Читать книгу Schwertsänger - Jennifer Roberson - Страница 6
EINS
ОглавлениеVon Flöhen gebissen ... querköpfig ... hängeohrig ...« — ich holte tief Luft — »... dreimal verfluchter Sohn einer Salsetziege!«
Oder ähnliche Empfindungen. Das Problem war, daß ich ziemlich inkonsequent war und irgendwo an dem zerbrechlichen Rand des Unbehagens und der Katastrophe stand.
Er antwortete nicht. Zumindest nicht verbal. Physisch, ja, und zwar inbrünstig. Er buckelte und sprang und schnaubte und vergrub dann die Nase im Sand. Da er gleichzeitig mit kraftvoller Präzision die aussagekräftigen Hinterbeine anhob, hatte ich keine große Chance.
Mein Sattel hat, dank Valhail, keinen großen Knauf, sondern kaum mehr als eine Erhebung aus starrem Leder, die so geformt ist, daß sie sich dem Rücken des Hengstes und meinem Körper anpaßt. Ich hatte den Sattel unter dem Aspekt der Bequemlichkeit während der langen, heißen Stunden gekauft, die wir bei dem einen oder anderen Auftrag für die Durchquerung der Punja brauchen würden. Und jetzt war ich heilfroh darüber, diesen gewählt zu haben. Ein Mann, der der drohenden Gefahr gegenübersteht, im Sturzflug vom Pferd zu fallen — mit dem Kopf voran und dem Bauch nach unten, sich Schultern und Nacken zerkratzend —, möchte nicht unbedingt seinen besten Körperteil vorne am Sattel aufgespießt sehen, während sich seine restlichen Knochen im Sand verteilen.
Tatsächlich hatte ich andere Sorgen. Wie zum Beispiel, wo mein Schwert landen würde. Selbst der lebhafteste Schwerttänzer unterhält seinen Gegner im Kreis normalerweise nicht auf dem Kopf stehend. Das eröffnete die Möglichkeit, daß mein geliehenes Schwert ohne Scheide aufrecht landen und sich vollständig in etwas hineinbohren würde, vielleicht sogar in mich.
Oder — (laßt mir nur ein wenig Hoffnung) – in den Hengst selbst. Mit dem Gesicht voran rutschte ich über das abschüssige Vorderteil meines Sattels (wobei ich den Bauch und alles andere, was dazu in der Lage war, einzog) und hing, wenn auch nur kurz, nahe am Kopf des Hengstes.
Was ihm zutiefst mißfiel, denn er war kein Tier, das es gern hat, wenn bei einem großen, fluchenden Mann der Kopf eingezogen ist wie bei einem halbrohen Ei das Dotter.
Die Hinterbeine senkten sich wieder. Jetzt mußte sich der Kopf wieder heben. Weil ich wußte, was wahrscheinlich geschehen würde, wenn ich nicht sofort etwas unternahm, schlang ich die Arme und Beine um alle Pferdeteile, die ich greifen konnte, und klammerte mich fest.
Schwierig.
Ich bin groß. Ich bin stark. Es hätte funktionieren können.
Unglücklicherweise nutzte der Hengst mein Erschrecken.
Der Kopf eines Pferdes ist härter als der Bauch eines Mannes. Ein Pferd ist stärker als ein Mensch. Aber ich entdeckte, wie hart und wie stark es wirklich war, als mich der Hengst zur Seite stieß wie einen Klumpen schmutziger Seide.
– luftgeboren–
O Hoolies.
Ich landete mit dem Schwerpunkt auf meiner eingezogenen rechten Schulter, aber auch auf einer Seite des Gesichts und dem unteren Ende meines Schwertes, das in seiner Scheide diagonal über meinem Rücken im Harnisch hing. Was bedeutete, daß es, während ich nicht allzu tief in den Sand eintauchte, gerade genug Hebelwirkung ausübte, um mich auf Gesicht und Bauch zurückzuschleudern, als ich mich zweckmäßigerweise über die Schulterblätter abgerollt hatte.
