Читать книгу Schwertsänger - Jennifer Roberson - Страница 9
VIER
ОглавлениеIch sah das Blut an seiner Kehle. Nur ein paar Tropfen, karmesinrot vor brauner Haut. Frisches Blut und frei von Eis. Del hatte das Schwert nicht gestimmt.
Er spie auf die Klinge. »Ich kämpfe nicht gegen Frauen.«
Die Spitze wechselte die Lage. Erhob sich. Drückte auf die Unterseite seines Kinns, hob es an, so daß er, um dem versprochenen Schnitt zu entgehen, den Hinterkopf zurücklegen mußte.
»Nein?« fragte Del. »Aber Ihr habt gegen mich gekämpft, vor fast sechs Jahren.« Ihre Augen verengten sich. »Kämpft erneut gegen mich, Südbewohner. Jetzt, wo ich weiß wie.«
Seine Freunde murmelten böse und waren offensichtlich unbeeindruckt von Dels Haltung. Um jeglichen Anstrengungen ihrerseits vorzubeugen, trat ich näher heran und fixierte die Männer bewußt mit einem Blick, der, wie ich wußte, beunruhigend wirkte, weil er das wilde Starren des Sandtigers auf der Lauer nachahmte, mit den grünen Augen und allem anderen. Ich machte, wenn auch schweigend, sehr deutlich, daß der Kampf eine Sache zwischen der Frau und dem Mann bleiben sollte. Anderenfalls würden sie persönlich, und zwar jeder von ihnen, mit mir kämpfen müssen. Jetzt oder später, sie hatten die Wahl.
Es funktionierte. Es funktioniert oft. Ich hatte es sorgsam angewandt, als ich zum ersten Mal auf die Ähnlichkeit aufmerksam gemacht worden war, denn ich war klug genug, einen Vorteil nicht zu mißachten, innerhalb oder außerhalb des Kreises.
Dels Gegner schaute an ihr vorbei zu mir und machte sich bewußt, daß es keine Fluchtmöglichkeit geben würde, absolut keine. Daß er kein Schwerttänzer war, wußte ich. Wir sind uns untereinander oft fremd, aber es gibt Möglichkeiten, es zu erkennen. In bezug auf ihn war es einfach, denn sein Schwert war an der Seite befestigt.
Also würde es ein Spaß werden. Kein Schwerttänzer. Kein Nordbewohner. Aber eindeutig ein Feind. Und einer, auf den sie seit fast sechs Jahren Anspruch erhob, was bedeutete, daß er zweifellos einer der Räuber war, der ihre Familie zerstört hatte.
Ich stieß einen langsamen Atemzug des Erkennens und des Mitgefühls aus. Rache konnte ich verstehen.
Hellbraune Augen flackerten hin und her, versuchten, das zu erwartende Verhalten seiner Begleiter zu beurteilen, die Gesamtlage im Raum. Jetzt lachte niemand mehr. Und es lächelte auch niemand, noch schaute jemand fort.
Da ich selbst Südbewohner war, wußte ich, was er empfand. Und ich wußte, daß es seinen Stolz genauso sehr verletzen würde, den Kampf zu umgehen, wie die Angelegenheit selbst. Del war eine Frau.
Seine Lippen zogen sich über seine Zähne. »Ja«, sagte er, »ja.«
»Draußen«, sagte Del kühl und wandte ihm den Rücken zu, um das Wirtshaus zu verlassen.
In jeder Stadt oder Ansiedlung macht das Gerücht eines Schwertkampfes schnell die Runde in der Bevölkerung. In einer Grenzstadt wie Harquhal, zum Bersten gefüllt mit Meuchelmördern, Dieben, Räubern und ähnlichen, macht solch ein Gerücht noch schneller die Runde. Während sich der Südbewohner darauf vorbereitete, der Frau gegenüberzutreten, kamen die anderen daher heran, um zuzuschauen. Aus den Läden und Schatten und von Freizeitspielen kamen sie heraus wie Sandschnecken unter einem Stein.
Ruhig streifte Del ihren Burnus ab. Sie ließ die Seide in den Sand gleiten und achtete nicht auf die lüsternen Kommentare. Mit bloßen Armen und bloßen Beinen war sie in ihren Augen nackt.
Für mich kaum. Denn ich habe mich an die weiche Ledertunika gewöhnt, die sich so eng an ihre Taille anschmiegte. Und sie saß wegen der Harnischbänder straff um die Brüste und die Schultern. Aber als ich sie mit ihren Augen sah, sah ich wieder nur die Frau. Nicht Del. Nicht den Schwerttänzer. Nur die nordische Bascha.
