Читать книгу Schwertsänger - Jennifer Roberson - Страница 7
ZWEI
ОглавлениеDie Sonnenuntergänge in der Wüste sind großartig. Ich bin nie der Mann gewesen, der Bilder mit Worten malen kann, aber oft, wenn ich dies am Ende des Tages beobachtete, wünschte ich es zu können. Es macht seltsam ruhig und zufrieden, wenn man die Sonne unter die strahlende Schneide des Horizonts gleiten und die ocker- und umbrafarbene Wüste sich mit dem Leuchten reicherer Farben überziehen sieht: Kupfer, Kanariengelb, Safran und Zinnoberrot. Die Wüste wird in ein Paradies der Farbstoffe verwandelt, in eine Ansammlung von Farben auf der Palette der Götter, die sich von jenen unterschied, die Del kannte oder mit Boreal schuf.
Sonnenuntergang. Da ist etwas, das an ruhigen inneren Orten über die Weltordnung spricht, heute und morgen, damals und jetzt und in alle Ewigkeit.
Ich zügelte meinen kastanienbraunen Hengst, schaute gen Westen, beobachtete, wie die Sonne unterging, und erkannte die Zufriedenheit, die mir durch meine Begleiterin zuteil wurde. Del schwieg, beobachtete genau wie ich und empfand, wie ich wußte, vielfach die gleichen Gefühle und teilte die Stille. Es waren viele Dinge unbekannt zwischen uns, vieles unausgesprochen, denn wir waren beide durch Umstände geformt worden, die weit über Wissen oder Macht hinausgingen. Wir waren eine seltsame Mischung, diese Frau und ich: beide Schwerttänzer, gefährlich, tödlich, geweiht, den Ritualen des Kreises genauso treu ergeben wie einander. Und leugneten doch, auf unsere eigene, unabhängige, sture Art, jegliche gegenseitige Ergebenheit, sondern zogen es vor, aus unzähligen, lächerlichen Gründen, uns selbst als unverwundbar gegenüber dem normalen Verlauf menschlicher Notwendigkeiten, Bedürfnisse und Wünsche zu bezeichnen.
Und wußten ganz genau, daß wir uns gegenseitig genauso sehr brauchten wie den Tanz.
Der Sonnenuntergang vergoldete Dels Gesicht. Sie hatte die Kapuze abgestreift, so daß die Seide um ihre Schultern lag und das Haar und das Profil freigab. Sie glühte über und über: altes Gold, elfenbeinfarben, eisweiß. Ihr Profil war makellos, die Vorderansicht sogar mehr als das. Innerlich lächelte ich und dachte an das Bett, das wir in Harquhal teilen würden. Ein Bettbett, keine auf dem Boden ausgebreitete Decke oder den nackten Sand. Wir hatten bis jetzt kein richtiges Bett geteilt, da wir so lange auf die Punja beschränkt waren.
Aber jetzt ließen wir die tödliche Punja weit hinter uns, wechselten aus den Dünen und der Ebene in die gestrüppreiche, hügelige Hochwüste, die die Grenzgebiete ankündigte. Es war bereits kühler als in den sehr heißen Tagen, die wir auf dem blendenden Sand verbracht hatten, wobei wir die empfindlichen Augen im Schatten der Burnuskapuzen verborgen hatten.
Hier gab es karge, faserige Gräser mit roten Flecken, die gegen andere Bodendecker ankämpften, gegen das Gestrüpp und die Dornen von jadefarbenen Kreosoten, deren Wachstum sich wie zufällig vollzog, und gegen große Gruppen dorniger Bäume mit fedrigen, silbergrauen Blättern. Sogar gegen die Blüten zerbrechlicher Blumen, die, unerwartet zäh, aus dem Gitterwerk gewebeartiger Bodendecker herauskletterten und gegen die Quasten größerer, unempfindlicherer Gräser, die ihre geriffelten, glänzenden und wie Fähnchen aussehenden Blätter in der leisesten Brise schwingen ließen.
Hier gab es Wasser. Hier gab es Wild. Hier gab es das Versprechen eines einfacheren Überlebens als in den unfruchtbaren Sandwogen, genannt Punja.
