Читать книгу Die unglaubliche Wunderreise des Freddie Yates - Jenny Pearson - Страница 13
ОглавлениеIch schätze, das ist die Stelle, an der unsere
losgeht
Weil mein Bauch vor Aufregung wie verrückt kribbelte, wachte ich am nächsten Morgen total früh auf. Ich versuchte, wieder einzuschlafen, aber dafür war ich viel zu aufgedreht. Also stand ich auf und packte meine Lieblingsboxershorts in meinen Rucksack. Ich weiß noch, was mir dabei durch den Kopf ging: Wenn ich sie das nächste Mal anzog, würde ich Alan Froggley bereits kennengelernt haben. Männerunterhosen gibt es übrigens schon seit rund siebentausend (!) Jahren. Damals trug man allerdings noch Lendenschurze aus Leder. Die wurden irgendwann abgeschafft, weil sie nicht besonders atmungsaktiv sind und es kein Vergnügen ist, untenrum ständig nass geschwitzt zu sein.
Auf Zehenspitzen schlich ich am Wohnzimmer vorbei, wo sich Dad seit seinem Unfall dauerhaft eingerichtet hatte. Er lag schnarchend auf der Couch und sein Gesicht leuchtete bläulich im Licht des Fernsehers. Obwohl mirvor Aufregung ganz schlecht war, wusste ich, dass ich besser versuchen sollte, etwas zu frühstücken. Ich schnappte mir das Nutellaglas, aber dann fiel mir Grams’ Brief wieder ein und ich entschied mich stattdessen für einen Müsliriegel.
Kurz nach sieben beschloss ich, mich langsam auf den Weg zu der Bushaltestelle bei Ben um die Ecke zu machen. Ich wusste bloß nicht, ob ich Dad wecken sollte oder nicht. Eine Weile stand ich vor ihm und beobachtete, wie sich sein Brustkorb hob und senkte. Er sah so friedlich aus. Am liebsten hätte ich die Arme um ihn geschlungen, so wie früher, als ich noch klein war. Es war ein wirklich schöner Moment, jedenfalls bis er plötzlich hochfuhr und mit einer seiner Krücken nach mir schlug. Vor Schreck machte ich mir beinahe in die Hose.
Ich schrie. Er schrie. Wir schrien.
»Fred! Was zur Hölle machst du da? Ich dachte, du wärst ein Einbrecher!«
»Ich hab dir beim Schlafen zugeguckt!«
»Himmelherrgott noch mal, wozu denn das, Junge? Deinetwegen hätte ich fast einen Herzinfarkt gekriegt.«
»Du bist doch derjenige, der hier mit seiner Krücke um sich schlägt!«
»Fred, jemandem beim Schlafen zuzugucken, ist echt gruselig. Mach das nie wieder.«
Okay, da hatte er nicht ganz unrecht.
»Ich wollte mich eigentlich nur verabschieden. Ich geh jetzt rüber zu Ben.«
Er strich sich über seine Bartstoppeln. Ehrlich gesagt sah er von Tag zu Tag verlotterter aus. »Wie spät ist es überhaupt?«
»Kurz nach sieben.«
»Bei allen guten Geistern, Fred. Wieso bist du so früh schon auf?«
»So früh ist es doch gar nicht.«
»Für mich schon.«
Das stimmte natürlich. Seit er krankgeschrieben war, stand er selten vor elf Uhr auf.
»Wann bist du zurück?«
»Morgen Abend.«
Er streckte die Arme aus und gab ein gewaltiges Gähnen von sich, das wie das Gebrüll eines wütenden Dinosauriers klang. Dad gähnt immer so laut. »Sei so lieb und mach mir noch ’ne Tasse Tee, bevor du gehst, ja?«
Ich brachte Dad seinen Tee und er versicherte mir, Mum wäre stolz auf mich. Das musste ich nicht in mein Buch schreiben, weil es bereits drinstand. Dad trinkt viel Tee. Um ehrlich zu sein, habe ich ihn in meinem ganzen Leben wohl nur zwei verschiedene Getränke zu sich nehmen sehen – Tee oder Bier.
»Also, bis dann, Dad.«
»Viel Spaß. Und benimm dich.«
Auf der Türschwelle blieb ich noch einmal stehen. Irgendwie fühlte sich der Abschied zu beiläufig an. »Ich hab dich lieb. Und ich bin bald wieder da, versprochen. Mach dir keine Sorgen, okay?«
Dads Stirn wurde ganz faltig. »Alles in Ordnung, Fred?«
Auweia. Hatte ich es übertrieben? Offiziell ging ich schließlich nur zu Ben, das war nun wirklich nichts Besonderes. Ich fürchtete schon, dass ich aufgeflogen war, aber dann meinte Dad: »Entschuldige, natürlich ist nicht alles in Ordnung. Ich weiß doch, wie sehr du deine Grams vermisst. Und von den Sommerferien hast du auch nicht viel, solange ich hier eingegipst rumliege.«
Ich musste meine Lippen fest zusammenpressen, um nicht damit herauszuplatzen, dass ich in Wahrheit nach Wales fahren wollte, um Alan Froggley zu finden. Normalerweise erzählte ich Dad immer alles. Aber ich konnte ihm schlecht sagen, dass ich vorhatte, mir zur Sicherheit einen Ersatzdad zuzulegen. Am Ende würde er mich nicht gehen lassen.