Und in diesem Moment, nur einen Augenblick lang, vergaß ich all die Wahrheiten, die wir geteilt hatten, und dachte nur an mich selbst.
Aber nur sehr kurz. Und dann war Del wieder Del.
Sie öffnete ihren Harnisch, legte ihn auf die Seide und warf mir einen geheimnisvollen Blick zu. »Sandtiger, zeichnest du den Kreis?«
Eine nette Art, alle Zuschauer wissen zu lassen, wer ich war. Für gewöhnlich erkannten sie den Namen, die meisten von ihnen. Mit Sicherheit jene, die mich am meisten interessierten. Die Freunde des Südbewohners sahen mich scharf an, murmelten untereinander, beobachten das Schwertheft, das über meine Schulter ragte, und die Narben in meinem Gesicht. Und sahen nicht sehr glücklich aus.
Ich lächelte leicht und machte eine kleine Geste mit dem Kopf, womit ich ihre unbeabsichtigte Hochachtung anerkannte. Aber vor allem schätzte ich sie ein: einer, zwei, drei, vier. Vielleicht Räuber, vielleicht nicht: vielleicht nur Männer, die sich im Wirtshaus in das Würfelspiel mit Dels Gegner eingelassen hatten. Aber das war unwichtig. Ich grenzte sie ab, strich sie aus. Dann richtete ich meine Aufmerksamkeit erneut auf Dels Frage.
Im Kodex des wahren Tanzes war die Einladung eine Ehre. Aber dies hier war kaum mehr als eine Karikatur.
Ich legte die Hand um das Heft des nordischen Schwertes und hörte ein Echo unheimlichen Gelächters. Therons vielleicht. Vielleicht sogar die Seele des Mannes, in dessen Blut er die Klinge vor so langer Zeit getränkt hatte.
Das Schwert zischte aus der Scheide und schimmerte im Sonnenlicht. Ein zweites Zischen folgte dem ersten: eingezogene Atemzüge von allen, die sich versammelt hatten, um den Schwerttanz anzusehen. Ich setzte die Spitze auf die Erde und sah den umbrafarbenen Sand fortwirbeln, als ob ich Haut zerteilte. Ein weiteres Zischen und Flüstern der Magie. Nun, so sollte es sein. Der Kreis wurde aus sich selbst gemacht, ich war nur das Werkzeug.
Del trat in den Kreis und wartete.
Normalerweise müssen Rituale beachtet werden. Anforderungen des Tanzes, um die Ehre der weitergegebenen Lehren zu wahren. Es spielte keine Rolle, daß sie im Norden geboren und trainiert worden und er ein Südbewohner war, denn das Lernen ist weitgehend dasselbe, mit ähnlichen Ritualen. Aber dies war kein wahrer Schwerttanz. Der auserwählte Gegner wußte wenig, wenn überhaupt etwas, vom Tanz selbst. Er wußte nur, daß er gegen eine Frau kämpfen mußte, um seinen Stolz zu pflegen und sein Leben zu erhalten.
Grund genug, wie ich wußte, um ihn gefährlich werden zu lassen.
Er stieß einen abscheulichen, südlichen Fluch aus und streifte seinen Burnus ab. Darunter trug er die dünnen, bauschigen Jodhpurs und die seidene, schärpenartige Tunika eines Wüstenmannes, nicht den kurzen Lederdhoti eines Tänzers. Vielleicht war er ein Räuber, aber nichts an seiner Kleidung oder seiner Erscheinung wies ihn als solchen aus, anders als bei einem berufsmäßigen Schwerttänzer.
Del wartete. Er band das Schwert los, zog es aus der Scheide, warf das Leder auf seinen Burnus. Er sagte leise etwas zu seinen vier Begleitern, die mich sofort ansahen und sich verrieten, denn ich wußte in dem Moment, daß er ihnen gesagt hatte, sie sollten die Frau töten — und mich -, wenn er starb. Obwohl es offensichtlich war, daß er nicht erwartete, zu sterben.
Er trat in den Kreis
und stürzte los.
Sie ist so schnell, so sehr schnell ist Del! Füße glitten mit dem verlockenden Zischen bloßer Haut auf feinkörnigem Staub durch den warmen Sand. Wolken stoben auf, zogen umher und belegten unsere Körper mit stumpfen, körnigen Leichentüchern: hell umbrafarben, ocker-bronzefarben, gelblich grau.
Die Leichentücher, so dachte ich, waren nur allzu passend. Die Frau konnte uns alle töten.
