Читать книгу Julias Geheimnis - Jennifer Weise - Страница 8
erster Streit
ОглавлениеIch war froh, dass am Sonntag auf der Arbeit nicht viel zu tun war und ich früher gehen konnte. So betrat ich schon am Nachmittag die Wohnung.
„Sag’ mal, findest du das fair?“
„Was denn, Toni?“
„Du hättest gestern auch gleich sagen können, dass du nicht mit zum See kommst!“
„Toni, ich hab’ nie gesagt, dass ich mitkomme!“
„Aber du hast auch nicht gesagt, dass du nicht mitkommst!“
„Ich muss sonntags immer arbeiten.“
„Aber du weißt ganz genau, dass ich mit Matthew und Frank nicht alleine wegfahre! Da hättest du gestern ruhig ein Wort sagen können!“
Ich musste an Franks Worte denken. Dennoch war ich nicht seiner Meinung, es war schwer sich am Anfang zurecht zu finden. Schließlich alles neu für Toni und auch das WG-Leben war sie nicht gewohnt.
„Tut mir leid, Toni! Ich hab’ gestern zuviel getrunken und nicht mehr alles mitgekriegt“, erklärte ich ehrlich.
„Und dich unmöglich aufgeführt!“
„Findest du?“
„Ja! Du gehst mit den Jungs viel zu offenherzig um! Dass du alleine mit Matthew in seinem Zimmer geblieben bist fand’ ich schon heftig!“
Mir war klar, dass sie auf die Massage anspielte, was würde sie erst sagen, wenn sie wüsste, wie wenig ich anhatte!
„Toni, ich...“
Es hatte keinen Sinn, weiter zu reden, denn Toni rannte in ihr Zimmer. Ich überlegte gerade, ob ich ihr hinterher laufen sollte, als das Telefon klingelte.
„Ja?“
„Julia?“
„Hallo Mama!“
„Wie geht’s dir? Du hast dich ja schon ewig nicht mehr gemeldet!“
„Ich hab’ viel zu tun!“
„Aber jetzt hast du einen Moment Zeit für mich?“
„Ja, Mama.“
„Erzähl doch mal! Wie ist die Uni?“
„Schwer.“
„Seit wann fällt dir das Studieren denn schwer?“
„Ich glaub’, ich hab’ einfach zu lange ausgesetzt.“
„Vielleicht war es ein Fehler, die Uni zu wechseln.“
„Mama, du weißt doch, dass es nicht anders ging.“
Während meine Mutter mir einen Vortrag darüber hielt, dass ich die Uni nicht hätte wechseln dürfen, ging ich mit dem Telefon in der Hand in mein Zimmer und setzte mich auf mein Bett.
„Mama, ich krieg’ das schon irgendwie hin“, versuchte ich sie zu beruhigen.
„Bitte gib dein Studium nicht auf!“
„Ich nehm’ Nachhilfe, Mama.“
„Das ist doch bestimmt teuer!“
„Ja, aber ich geb’ selbst auch Nachhilfe und ich hab’ doch den Job...“
Wieder unterbrach sie mich:
„Du kellnerst wieder. Das hat dir doch schon früher nicht gefallen!“
„Mama, bitte!“
Nach einigem Hin und Her hatte sie heraus bekommen, was mich die Nachhilfe wirklich kostete.
„Könntest du mir einen Gefallen tun?“ bat ich meine Mutter.
„Sicher, gerne!“
„Ich hatte da zwei Kartons...“
„Du meinst die, die ich für dich wegwerfen sollte?“
„Ja. Hast du die noch?“
„Natürlich! Willst du sie jetzt doch wieder haben?“
„Kannst du mir die Sachen schicken?“
„Ich kann sie dir auch persönlich vorbei bringen!“
„Mama!“
„Ist ja gut. Ich bin ja froh, dass du deine Sachen überhaupt wieder haben willst. Heißt das, du gehst endlich wieder aus?“
„Du weißt doch Mama: ich gehe nie aus und trinke keinen Alkohol!“ äußerte ich ironisch.
„Was ist mit Männern?“
„Mama!“ rief ich empört.
„Hast du nette Mitbewohner?“
„Oh ja!“
„Wieder nur Männer?“
„Nein, ich bin hier nicht die einzige Frau!“
„Schade! Ein bisschen Spaß könnte dir nicht schaden!“
Wieder fragte ich mich, warum ich keine normale Mutter haben konnte, die etwas gegen Männerbekanntschaften hatte und auf die Sittsamkeit ihrer Tochter achtete. Aber ich liebte meine Mama...
„Soll ich Phillip mit deinen Kartons vorbei schicken?“
„Würde dich das beruhigen?“
„Ja.“
„Also gut!“
Gerade hatte ich aufgelegt, da hörte ich aus dem Nebenzimmer Gelächter. Was machten denn Matthew und Frank hier? Wollten sie nicht zum See fahren? Mir war klar, dass ich am Telefon nicht gerade leise gesprochen hatte. Wahrscheinlich hatten sie jedes Wort mit angehört.
