Читать книгу Zeit ist nicht das Problem - Jens Wollmerath - Страница 12

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Karl ging den Korridor entlang und betrachtete die Bilder an der Wand. Es waren alte Stiche, die Motive aus der Literatur darstellten: Wilhelm Meister und die Schauspielgruppe nach dem Überfall der Räuber, der Automat aus Hoffmanns Sandmann, Raskolnikow mit der Axt unter seinem Mantel, der geheimnisvolle Garten aus Hamsuns Victoria und viele weitere Szenen. Neben der Tür mit der Nummer 31 hing eine Bleistiftzeichnung, die einen Mann mittleren Alters zeigte, der angezogen auf dem Bett lag und ausdruckslos vor sich hinstarrte. Karl trat einen Schritt näher und las die Bildunterschrift: Oblomow.

Nie gehört. Muss ich den kennen?

Nachdenklich klopfte er an die Tür.

„Immer herein“, erklang von drinnen eine freundliche Frauenstimme.

Karl öffnete und trat in ein Arbeitszimmer, das auf den ersten Blick den Eindruck vermittelte, hier herrsche das vollständige Chaos. Überall waren Bücher und Aktenordner zu Stapeln aufgetürmt, die Regale an den Wänden bogen sich unter der Last von Lederbänden und mittendrin saß an einem Tisch mit Computer eine Frau von ungefähr vierzig Jahren, die Karl gutgelaunt begrüßte.

„Was kann ich für Sie tun, junger Herr?“

Noch etwas verwirrt um sich schauend erwiderte Karl: „Ich bin hier wegen der Anzeige. Habe ich mit Ihnen telefoniert?“

„Ah, Sie sind der Herr Grün. Freut mich sehr. Ja, mit mir haben Sie gesprochen. Setzen Sie sich.“

Da Karl nicht sofort reagierte, blickte Frau Neuland auf den angebotenen Stuhl, auf dem ein weiteres Büchertürmchen seinen Platz gefunden hatte.

„Oh, stellen Sie es einfach auf den Boden.“

Karl griff nach dem Stapel und setzte ihn behutsam auf das graue Linoleum. Zuoberst lag eine in rotes Leinen gebundene Ausgabe von Schlegels Lucinde.

„Der Herr Professor Hardenberg ist noch in einer Besprechung, er müsste aber jeden Augenblick hier sein.“

„Ich bin schon sehr gespannt, um was es hier geht. Viel erfahren habe ich ja bisher noch nicht.“

Karl sah Frau Neuland neugierig an.

Sie blätterte in einigen Unterlagen und antwortete erst nach einem Moment: „Es ist vielleicht auch besser, wenn Ihnen das der Professor nachher selbst erzählt.“

Was wird das hier wohl? Um Medikamententests kann es nicht gehen, schließlich bin ich in der Philosophischen Fakultät. Aber was soll hier ein Proband machen? Bücher lesen zu Testzwecken? Warum bin ich überhaupt hierhin gefahren? Das Ganze wirkt doch wirklich alles andere als vielversprechend. Vielleicht hätte ich doch noch einmal bei der Jobbörse mein Glück versuchen sollen. Steve hatte wahrscheinlich von Anfang an Recht gehabt. Los, steh auf und geh einfach wieder!

In diesem Moment ging die Tür auf und ein Mann betrat das Zimmer. Er trug einen dunkelgrauen Anzug, himmelblaues Hemd mit blau-weiß gestreifter Krawatte und schwarze Budapester. Die weißen Haare waren sorgfältig gescheitelt, auf der Nase saß eine Lesebrille.

Na, der trägt das Prädikat „Älterer Herr“ aber mit selten anzutreffender Würde.

Er schien Karl zunächst nicht zu bemerken.

„Es ist nicht zu glauben. Ich sitze drei Stunden in dieser Konferenz, es herrscht eine unbeschreibliche Aufregung und was ist das Ergebnis? Wir werden den ganzen Stress nächste Woche noch einmal wiederholen, um dann endgültig abzustimmen.“

Er betonte das Wort Stress, als sei es einer schwer zu erlernenden Fremdsprache entliehen.