Ich beobachtete ihre Bewegungen. Ich beobachtete, wie die anderen ihre Bewegungen beobachteten. Alles Männer. Es war in diesem Augenblick keine Frau hier, unter solchen Umständen niemals.
Außer Del.
Ich beobachtete ihre Bewegungen: unvoreingenommene Abschätzung. Bewunderung, wie immer. Und Stolz. Zweischneidiger Stolz. Erstens darauf, daß die Frau dem Ritual des Tanzes innerhalb des Kreises Ehre machte, und zweitens, daß sie meine rechte Hand war, meine linke Hand, Begleiterin, Schwertgefährtin, Bettgefährtin.
Zweischneidig? Natürlich. Stolz ist immer eine zweischneidige Angelegenheit. Was Del betrifft, so ist die zweite Klinge die schärfste von allen, in bezug auf mich, denn für den Sandtiger bedeutet, von Stolz auf Del zu sprechen, auch von Besitzgier zu sprechen. Sie hat mir einmal gesagt, daß ein Mann, der stolz auf eine Frau ist, allzu häufig stolzer auf seinen Besitzanspruch an sie ist, und nicht auf die Frau, weil sie sie selbst ist.
Ich sah, wie sie sich anspannte, aber — nun, Del und ich sind nicht immer einer Meinung. Und außerdem, wenn es so wäre, wäre das Leben wahrhaft langweilig.
Ich beobachtete Del und natürlich auch die Männer, die sie beobachteten, aber ich beobachtete auch den Mann, der ihr im Kreis gegenüberstand. Ich sah die ungeschulte Handhabung seines Schwertes, das im Sonnenlicht glänzte: ein Stoß hier, eine Finte dort, Hieb, Ausfall, Streich, Stoß ... und immer in dem Versuch, das Blitzen und Schimmern des Sonnenlichts in ihre Augen zu lenken. Er wußte genug, um das zu wissen, normalerweise eine geschickte List. Ein anderer Gegner hätte vielleicht geblinzelt oder in das blendende Licht geschielt und damit den Vorteil abgegeben. Del tat das nicht. Aber schließlich war Del daran gewöhnt, mit Boreal ihr eigenes Licht zu beschwören. Das südliche Schwert, das der Mann gebrauchte, war ihrem eigenen kaum ebenbürtig.
Ich wußte, daß sie ihn töten würde. Aber er wußte es nicht. Er hatte es noch nicht erkannt.
Nur wenige Männer erkennen das, wenn sie den Kreis mit Del betreten. Sie sehen nur sie und bemerken kaum das Schwert in ihren Händen. Statt dessen lächeln sie. Sie glauben, sie wären geduldig und großmütig, weil sie einer Frau gegenübertreten müssen, und noch dazu einer wunderschönen Frau. Aber weil sie wunderschön ist, werden sie ihr alles geben, um nur einen Moment ihrer Zeit mit ihr zu teilen, und geben so ihr Leben.
Sie tanzte. Lange Beine, lange Arme, der südlichen Sonne preisgegeben. Schritt. Schritt. Gleiten. Sprung. Kleinste Verlagerung des Gleichgewichts von einer Hüfte auf die andere. Sehnen, die unter der festen Haut ihrer Arme spielten, während sie parierte und erwiderte. Alles aus den Handgelenken, bei Del. Ein zartes Flechtwerk der Schwertspitze vor dem messingfarbenen Nachmittagshimmel, während sie die Waffe ihres Gegners mit einem Gitterwerk aus Stahl blockierte.
Del hatte noch nie die Veranlagung zum Morden. Auch jetzt nicht, nicht ganz. Sie ist ein Schwerttänzer, wie ich. Aber in diesem Gewerbe wird der Tanz — eine ritualisierte Darstellung hochtrainierten Könnens mit dem Schwert — allzu oft ernst, und Menschen sterben.
Ich seufzte leicht, während ich sie beobachtete. Sie spielte nicht eigentlich mit ihm, denn sie war zu gut geschult, als daß sie im Kreis Hochmut gezeigt hätte, aber ich konnte erkennen, daß sie das Können ihres Gegners als schlechter als ihr eigenes beurteilt und anerkannt hatte. Das würde ihr kein Lächeln entlocken, nicht Del. Es würde sie nicht unvorsichtig machen. Aber es würde sie dazu veranlassen, mit ihrem eigenen unbegrenzten Repertoire die Grenzen seines Könnens auszutesten und ihm zu zeigen, was es bedeutete, mit jemandem ihres Formats in den Kreis zu treten.
Ungeachtet ihres Geschlechts.