Harquhal. Es erhebt sich aus der Wüste wie ein klotziger Haufen Schmutz, von sanftabfallenden Hügeln und gelblich-grauen, festen Mauern umgeben, die seine vielen Gesichter vor der Bedrohung kapriziöser, von Norden aus der Punja herauswehender Samume verbargen. Es ist charakteristisch für den Süden, daß Städte, Dörfer, nur halbwegs befestigte Wohngebiete sowie auch die zahllosen Oasen durch von Menschen erbaute Mauern oder Hügel oder natürliche Felsformationen geschützt werden, so daß die tödlichen Sandstürme, genannt Samume, nicht fortblasen können, was Männer, Frauen und Kinder durch harte Arbeit erbaut haben. In der Punja ist dies eine Notwendigkeit. Der Sand, der niemals gesättigt ist, schluckt Städte und Ansiedlungen ganz, wenn sie nicht angemessen geschützt werden, wobei er die Flüche mächtiger Tanzeers und elender, armer Menschen gleichermaßen verachtet.
Ich habe Mauern gesehen, die von gleichgültigen Bewohnern dem Verfall preisgegeben und innerhalb von Stunden fortgeweht wurden, wobei die darin befindlichen Wohnungen von einem zehrenden, unersättlichen Wind zerstört wurden. Ich habe Zisternen und natürliche Quellen gesehen, die ständig mit erstickendem Sand gefüllt waren, obwohl wir im Süden, in der Punja, keine Quelle zuviel haben. Ich habe blankgescheuerte Skelette gesehen, die bis auf den letzten Rest sauber abgenagt waren, allein durch den Wind, den Sand und die Hitze. Pferd, Hund, Ziege. Mann, Frau. Kind.
Es gibt keine Gnade im Süden, nicht von Menschen, nicht von Tieren, nicht von den Elementen. Es gibt nur die Dinge, wie sie sind und für immer sein werden, unaufhörlich, unveränderlich, von keinen Bitten um Nachsicht oder Vergebung bewegt.
Wenn es Götter gibt, die diese Bitten hören, so verbringen sie ihre Zeit damit, die Finger fest in nutzlose Ohren zu drücken.
Del seufzte. »Ich dachte, wenn ich wieder nach Hause zöge, würde mein Bruder bei mir sein.«
So viel ausgedrückt mit so wenigen Worten! Del hortete Gedanken und Gefühle wie Handelsware und dosierte beides mit ernsthafter, reiflicher Überlegung und in unvorhersehbaren Augenblicken. Sie hatte wochenlang nichts über Jamail gesagt, hatte all die Qual, die aus einer fruchtlosen Suche entstanden war, in sich eingeschlossen.
Fünf Jahre lang hatte sie sich peinlich genau darauf vorbereitet, den jüngeren Bruder aufzuspüren und zu befreien, der für den profitablen Handel mit südlichen Sklavenhändlern, die den wahren Wert blauäugiger, blonder nordischer Jungen in einem Land dunkelgesichtiger Menschen kannten, von Räubern entführt worden war. Fünf Jahre lang war sie bei einem Shodo in die Lehre gegangen — in der nordischen Sprache bei einem An-Kaidin – ,um die Bedingungen des Schwerttanzes zu erlernen und sich zu einer menschlichen Waffe herauszubilden, mit dem einzigen Ziel, Jamail zu retten. Obwohl sie wußte, daß das nicht die Aufgabe einer Frau war, aber auch weil sie wußte, daß niemand anderer es tun würde, daß nicht einmal mehr jemand da war, den es kümmerte. Die Räuber hatten ihr sowohl die Verwandten als auch die Unschuld genommen. '
Umsonst. Nein, nicht ganz. Sie hatte Jamail gefunden, aber es war wenig übriggeblieben, was zu retten gewesen wäre.