Ich schluckte genug Sand, um eine neue Wüste anzulegen, und begann dann, meine Lungen über die Grenze zwischen meinem Land, dem Süden, und Dels Land, dem Norden, auszuhusten.
Del. Sie bedeutete ein wenig Hilfe. Während ich trocken hustete und mich erbrechen wollte und würgte und entdeckte, daß ich eine zerbissene, blutige Lippe hatte, stieg sie ab (auf normale Art) und ging los, um den Hengst wieder einzufangen, der aus einem nicht erkennbaren Grund in nordwestlicher Richtung davonlief.
»... von Flöhen gebissen ...« Ich spie Sand aus. »... dickköpfig ...« Noch mehr Sand. »... hängeohrig ...« Dieses Mal Blut. Ich berührte meine Lippe mit einem zögernden Finger und spürte den von Salz und Sand verursachten Schmerz in der Wunde. »... dreimal verfluchter Sohn einer Salsetziege!«
Ich setzte mich auf. Sah Del fürchterlich stirnrunzelnd an, als sie den Hengst zurückbrachte. Ihr Gesichtsausdruck war höflich und zurückhaltend, die personifizierte Unschuld. (Sie ist sehr gut darin.) Sie schien ganz sicher nicht amüsiert oder besonders besorgt oder mitfühlend. Aber ein genauerer Blick in arglose blaue Augen sagte mir, daß sie lediglich abwartete, bis ihre Zeit gekommen war.
Ich leckte meine Lippen. »Ich sollte ihn den Cumfa zum Fraß vorwerfen.« Ich mußte wegen der geschwollenen Lippe vorsichtig sprechen, aber es war deutlich genug, was ich meinte.
»Ein langer Ritt auf einem einzigen Pferd.« So mild. So beiläufig, daß es Wut hervorrief.
Ich schaute. Del untersuchte den Hengst nach Verletzungen.
»Er ist in Ordnung.« Ich machte eine Pause. »Er ist in Ordnung.«
»Ich sehe nur nach.«
Ich schaute sie etwas eindringlicher an und beobachtete geistesabwesend die klaren Linien ihres Gesichts, während sie so ernsthaft mit dem Zustand des Hengstes beschäftigt war. Viel mehr konnte ich nicht von ihr sehen, denn sie war in einen weißen Seidenburnus gehüllt, der ihre Arme und Beine und weiblichen Kurven, so aufregend sie auch waren, ausgezeichnet verbarg. Im Süden ist das der Sinn eines Burnus bei einer Frau: sie vor männlichen Augen zu schützen, die anderenfalls beim Anblick eines wohlgestalteten Knöchels vor Verlangen entflammen würden.
Das Problem war, daß der Brauch eher Schwierigkeiten verursachte, als daß er sie vermied. Ein wohlgestalteter Knöchel, der weitere anatomische Annehmlichkeiten verspricht, ist kaum mehr als eine Einladung, Phantasien über den restlichen Körper der Frau zu entwickeln.
Natürlich genügte bei Del weit weniger als ein Knöchel. Ein Blick aus diesen blauen, blauen Augen, und ich war ... nun ...
O Hoolies. Ich und jeder andere Mann.
Geschickt und sanft glitten ihre Hände an den Vorderbeinen hinab, wobei sie kurz die Sehnen untersuchte, dann führte sie ihn ein paar Schritte vorwärts, um seinen Gang zu beobachten, und nahm schließlich den Sattel, die Satteltaschen und die Decken ab, um sich seinen Rücken anzusehen. Wo das Geschirr gewesen war, war er naß, aber das war zu erwarten gewesen.
»Das ist bei ihm so«, belehrte ich sie. »Das weißt du. Du hast gesehen, daß das auch vorher schon so war.«
Sie schürzte die Lippen und hob helle Brauen. »Dieses Mal ist es ein wenig schlimmer.«
»Wie bei mir.« Ich stand auf, zuckte zusammen und rollte den Kopf von einer Seite zur anderen. »Del ...«
»Dem Hengst geht es gut.« Sie wandte sich um. »Wie geht es dir, Tiger?«
Jetzt fragt sie. »Gut.« Ich bewegte die Handgelenke, die Finger, hob die Schultern an und ließ sie wieder fallen. Dann zog ich das Schwert aus der Scheide, um sicherzugehen, daß meine Waffe unbeschädigt war, wie es jeder Schwerttänzer tun würde, und zwar so oft wie nötig.