Und ich beobachtete den Mann. Den südlichen Kämpfer, der die nordische Frau so sorglos unterschätzt hatte. Ich sah die schlaffe Nässe schweißdurchtränkten schwarzen Haares, das glatt an seinem Nacken klebte und nicht länger seine Bewegungen begleitete. Ich sah das verräterische Erröten der Wut und Enttäuschung, vermischt mit fruchtloser Anstrengung, seine Gesichtszüge verdunkeln. Und ich sah die gleichgültige Überheblichkeit des Mannes in den braunen Augen in verspätete Anerkennung umschlagen. Er wußte. Letztendlich wußte er und wußte auch, daß es nichts gab, was er tun konnte.
Außer sterben.
Mit einem kaum wahrnehmbaren, leichten Schlag schlug Del sein Schwert zur Seite und ritzte seine Hand auf, bevor er auch nur zwinkern konnte. Und dann, als er den Atem einzog, um laut zu schreien, schnitt sie in seine bloßen Handflächen ein, die kein Schwert mehr umfaßten. Entsetzt starrte er sie an.
Sie balancierte leicht auf beiden Füßen aus und war deutlich in der Lage, erneut zuzuschlagen. Aber sie tat es nicht, zunächst jedenfalls. Sie beobachtete ihn nur, und ich sah das seltsame Glitzern in ihren Augen. »Habt Ihr so viele nordische Frauen entführt, daß Ihr Euch an diese nicht erinnern könnt?« Ihr Ton war täuschend sanft. »So viele nordische Baschas?«
»Afreet!« schrie er. »Dschin!«
»Mensch«, spottete sie, »und Frau. Oder verbietet der alberne, männliche Stolz es Euch, die Wahrheit anzuerkennen?«
»Del«, sagte ich leise, »das ist nicht der Punkt.«
Ich sah die kaum wahrnehmbare, zögernde Überraschung, die Erkenntnis in ihren Augen. Nein, das war nicht der Punkt. Ihr Gesicht rötete sich, die Linie ihres Mundes verhärtete sich. »Ich will Ajani«, sagte sie.
Braune Augen weiteten sich in offenem Erstaunen und verengten sich dann, als er die Stirn runzelte. »Ajani«, echote er. »Warum?«
»Aus genau demselben Grund«, belehrte sie ihn. »Ich beabsichtige, ihn zu töten.«
Er lachte rauh. »Männer haben das versucht, Bascha. Und noch immer ist Ajani wohlauf.«
»Vorläufig.« Sie bewegte ruckartig ihr Schwert, und die Klinge schnitt durch die Luft, wobei sie geschickt die Spitze seiner Nase traf. »Ajani«, sagte sie sanft.
Er trat sofort aus dem Kreis heraus. Aber dies war kein Schwerttanz, Del folgte ihm ruhig. Er schwankte zum Rand des größeren, menschlichen Kreises, wurde gegen seine Freunde gedrängt, die ihn aufzuhalten versuchten — und wußte, daß der Kampf verloren war. »Norden«, sagte er mürrisch.
»Aber Ihr seid hier, Südbewohner.«
Er spie neben sich aus. »Ich reite nicht mehr mit Ajani.«
»Nein?« Helle Brauen hoben sich. »Wurde er schließlich langweilig, dieser Reichtum, der mit dem Diebstahl von Kindern verdient wurde?«
Nasenflügel blähten sich. »Und habe ich Euch gestohlen?«
Ich dachte in dem Moment, sie würde ihn töten. Aber ihre Selbstbeherrschung funktionierte einwandfrei. »Ihr habt es versucht, Südbewohner. Aber das Glück und die Götter bewahrten mich davor.«
»Warum jagt Ihr mich dann jetzt?« Er streckte seine blutenden Hände aus. »Ihr seid frei, Bascha. Welchen Sinn hat das ganze?«
»Überhaupt keinen«, sagte sie sanft. »Dies ist lediglich die Eintreibung einer noch offenen Blutschuld.«
Es war Dels Kampf, nicht meiner. Aber ich wünschte, sie würde ihn beenden.
»Blutschuld ...«
»Ajani«, sagte sie, »und ich lasse Euch laufen.«
Hoffnung flackerte auf, wurde fast augenblicklich ausgelöscht. Ich wußte, was er dachte. Sein Leben war wertvoll, aber das war auch sein Stolz, besonders in Gegenwart von Freunden. Von einer Frau verschont, behielt er ersteres und verlor letzteres. »Ich bin ein rechtschaffener Mann.«
Del hob vielsagend die Schulter. »Rechtschaffene Männer sterben genauso leicht wie andere.« Sie machte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf. »Tretet zurück in den Kreis. Nehmt das Schwert auf. Ich werde Euch so viel gewähren, mehr als Ihr und die anderen mir gewährt haben.«
Ganz offensichtlich wollte er ablehnen. Aber er war durch seinen eigenen Stolz und das Schweigen der anderen gebunden. Langsam trat er zurück in den Kreis und nahm das Schwert mit blutenden Händen wieder auf. Er wandte sich um, der Frau zu, offensichtlich unerschrocken. Wenn überhaupt, so war er ärgerlich. Nicht darüber, daß er sein Leben verlieren würde, sondern daß eine Frau das Werkzeug dazu sein würde.