Ohne Zunge, kastriert, mit durch Jahre südlicher Sklaverei verändertem Bewußtsein und verändertem Körper, war Jamail nicht mehr der zehnjährige Bruder, den sie angebetet hatte. Nur ein Kind-Mann, der nun niemals ein Mann sein konnte, ganz egal wie sehr er sich dies auch wünschen mochte, ganz egal wie sehr sie sich dies auch wünschen mochte. Jamail, Delilahs geliebter Bruder, der bei dem wilden Stamm im Süden bleiben wollte, den er lieben gelernt hatte.
Ich wollte sie berühren, aber unsere Pferde standen zu weit voneinander entfernt. Statt dessen nickte ich. Und kurz darauf lächelte ich, in dem Bemühen, die Stimmung zu verbessern, und zuckte die Achseln. »Nun, du hast mich.«
Schließlich warf sie mir einen schiefen und sehr beredten Blick aus den Augenwinkeln zu, ohne auch nur den Kopf zu drehen. »Das ist immerhin etwas, denke ich.«
»Etwas«, stimmte ich milde zu, und beschloß, Dels Ton ganz einfach zu übergehen. »Ich bin immerhin der Sandtiger.«
»Immerhin.« Sie wandte den Kopf, um gen Norden zu schauen. »In Harquhal gibt es Essen. Richtiges Essen, etwas anderes als getrocknetes Cumfafleisch und Datteln.«
Ich nickte strahlend. »Und auch Aqivi.«
»Wir haben kein Geld für Alkohol.«
»Erwartest du, daß ich Ziegenmilch trinke?«
Sie sah mich einen Moment nachdenklich an. »Beides riecht ungefähr gleich. Worin läge der Unterschied?«
»Der Unterschied wäre ungefähr genauso groß, als würdest du Boreal für Therons Schwert eintauschen.« Ich blieb unvermittelt stehen, als ich sie vor Entsetzen versteinern sah. Und dann erkannte ich, was ich getan hatte. »Del– Del, es tut mir leid ...« Und ich fragte mich: O Hoolies, wie konnte ich so dumm sein? »Del– es tut mir leid ...«
Sie war weiß vor Wut, als sie ihren gesprenkelten Wallach neben den Hengst führte. Sie schien nicht zu bemerken, daß der Hengst die Ohren zurücklegte und die von südlichen Gräsern und vom Korn gelbgefärbten Zähne zeigte.
Aber ich bemerkte es. Ich bemerkte auch die starre Hand, die sich ausstreckte, um mein Handgelenk zu ergreifen. Und sich darum schloß. Fester, als es mir genehm war.
»Niemals«, sagte sie bestimmt, »darfst du ihren Namen wieder laut aussprechen.«
Nein. Nein, natürlich nicht. Ich wußte es besser. Ich wußte es besser. »Del ...«
»Niemals«, sagte sie erneut und nahm ihre Hand von meinem Handgelenk.
Es waren Spuren darauf zu sehen. Sie verblaßten, während ich sie betrachtete, aber das Gefühl verblaßte nicht. Sicherlich würde auch die Erinnerung daran nicht verblassen. Niemals.
Ich bewegte meine Hand, um zu sehen, ob sich alle Finger bewegen ließen. Sie ließen sich bewegen. Del ist nicht so stark. Aber stark genug. Ich fühlte mich sowohl schuldig als auch ärgerlich, daß sie mir so leicht gebieten konnte.
»Es tut mir leid«, wiederholte ich und wünschte, ich könnte mehr sagen.
Dels Mund war ein dünner Strich. Seine Verkrampftheit zerstörte die Symmetrie ihres Profils, zeigte mir aber auch die Intensität ihres Mißbehagens. »Ihr Name ist geweiht.« Dies wurde in angespanntem, undefinierbarem Tonfall gesagt, und doch hörte ich den Unterton des Schreckens, der Angst und der Verzweiflung heraus.
