Читать книгу Sag niemals, das ist dein letzter Weg - Jetta Schapiro-Rosenzweig - Страница 9

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Fluchtversuche

Nach ein paar Ta­gen kam un­se­re Nach­ba­rin zu uns. Sie er­zähl­te, dass wir noch in die­ser Nacht ab­ge­holt wer­den soll­ten; sie hat­te es aus ei­ner zu­ver­läs­si­gen Quel­le. Auch die Ju­den aus Land­a­ro­wa soll­ten ab­ge­holt und wir soll­ten alle hin­ge­rich­tet wer­den, da an­geb­lich im Ghet­to kein Platz mehr für uns sei.

Die Fa­mi­lie Pa­nis war bei uns. Wir be­dank­ten uns bei den Nach­barn und ba­ten sie, auch die Fa­mi­lie Man­del­baum zu be­nach­rich­ti­gen. Wo­hin soll­ten wir ge­hen? Wir wa­ren ver­zwei­felt. Un­se­re Ver­mie­te­rin rich­te­te für uns zwei Ruck­sä­cke mit Pro­vi­ant und war­men De­cken her; auch Pa­nis‘ soll­ten das glei­che tun. Sie er­klär­te uns, dass hin­ter dem »Hin­rich­tungswald« ein wei­te­res Wald­ge­biet läge, in dem ein Förs­ter woh­ne, den sie ken­ne. Zu ihm könn­ten wir ge­hen. Wenn wir ihn mit Wert­sa­chen be­ste­chen könn­ten, wür­de er uns be­hilf­lich sein. Sie war be­reit, uns den Weg zu zei­gen. Ein­zeln gin­gen wir hin­ter­ei­nan­der her. Die Män­ner tru­gen die Ruck­sä­cke. Es nie­sel­te und die Stra­ße war fins­ter, wir konn­ten nur eben das Kopf­tuch der Nach­ba­rin er­ken­nen. Wir mussten den Bahn­hof von Po­nar über­que­ren, schli­chen am Haus des To­des­kom­man­dos vor­bei und auch am Haus des deut­schen Be­fehls­ha­bers. Es war ein gro­ßes Ri­si­ko, aber der Wil­le zu über­le­ben be­sieg­te die Angst. Der Re­gen wur­de stär­ker. Es wa­ren kei­ne Leu­te auf der Stra­ße. Seit zwei Stun­den wa­ren wir un­ter­wegs – es kam uns vor wie eine Ewig­keit.

Am Ein­gang zum Wald ver­ließ uns Frau Ka­schio­zo­wa. Es soll­ten noch etwa fünf Ki­lo­me­ter bis zum Haus des Förs­ters sein. Ohne ei­nen Laut ver­ab­schie­de­ten wir uns und gin­gen wei­ter. Es ging sehr lang­sam vo­ran, und wir be­schlos­sen, uns ei­nen Rast­platz zu su­chen und bis zum Mor­gen zu war­ten. Wir fan­den ei­nen ei­ni­ger­ma­ßen tro­cke­nen Platz und leg­ten uns dicht an­ei­nan­der, zu­ge­deckt mit De­cken war­te­ten wir bis zum Mor­gen­grau­en. End­lich wurde es hell. Wir hör­ten Stim­men und es wur­de uns klar, dass wir im­mer noch ganz in der Nähe un­se­res Wohn­or­tes wa­ren. Wir mussten ein­se­hen, dass wir uns ver­lau­fen hat­ten. Wir ver­such­ten nun, tie­fer in den Wald hi­nein­zu­ge­hen – kein Haus war weit und breit zu se­hen. Wir hat­ten schließ­lich Durst und fan­den in un­se­ren Ruck­sä­cken so­gar Was­ser. Auch eine Schau­fel hat­te uns Frau Ka­schio­zo­wa in den Ruck­sack ge­legt. Vor ei­nem Hü­gel fin­gen die Män­ner an zu gra­ben, da­mit wir Schutz vor Re­gen und Sturm fän­den. Da­nach konn­ten wir uns et­was vor dem Wet­ter schüt­zen. Pro­vi­ant hat­ten wir noch für drei Tage.

Am drit­ten Tag sa­hen wir ein, dass wir so nicht wei­ter exi­stie­­ren konn­ten. Mei­nem Mann fiel ein, dass ne­ben un­se­rem Haus ein Roh­bau stand, des­sen Tür- und Fens­ter­öff­nun­gen mit Bret­tern ver­na­gelt wa­ren. Dort wä­ren wir, so sag­te er, bes­ser vor dem Wet­ter ge­schützt und könn­ten uns nachts in un­ser Haus schlei­chen und uns mit Es­sen ver­sor­gen. Auch hoff­ten wir auf Hil­fe von Frau Ka­schio­zo­wa.

Es dau­er­te 24 Stun­den, bis wir wie­der in Po­nar an­ka­men, da wir uns nur nachts be­we­gen konn­ten. Wir hat­ten die Idee, ich soll­te zu Tan­te Jan­ni­na ge­hen, die wür­de für mei­nen Mann ein bes­se­res Ver­steck fin­den. In der Nacht könn­te ich ihn aus dem Haus schaf­fen. Die an­de­ren hat­ten auch ei­nen Plan: für Geld und Schmuck soll­ten die Nach­barn ein Ver­steck für sie fin­den.

All­mäh­lich war uns al­les gleich­gül­tig. Die Nacht war sehr klar, aber wir gin­gen trotz­dem – wir hat­ten kei­ne Wahl. End­lich ka­men wir an, wir zo­gen ein paar Bret­ter zur Sei­te und wa­ren end­lich in dem lee­ren Haus, wo wir bis zum Mor­gen blie­ben. Früh am Mor­gen ge­gen 6 Uhr ging ich zur Nach­ba­rin. Sie er­schrak sehr, als sie mich sah.

»Lauft weg, nach euch wird ge­fahn­det! Heu­te Nacht sind wel­che ge­kom­men und ha­ben nach euch ge­fragt. Un­ser Haus ha­ben sie auch be­schlag­nahmt und sie be­schul­di­gen uns, euch ver­steckt zu hal­ten.«

Ich er­zähl­te ihr, dass wir im Haus ne­ben­an sei­en, und dass ich nach Wil­na zu mei­ner Tan­te ge­hen woll­te, um sie zu bit­ten, uns ein Ver­steck zu ver­schaf­fen. Ich bat sie, bis zu mei­ner Rück­kehr auf das Haus zu ach­ten. Sie hat­te Mit­leid mit mir; sie gab mir ein Glas Milch und ver­sprach, nach Kräf­ten zu hel­fen. Es dürf­te nur nicht zu lan­ge dau­ern, da­mit ihre Fa­mi­lie nicht in Ge­fahr käme.

Sag niemals, das ist dein letzter Weg

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