Del lächelte. Ich sah ihre Lippen einen dünnen Strich bilden, sich teilen und dann einen schwachen Laut hervorbringen. Nur einen kleinen Gesang, aber genug, um den Mann zu erzürnen.
Genug. Kein Übermaß. Lediglich die nordische Frau, die auf den kraftlosen Vorhang aus Stahl zuschritt und ihn ohne Anstrengung teilte, um drei Zoll der lachsfarben-silbernen Klinge in schwitzende, angestrengte Haut zu stoßen.
Sie leugnen es, jeder und jeder einzelne von ihnen, sogar noch wenn das Blut aus ihren Körpern fließt und den südlichen Sand tränkt. Auch wenn sie nicht sprechen können, sie formen die Worte mit dem Mund, verweigern ihr den Sieg, weil ihre Körper ihnen etwas anderes sagen. Blutig, mit zerbissenen Lippen, die nassen Gesichter mit Sand überpudert, die geweiteten Augen voller Erstaunen, Entsetzen, Verzweiflung.
Und immer dieses Verleugnen.
Sie wandte sich von dem hingestreckten Körper ab und sah mich an. Das nordische Schwert, blutgefärbt, hing lose in ihrer Hand. Die fremdartige Klinge, mit gleichermaßen fremdartigen Runen, ließ eine Schnur nasser Rubine in den umbrafarbenen Sand tropfen, Tropfen für Tropfen für Tropfen, bis die einzigartige tödliche Kette ihre Form verlor und nichts anderes mehr war als einer Pfütze aus Blut, die schnell vom Staub aufgesaugt wurde.
Del hob fast unbewußt eine Schulter an — ein Kommentar, eine Antwort auf meine unausgesprochene Frage —, und dann nickte sie, nur einmal, ein gleichermaßen persönlicher Austausch.
Sie wandte sich um. Beugte sich über den Körper. Ich sah eine Hand nach seiner Kehle greifen, etwas ergreifen und losreißen. Und dann vorsichtig, sorgfältig, mit ernsthafter Überlegung, trat sie aus dem Kreis und reinigte ihre Klinge an seinem Burnus.
Sie beobachtete seine Begleiter, während sie dies tat, und taxierte die Männer, die das gleiche so unverhohlen bei ihr getan hatten. Abschätzige Blicke und Absichten. Sie war kein Gedankenleser, beanspruchte aber für sich ein ungeheures Verständnis für die Menschen. Dieses Verständnis macht sogar mich die meiste Zeit unruhig.
Ich bemerke, daß ich im Kopf Unterhaltungen führe, in denen ich Fragen und Hypothesen beantworte, um ihren Wert zu prüfen, bevor ich Del die Chance gebe, einen ihrer stechenden Verweise loszulassen.
Del straffte sich. »Ajani«, sagte sie ruhig in die abwartende Stille, scheinbar für alle, aber sie beachtete besonders die vier Männer, die nun eines fünften beraubt waren. »Ich will ihn. Ich werde bezahlen.«
Ich schaute Del ins Gesicht. Sie hoffte, daß irgend jemand ihr die Information geben würde, die sie haben wollte, erwartete es aber nicht wirklich. Sicherlich nicht so offen, nach dem, was sie getan hatte. Wenn wirklich jemand Ajanis Aufenthaltsort kannte, würde er wahrscheinlich warten, bis er Del allein sprechen konnte. Fern von den vier Südbewohnern, die sie so feindselig ansahen.
Sie hatte sie alle mit dem Schwerttanz und ihrer Herausforderung zum Schweigen gebracht. Aber das Schweigen dauerte nur kurz, sehr kurz. Bald unterhielten sich die Männer untereinander und verfochten ihre Beurteilung des Kampfes, dem sie gerade beigewohnt hatten. Ich habe so etwas selbst unzählige Male nach Tänzen, die ich selbst bestritten hatte, gesehen und gehört. Aber dies war Del. Dies war eine Frau, eine Nordbewohnerin, die so mit Leichtigkeit einen ihrer eigenen Gefährten getötet hatte, die jetzt ruhig durch die Menge zum Wirtshaus schritt, um zu warten.