»Del ...«
»Geweiht, Tiger.« Del atmete hastig aus, und ich sah einen Teil der Anspannung ihren Körper verlassen, um von offenkundiger Qual ersetzt zu werden. »Es ist alles ein Teil der Macht, der Magie ... wenn du ihren Namen anderen gegenüber enthüllst, sind alle Rituale umsonst ...« Sie brach jäh ab und suchte Verständnis in meinem Gesicht. »Die ganze Zeit, all die Jahre, die Hingabe ... das Opfer ist umsonst ...«
»Del, ich weiß ... ich weiß. Du hast es mir gesagt. Es war ein Versehen, nicht mehr.« Ich zuckte die Achseln, fühlte mich sehr unbehaglich und wußte, daß ich ihre Gefühle sogar in diesem Moment entwertete, da ich versuchte, meine Schuld zu mildern. »Ich verspreche, ich werde ihren Namen niemals wieder aussprechen.«
»Wenn jemand anderes es gehört hätte — ein anderer Nordbewohner, der so ausgebildet wurde wie ich und weiß, wie man die Magie hervorlockt, wie man das Jivatma zerstört ...« Erneut brach sie ab, rieb dann eine Hand an ihrem Gesicht und strich herabfallendes helles Haar aus blauen Augen. »Ich habe genug Schwierigkeiten durch die Blutschuld. Ein Mann wurde ausgesandt, um mich zurückzuholen, um mich zu töten. Er könnte mir mein Können, meine Kraft, meine Klinge nehmen — alles mit einem einzigen Wort.«
»Aber ich kenne ihren Namen. Du hast ihn mir genannt.«
»Ich habe ihn dir genannt.« Ihr Ton war jetzt leblos. »Ich hatte keine andere Wahl. Aber du bist ein Südbewohner, dem die Magie, die Macht, das Wissen fehlen. Du weißt nichts vom Jivatma und was es bedeutet. Und doch konntest du erkennen, wie sie dir von Nutzen war und deinen Bedürfnissen entgegenkam.«
»Aber nicht, wie sie dir von Nutzen ist.«
»Nein. Nein, natürlich nicht.« Verwirrt und stirnrunzelnd schüttelte sie den Kopf, und der Vorhang ihres Haares schlug Wellen. Sie hatte es in letzter Zeit nicht zu einem Zopf geflochten, sondern es lose über die Schultern und den Rücken hinabfallen lassen. »Es gibt Rituale — persönliche, private Rituale ... die vielleicht niemand sonst kennt. Nur ich, wenn ich das Schwert zu meinem eigenen mache.« Ihre Augen ruhten auf dem über meine linke Schulter hinausragenden Heft, das durch den so großzügig in die Naht meines rostbraunen Burnus geschnittenen Schlitz freilag, so daß nichts mich behindern würde, wenn ich es benötigte. Therons Jivatma, das durch seinen Tod machtlos geworden war. »Wenn Theron ihren Namen gewußt hätte, so hätte er dich getötet. Und hätte mich getötet ...«
»... und hätte das Schwert getötet.« Ich nickte. »Ich verstehe, Del.«
»Nein«, sagte sie, »das tust du nicht. Aber das kann ich auch nicht von dir erwarten. Nicht jetzt. Noch nicht. Nicht bis ...« Und plötzlich zuckte sie die Achseln und beschloß ganz offensichtlich, nicht zu beenden, was sie zu sagen begonnen hatte, als sei ich nicht vorbereitet genug, es zu hören. »Es ist nicht wichtig. Nicht das Verständnis, noch nicht. Wichtig ist nur, daß du niemals wieder ihren Namen aussprichst, nicht laut, zu niemandem.«
»Nein.«
»Nein, Tiger.«
Ich nickte. »Nein.«
Ihr Blick war so direkt, daß ich versucht war wegzusehen, aber ich tat es nicht. Ich sah sie eine Antwort in meinem Gesicht suchen, einen Ausdruck, dem sie vertrauen konnte, unausgesprochene Versicherungen, aber genauso bindend wie Worte, wenn nicht sogar bindender. Es hatte viele Dinge zwischen uns gegeben — Tod, Leben, Überleben, mehr als bloße Zuneigung, mehr als bloße Lust—, das sehr viel zählte, aber ich wußte, als ich sie jetzt ansah, daß für sie nichts so viel zählte wie ein Mann, der sein Wort hielt.
Kurz darauf wandte sie ihren Wallach gen Norden, Richtung Harquhal. Sie sagte nichts mehr über das Schwert oder mein Versprechen ewigen Schweigens, aber ich wußte, daß dieser Ausrutscher nicht vergessen war. Oder jemals vergessen sein würde.
