Zuerst traute ich meinen Augen nicht. Mondlicht ist oft trügerisch. Wolken, dachte ich, die über den Halbmond zogen und so seine Leuchtkraft beeinträchtigten. Aber wenn es überhaupt etwas bedeutete, dann zollte der Mond dem Schwert Tribut. Sein Licht wurde merklich vom Leuchten der Klinge überstrahlt.

Ich sah auf die Spitze. Zunächst war da nur ein kaum wahrnehmbarer Lichtfleck. Ein Funke, unbeweglich und beständig, hervorquellend wie ein Tropfen Blut aus einer von einem Dorn verletzten Fingerkuppe. Er pulsierte, als würde er leben, als würde er atmen. Und dann kroch er stetig aufwärts, Finger für Finger, Perle für Perle, langsam, wie eine Kette aus Punjakristallen. Stirnrunzelnd sah ich einen zu mehreren und mehrere zu vielen werden, bis die doppelseitige Klinge in Licht erglühte, indem sich die Funken zu einem Ganzen vereinten.

Pulsierend. Hell — heller — strahlend ... dann fast völlig verblassend, bis er sich wieder erneuerte.

Del sang weiter, und die Klinge brach in Feuer aus.

»Hoolies, Del ...« Ich fuhr hoch, unbeholfen in meiner Hast, in der Absicht, ihr das Schwert aus den Händen zu schlagen und nur erreichend, daß ich beinahe flach aufs Gesicht fiel. Verstrickt in Bettzeug (und von zu viel Aqivi benebelt), taumelte ich. In den Flammen wirkte ihr Gesicht starr.

Ich erwartete zu sehen, daß ihre Haare Feuer fangen würden, aber das geschah nicht, noch berührten die Flammen ihre Haut. Sie hingen an dem Schwert, betörten die doppelseitige Klinge, züngelten scheu um die Runen. Und starben dann, erstickten, als ihr Gesang schwankte. Ihre Augen waren fest auf die Runen gerichtet.

Ich streckte die Hand aus, aber etwas in ihrem Gesicht hinderte mich daran, das Schwert zu berühren. Ich wußte, daß ich es ungestraft tun konnte, denn den Namen des Jivatma zu kennen erlaubte mir ein gewisses Maß an Vertraulichkeit: eine Befähigung, einen Teil der Macht, die Del in vollem Umfang beherrschte, zu berühren. Einmal hatte ich, aus Unwissenheit und bevor ich den Namen kannte, das versilberte Heft mit seinen sich ständig verändernden Formen ergriffen und ganze Hautschichten meiner Handfläche eingebüßt. Sie war wochenlang von Eis gebrandmarkt gewesen. Jetzt waren die Verbrennungen fort, aber nicht die Gefühle, die sie hervorgerufen hatten.

Wegen dieser Gefühle und Dels Augen unterließ ich es, das Schwert zu berühren.

Der letzte der Funken verglühte. Das Pulsieren wurde vom Mondlicht besiegt. Das Schwert war wieder nur ein Schwert, ohne jegliche Magie.

Ich holte tief Luft und befeuchtete meine Lippen. »Ich habe es nie zuvor das tun sehen.«

»Ich habe dafür gesorgt, daß du es nicht sehen konntest.« Die Klinge, jetzt ruhig, wurde von den beidseitigen Wasserfällen hellen Haares, die über ihre Schultern hingen, verborgen.

Ich seufzte in dem Bewußtsein, daß zuviel Aqivi meine Sinne getrübt hatte. Die erste erschreckte Reaktion war vorbei und ließ mich mit dem Geschmack der herben Nachwirkungen und dem Gefühl der ersten Stiche eines Kopfschmerzes zurück. »Was, bei den Hoolies, hast du getan?«

»Um Rat gefragt.« Del erhob sich, nahm die Scheide, die ich für sie aufgehoben hatte, und steckte Boreal hinein. »Ich bin ... verdreht.«

»Verdreht?« Ich hob die Augenbrauen. Ihre Glieder waren gerade wie immer.

Sie runzelte die Stirn und zuckte die Achseln. »Verdreht ... gefesselt ... geteilt ...« Sie hielt inne und spürte der Bedeutung ihrer Worte nach, deren eigentliche Aussage in meiner Sprache eine andere Bedeutung hatte. Obwohl sie die südliche Sprache gut spricht, wenn auch mit seltsamem Akzent, gibt es Zeiten, in denen unsere entschieden unterschiedliche Herkunft die Verständigung erschwert, wenn nicht schlichtweg unmöglich macht.

»Durcheinander«, übersetzte ich. »Verwirrt.«

»Verwirrt«, echote sie. »Ja.« Sie legte das Schwert in der Scheide wieder neben meines auf den Boden, ganz nahe am Bett, kletterte ins Bett und zog sich die Bettdecke um die Schultern. »Was soll ich tun?«

Del gibt mir nicht oft Gelegenheit, auch nur vorzuschlagen, was sie tun könnte. Aber eine direkte Frage unterstrich das Ausmaß der Verwirrung, die sie jetzt eingestand.