Ich klopfte an Matthews Tür.
„Soso, du trinkst also nie?“ zog Matthew mich gleich auf.
„Und du gehst auch nicht aus?“ stimmte Frank mit ein.
„Sollt ihr lauschen?“
Ich schnappte mir zwei Kissen und schlug damit auf beide gleichzeitig ein.
„Julia!“ tönte es durch die Wohnung.
Kurz darauf erneut, diesmal jedoch lauter.
„Julia!“
Ich steckte den Kopf aus Robins Zimmer. Gerade wollte ich Matthew fragen, was er wollte, da sah ich Phillip im Eingang stehen. Überrascht, aber hocherfreut rannte ich gleich zu ihm.
„Kätzchen!“ begrüßte er mich und nahm mich in seine Arme.
„Baby!“ war meine Antwort darauf, die mir gleich einen Knuff in die Seite einbrachte.
„Ich hab’ gehört, hier herrscht Notstand!“
Fragend sah ich ihn an.
Phillip deutete auf den Umzugskarton, der hinter ihm stand.
„Hier hat jemand Schuhe bestellt!“
„Schuhe?“ rief Robin entzückt und öffnete gleich den Karton.
Kurz darauf zog er ein paar HighHeels aus dem Karton und sah sie sich begeistert an.
„Zieh an!“ forderte ich Robin auf.
„Da pass ich doch nie rein!“
„Das sind Sandalen, Robin, ist doch egal, wenn die Zehe vorne rausgucken!“
Ich hockte mich zu Robin auf den Boden und half ihm beim Anziehen.
„Da hast du was angestellt!“ meinte Matthew zu Phillip.
„Ja, Frauen und Schuhe!“
Die beiden stellten einander vor.
„Ich hab’ noch zwei Kartons im Wagen.“
Das hatte ich gehört und forderte sofort:
„Rauf holen, Phil!“
Gemeinsam mit Matthew ging Phillip zu seinem Wagen.
„Woher kennst du Julia? Habt ihr zusammen studiert?“ wollte Matthew gleich wissen.
Phillip lachte.
„Ich mach’ nächstes Jahr erst mein Abi! Hat Kätzchen gar nicht von mir erzählt?“
„Kätzchen?“
„Wenn du sie von was überzeugen willst, dann kraul sie einfach im Nacken, dann…“
„…fängt sie an zu schnurren, wie ein Kätzchen. Die Erfahrung hab’ ich schon gemacht“, lachte Matthew.
„Hast du sonst noch ein paar Tipps für mich, Phillip?“
Phil blieb stehen und sah Matthew an.
„Sei nett zu ihr!“
„Bist du ihr Freund?“
„Viel schlimmer! Ihr Bruder!“
Die beiden gingen für einen Moment schweigend weiter, dann vertraute Phil Matthew etwas an:
„Als ich dich an der Wohnungstür sah, ging ich eigentlich davon aus, dass du ihr Freund bist.“
„Hast du mit keinem männlichen WG-Mitbewohner gerechnet?“ war Matthews Schlussfolgerung.
Philipp war schon bei seiner Ankunft Julias Aufmachung aufgefallen. Sie war nicht geschminkt und lief in einem alten, völlig ausgeleierten Jogginganzug rum. Das passte nicht zu ihr. Als sie ihrer Mutter heute am Telefon erzählt hatte, dass sie ihre Klamotten doch wieder haben will, hatte Mama darauf bestanden, dass er ihr sofort alles brachte. Vor etwas mehr als einem Jahr hatte Julia diese Kartons gepackt und verkündet, dass sie weder die Lust noch ein Recht darauf hatte, auszugehen und sich zu amüsieren. Seine Mutter war schockiert gewesen. Sie hatte Julias Kleidung gewaschen und ordentlich in den Kartons verstaut, denn Julia hatte alles achtlos reingeworfen. Die ganze Familie hatte sich Sorgen gemacht, insbesondere als seine Schwester mit ihrem Studium aufhörte…
„Philipp?“
„Was treibt Julia eigentlich?“
Matthew überlegte, wie meinte Philipp seine Frage?
Philipp grinste Matthew an.
„Dein Schweigen verrät alles! Ein Glück!“
„Was?“
„Wir haben uns schon Sorgen um Julia gemacht.“
„Sie kann ganz gut auf sich selbst aufpassen!“ fand Matthew.
Diese Antwort zeigte Philipp, dass Matthew keine Ahnung hatte. Er würde ihn nicht von sich aus ins Vertrauen ziehen, aber vielleicht sollte er sich mal mit dem jungen Mann unterhalten, der Julias Schuhe so bewundert hatte. Die beiden schienen befreundet zu sein.