Frau Neuland lächelte: „Machen Sie sich keine Sorgen, ich werde für Sie schon eine passende Ausrede finden. Ich weiß, wie träge diese Dekanatskonferenzen sind.“

„Sie sind ein Engel!“

„Wir haben übrigens einen Gast, da sitzt der Herr Grün!“ Frau Neuland nickte leicht mit dem Kopf.

Der Mann drehte sich zu Karl und reichte ihm die Hand. Seine Augen schienen einen Lichtschein zu verteilen, als sie den Gast ruhig anblickten.

„Entschuldigen Sie vielmals Herr Grün, Hardenberg mein Name, aber diese Bürokratie nagt manchmal an meinen Nerven. Was können wir für Sie tun?“

Karl schaute den Mann etwas verwundert an.

„Der Herr Grün“, schaltete sich Frau Neuland ein, „ist ein Bewerber für das Projekt. Er hat um halb zwölf einen Termin bei Ihnen.“

Professor Hardenberg fasste sich an den Kopf.

„Was wäre ich ohne Sie, Frau Neuland? Kommen Sie, junger Mann, gehen wir nach nebenan.“

Er führte Karl durch eine Tür links vor dem Schreibtisch in sein Büro. Hier herrschte ein ähnliches Durcheinander wie im Vorzimmer, allerdings auf höherem Niveau. Die Stapel der herumliegenden Bücher waren alle sehr akkurat geschichtet und schienen einer bestimmten, aber nicht zu erkennenden Ordnung nach sortiert zu sein.

„Setzen Sie sich! Möchten Sie etwas trinken?“

Der Professor wies mit seiner schlanken Hand auf einen Ledersessel, der mit zwei baugleichen Pendants eine Sitzgruppe an einem Art-Deco-Tischchen bildete.

„Ein Kaffee wäre schön.“

Karl versank in den Tiefen des Sitzmöbels.

Im selben Moment öffnete sich die Tür und Frau Neuland kam mit einem Tablett herein.

„Ah, Sie können einfach Gedanken lesen!“

Der Professor lachte, während seine Assistentin zwei dampfende Tassen und ein Milchkännchen auf den Tisch stellte, um dann sogleich wieder lautlos durch die Seitentür zu verschwinden.

Besser ich wundere mich über gar nichts mehr. Einfach mal abwarten.

Professor Hardenberg ließ sich in einen der anderen Sessel gleiten, griff nach seiner Tasse und rührte einen Moment nachdenklich mit dem Löffel darin herum.

Er hat sich keine Milch eingegossen! Der Mann hat Seltenheitswert. Irgendwie flößt der einem Respekt ein, scheint aber nicht so ganz dicht.

Der Professor rührte konzentriert weiter. Nach einer Weile brach er unvermittelt das Schweigen: „Herr Grün, was wissen Sie über die Muße?“

Bitte? Was ist los?

Der Professor machte aber keinerlei Anstalten, die Frage zu wiederholen oder ihr einige erklärende Sätze hinzuzufügen.

„Na ja, Muße heißt, glaube ich, so viel wie nichts tun, faulenzen oder so ähnlich.“

Karl verschränkte die Arme und sah suchend an die Zimmerdecke.

Hardenberg betrachtete ihn und rieb sein Kinn.

„Nicht schlecht, aber keinesfalls ausreichend. Da haben Sie wohl eher die landläufige Vorstellung des Müßiggangs vor Augen. Der wird ja gemeinhin mit Faulenzerei gleichgesetzt. Wenngleich er doch dem Wortursprung nach das Aufsuchen der Muße ist. Und die bedeutet doch noch viel mehr.“

O.K., aber davon habe ich keine Ahnung. Die Verbindung zur Annonce in der Zeitung kriege ich auch noch nicht so ganz hin. Wahrscheinlich ist der Prof einfach ein bisschen durchgedreht.

Der Professor stellte seine Tasse wieder ab, ohne einen einzigen Schluck getrunken zu haben, und stand auf.