Hoolies, ich hatte es nicht so gemeint. Aber eine Entschuldigung war nicht genug, egal wie ernst sie gemeint war. Im Kreis bedeutet es einem toten Mann nichts, die Entschuldigung seines Mörders zu hören.
Harquhal ist typisch für die meisten Städte im Süden. Lehmmauern schützen sie vor dem Wind und weisen Handabdrücke und geometrische Muster auf, die bei der Errichtung aufgedrückt worden waren. Risse werden mit frischen Klumpen lehmigen Morasts verschmiert, deren richtiger Platz peinlich genau ertastet wird, womit dem Wind und dem Sand auch die kleinste Chance zum Eindringen verweigert wird. Aber Mauern, wie auch Absichten, sind vergänglich. Zelte und Stände und Wagen kauerten sich wie zufällig rund um den Umkreis der Mauern wie Küken um eine Henne und ignorierten solche Dinge wie Simume und kleinere Schwesterstürme.
Harquhal ist auch typisch für die meisten Grenzstädte. Da sie sowohl Nordbewohnern als auch Südbewohnern dienlich sind, haben sie keine Nationalität und weniger Rechtschaffenheit. Obwohl es angeblich im Süden liegt, ist Harquhal dem Land, das ich meine Heimat nenne, nur zufällig treu. Hier hält der Reichtum das Zepter in der Hand.
Del und ich hatten davon wenig. In den Wochen, seit wir Jamail in den Bergen in der Nähe von Julah bei den Vashni zurückgelassen hatten, hatten wir durch erfolgreiche Wetten und durch hin und wieder ein paar seltsame Arbeiten überlebt, zum Beispiel das Eintreiben von Punjamünzen für einen habsüchtigen Kaufmann, der dann versuchte, uns auf betrügerische Art aus unserem Auftrag zu drängen, durch die Errettung des entführten Sohnes eines mächtigen Tanzeers, der sich die Hamidaareligion zu eigen gemacht hatte, die der Unreinheit der Frauen anhing, während die ganze Zeit über der geraubte Sohn in Wahrheit eine Tochter war, als Begleitschutz für eine Karawane, die von einem Gebiet in ein anderes zog, und anderen verschiedenartigen Anstellungen.
Wobei natürlich nichts davon außerordentliche Fähigkeiten mit dem Schwert oder den Einsatz von List erforderte. Nichts, das dem Ruf des Sandtigers, des legendären südlichen Schwerttänzers, dessen Können im Kreis kein Mann gleichstand, etwas hätte hinzufügen können.
Unglücklicherweise war da jetzt eine Frau. Und sie hatte bemerkenswerte Fähigkeiten mit dem Schwert gezeigt und einen abtrünnigen Schwerttänzer seines Lebens beraubt. Was die List betraf, so hatte Del damit wenig im Sinn. Sie redete, wie ihr der Schnabel gewachsen war, sprach geradeheraus, war unduldsam gegenüber südlichen Schmeicheleien, die oft nicht viel mehr als Zeitverschwendung waren. Und die Zeit war ihr Feind.
Der schlimmste Teil unserer Reise lag hinter uns. Die Punja lag weit hinter uns. Was jetzt vor uns lag, wenn wir erst einmal aus Harquhal heraus waren, war der Norden.
Hoolies. Ich war ein Südbewohner – was wollte ich im Norden?
Nichts. Außer Del, die auf mehr als nur auf zufällige Art mit dem Land des Schnees und der Bansheestürme verbunden war.
Die durch mehr als nur zufällige Umstände mit der mächtigen nordischen Magie verbunden war.
Vor einem windschiefen, aus Lehmziegeln erbauten Wirtshaus, das mit einem Gitterwerk aus geflochtenen Ästen gedeckt war, schwang ich mich mürrisch aus dem Sattel und band die mit Quasten versehenen Zügel an einen knorrigen Pfosten, der krumm in den Boden geschlagen worden war. Ich hörte den Klang von Gelächter und Fröhlichkeit aus dem Inneren, männlicher und weiblicher, roch den stechenden Geruch des Huvakrauts, das Aroma gebratenen Hammelfleischs und den scharfen Geruch von Wein und Aqivi.