Hoolies. Diese dreimal verfluchte Klinge eines nordischen Metzgers!
Sie gehört nicht mir. Nicht wirklich, obwohl ich sie gebrauche, wenn ich muß. Sie ist geliehen, einem toten Mann abgenommen, der keine Verwendung mehr dafür hatte. Ich haßte ihn, tot wie er war. Ich haßte es, obwohl diese letztere Empfindung ziemlich dumm war. Aber das Schwert anzusehen, es zu berühren, es zu tragen, es für meinen Beruf zu gebrauchen, erinnerte mich hin und wieder daran, daß meine eigene vom Shodo geweihte, aus bläulichem Stahl gefertigte Klinge tot war wie der Mann, den ich im Kreis unter dem Mond getötet hatte.
Einzelhieb.
Nun, es hat keinen Sinn zu jammern, wenn der Aqivi bereits verschüttet ist.
Aber ich haßte dieses Ding. Es hatte auch keinen Sinn, das zu leugnen. Oder zu leugnen, daß es mich auf eine seltsame, unerklärliche Art ängstigte.
Das Schwert war nordisch. Nicht südlich, wie Einzelhieb gewesen war, wie ich war. Im Norden geschmiedet, im Norden getränkt. Ein Jivatma, von Del als Blutklinge bezeichnet, weil der Mann, der sie gemacht hatte, einen angesehenen Feind auserwählt hatte, um die Klinge zu tränken, sie mit Blut zu tränken, während eines mir unbekannten nordischen Rituals. Hier im Süden ist es anders.
Das Sonnenlicht lief die Klinge hinab. Fremdartige Runen, die in gleichermaßen fremdartiges Metall eingearbeitet waren, wurden in dem Licht lebendig und wanden sich, obwohl es nur eine Illusion war ... oder zumindest habe ich das immer angenommen. Meiner Meinung nach gibt es keine Magie. Ich bin nicht Theron, der die Klinge getränkt hat, und ich kenne nicht ihren Namen oder den Schlüssel, um das Schwert zum Leben zu erwecken.
Aber er hatte es getan, im Kreis, bevor ich ihn tötete. Er hatte es getan, und ich hatte all die strahlenden Lichter dessen gesehen, was Del die Palette der Götter nannte: Purpurfarben, Violettöne, Magentarot, alle von unheimlicher Leuchtkraft. Jedes Schwert hatte eine Seele (mangels eines treffenderen Ausdrucks), sowie auch einen Namen, und jene Seele zeigte sich in einem strahlenden Flechtwerk des Lichts, einem kaum wahrnehmbaren Gitterwerk sichtbarer Farben. Normalerweise war dies nur erkennbar, wenn es gut aufgelegt war, aber etwas davon zeigte sich in der Klinge auch, wenn sie ruhte: Dels war lachsfarben-silbern, Therons ein ganz helles Purpurrot.
Oder war so gewesen, bevor er starb.
Es war ein hervorragender Tanz gewesen, solange er angedauert hatte. Eine Erprobung des Könnens, der Kraft, der Übung und, auf einer Seite, der Hinterlist. Und wie wir tanzten, Theron und ich, im Namen einer nordischen Frau!
Ein Schwerttänzer namens Delilah.
Mit grimmig zusammengepreßten Lippen seufzte ich, wobei ich die Luft durch die Nase ausstieß. Das gewundene Heft war kühl in der Hitze des Tages. Zu kühl. Nicht einmal als wir endlose Stunden lang durch die brennende südliche Sonne geritten waren, wurde das ungeschützte Metall warm. Ein seltsames, unheimliches Silbern, eis-weiß/blau-weiß, wie die Schneestürme, die Del beschrieben hatte. Aber Schnee und Schneestürme sind mir fremd, wie auch das Schwert. Unter der südlichen Sonne geboren, mit der Hitze und dem Sand und den Simumen vertraut, konnte ich die Dinge nicht verstehen (oder mir vorstellen), von deren Existenz in ihrem kalten nordischen Land sie mir erzählt hatte.
