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Kapitel 6

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So trat Gerhard zu Friedemann. Elektrisiert, frisch geduscht, elegant gekleidet und einem Hauch Spott in den Augen.

„Wo sind sie?“, sagte er und klopfte seinem Assistenten aufmunternd auf die Schulter. „Sie mögen zwar einen ganz ordentlichen Archäologen abgeben, als Hirte taugen Sie jedoch höchstens für Bäume.“

In diesem Augenblick betraten Tanja und Susanne den Bootssteg. Sie waren einfach am Ufer entlang gegangen und hatten sich den Umweg durch den Garten gespart. Susannes Haar troff noch wie ein nasses Handtuch. Sie hatte ihre kleinen Schwänzchen geöffnet. Jetzt lag das Haar in feuchten Strähnen auf ihren Schultern und durchtränkte ihr T-Shirt am Rücken. Tanja hüpfte heran und reichte Gerhard die Hand. Friedemann schien sie vollkommen zu ignorieren. Der betrachtete verlegen die Nägel in den Brettern des Bootssteges.

„So einer sind Sie also! Erst lassen Sie uns stundenlang warten und dann schelten sie auch noch diesen armen Jungen. Hüter! Hirte! Aha. Sind wir etwa in Ihren Augen so etwas wie zwei Schafe, die man ein bisschen umhegt, bevor man sie schlachtet.“ Die Worte waren scharf, aber Gerhard merkte sehr wohl, dass sie nicht wirklich brüskiert war. Susanne hingegen schien schon jetzt von ihm hingerissen zu sein. Sie hing an seinen Lippen und schien ihn förmlich anzuhimmeln.

Das wird ein vortrefflicher Abend, dachte er und machte sich sogleich daran, dem kleinen Kratzbürstchen die Krallen zu stutzen. Natürlich nur so, wie es Erfolg versprach: mit Charme.

„Oh, meine Dame, da haben Sie mich aber grundlegend missverstanden. Wissen Sie, auf diesem kleinen gottgesegneten Flecken Erde hier, lauern einige Unannehmlichkeiten. Wir haben hier allerlei kleines Getier, die schon so manchen forschen Besucher zur heillosen Flucht veranlasst haben. Wie Sie wissen, befinden wir uns hier quasi in einem Naturschutzgebiet, und wir haben überdies auch noch die seltene Freude, dass sich in unserem Garten in diesem Sommer ein paar Kreuzottern niedergelassen haben und sich hier sehr heimisch fühlen. Nur stören sollte man sie nicht, da sind sie furchtbar empfindlich.“ Susanne sprang mit einem kleinen Schrei ein paar Schritte nach vorn und Gerhard lächelte vergnügt. „Deshalb habe ich meinen lieben Freund damit beauftragt, ein Auge auf sie zu werfen oder wenn Sie so wollen: Sie zu behüten. Hat er Ihnen etwa nicht von unseren rührenden Untermietern erzählt?“ Friedemann senkte schuldbewusst den Kopf.

„Dazu bin ich nicht mehr gekommen.“

Tanja schien besänftigt und wandte sich bedauernd an Friedemann.

„Oh, dann liegt es wohl an uns, Sie um Verzeihung zu bitten“, sagte sie mit strahlenden Augen. „Aber der See war einfach zu verlockend.“

„Nicht wahr“, grub sich Gerhard weiter voran, „ein Traum diese Landschaft. Und weil es so ein wunderhübscher Tag ist, wollte ich Sie, natürlich nur wenn es Ihnen behagt, zu einer kleinen Spritztour mit meinem bescheidenen Boot einladen. Trinken und Essen ist an Bord. Wir können auf der Stelle den Anker lichten. Hier ganz in der Nähe gibt es ein paar zauberhafte Inselchen, an denen Sie gewiss Ihre helle Freude haben werden.“ Tanja drehte sich zu Susanne um, die bislang kein einziges Wort gesprochen hatte und schüttelte halbherzig ihren Kopf.

„Ich weiß nicht recht. Was meinst du? Sollen wir diesem charmanten Wüstling auf sein Boot folgen oder nicht?“.

„Mit Verlaub, wenn ich ein Wüstling bin, dann ist dieser junge Mensch hier ein Don Juan. Im Augenblick leider nur ein wenig verschüchtert. Vielleicht helfen die jungen Damen ihm ein wenig, die Scheu zu verlieren. Schließlich sind Sie ihm ja regelrecht davongeeilt.“ Tanja schien an dieser kleinen Konversation Vergnügen zu finden und lächelte nun auch in Friedemanns Richtung.