Ich setzte mich auf die Kante des Bettes. »Hat das irgend etwas mit dem Mann zu tun, den du heute nacht getötet hast?« Ich schaute zum Mond hinauf. »Letzte Nacht?«

Del seufzte. Ihr Gesichtsausdruck war nachdenklich. »Nichts und alles, alles zugleich.«

»Er war einer der Räuber ...«

»O ja. Ich erinnere mich an ihn. Ich erinnere mich an sie alle.« Sie schüttelte in gleichgültigem Abtun den Kopf. »Zuerst dachte ich, daß es nicht so wäre, weil ich es nicht glauben konnte ... aber ich konnte ihre Gesichter nicht vergessen, wenn ich es wollte ... zu oft sehe ich sie in meinen Träumen.«

»Ja, nun, sogar Hunde träumen.«

Ein schwacher Versuch unvorbereiteten Einfühlungsvermögens. Sie lächelte noch nicht einmal. »Ich will es nicht, Tiger. Ich will sie niemals vergessen, bis die Blutschuld beglichen ist.«

»Selbst dann wirst du sie vielleicht nicht vergessen.«

Ein schlanker Arm verließ den Schutz der Bettdecke. Sie glättete Falten, die über ihre Knie hochgerutscht waren, die sie bis zum Kinn hochgezogen hatte. Kurz darauf berührte sie mit einer seltsam verletzlichen Geste meine Schulter, fand eine alte Narbe und streichelte darüber. Wieder und wieder.

»Ich habe mich gut gefühlt, als ich ihn tötete«, sagte sie.

Ihr Ton strafte ihre Worte Lügen. »Aber nicht gut genug.«

Die Finger hielten einen Moment inne und nahmen dann ihre müßige Bewegung wieder auf. »Ich habe einen Schwur abgelegt.«

»Ich weiß. Zu viele Dinge, Bascha ... und darum bist du verwirrt.« Ich fing ihre Hand auf und hielt sie ruhig. »Was hast du das Schwert gefragt?«

»Welches Risiko ich auf mich nehmen soll.«

Ich runzelte die Stirn. »Welches Risiko?«

Del schob die Haare hinter ihr linkes Ohr. »Wenn ich Ajanis Spur verfolge, kann die Suche Wochen dauern. Monate. Sogar Jahre.« Ihr Mund verzog sich. »Länger als die Zeit, die mir bleibt, bis mein Urteil vollzogen wird.«

»Und dennoch, wenn du nach Norden gehst, um dich dem Urteil deiner Gleichrangigen und Lehrer zu stellen, könntest du Ajanis Spur verlieren.« Ich nickte. »Keine leichte Entscheidung.«

»O doch. Zu leicht.« Sie nahm ihre Hand fort und faßte mit beiden Händen an ihren Nacken. Hakte etwas auf. Hielt es im Mondlicht von sich. Eine Kette aus schwerem Bernstein, rotbraun in dem schräg einfallenden Licht. »Ich habe sie gemacht«, sagte sie ruhig. »Vor zehn Jahren habe ich sie gemacht, als Geburtsgeschenk für meine Mutter.«

Ich erinnerte mich daran, wie sie etwas vom Hals des Südbewohners genommen hatte, den sie getötet hatte. Wie sie es in ihrer Faust umschlossen hatte, ohne ein Wort darüber zu verlieren.

»Risiko«, sagte ich ruhig. »Ajani jagen — gestern, heute, morgen —, während andere dich jagen.«

Ihre Hand umschloß die Kette. »Ich schulde meinem An-Kaidin so viel.«

»Und darum hast du ihn um Rat gefragt.« Ich hörte erneut, am Rande meines Kopfes, ihren Gesang, sah wieder das flammende Schwert. »Was hat er gesagt, Bascha?«

»Nichts«, flüsterte Delilah schließlich, und eine Träne rann ihre Wange hinab.

Wir waren Gefährten. Schwertgefährten, Bettgefährten. Aber in vielen Dingen waren wir einander fremd und hatten Angst zu verletzen, wo Gefühle vielleicht nicht erwünscht waren. Da wir so lange nur in uns selbst verschlossen gewesen waren, jeder von uns, war es schwierig, den Schlüssel umzudrehen und uns aufzuschließen, Dinge zu sagen, die wir zu sagen wünschten, Dinge zu teilen, die geteilt werden sollten. Und so hatten die nordische Frau und der südliche Mann, geboren aus der Gewalt, geformt durch eine grimmige Entschlossenheit, jene zu überwältigen, die uns geschlagen hatten, gelernt, nichts von Ängsten zu sagen, weil sie wußten, daß dieses Eingeständnis solche Ängste Wahrheit werden lassen könnte.