Gemeinsam mit Robin hängte ich meine Klamotten in den Kleiderschrank. Philipp hatte es sich auf meinem Bett gemütlich gemacht und beobachtete uns.
„Was gibt’s Neues, Kätzchen?“
„Was willst du hören, Baby?“
„Du sollst nicht immer Baby zu mir sagen!“
„Dann hör’ mit diesem ewigen Kätzchen Kram auf!“
„Also gut, was gibt’s Neues, Julia?“
„Nichts - und bei dir?“
„Gehst du wieder zur Uni?“
„Deswegen bin ich hierher gezogen.“
„Na ja, nach dem was damals passiert ist…“
Schnell unterbrach ich Philipp. Ich wollte nicht, dass Robin oder sonst jemand etwas davon erfuhr.
„Robin ist meine beste Freundin und wir waren zusammen in einem total angesagten Club!“ begann ich.
„Ich bin deine beste Freundin, Liebes?“ fragte Robin mich erstaunt.
Ich drückte Robin an mich.
„Was war das für ein Club?“
Robin schwärmte Philipp von dem Club und von Fabienne vor.
„Und hat Julia auch einen netten Kerl im Auge?“
„Einen? Wir flirten mit allen!“
Robins Antwort gefiel mir.
„Das wurde aber auch Zeit, Julia!“
„Was wurde Zeit?“
„Dass Julia endlich wieder anfängt zu leben…“
„Phil, was macht die Schule?“
„Jetzt lässt sie wieder die große Schwester raushängen“, beschwerte Philipp sich.
Als Philipps Magen sich lautstark bemerkbar machte, gingen wir gemeinsam in die Küche. Hier saßen die Anderen versammelt am Küchentisch.
„Das ist Philipp!“ stellte ich meinen kleinen Bruder vor und forderte ihn dann auf, sich zu setzen. Er nahm sich Robins Platz und Robin setzte sich zu Matthew auf meinen Stuhl.
„Hab’ ich dir jetzt deinen Stuhl geklaut?“ fragte Phil mich gleich und wollte aufstehen.
„Ja, hast du!“ bestätigte ich und setze mich dann auf seinen Schoß.
Toni warf mir einen empörten Blick zu.
„Haben eure Eltern dich geschickt, damit du auf Julia aufpasst?“ fragte David gleich.
„Woher weißt du…?“ begann Matthew, denn er hatte es nicht verraten.
„Die Ähnlichkeit ist nicht zu übersehen!“
„Also, ich finde Philipp schnittiger!“ verriet Robin.
Tonis Gesichtsausdruck entspannte sich wieder.
„Julia brauchte dringend was zum Anziehen und hat darauf bestanden, dass ich es ihr sofort herbringe!“
„Ist doch gar nicht wahr!“
„Bleibst du über Nacht?“ wollte David wissen.
„Philipp muss morgen zur Schule.“
„Muss ich nicht, Kätzchen! Ich hab’ bewegliche Ferientage!“
„In meinem Bett schläfst du nicht!“
„In meinem ist noch ein Plätzchen frei!“ bot Robin sofort an.
„Hat einer von euch was dagegen, wenn ich bleib’?“
Bis auf Toni verneinten alle, Philipp bemerkte es.
„Und stört’s dich?“ fragte er sie nun direkt.
„Ist mir egal.“
„Klasse! Was machen wir heute Abend?“
Philipp war voller Tatendrang.
„Ich muss morgen früh zur Uni und danach arbeiten.“
Phil sah mich erstaunt an.
„Kann mir einer von euch sagen, wer das hier ist? Meine Schwester kann sie nämlich nicht sein!“
„Philipp, hör auf damit!“
„Sonst hat dir das doch auch nichts ausgemacht, mal einen Tag zu schwänzen!“
„Die Zeiten ändern sich!“ gab ich zurück, stand auf und ging in die Stube.
„Julia hat geschwänzt?“ fragte Antonia ungläubig.
„Sie hat so einiges getrieben!“
„Und warum hat sie die Uni gewechselt?“ wollte Frank wissen.
„Um möglichst weit weg von Philipp zu sein!“ rief ich vom Flur.
„Wenn Julia nicht ausgehen will, könnten wir doch hier was Nettes zusammen machen!“ schlug Philipp vor.
„Oh ja! Wie wär’s mit Wahrheit oder Pflicht?“ schlug Robin begeistert vor.
Matthew und Frank sahen sich an, sie hatten für heute eigentlich schon etwas anderes vorgehabt und Frank hatte gerade noch darüber nachgedacht, ob er Julias Bruder einladen sollte, mitzukommen. Der Blick der beiden jungen Männer zeigte, dass sie sich einig waren. Spontan entschlossen sie sich dazu, ihre Pläne zu ändern. Als nun auch David mitmachen wollte, war Toni plötzlich Feuer und Flamme.
Damit war ich überstimmt, es wurde mal wieder nichts daraus, früh ins Bett zu gehen…