Alles, was ich kenne, ist der Kreis.
»Eines Tages«, sagte sie, »wirst du deinen Frieden mit Therons Schwert machen müssen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Wenn wir einmal die Zeit haben werden, den Shodo aufzusuchen, der mich ausgebildet hat — oder einen seiner Lehrlinge —, werde ich dieses Ding gegen ein richtiges Schwert eintauschen, ein südliches Schwert, etwas, dem ich vertrauen kann.«
»Vertraue diesem«, sagte sie ruhig. »Zweifle niemals an ihm oder an dir selbst. In deinen Händen kennt es keine Magie. Jetzt, wo Theron tot ist, ist es nur mehr ein Schwert. Das weißt du. Ich habe es dir gesagt.«
Sie hatte es mir gesagt, ja, weil sie wußte, wie ich diesbezüglich empfand. Wegen des Verlusts von Einzelhieb. Für einen Schwerttänzer, einen Mann, der seinen Lebensunterhalt mit dem Schwert verdient, ist eine gute Klinge mehr als nur ein Stück Stahl. Sie ist eine Verlängerung seiner selbst, genauso ein Teil von ihm wie die Hand oder der Fuß, wenn auch erheblich tödlicher. Deine Waffe lebt, atmet, hat Vorrang vor so vielem anderem, denn ohne sie bist du nichts.
Für mich war diese Klinge weniger als nichts. Einzelhieb dagegen hatte mir Freiheit gegeben.
Therons Schwert, so wußte ich, war nicht wirklich tot, aber es lebte auch nicht. Nicht wie Dels Klinge. Aber es hatte etwas, etwas Seltsames. Wenn ich meine Hände um das gewundene Heft legte, fühlte ich mich stets wie ein Fremder, ein Eindringling, kaum besser als ein Dieb. Und ich fühlte stets ein seltsames, leichtes Zucken in dem Heft, ein Zurückweichen, als sei das Schwert bei meiner Berührung erschrocken. Als erwarte es, daß die Haut eines anderen die seine in diesem eigenartigen Wechselspiel zwischen Mann und Schwert berührte. Mehr als einmal hatte ich den Wunsch verspürt, es Del gegenüber zu erwähnen, aber ich hatte es nicht getan. Irgend etwas hielt mich davon ab. Stolz vielleicht. Oder vielleicht einfach der Unwille zuzugeben, daß ich etwas empfand. Ich bin kein Mann, der viel von Magie hält, und der letzte, der zugeben würde, daß er solche Macht in einem Schwert empfand. Selbst wenn sie weitgehend aufgelöst war. Einerseits könnte sie mir einreden, daß ich mir Dinge einbildete.
Andererseits könnte sie mir einreden, daß ich das nicht tat.
Del versteht Schwerter. Wie ich, ist auch sie ein Schwerttänzer, so unwahrscheinlich das auch klingt. (Hoolies, es hatte bei mir lange genug gedauert, bis ich das eingesehen hatte. Auch jetzt noch schrecke ich ein wenig davor zurück, wenn sie den Kreis betritt, um mit mir einen Übungskampf auszuführen. Ich bin es einfach nicht gewohnt, einer Frau gegenüberzustehen — zumindest nicht im Kreis.)
Unsere Gebräuche sind so verschieden, zu verschieden für den Süden, wo die Sonne und der Sand alles bestimmen. Del hatte ihr möglichstes getan, um meine Einstellungen zu ändern (und ändert sie täglich etwas mehr), aber teilweise sehe ich in ihr noch immer die Frau, nicht den Schwerttänzer.
Natürlich ist ein Schwerttanz so ziemlich das letzte, was ein Mann von Del wollen könnte. Tanzen, ja, aber nicht im Kreis. Nicht mit einer Stahlklinge ... oder aus welcher anderer Art Metall auch immer das Jivatma gemacht war.