Soviel zu unseren ersten Bemühungen.
Die Menge zerstreute sich ziemlich schnell. Die meisten Männer gingen in das Wirtshaus, um Alkohol zu kaufen, über den Schwerttanz zu diskutieren und Blicke auf die nordische Bascha zu werfen. Ich hielt keinen dieser Männer zurück, aber als sich die Begleiter des toten Mannes über den Körper beugten und ihn fortbringen wollten, gebot ich ihnen Einhalt.
»Die Münzen gehören ihr«, belehrte ich sie. »Der Brauch des Kreises: Der Sieger bekommt alles.«
Sie machten es mir nicht leicht. Einer von ihnen — mit schwarzen Augen, pockennarbig und mit angegrautem, dunklem Haar– spie auf meine Füße. Den anderen dreien gefiel das, obwohl keiner von ihnen etwas sagte. Das war auch nicht nötig, denn ich konnte es in ihren Augen lesen.
Als ich nichts unternahm, bedachte mich der pockennarbige Mann mit einem wenig schmeichelhaften Namen– der etwas damit zu tun hatte, eine unnatürliche Neigung zu männlichen Ziegen zu haben —, während ich lediglich freundlich nickte und mich hinabbeugte, um die Münztasche des toten Mannes mit meinem Messer abzuschneiden. Und dann richtete ich mich auf und forderte jeden von ihnen in den Kreis.
Ein Kreis, vier gegen einen.
Aber sie wußten es besser. (Es ist nicht einfach Überheblichkeit. Ich bin so gut, weil ich von einem Meister unterrichtet wurde, und ich habe sehr lange Zeit sehr hart an meinem Beruf gearbeitet.) Sie wußten es besser und gingen fort, als ich auf ihren Anwurf antwortete.
Ich ging hinein, um nach Del zu sehen, und fand sie an einem kleinen Tisch in einer Ecke des Wirtshauses. Und nicht allein. Es war weniger Zeit erforderlich gewesen, um die gewünschte Information aufzutreiben, als ich gedacht hatte. Und außerdem von einer unerwarteten Seite: Jeminas junger Mann vom Abend zuvor, mit dem Hauch eines neu entstehenden Schnurrbartes auf der Oberlippe.
Er trug eine seidene Tunika, hellblau und mit einer jadegrünen Schärpe gebunden, bauschige Jodhpurs in glänzendem Karmesinrot, die in hohen schwarzen Stiefeln steckten, und einen einfachen safranfarbenen Burnus, der lose und offen um ihn hing. Er kam an den Tisch, deutlich abwartend, und hielt eine Tonschale in der Hand. Als ich herantrat, lächelte der Junge, wandte sich um, um die Schale mit Schwung abzusetzen, und drehte sich dann wieder zu mir.
Und ich sah unter dem dünnen Stoff des Burnus, an seinem schmalen Rücken in den Gürtel gesteckt, den Umriß scharfer, mit Griffen versehener Waffen, deren Namen ich nicht kannte.
Dieser Junge war es also wert, daß man ihn sich genauer ansah.
»Aqivi«, sagte er warm und deutete auf die Schale. »Viel besser als der Hauswein.«
»Warum?« fragte Del direkt. »Wenn Ihr Informationen habt, dann verschwendet meine Zeit nicht mit unnötigen Höflichkeiten.«
Das nahm ihm völlig den Wind aus den Segeln. Zweifellos war er es gewohnt, daß sein gutes Aussehen bei Wirtshausmädchen und ähnlichen Frauenpersonen fast sklavische Aufmerksamkeit erlangte. Dels Direktheit, die so unerwartet kam, schockierte ihn. Ihre Erscheinung insgesamt reichte aus, um die meisten Männer völlig ihres Stolzes zu berauben und sie zu verlegenem Schweigen oder gestotterten Entschuldigungen zu veranlassen.
Der Junge stotterte nicht und entschuldigte sich auch nicht. Er machte eine anmutige Geste und setzte sich. Auf meinen Stuhl. Ich türmte mich betont über ihm auf. Schließlich schaute er, von überraschter Unschuld bewegt, zu mir herauf. Und stand wieder auf.
Er war alles in allem kleiner und leichter als ich und mit Sicherheit erheblich jünger. Ungefähr in Dels Alter, dachte ich, was bedeutete, daß er um die zwanzig Jahre alt sein mußte. Sein Gesicht kämpfte noch mit dem Mannestum, denn es zeigte noch die unbestimmte Sanftheit der Jugend, während es sich aber auch unerbittlich dem Erwachsensein näherte. Er war schnell, wendig, geschmeidig. Vielleicht ein Dieb. Sicherlich ein Opportunist. Er lobte Dels Schwertkünste.