„Sokrates hat einmal gesagt, ‚Muße ist der schönste Besitz von allen’“, hob er an und blieb hinter seinem Sessel stehen. „Bei den Griechen war die Muße allein den Göttern vorbehalten. Nur sie konnten sich dem süßen Nichtstun hingeben, während die Menschen ihrem Tagwerk nachgehen mussten. Erst durch die Einführung der Sklaverei konnten dann auch die Reichen, die Adligen der Muße frönen. Unsere gesamte moderne Philosophie wäre doch unvorstellbar ohne den sinnierenden Denker, der sich frei dem Lauf der Gedanken hingibt.“

Worauf will der hinaus? Oh Steve, du hattest Recht, wie immer...

Hardenberg fuhr fort: „Die Künstler, die Denker, die Poeten, sie haben die Muße als Bedingung verstanden, um dann wirklich Großes schaffen zu können.“

Langsam schritt er zu einem der Bücherregale und zog einen Band heraus.

„Sehen Sie hier, ein ganz einfaches Lexikon. Ich will Ihnen kurz vortragen, was hier über die Muße steht.“ Er blätterte, während Karl abwartend an seinem Kaffee nippte.

„Muße“, las der Professor laut, „das tätige Nichtstun; spezifische Form schöpferischer Verwendung von Freizeit; Möglichkeit und zugleich Grundbedingung der Selbstfindung, der kreativen Selbstverwirklichung, des Selbstseins wie auch der Partizipation und Verwirklichung von Kultur, auch Kunst, ja der Freiheit selbst…“

Hardenberg sah Karl an und wartete auf eine Reaktion.

„Ja verstehen Sie denn nicht, junger Freund? Die Muße ist die absolute Vollendung des Menschseins, die wir vollkommen verlernt haben. Wir definieren uns über Arbeit, Beruf, Hobbys. Aber von der Muße, da wissen wir überhaupt nichts mehr. Zugegeben, es ist gut, dass es keine Sklaverei mehr gibt, doch dafür haben wir ja die Maschinen erfunden.“

Der Professor wirkte erregt.

„Wann, lieber Herr Grün, wann haben Sie sich denn das letzte Mal so richtig der Muße hingegeben? Überhaupt jemals?“

Karl überlegte.

„Ich war letzte Woche im Kino und…“

„Nein, nein“, unterbrach ihn Hardenberg, „warten Sie, ich werde Ihnen noch etwas vorlesen.“

Er ging zu seinem Schreibtisch und nahm ein Buch, das auf einem der Stapel lag und setzte sich Karl wieder gegenüber. Konzentriert schlug er das Buch an einer Stelle auf, in der ein Zettel eingesteckt war.

„Hier, Adornos und Horkheimers „Dialektik der Aufklärung“, viel zitiert, oft falsch interpretiert. Wie dem auch sei, hören Sie: 'Amüsement ist die Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus. Es wird von dem gesucht, der dem mechanisierten Arbeitsprozess ausweichen will, um ihm von neuem gewachsen zu sein.' Dann erklären sie, wie die Amüsierwaren nur noch Abbild des Arbeitsvorganges sind, nach welchen Automatismen unsere Freizeit abläuft. Und dann hier: 'Dem Arbeitsvorgang in Fabrik und Büro ist auszuweichen nur in der Angleichung an ihn in der Muße. Daran krankt unheilbar alles Amüsement'.“

Der Professor klappte das Buch wieder zu.

„Verstehen Sie? Das was Sie für Muße halten, ist nichts Anderes als eine weitere Form unseres mechanisierten Lebens!“

Karl war immer tiefer in seinen Sessel gerutscht und schluckte. Der Professor hatte mit einer solchen Intensität gesprochen, dass er sich nicht traute, das eingetretene Schweigen zu brechen. Nach einigen Augenblicken setzte sich Hardenberg wieder hin und griff nach seiner Tasse.

„Niemand in unserer Roboterwelt hält doch länger als fünf Minuten aus, ohne sich mit irgendetwas zu beschäftigen. Arbeiten, spielen, gucken, hören. Wo soll denn da noch Zeit für den freien Geist bleiben?“ setzte er seine Ausführungen fort, während ein Schatten über sein Gesicht wanderte.