Auch den süß-sauren Geruch von Urin, denn der Hengst erleichterte sich.
Fluchend sprang ich zurück und stolperte fast über meine eigenen beschuhten Füße, denn ich wollte vermeiden, daß mein Burnus bespritzt würde. Der Hengst rollte ein Auge in meine Richtung und verzog hellbraune Nüstern, die dicht mit Barthaaren bewachsen waren. Ich startete erneut meine endlose Litanei wenig schmeichelhafter Pferdebezeichnungen.
Del umging die dampfende Pfütze, als sie abstieg und ihren Wallach an einen anderen Pfosten band. Geistesabwesend hakte sie ihre linke Hand um das herausragende Heft ihres Schwertes, ließ es zweimal gegen den Rand der verborgenen Scheide schlagen, um die Leichtigkeit der Bewegung zu prüfen, und nickte dann. Ich hatte sie dies schon zuvor tun sehen, viele Male. Es ist eine Gewohnheit, obwohl unterschiedlich in der Ausführung, die jeder Schwerttänzer entwickelt.
Wir alle haben charakteristische Eigenarten. Einige davon erhalten uns am Leben.
»Ich nehme an, du willst beim ersten Tageslicht weiterreiten.« Ich wartete darauf, daß sie zu mir aufschloß.
Sie zuckte die Achseln. »Wir müssen zunächst einiges kaufen. Nahrung, Kleidung ...«
»Kleidung!« Ich runzelte die Stirn. »Ich gebe zu, daß wir sauberere Kleidung gebrauchen könnten, aber warum sollten wir gutes Geld für Dinge ausgeben, die wir bereits haben?«
Sie schob den fadenscheinigen, zinnoberroten Vorhang an der Tür zur Seite. »Wenn du mit nichts anderem als einem Dhoti und einem Burnus bekleidet nach Norden ziehen und dir deine wertvollsten Körperteile abfrieren willst, dann bitte. Aber ich habe nicht die Absicht, mich totzufrieren.« Und sie trat gebückt ein und vergaß, wie üblich, daß ich bei Eingängen, die für kleinere Menschen gebaut sind, mehr Platz brauche als sie.
Ich schob den Vorhang aus meinem Gesicht und sah stirnrunzelnd hinter ihr her, während ich ihr folgte. Dann hustete ich. Der Rauch des Huvakrautes zog durch die offenen Dachsparren, schwebte langsam durch den Raum und wirbelte in übelriechenden, ockergrünen Rauchringen umher. Ich verabscheue dieses Laster, denn ein Schwerttänzer braucht im Kreis all seine Geschicklichkeit. Natürlich hatte Del meine Meinung wegen der Tatsache, daß ich mit großer Hingabe Aqivi trank, nicht ernst genommen und erklärte, daß ein Mann mit einem Bauch voller Aqivi nicht weniger wahrscheinlich sterben wird, als ein Mann mit einem Kopf voller Huvaträume.
(Nun, Del und ich stimmen nicht immer in allem überein. Manchmal stimmen wir in nichts überein.)
Sie blinzelte und wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum, wobei sie gereizt durch den Rauch spähte, um einen freien Tisch zu suchen. Und, wie gewöhnlich, wenn Del ein Wirtshaus (oder jeden anderen Ort, was das betrifft) betritt, brandete in einem Durcheinander von gezischelten Kommentaren eine unruhige Unterhaltung auf, gemurmelte Fragen, deftige Mutmaßungen.
Ich seufzte. Wünschte, ich hätte Einzelhieb. Entblößte in einem trägen, freundlichen, an die ungefähr zwei Dutzend Männer gerichteten Grinsen die Zähne. Die Männer sahen von Del zu mir, um abzuschätzen, ob ich in der Lage wäre, die nordische Bascha zu beschützen.