Die Tatsache, daß Del weinte, war genug, um meinen Kopf ausreichend von der Aqivi-Benommenheit zu befreien. Und das Wissen, daß ich in eine entzweiende Verwirrung eingetaucht war. Sollte ich Trost geben? Oder sollte ich mich zurückziehen, um ihr die Abgeschiedenheit zu ermöglichen, die sie so oft von mir erbat?

Hoolies, wie gehen andere Männer damit um?

Nun ... Frauen hatten schon früher in meiner Gegenwart geweint. Aber das waren südliche Frauen, mit völlig anderen Einstellungen und Absichten. Ich hatte gelernt, Tränen als Warnsignal für ein Eingebundensein zu nehmen, das dann meinem Lebensstil nicht länger förderlich war.

Aber dies war Del. Dies war eine Frau, die Gleichheit forderte und keine besonderen Vergünstigungen oder Rücksichten aufgrund ihres Geschlechts benötigte und wollte.

Zumindest schluchzte sie nicht. Sie wischte sich auch nicht hastig die Tränen fort, wie eine andere Frau es vielleicht getan hätte — und getan hatte. Eine Frau, die offensichtlich befürchtete, ich könnte entdecken, daß sie irgendwie, unter all der Verwirrung, ein völlig anderer Mensch geworden und meines Interesses nicht mehr wert war.

Del– weinte nur. Leise. Ohne Getue. Sie saß einfach da und ließ die Tränen ihr Gesicht hinablaufen.

O Hoolies ... warum ich?

Nun, da war eine Sache ...

Sie rührte sich, als ich sie berührte, womit ich ihr auf die beste Art, die ich kannte, zeigte, wie sehr ich sie, ungeachtet ihrer Verfassung — und Tränen —, noch immer wollte. Aber anscheinend war das nicht das, was sie wollte.

»Nicht jetzt«, sagte sie barsch und rückte ab.

»Ich dachte nur ...«

»Ich weiß, was du dachtest.« Ihr Gesicht war naß, aber es rannen keine Tränen mehr über ihre Wangen. Statt dessen sah sie mich stirnrunzelnd an. Diesen Gesichtsausdruck verstand ich nur zu gut. »Das ist nicht immer die Antwort, Tiger ... auch wenn das für dich — oder für jeden anderen Mann — etwas schwer zu verstehen ist.«

Ich gestehe ihr zu, daß sie weiß, wie und wo sie treffen kann. Und mein Stolz nahm, wie immer, Schaden. Mein Gefühl der Hilflosigkeit nahm in direktem Verhältnis zu dem plötzlichen Schrumpfen des Verlangens zu.

»Hoolies, Del, was willst du von mir? Ich versuche, dir zu helfen ...«

»Mir helfen? Dir selbst zu helfen, meinst du.« Sie stand auf, riß die dünne Decke vom Bett, um sie um ihren Körper zu wickeln, trat an das mit Latten versehene Fenster und schaute hinaus.

Ich blieb ohne Decke und mit sehr wenig Geduld zurück. Ich ließ das einzige, schwere Kissen auf meinen Schoß plumpsen, froh über etwas Bedeckung, und starrte vor mich hin. »Was, bei den Hoolies, soll ein Mann tun, Del? Raten? Besonders bei dir. Du bist so stachelig, daß ich nie weiß, wann du vorhast, mich zu pieksen.«

»Ich habe es nie vor«, sagte sie. »Es passiert einfach. Du forderst es heraus, manchmal.«

»Wie jetzt?« Ich nickte. »Gut. Das nächste Mal werde ich dich allein lassen.«

Sie seufzte tief. »Manchmal will eine Frau einfach festgehalten werden.«

»Und manchmal ist ein Mann mehr als bereit, einfach festzuhalten«, schoß ich zurück, »aber du mußt ihm wenigstens einen Hinweis geben.«

Sie sagte nichts.

»Besonders du«, erklärte ich. »Ich weiß nie, ob ich mit dem Schwerttänzer oder mit der Frau im Bett liege. So gut, wie du im Kreis bist, Del, bist du mehr Mann als Frau. Ich weiß, daß es so sein muß, und ich weiß warum. Aber im Bett will ich dich, nicht die An-Ishtoya.«

Sie schloß für einen langen Moment die Augen. Als sie sie wieder öffnete, waren sie trocken, aber seltsam verletzt. »Du hast mehr von mir bekommen als jeder andere Mann«, sagte sie sanft, »außer Ajani.«

Ich konnte den Blick nicht abwenden. Kurz darauf erhob ich mich, stieß das Kissen zur Seite, durchquerte den Raum zu der Frau. Erinnerte mich, daß der selbstbesessenen An-Ishtoya, dem tödlichen, nordischen Schwerttänzer, ihre Kindheit gestohlen worden war.

Und so hielt ich sie fest, hielt sie nur fest, und das war genug für uns beide.

Schwertsänger

Подняться наверх