Sie beugte sich vor, die Unterarme auf dem Tisch ruhend. Sie hatte den Burnus noch nicht wieder angezogen, und daher lagen die Arme bloß. Unter der hellgoldenen Haut bewegten sich die Sehnen. Die kurzzeitige Anspannung deutlich abgegrenzter Muskeln war offensichtlich für jemanden, der sie zu lesen wußte.
»Ich bin ein Schwerttänzer«, sagte sie kühl. »Was ich mit diesem Mann gemacht habe, ist ein Teil meines Berufes. Es war besser für mich, gut zu sein.«
Offensichtlich hatte der Tod des Räubers sie erzürnt. Im allgemeinen gibt sie den Jungen etwas mehr Seil, bevor sie die Schlinge festzieht.
Blaue Augen flackerten unter schwarzbewimperten Lidern. Der Junge lächelte, nickte, die Lippen angefeuchtet, die Handflächen an scharlachroten Jodhpurs abwischend. Dann hakte er die Daumen in seinen Gürtel und sah mich an. Ich hatte mich noch nicht gesetzt. Mein Körper, der ihm so nah war, diente dazu, ihn ein wenig einzuschüchtern. Jedoch nicht genug. Ich beurteilte ihn als einen dieser einfältigen Jugendlichen, die zu sehr voller Leben waren, als daß irgend etwas — oder irgend jemand — sie sehr lange hätte einschüchtern können.
»Ich habe gehört, was Ihr draußen gesagt habt«, erklärte er uns, »über Ajani. Ich könnte Euch vielleicht helfen.«
»Könntet Ihr?« Dels Ton war eisig. »Wo ist er?«
Der Junge löste seine Daumen aus dem Gürtel und spreizte geschickte Hände. »Ich bin fremd in diesem Land und weiß wenig über die Namen der Orte. Aber ich könnte Euch dorthin bringen.«
»Könntet Ihr?« Dels Frage war rhetorisch. »Gegen eine Belohnung natürlich.«
»Man hat eine ausgesetzt.« Ich setzte mich, lächelte freundlich und bediente mich des Aqivi, den der Junge so weitsichtig besorgt hatte.
»Eine kleine Belohnung«, antwortete er. »Ich möchte Euch nur auf Euren Reisen begleiten.«
Ich setzte den Becher ab, der Aqivi blieb unangetastet. »Sie hat einen Partner«, sagte ich bestimmt.
»Euch beide!« fügte der Junge eilig hinzu. »Den Sandtiger und seine Frau.«
Den Sandtiger und seine Frau. Natürlich sah Del ihn stirnrunzelnd an. Aber bevor sie etwas sagen konnte, bedeutete ich dem Jungen, sich auf den einzigen übriggebliebenen Stuhl zu setzen. Die Tatsache, daß er sich meiner Identität bewußt war, versetzte mich in einen großmütigen Bewußtseinszustand. Sobald ich die Bedienung dazu bringen konnte, einen dritten Becher Aqivi zu servieren, lud ich den Jungen dazu ein, den Aqivi mit mir zu teilen.
»Du bringst uns zu Ajani, solange wir dir erlauben, mit uns zu reiten?« Ich nickte gedankenvoll. »Da die einzige Möglichkeit, daß du uns irgendwohin bringst, darin besteht, daß du mit uns reitest, scheint es ein einfacher Handel zu sein.«
Er legte den safranfarbenen Burnus zurecht, während er den Stuhl zurückzog. »Ich meine, danach«, sagte er.
»Warum?« fragte Del.
Er zuckte die Achseln und grinste uns beide schief und unschuldig an. »Ich bin fremd hier im Süden ... auch im Norden, wenn wir dorthin reisen. Wenn ich überhaupt Ruhm erlangen will, muß ich mich auskennen. Mit Euch beiden zu reisen ...«
»Ruhm?« unterbrach ich seine glatte Erklärung. »Du willst ein Panjandrum* werden?«
Das brachte mir verwirrte Blicke von beiden ein.
»Panjandrum«, wiederholte ich, »ein Mann von einem gewissen Ruf.«
Der Junge dachte darüber nach. Ein zaghaftes Lächeln breitete sich aus. »Panjandrum«, echote er. »Ich mag das.« Er nickte und probierte, ob es paßte. »Ein Mann von einem gewissen Ruf.«
»Das ist die höfliche Umschreibung.« Ich kratzte an den Narben auf meiner Wange. »Ich nenne dir gern auch die anderen, da du so gewandt bist mit dem Wort.«
»Panjandrum«, murmelte er gedankenvoll.