Ich halte mich nicht für eingebildet. Es ist jedoch eine Tatsache: ich bin groß, stark, schnell. Es gibt eine gewisse gefährliche Kantigkeit in meinem Gesicht, meiner Haltung, meinen Augen, die von den Anforderungen meines Berufes geprägt wird. Und es gibt Zeiten, in denen ich mehr als bereit bin, mit jeglichen Abenteuern zu prahlen, die erforderlich sind. Ich kämpfe, wenn ich muß, und das mit Genuß, aber nur, wenn es keine andere Möglichkeit gibt.
Müßig ließ ich den Blick durch den Raum schweifen und ließ sie sehen, was ich tat. Genauso müßig kratzte ich an den Narben in meinem Gesicht. Tiefe Narben, alte Narben, vier deutlich sichtbare Krallenspuren, die sich von der rechten Wange zum Kinn hin zogen, unmißverständlich von einer Bestie, die einige Menschen als mythisch bezeichnet hätten: dem tödlichen Punja-Sandtiger, von dem ich meinen Namen hatte.
Meine Ehrenauszeichnung, sozusagen. Männer, die Schwerttänzer kannten, identifizierten mich dadurch sofort.
(Nicht jeder trägt die Kennzeichnung seines Berufes und Sachkenntnis im Gesicht. Ich mag es eher. Es spart Zeit.)
»Keinen Ärger«, murmelte Del leise. Halb Vorschlag, halb Befehl.
Ich schlug eine ausgebreitete Hand über mein Herz. »Mußt du das überhaupt sagen?«
Sie brummte. Wedelte weiteren Rauch fort. Schritt durch engbesetzte Tische hindurch zu einem kleinen Tisch in einer Ecke am hintersten Ende des Wirtshauses.
Noch immer lächelnd folgte ich ihr und beobachtete, wie jedermann sie betrachtete, sogar die Wirtshausmädchen, die die Stirn runzelten, auf der Unterlippe kauten und gedankenvoll an den Fingernägeln knabberten. Und die, wenn sie schnell genug waren, erkannten, daß sie ihre erwählten Partner lieber sofort verführen sollten, wenn sie die offensichtlich geteilte Aufmerksamkeit zurückerlangen wollten.
Eines der Mädchen, das auf dem Oberschenkel eines hageren, jungen, sich wie zufällig an einem Tisch räkelnden Mannes saß, stand sofort auf und kam auf mich zu, wobei sie meine Sicht auf Del verdeckte. Schwarze Haare, dunkle Haut, braune Augen. Ein typisch südliches Mädchen: mit üppiger Figur, unverschämtem Gesichtsausdruck, sechzehn oder siebzehn Jahre alt, in voller Blüte. Aber das würde schnell vergehen. Ich wußte es, die Wüste saugt die Frauen aus, bevor sie dreißig sind.
»Beylo.« Sie lächelte, wobei schiefe Zähne und ein seltsam reizvoller Überbiß sichtbar wurden. »Beylo, willst du deinen Wein mit Jemina teilen?« Ihre Hände lagen auf meinem Arm und liebkosten mich durch den dünnen Stoff meines Burnus. »Ich kann dir Huva bringen und viele, viele Träume.«
»Das bezweifle ich nicht.« Ich schaute an ihr vorbei auf den jungen Mann, den sie verlassen hatte; er hatte auffällig schwarzes Haar, blaue Augen, die Andeutung eines frischen Schnurrbartes und einen trübseligen Gesichtsausdruck. Er war nicht ärgerlich und schien nicht die Absicht zu haben, gegen ihren Treuebruch etwas zu unternehmen. Das Schauspiel belustigte ihn eher, was zumindest eine willkommene Abwechslung zum normalerweise gekränkten männlichen Stolz war, der stets nach Wiederherstellung verlangt. (Meistens blutiger.) »Aber du hast schon einen Partner, Bascha, und ich auch.«
Jemina zuckte eine dunkle, nackte Schulter und mißachtete den offenen Ausschnitt, der noch tiefer rutschte und den größten Teil einer drallen Brust freigab. »Er ist ein Junge, Beylo ... du bist ein Mann.«
Nun, ja, ich schenkte ihr einen eingehenden Blick. »Bascha, ein anderes Mal.« Ich schob sie aus dem Weg und sah Del, offensichtlich amüsiert, an dem kleinen Tisch sitzen.
