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3. Ermittlung der handelsrechtlichen GoB a) Entwicklung des modernen GoB-Verständnisses: von der induktiven zur teleologischen Gewinnung und Auslegung von GoB
ОглавлениеDas Verständnis von GoB hat sich hinsichtlich Normqualität und Ermittlung im Laufe der Zeit entscheidend gewandelt: Nach der „traditionellen Lehre“46 orientierte sich der Inhalt der 1897 erstmals im Handelsgesetzbuch kodifizierten GoB an der Bilanzierung des „sorgfältigen, ehrenwerten, ordentlichen Kaufmanns“47, die sich annahmegemäß in der Kaufmannsübung widerspiegelte.48 Nachdem die für die Mehrheit der Kaufleute geltende Vermutung der Ordnungsmäßigkeit der Rechnungslegung durch die zum Teil missbräuchliche Bilanzierung während der Weltkriege und der Weltwirtschaftskrisen widerlegt wurde,49 schloss sich der BFH in einem Urteil aus dem Jahr 1966 der Ansicht von Schmalenbach50 an, für die Bestimmung der GoB sei nicht die tatsächliche Kaufmannsübung maßgeblich, sondern vielmehr „was das allgemeine Bewusstsein der anständigen und ordentlichen Kaufmannschaft [… unter einer ordnungsmäßigen Bilanzierung] versteht“ – mithin die Verkehrsanschauung.51
Mit den herrschenden Bilanzzwecken – Ausschüttungsbemessungs- und Informationsfunktion – sind die im Rahmen der induktiven GoB-Ermittlung eingeräumten Bilanzierungsfreiheiten nicht vereinbar, denn der Bilanzierende könnte sonst – beinahe willkürlich – darüber entscheiden, „inwieweit er seinen Zahlungsverpflichtungen und seiner Rechenschaftspflicht nachkommen will“,52 vor allem dann, wenn eine einheitliche Kaufmannsübung bzw. Verkehrsanschauung nicht feststellbar ist.
Der Wandel zur sog. teleologischen GoB-Ermittlung vollzog sich mit dem Urteil des BFH aus dem Jahre 1967, nach dem GoB „Regeln, nach denen der Kaufmann zu verfahren hat, um zu einer dem gesetzlichen Zweck entsprechenden Bilanz zu gelangen, nicht aber die Regeln, die tatsächlich eingehalten werden“ sind.53 Seitdem gelten GoB als Rechtsnormen; dies schließt ihre Revisibilität, d.h. ihre Anfechtbarkeit auf dem Wege der revisionsrichterlichen Überprüfung, ein.54 Unter der teleologischen Methode ist zwar keine streng logische Ableitung zu verstehen; die Rechnungslegungsinhalte sind vielmehr wertend auf den Normzweck hin zu konkretisieren.55