„Entschuldigen Sie“, wandte Karl vorsichtig ein, „aber die meisten Menschen arbeiten doch um zu leben.“

„Ja, da haben Sie recht. Aber noch weitaus verbreiteter ist die Annahme, dass wir uns auch über unsere Arbeit definieren. Das haben wir zu nicht wenigen Anteilen dem Calvinismus und der protestantischen Ethik zu verdanken. Da wurde Erfolg mit Arbeit gleichgesetzt, Misserfolg dagegen war der Beweis, dass man nicht zu den Erwählten gehört. Also begann man zu schuften, legte den Grundstein für den Markt und die spätere Industrialisierung. Und was gab man auf? Aristoteles brachte es auf den Punkt: ‚Die Muße ist die Schwester der Freiheit!’ Wir haben uns der Knechtschaft des Marktes übergeben. Natürlich konnten wir dafür dem katholischen Frondienst abschwören!“

„Vielleicht hängt es ja auch mit dem Geld zusammen", sagte Karl, „Schließlich muss man arbeiten, um Geld zu verdienen, von dem man dann seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Das ist ja unter anderem auch der Grund, warum ich heute hier bin.“

Jetzt musste der Professor schmunzeln.

„Eine nicht ganz ungeschickte Überleitung Herr Grün. Sie gefallen mir. Aber bedenken Sie, Oscar Wilde sagte nicht zu unrecht: 'Muße, nicht Arbeit ist das Ziel des Menschen'.“

Er richtete sich wie ein Birkenstamm in seinem Sessel auf und sah Karl mit festem Blick an. Offensichtlich überlegte er nach einem passenden Folgesatz.

Schließlich räusperte er sich und begann: „Herr Grün, was würden Sie davon halten, ein Jahr lang nichts zu tun?“

Karl stutzte.

Der spinnt!

Hardenberg fuhr fort: „Ich meine, stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten den Auftrag, zwölf Monate lang jede Form von Arbeit zu vermeiden und sich voll und ganz der Muße hinzugeben. So wie ein griechischer Gott.“

Er verzog bei diesem letzten Satz keine Miene, obwohl Karl fast lachen musste.

„Nun“, sagte Karl, „ich glaube kaum, dass es dazu eine Möglichkeit gäbe. Ich meine, wovon sollte ich leben, wenn ich mich einzig dem Müßiggang hingebe? Wer sollte so verrückt sein und mich dafür bezahlen, dass ich nichts tue?“

„Ich würde so jemanden nicht als ‚verrückt’, wie Sie sagen, bezeichnen. Vielleicht eher neugierig und interessiert. Außerdem verwechseln Sie da schon wieder den Begriff!“

Nein, nein, ich verstehe nichts, will nichts verstehen, will nach Hause. Was brabbelt der da von Muße? Ich brauch einen Job, einen guten Job, mit dem ich Geld verdienen kann. Dieser Mensch macht offenbar seine Kohle mit dem Zusammenbau von Tagträumen. Mann, ich sitze seit ’ner knappen halben Stunde hier und weiß nicht mal, worum es geht. Wo ist das Vorstellungsgespräch?

Gerade als Karl dies fragen wollte, öffnete sich die Tür und ein Mann betrat den Raum, der offensichtlich ein Vertrauter des Professors war. Jedenfalls nickte er beim Hereingehen Hardenberg nur kurz zu und streckte Karl die Hand hin.

Er schien Ende dreißig und trug das schüttere, dunkelblonde Haar streng zurückgekämmt. Der graumelierte Vollbart machte ihn etwas älter als er vermutlich war und im Gegensatz zu dem Professor wirkte er weniger elegant.

„Und, ist das unser Proband?“ fragte er an den Professor gewandt, während er Karls Rechte kräftig umklammerte.

„Wir werden sehen“, antwortete Hardenberg, „Das, lieber Herr Grün, ist Dr. Kiefer, der Mitinitiator des Projektes.“

„Sehr erfreut“, erwiderte Karl, „aber von welchem Projekt sprechen Sie denn eigentlich?“

„Oh, ich dachte, ich hätte mich deutlicher ausgedrückt. Die Sache mit der Muße!“

Der Professor schien langsam ein wenig müde zu werden.

„Ich sehe schon, ich bin genau richtig gekommen“, schaltete sich Dr. Kiefer ein. „Herr Grün, was haben Sie bisher gemacht? Ich meine beruflich?“

Endlich! Das Bewerber-Arbeitgeber-Ritual beginnt. Dann wollen wir in den Tanz mal einsteigen.