Außerdem wusste ich, dass ihn das verletzen würde, und das konnte ich ihm nun wirklich nicht antun.
Als ich zur Bushaltestelle kam, war Ben zu meiner großen Überraschung bereits da. Und das, obwohl der Bus erst in einer halben Stunde fahren würde.
»Becky wollte, dass ich bei so einer ganzheitlichen Familien-Meditations-Yoga-Nummer mitmache. Also hab ich schnellstmöglich die Flucht ergriffen«, erklärte er. »Sie hat Dad dazu gebracht, hautenge Leggings zu tragen.«
Ich verzog das Gesicht. Glaubt mir, niemand will Bens Dad in hautengen Sachen sehen.
»Sag ich ja. Du kennst doch diese glänzenden Gymnastikanzüge, oder? Sowas Ähnliches war das. Als er damit dann noch supertief in die Hocke gegangen ist, hab ich mich schleunigst aus dem Staub gemacht.«
Weise Entscheidung. So etwas sollte wirklich niemand mit ansehen müssen.
»Also haben sie es dir abgekauft? Dass du bei Charlie übernachtest?«
»Ja, klar. Auch wenn ich ehrlich gesagt nicht glaube, dass Dad mir zugehört hat.«
Bens Blick wanderte zu etwas hinter mir. »Wo wir gerade vom Teufel sprechen …«
Im selben Moment kam Charlie anmarschiert, mit einem Schokoriegel in jeder Hand und seinem hypoallergenen Kissen unter dem Arm.
»Hungrig?«, fragte Ben.
»Ich muss mir doch irgendwie einen Notvorrat anfuttern, bevor es ins Camp Magenknurren geht.«
Als der Bus endlich kam, hatte Charlie seine beiden Schokoriegel bereits verdrückt und wir waren von einer Horde alter Leute aus Grams’ Buchclub umzingelt. Ich machte mir Sorgen, dass sie misstrauisch werden könnten und uns löchern würden, wo wir hinwollten, aber sie freuten sich zu sehr auf ihren morgendlichen Zumba-Kurs, um überhaupt Notiz von uns zu nehmen. Jedenfalls bis eine von ihnen, eine Frau namens Doreen, mich erkannte.
Danach verbrachten sie den Rest der Busfahrt damit, zu seufzen und mich mit traurigen faltigen Augen anzusehen. Sie alle versicherten mir, was für ein toller Mensch Grams gewesen sei. Vor allem Doreen schwärmte in den höchsten Tönen von ihr. Sie gab jedem von uns zwanzig Pence und ermahnte uns, nicht alles auf einmal auszugeben. Ich konnte mich erinnern, dass Grams mal von einer Doreen erzählt hatte, mit der sie sich im Supermarkt wegen eines preisreduzierten Schinkens in die Haare gekriegt hatte. Grams’ Kommentare waren damals deutlich weniger freundlich ausgefallen. Ich glaube, sie sagte so etwas wie: »Die würde noch ihre eigene Großmutter an den Teufel verkaufen.«
Als wir am Bahnhof ausstiegen, ging bei mir das große Nervenflattern los. Während ich mit meinen Freunden auf dem Weg in die walisische Hauptstadt war, lag Dad mit einem kaputten Bein zu Hause auf dem Sofa und hatte niemanden, der ihm seinen Tee bringen konnte. Ich fühlte mich nicht gerade wie ein verantwortungsvoller Sohn. Eher wie ein Verräter.
Ben winkte bloß ab, als ich ihm davon erzählte. Er meinte: »Dein Dad kommt auch mal zwei Tage ohne seinen Tee aus.« Dann befahl er uns, bei den Mülltonnen zu warten und uns nicht vom Fleck zu rühren, während er die Fahrkarten kaufte. Seinem herrischen Tonfall nach zu urteilen, schien er es ziemlich zu genießen, zur Abwechslung mal das Sagen zu haben. Unter normalen Umständen hätte ich das nicht so einfach auf mir sitzen lassen, aber ich hatte Angst, das Geld zu verärgern.
Wir schafften es, ohne weitere Vorfälle den Zug nach Cardiff zu finden. Na ja, fast, jedenfalls. Charlie brachte es fertig, im Durchgang zu den Gleisen stecken zu bleiben. Auf halbem Weg durch die automatische Schranke ließ er sein Ticket fallen und als er sich danach bückte, schloss sie sich wieder und klemmte ihn ein. Der Wachmann, der ihn befreite, sagte: »Das habe ich in meinen dreizehn Jahren hier auch noch nie erlebt.« Charlie schien beinahe ein bisschen stolz darauf zu sein.
Als die Zugtüren hinter uns zugingen und wir aus dem Bahnhof rollten, setzte bei mir erneut das große Nervenflattern ein – noch heftiger als zuvor. »Vielleicht sollten wir an der nächsten Haltestelle aussteigen und wieder zurückfahren.«
Ben war von diesem Vorschlag alles andere als begeistert. Mit seiner strengsten Stimme erwiderte er: »Wir fahren jetzt nach Cardiff, Freddie. Es geht hier nicht nur um dich.«
Das verwirrte mich irgendwie, weil ich eigentlich gedacht hatte, dass es bei der Reise tatsächlich nur um mich ging. Aber wie sich rausstellte, wollte Ben ebenso dringend von seiner Familie weg, wie ich meine finden wollte.