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PROLOG

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Familienerinnerungen haben eine fast universelle Faszination. In den meisten Häusern findet man – auf dem Dachboden oder ganz oben in irgendeinem Regal – aufgereihte Babyschühchen, den preisgekrönten Aufsatz des großen Bruders in der Schulzeitschrift, Schwesters Hochzeitsschleier, vergilbte Telegramme mit Glückwünschen aus diesem, jenem und noch einem anderen Anlaß. Die meisten Häuser tragen auch die Narben, mit denen die Bewohner sie gezeichnet haben – die immer noch sichtbaren Einschüsse von Luftgewehren, abgefeuert von kindlich unsicherer Hand, das Loch, das der Kaminteppich hinnehmen mußte, als eine Party allzu lustig wurde.

Hat man einmal das mittlere Alter erreicht, sind diese Trophäen wieder von großem Interesse, denn sie bringen einem mit bestürzender Deutlichkeit vergessene Ereignisse zurück, Erinnerungen, die unter einem Gebirge von Abertausenden vergangener Tage vollkommen verschüttet lagen. Als ich das Haus meiner Mutter im Jahre 1955 zuerst wieder aufsuchte, mit achtunddreißig, nach einer Abwesenheit von neunzehn Jahren, geriet ich auch unter den Bann der Vergangenheit. Deren greifbare Hinweise sind allerdings, das stimmt schon, von etwas anderer Art, als man sie im durchschnittlichen englischen Heim findet.

An den Fenstern, immer noch sichtbar, sind Hakenkreuze mit einem Diamantring in die Scheiben geritzt, und für jedes Hakenkreuz ein sorgfältig ausgeführtes Hammer-und-Sichel-Emblem. Meine Schwester Unity und ich haben diese Symbole dort eingekratzt, als wir Kinder waren. An den Wänden hängen gerahmte Bilder und Gedichte, die Unity gemacht hat, als sie noch ganz klein war – eigenartige, phantasievolle, interessante Arbeiten, manche in winzigem Format mit mikroskopischem Detail, manche riesenhaft und prachtvoll. Der Honnen-Wandschrank, wo Debo und ich den größten Teil unserer Zeit verbrachten, hat immer noch denselben charakteristisch muffigen Geruch und enthält die zauberische Verheißung einer privaten Zone, die den Erwachsenen vollkommen entrückt ist.

Es steht Familienliteratur im Regal im Wohnzimmer: die Memoiren von Lord Redesdale, Großvaters bedrückend umfangreiche Autobiographie; Schriften eines Rebellen, ein Privatdruck von Onkel Geoff mit seinen Briefen an die Times; Esmond Romillys Out of Bounds und Boadilla; ein paar Bücher von Sir Oswald Mosley; ein beeindruckendes Fach mit den Büchern von Nancy, auf Englisch und in Übersetzungen.

Am faszinierendsten sind die vielen Klebealben meiner Mutter, Dutzende von großen Folianten, alle sorgfältig nach einem bestimmten Prinzip geordnet, entweder thematisch oder nach Epochen. Eines ist ganz den Zeitungsausschnitten über die Familie gewidmet: »Wenn ich ›Tochter eines Peers‹ in einer Schlagzeile lese«, sagte sie einmal etwas melancholisch, »dann weiß ich gleich: Es geht um eines von euch Kindern.« Ein anderer Band enthält eine Sammlung von Hochzeitsphotos ihrer Kinder. Dianas Hochzeit mit Bryan Guinness, die bei weitem opulenteste Feier, nimmt mehr als die Hälfte des Buches ein, und die Sepiaphotos sind so groß, daß sie kaum auf die immensen Seiten des Buches passen. Eine Pose folgt der anderen, Diana von ganz nahe, Diana neben dem Kamin stehend, Diana von vorne, Diana im halben Profil, immer mit demselben bräutlich-reinen Ausdruck. Dann kommt Nancys Hochzeit mit zehn kleinen Pagen in weißem Satin, einige wegen der Kälte in Kaschmirstolen eingepackt. Pam und Debo scheinen irgendwie zu kurz gekommen, denn es gibt weit weniger Photos von ihren Hochzeiten, da Pam auf dem Standesamt geheiratet hat und Debo mitten im Krieg. Irgendwo vergraben in diesem Hochzeitenalbum ist ein ziemlich unscharfer Schnappschuß mit der Beischrift »Deccas Hochzeit«, der meinen Mann und mich zeigt, wie wir mit bewußt herausforderndem Blick auf der Kante eines ungemachten Betts in einem Hotelzimmer sitzen. »Es tut mir leid, kleine D., aber es gab nur das hier, weißt du?« sagte meine Mutter vorsichtig.

Zurückzublicken entspricht meinem Wesen nicht besonders, aber nachdem ich nun einmal diesen Blick getan habe, schreibe ich auch auf, was ich da sah. Ich sollte wohl an dieser Stelle erwähnen, daß es zwangsläufig einige Ungenauigkeiten und Verzerrungen geben wird, wie stets, wenn man sich ganz auf die Erinnerung verläßt; doch für eine Darstellung wie diese gibt es keine anderen Quellen als das eigene, oft unzuverlässige Gedächtnis.

Hunnen und Rebellen

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