„Ich habe bis vor kurzem studiert, Magister in Philosophie, und bin seitdem auf Jobsuche. Während des Studiums habe ich ein Praktikum bei einem Radiosender gemacht und in den Semesterferien ab und zu in einer Fabrik gejobbt.“

„Dann haben Sie die Arbeitswelt ja schon ein wenig kennen gelernt.“

Der Doktor nickte zufrieden.

„Und was hat sie zur Philosophie getrieben?“

„Hm“, Karl überlegte kurz, „ich habe mich einfach immer für verschiedene Ansichten über die Welt und die Menschen interessiert. Ich wollte den Dingen auf den Grund gehen, Erklärungen bekommen und auf jeden Fall meinen Horizont ein wenig erweitern.“

„Und was halten Sie vom Arbeiten?“

Dr. Kiefer sah ihn prüfend an.

Nein, nicht schon wieder. Was wollen die?

„Wie ich schon sagte, man muss wohl arbeiten, um leben zu können. Arbeit gehört einfach dazu.“

„Sind Sie davon überzeugt?“

„So überzeugt wie ich sicher bin, dass man Luft zum Atmen braucht.“

Karl betonte seinen letzten Satz, als wolle er das Thema damit endgültig beenden.

Die beiden Hochschullehrer sahen sich an.

„Ideal, würde ich sagen, was meinen Sie?“

Dr. Kiefer schien schon überzeugt.

„Ja, das klingt tatsächlich ganz vielversprechend“, stimmte Hardenberg zu. „Und, machen Sie mit?“

„Ja wobei denn?“

Karls Stimme wurde vor Ungeduld schon laut.

„Ein Jahr lang Muße! So wie es Herr Hardenberg erklärt hat“, übernahm Kiefer wieder das Wort, „Sie halten sich von jeglicher Arbeit fern und gehen einfach nur ihren Gedanken und Wünschen nach!“

„Entschuldigung, aber versuchen Sie mich hier auf den Arm zu nehmen?“

Karl musste sich ein bisschen beherrschen.

„Wovon soll ich denn leben, ich meine, wer bezahlt mir das?“

„Wir!“ entgegnete Kiefer mit pragmatischem Tonfall, „Sie bekommen jeden Monat eintausendzweihundert Euro netto, unter zwei Bedingungen: Sie dürfen nichts tun, was im weitesten Sinn Arbeit oder berufliche Tätigkeit ist, und Sie dürfen nicht verreisen. Weder im Inland noch ins Ausland.

„Soll das ein Witz sein?“

Karl begann sich wirklich aufzuregen.

„Ich habe fast vier Stunden im Zug gesessen, um mich bei Ihnen um eine Probandentätigkeit zu bewerben. Und dauernd höre ich hier irgendwas von Muße! Ich brauche einen Job, verstehen Sie?“

„Genau wie bei den anderen, gleich springt er auf und rennt raus“, dachte Dr. Kiefer und blickte Karl ruhig an. Professor Hardenberg lächelte ein wenig matt und goss Milch in seinen kalten Kaffee.

Freitag, 22. Februar

Ich kann es nicht fassen. Wahrscheinlich bin ich bescheuert, aber ich habe soeben den wohl beklopptesten Arbeitsvertrag der Weltgeschichte unterschrieben. Ich werde ein Jahr lang dafür bezahlt, nichts zu tun, im Klartext: für Müßiggang und Faulheit. Wenn ich das hier in zehn Jahren lese, werde ich denken, ich war besoffen. Aber ich habe alles schriftlich, mit Stempel und allem dazu. Das Bundesbildungsministerium fördert das Forschungsprojekt der Philosophischen Fakultät der Universität Halsterberg mit dem Titel „Wahrnehmung und Veränderung des Individuums in der postmodernen Arbeitsgesellschaft unter dem Einfluss von Muße.“ Wahnsinn, wofür die ihre Gelder verplempern! Ich darf nichts tun, muss mich nur regelmäßig bei der Uni vorstellen, um über meine Erfahrungen zu berichten. Diese beiden Profs sind der Hammer. Entweder sind die total durchgedreht oder genial. Ich kann es kaum erwarten, was Steve wohl dazu sagen wird.

Zeit ist nicht das Problem

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