Im Süden hat eine Frau nichts mit Waffen irgendeiner Art zu tun. Sie kümmert sich um das Haus, den Hyort, den Wagen, um die Kinder, die Hühner, die Ziegen, um den Mann, der sie sein nennt.
Aber Del ist eine Nordbewohnerin, keine Südbewohnerin. Del hat kein Haus oder einen Hyort oder einen Wagen, keine Kinder, Hühner oder Ziegen. Und sie hat, mit allergrößter Entschiedenheit, keinen Mann, der sie sein eigen nennt, denn Del gehört einzig und allein Delilah.
Natürlich weiß ich es besser, als daß ich es versuchen würde.
Ich weiß es besser. Dennoch versuche ich es.
Ich sah Del an und wußte besser als die meisten, was unter dem Burnus, unter der ärmellosen, knöchellangen, mit Runen versehenen Ledertunika und der schimmernden Seide verborgen lag.
Sie ist groß. Schlank, aber kraftvoll. Mit schmaler Taille, aber breiten Schultern. Zäh. Durchtrainiert. Weitaus stärker als eine gewöhnliche Frau. Es ist absolut nichts Zerbrechliches an Del, obwohl sie durch und durch Frau ist und alle Teile ganz eindeutig am richtigen Platz sind.
Eine blauäugige, hellhaarige, hellhäutige Bascha, obwohl das Haar nach einigen Jahren unter südlicher Sonne fast weiß geworden war und die Haut einen lohfarbenen, cremigen Goldton angenommen hatte.
Wir sind so verschieden, Delilah und ich. Ich bin ein wahrer Sohn der Wüste: die Haut dunkel gebrannt wie eine Kupfermünze, das dunkelbraune Haar unregelmäßig annähernd bronzefarben getönt, die grünen Augen in einem Fächer sonnengebrannter Falten, die, wenn sie sich ausbreiteten, die Farbe zeigten, die ich bei meiner Geburt gehabt hatte, vor ungefähr dreißig Jahren. Damals heller, wenn auch noch immer dunkler als die cremige Farbe eines Nordbewohners.
Ich bin groß, breit, schwer, aber erheblich schneller, als ich aussehe. Das Schwerttanzen lehrt selbst den langsamsten Mann, wie er sich bewegen muß — oder es lehrt ihn, wie er sterben muß.
Ich sah Del an, weil es guttut, Del anzusehen. Aber ich sah auch auf das Schwertheft, das über ihre linke Schulter herausragte. Ich kannte es jetzt gut. Besser als ich wollte, denn ich war gezwungen gewesen, es kennenzulernen.
All die Monate, in denen ich Del beobachtet hatte, wie sie es mit gefährlichem Können und Anmut geführt hatte, wobei ich wußte, daß es mehr war als einfach nur ein Schwert, hatte ich Zeit gehabt zu lernen, es zu respektieren, es sogar zu fürchten, weil es mehr war als nur ein Schwert. In ihren Händen wurde es lebendig und zu einem Gegenstand furchteinflößender Macht.
Boreal: aus nordischen Bansheestürmen geboren, im Körper eines der besten Schwertmeister des Nordens getränkt. Ihres Schwertmeisters — ihres An-Kaidin —, eines Mannes, den sie ehrte und respektierte, der ein entschlossenes, fünfzehn Jahre altes Mädchen angenommen hatte, das erpicht war auf eine höchst persönliche Rache, und sie die Führung einer Waffe gelehrt hatte, die fast so tödlich war wie jene, die sie schließlich in ihn stieß.
Boreal. Die in meinen Händen (wenn ich sie mir auch nur kurz ausgeliehen hatte) beim Klang ihres Namens zum Leben erwacht war, mich rettete, Del rettete und den Mann vernichtete, der uns töten wollte.
Aber Boreal gehörte Del. Ich hatte keinen Anteil daran. Nicht mehr als an Therons Klinge, die jetzt Einzelhieb ersetzte, wenn auch nur vorübergehend.
Notwendigkeit ist oft unangenehm.
Ich steckte das Schwert in die Scheide und beachtete es dann nicht weiter, denn ich war an sein Gewicht auf meinen Schultern gewöhnt. Ich nahm Del die Zügel des Hengstes aus der Hand und führte ihn ein paar Schritte fort.