Nun gut, es wäre zuviel zu hoffen, daß sie eifersüchtig wäre.
Ich zog mir einen Stuhl heran, setzte mich und runzelte die Stirn, als mich die ungleichen Beine des Stuhles schwanken ließen und mich gänzlich umzukippen drohten. Ich verkeilte den Stuhl an der Wand, balancierte erhebliches Gewicht vorsichtig aus und schaute erneut auf, um Dels verzogenen Mund zu sehen. Und dann sah sie an mir vorbei und hoch, um das Barmädchen zu beobachten, die sie abschätzig ansah.
Auf ein neues. Ich seufzte. »Bascha ...«
»Wein?« fragte sie. »Aqivi?« Sie schob schwarze Locken hinter eine Schulter. »Ich arbeite für meinen Unterhalt, Beylo. Ich bin keine ordinäre Hure.«
Es sei denn natürlich, daß der Preis stimmte. Ich seufzte erneut und tastete nach meiner dünn gewordenen Münztasche. Ein paar Kupfermünzen klimperten, kaum genug für eine vollständige Mahlzeit und all den Aqivi, nach dem es mich verlangte.
Meine Augen schweiften hoffnungsvoll zu Del ab. Sie tippte mit schlanken Fingern auf die beschädigte, klebrige Tischplatte, seufzte und winkte dem Mädchen mit einer Hand. »Stew«, sagte sie, »und den billigsten Wein, den Ihr habt.«
»Wein!« Betrübt sah ich sie an. »Ein paar Kupfermünzen mehr würden uns einen Krug Aqivi bescheren.«
»Wein«, sagte Del kühl, und das Mädchen wandte sich mit einem Wippen mehrschichtiger Röcke ab, das mir deutlich zeigte, wie sehr ich in ihrer Gunst gesunken war.
Ich lehnte mich vor und verlagerte mein Gewicht auf einen aufgestützten Unterarm. »Wie kannst du vorschlagen, Kleidung zu kaufen, wenn wir noch nicht einmal genug Geld für eine richtige Mahlzeit haben?«
»Ich kann dies tun, weil ich auf unnötige Ausgaben für unnötige Dinge verzichte.« Sie machte eine Pause und strich eine Haarsträhne zurück. »Wie Aqivi.«
Ein Faden des Huvarauchs zog von dem Balkenwerk herab. Ich wedelte ihn fort. »Aqivi ist kaum unnötig, wo ich doch die letzten drei oder vier Wochen damit verbracht habe, auf unserem Weg durch die Punja Wasser zu trinken.«
Jemina kehrte zurück und knallte zwei hölzerne Schalen mit Lammstew, einen halb aufgegangenen Laib braunen Brotes, eine schmutzige Steingutflasche und ein Paar abgenutzter Holzbecher, die von grünlichem Kupfer zusammengehalten wurden, vor uns hin.
Del lächelte süß. »Trink Wein!«
Ich hätte antworten können, aber ich war zu sehr damit beschäftigt, an dem Stew in meiner Schale zu schnuppern. Hammel ist keines meiner bevorzugten Gerichte, obwohl ich daran gewöhnt bin. Es ist besser als Hund. Und bestimmt besser als gebratener Sandtiger, den Del mir einmal gemeinerweise serviert hatte.
Kurz darauf zog ich mein Messer und schnitt ein Stück von dem harten Brot ab, hob die Schale hoch und bereitete mich darauf vor, wässeriges Stew in meinen Mund zu schöpfen.
Ich bereitete mich darauf vor. Aber es kam nicht dazu. Nicht, als ich den Ausdruck auf Dels Gesicht sah, während sie durch den vollen Schankraum sah, ihn durchbohrte.
Entsetzen. Ärger. Mißtrauen. Und eine kalte, anwachsende Wut, die wie Eis in ihren Augen glitzerte.
Bei allen namenlosen Göttern des Valhail, ich schwöre, ich habe noch nie einen Blick wie diesen gesehen. Weder bei einem Mann, noch bei einer Frau.
Noch nicht einmal bei einem Schwerttänzer.