„Oh, das tut mir leid. Aber Sie waren so konzentriert mit der Betrachtung und Beschreibung der verschiedenen Heilpflanzen beschäftigt, dass es uns geradezu unhöflich erschien, Sie dabei zu stören.“

„Schon gut!“ knurrte Friedemann und begab sich aufs Boot. Susanne folgte ihm.

„Das wollte ich schon immer“, sagte sie, und Gerhard warf ihr einen Blick zu, „eine wunderschöne romantische Bootsfahrt auf diesen Seen genießen. Vielleicht können wir irgendwo vor Anker gehen und die Nacht draußen verbringen.“

„Wie Sie belieben. Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause“, antwortete Gerhard unschuldig und reichte Tanja seine Hand.

„Da bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als mich anzuschließen“, meinte Tanja und ließ es zu, dass Gerhard ihr beim Klettern auf den schwankenden Schiffskörper behilflich war.

„Erzählen Sie mir etwas über die Slawen. Wie ich gehört habe, gelten Sie diesbezüglich als Koryphäe.“

„Nun ja“, winkte Gerhard geschmeichelt ab. „Die Leute reden allerlei. Außerdem umfasst die Völker der Slawen ein riesiges Territorium. Ganz Osteuropa bis hin zum Balkan zählt dazu. Mein bescheidenes Wissen beschränkt sich ausschließlich auf die Völkerschaften der Westslawen oder Wenden. Und dabei speziell die Völker, die sich im Lutizenbund zusammen schlossen.“

„Steht ihm seine Bescheidenheit nicht gut?“, ließ Susanne verlauten und drehte sich so in Gerhards Richtung, dass ihr entblößter Bauchnabel ihn buchstäblich ansprang.

„Danke“, antwortete Gerhard, Charme versprühend wie ein Rasensprenger und erwiderte Susannes aufmunternden Blick in ähnlicher Weise, indem er kurz die Lippen schürzte. „Wussten Sie, dass die Wenden ihre Toten nachdem man zur Erdbestattung übergegangen war, mit dem Gesicht nach unten beerdigten? In manchen Fällen wurden die Leichen sogar festgenagelt?“

„Was für krude Barbaren!“, entrüstete sich Tanja.

„Nun, so streng darf man über sie nicht denken. Es war der Vormarsch des Christentums, der sie zwang, ihre Toten nicht mehr einzuäschern, so wie sie es jahrhundertlang vorher praktizierten. Und dennoch bewirkte dieser Einfluss nicht, dass sie ihrer traditionellen Geisterwelt abschwörten. Jede Familie hatten ihre eigenen Hausgeister, Irrlichter oder sogenannte Penaten. Man akzeptierte bestimmte religiöse Rituale, ohne die eigenen fundamentalen Überzeugungen zu vernachlässigen. Manch frommer Missionar biss sich an ihnen die Zähne aus, oder endete besser gesagt als geköpfte Trophäe auf einem Pfahl vor den Toren Rethras. Das Festnageln der Leichname war reine Vorsichtsmaßnahme, damit ihre Verstorbenen auch den Weg ins Jenseits fanden, sich nicht verirrten oder viel schlimmer, als Untote zurückkehrten. In die Münder der Toten wurden einige Zeit auch die sogenannten Charonspfennige gelegt, ähnlich wie bei den Griechen, um den Fährmann über den Hades bezahlen zu können. Ein bisschen brutaler ist da wohl, dass beim Tod eines Fürsten seine Witwe oder eine Sklavin ihn auf den Scheiterhaufen begleiten musste.“

Obgleich sie dieses Gespräch durchaus interessierte, durchschaute Tanja Grahlmann sofort, dass Gerhard beabsichtigte, Eindruck zu schinden. Sie wusste auch, das ihre Freundin Susanne vollkommen berauscht von diesem angeblich so berühmten Wissenschaftler war, der sich auch noch dazu herabließ, sie beide in seine Villa einzuladen. Welch Privileg! Lieber gleich als später würde die sich auf den Rücken werfen, und die Beine breit machen. Wart´s ab, mein Täubchen, dachte sie, geringschätziger als es normalerweise ihre Art war, und schnüffelte an der hauchzarten Welle Parfüms, das von Gerhards Körper zu ihr herüberströmte. Einer scheinbaren Mixtur aus Limone und Granysmith auf der Basis von Johnny Walker.

„Sicherlich haben Sie auch eine Flasche Sekt an Bord, wie ich vermute“, sagte sie, entschlossen dieses kleine Spielchen eine Weile mitzumachen.