Ich seufzte und trank Aqivi. Del runzelte die Stirn.
»Ja«, sagte er. »Bellin die Katze, ein Panjandrum.«
»Bellin die Katze?«Ich war überrascht und fragte mich, ob sein kindisches Verlangen nach Glanz und Ruhm ihn dazu veranlaßt hatte, einen Namen anzunehmen, der dem meinen ähnlich war. Oder, genauer gesagt, meinem tierischen Namensvetter.
»Bellin.« Er lächelte und winkte mit der Hand vage in Richtung Süden. »Ich war die meiste Zeit meines Lebens auf See, segelte hierhin und dorthin. Ich dachte, es sei Zeit zu entdecken, was es bedeutet, eine Landratte zu sein.«
»Und du hast dir den Süden ausgesucht?« Ich konnte mir gastlichere Orte vorstellen.
Er zuckte die Achseln. »Das schien annehmbar.«
Was bedeutete, daß er in dieser Sache wenig Auswahl gehabt hatte. Ich nickte und trank noch mehr Aqivi.
»Bellin die Katze«, sagte Del leise. »Warum wollt Ihr ein ...?« Sie machte eine Pause, um das fremdartige südliche Wort ihrer nordischen Zunge anzupassen. »... ein Panjandrum werden?«
»Das wollte ich immer schon.« Sein Grinsen und seine Fröhlichkeit waren ansteckend. »Ein Mann sollte auf irgendeine Art Spuren hinterlassen ... sich seinen Platz unter anderen Männern — und Frauen — sichern.« Er zuckte erneut die Achseln, wobei sich die safranfarbene Seide kräuselte. »Ich denke, wenn ich sowieso hier sein muß, dann kann ich genausogut alles in meiner Macht Stehende tun, um sicherzugehen, daß ich ein jemand bin.«
Ihr Ton war unendlich sanft. »Ein bescheidener Mann würde etwas anderes vorziehen.«
»Ein bescheidener Mann würde das«, stimmte Bellin ruhig zu. »Aber niemand aus meinem Bekanntenkreis würde mir jemals diese Eigenschaft zuschreiben.«
Zumindest war er ein ehrlicher Angeber. »Warum gehst du dann nicht los und verdienst dir deinen Ruhm?« fragte ich. »Warum willst du dich uns anschließen?«
Er streckte geschmeidige Hände aus. »Welchen Sinn macht es, zu kämpfen und sich abzurackern und zu leiden, wenn man es nicht muß? Mit dem Sandtiger und seiner Frau zu reiten garantiert mir fast, ein Panjandrum zu werden, lange bevor ich es auf andere Weise würde.« Sein Lächeln war entwaffnend. »Könnt Ihr es mir vorwerfen, daß ich versuche, Vorteil aus einer Gelegenheit zu schlagen?«
»Ich bin nicht die Frau des Sandtigers«, sagte Del ärgerlich. »Mein Name ist Del. Ich habe etwas mit Ajani zu erledigen. Wißt Ihr, wo er ist?«
Bellin wählte die diplomatische Antwort. »Es sollte nicht schwer sein, ihn zu finden.«
»Oh?« Helle Brauen hoben sich. »Dann schlage ich vor, daß Ihr das tut. Jetzt.« Sie schnalzte mit den Fingern, um ihn zu entlassen.
»Aber ...«
»Du solltest lieber gehen.« Ich erhob anerkennend meinen Becher. »Danke für den Aqivi.«
Mit ernster Würde erhob sich der Junge, schüttelte die Falten aus seinem Burnus und ging irgendwo hin. Wieder sah ich die Umrisse seltsam geformter Waffen, die in seinem Gürtel steckten.
Del schaute mich über den Tisch hinweg nachdenklich an. Ihr Gesichtsausdruck war nachdenklich, während sie sich langsam einen Becher Aqivi eingoß.
»Denkst du, er weiß etwas?« fragte ich.
»Nein.«
»Glaubst du, wir werden ihn wiedersehen?«
Ihre Augen waren klar. »Wenn er die Information, die ich brauche, nicht hat, sollten wir es besser nicht.« Sie trank und verzog angewidert den Mund. »Ich habe keine Geduld für Dummköpfe oder Möchtegern-Panjandrums.«
Ich lachte und goß erneut etwas von dem Aqivi des Möchtegern-Panjandrums in meinen Becher.
* Pascha, großes Tier