»Sieh mal, alter Junge«, begann ich, »du und ich, wir haben uns geeinigt. Ein solcher Gefühlsausbruch kann geduldet werden, wenn wir in einem Dorf oder einer Stadt oder einem Lager sind und es letztendlich um Geld geht, aber nicht, wenn nur du und ich und Del und dieses sandkranke Pferd, das ihr gehört, da sind.« Ich tätschelte seinen Hals. »Verstehst du? Du könntest einen von uns hier draußen in der Wüste verletzen, und das ist keine so gute Idee.«
Er blies schnaubend aus braunen Nüstern und zuckte mit einem büscheligen Ohr. Dann entblößte er die Zähne in dem beiläufigen Versuch zu beißen.
»Zärtlich wie immer.« Ich preßte den Daumen auf die zupackende Lippe, und er wandte den Kopf ab, wobei er beredt mit den Augen rollte.
Del nahm ebenfalls die Zügel ihres Pferdes auf — eines mageren, ausgewaschen scheckigen, grauweißen Wallachs mit ausgefranstem Schwanz und dem Temperament einer alten Frau, die noch immer versucht, sich geschickt zu zieren — und sah mich an.
»Wie lange noch bis Harquhal?«
»Ich denke, bis zum Einbruch der Nacht.« Ich hob die Hand schützend über die Augen und blinzelte in den südlichen Himmel, der in der Wärme zu schimmern schien. »Natürlich verlieren wir durch dieses schwachsinnige Pferd Zeit.«
»Dann sattele es, und los geht's.«
»Wir haben es eilig, nicht wahr?« Ich zog den Hengst zurück zu der Stelle, wo sein Geschirr lag, und beugte mich hinab, um es aufzuheben. »Der Norden wird noch immer da sein, Del ... er ist es seit Jahren.«
Sie stieg auf und schwang ein langes Bein und einen schlanken Fuß mit seiner südlichen, bis zum Knie kreuzweise gebundenen Sandale aus ihrem wogenden, weißen Seidenburnus heraus. »Und es ist sechs Jahre her, daß ich dort war.«
»Nicht ganz sechs«, korrigierte ich sie. »Du warst mindestens neun Monate bei mir, ungeachtet mehrerer Gefangenschaften.« Ich grinste, als sie mich unter sonnengebleichten, blonden Brauen stirnrunzelnd ansah. »Selbst wenn wir weitere fünfeinhalb Jahre brauchen würden, Bascha, wäre er noch immer da.«
»Du vergißt dich selbst, Sandtiger.« Ihr Ton war plötzlich kühl. Ich hörte auf, den Hengst zu satteln, und wandte mich um, um sie direkt anzusehen. »Es bleiben uns nur zwei Monate, bevor das Jahr, das mit Theron vereinbart war, verstrichen ist ... und dann werden sie einen anderen Schwerttänzer schicken, um die fällige Blutschuld einzutreiben.«
Keine spaßige Angelegenheit, weder in bezug auf Del noch auf jemand anderen. Was ihr bevorstand, war ernst. Wenn Del sich in der angegebenen Zeit weigern würde, in den Norden zu gehen, um die Verhandlung aufgrund ihrer Blutschuld über sich ergehen zu lassen, würde die Aufgabe, sie zu töten, jedem Mann zukommen oder mehreren. Nordbewohner, Südbewohner, Schwerttänzer, Krieger, Räuber, es war ganz einfach egal. Ihr Mörder würde für die Ablösung der Blutschuld, die für die Ermordung ihres An-Kaidin fällig war, belohnt werden.
Del war schuldig. Sie hatte den An-Kaidin getötet. Sie bekannte die Blutschuld offen und leugnete die Verantwortlichkeit nicht. Das war in den Augen der nordischen An-Kaidin und aller ihrer Schüler, der Ishtoya und An-Ishtoya,ihr Schuldspruch.
Hoolies, auf eine verdrehte Art verstand sogar ich den Grund dafür.
Aber jeder, der sie wollte, würde an mir vorbeikommen müssen.