„Aber natürlich. Eisgekühlt!“

„Ja, das ist jetzt genau das Richtige.“

Bevor Gerhard die Taue vom Steg löste, brachte er eine Flasche Sekt und vier Gläser. Susanne schaute ihm, während er die Gläser füllte, so tief in die Augen, als beabsichtigte sie, sich von ihm gleich an Ort und Stelle vögeln zu lassen. Tanja warf ihr rasch einen missbilligenden Blick zu und ging dann mit ihrem Glas zu Friedemann. Der hatte am Heck des Bootes Platz genommen und kauerte auf dem Boden wie ein Boatpeople, mit dem angstvollen Blick entweder zu ertrinken oder verhaftet zu werden.

„Sind Sie noch böse?“, fragte sie leise und gab ihrer Stimme den Klang einer Therapeutin.

„Nein!“, antwortete Friedemann und zog die Beine heran, so dass sein Kinn die Knie berührte und dachte, was für dreiste Gänse!

Da er sonst nichts weiter sagte, sprach Tanja weiter.

„Es ist so ein herrlicher Tag. Kommen Sie, schalten Sie für ein paar Stunden ab und genießen Sie unsere kleine Seefahrt.“ Tanja raffte ihr Röckchen ein wenig nach oben und setzte sich neben ihn. Dann hielt sie ihre Nase in den Wind und rief laut in Richtung Bug. „He Käpt´n, wann legen wir ab?“

„Eine Sekunde“, rief es zurück, „nicht so ungeduldig, junge Frau.“ Tanja spähte nach ihrer Freundin und entdeckte sie neben Gerhard, wie sie ihm half, den Anker einzuziehen. Ihre Körper berührten sich fast, so dicht standen sie beieinander. Ein leichtes Beben durchfuhr die Planken, dann hörte man ein gemütliches Gurgeln und der Motor lief. Ein Schwanenpaar schreckte aus dem Schilf auf, breitete die Schwingen aus und startete schwerfällig, um ein paar Meter weiter wieder ins Wasser zu gleiten. Friedemann nippelte an seinem Sekt und hielt das Glas dann gegen die Sonne.

„Was machen Sie eigentlich?“ Es war die erste Frage, die er an eine der beiden Frauen richtete. Bislang hatte er botanische Vorträge gehalten. Alles in ihm widerstrebte dem, doch er beschloss, nicht der Spielverderber zu sein.

„Wie meinen Sie das?“ Tanja kniff die Augen zusammen und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Der Sekt prickelte in ihrem Bauch. Sie fing an, sich zu entspannen und ungemein wohl zu fühlen.

„Nun beruflich, meine ich natürlich. Ich nehme an, Sie studieren.“

„Ja“, antwortete Tanja gähnend. Natürlich hätte sie jetzt sagen können: ich studiere Kunst, werde aber der Kunsthochschule wahrscheinlich bald den Rücken kehren, weil es manchmal im Leben Gelegenheiten gibt, die einmalig sind, und zwischen ihr und Friedemann wäre möglicherweise ein ganz brauchbares Gespräch zu Stande gekommen, aber sie hasste nun einmal diese Art von Einleitungsfloskeln. Und weil ihr schon vor der übernächsten Frage graute, die dann in der Regel mit einem erstaunten „Oh“ oder „Ah“ eingeläutet wurde, tat sie das, was sie in solchen Situationen immer zu tun pflegte - sie verbarg sich hinter einer Wand Groteskerie. Nicht um zu beleidigen, das lag ihr fern. Sie wollte nur der aufkommenden Langeweile entfliehen. Deswegen antwortet sie auf die erwartungsgemäße Frage, was sie studieren würde:

„Meliorationstechnik, Landwirtschaft, wenn Sie verstehen, was ich damit meine.“ Tanja öffnete kurz die Augen, um eine Reaktion zu erhaschen. Richtig! Friedemann nickte bedeutungsvoll den Kopf und zermarterte sich das Gehirn, über was man mit einer Bewässerungstechnikerin ein Gespräch führen konnte. Über Wasser! stand ihm im Gesicht geschrieben. Natürlich!

„Dann müssen Sie ja beim Anblick dieser herrlichen Seen geradezu in Flammen stehen. Was?“, sagte er und machte eine Handbewegung wie ein Museumsführer. Man bist du dämlich, dachte Tanja enttäuscht. Die Provokation war vorprogrammiert.

„Oh, Sie können sich gar nicht vorstellen, welch unbeschreibliche Lust es ist, mir auszumalen, wie man hier Hunderte kleiner Kanälen bauen könnte, um all die vielen Felder in ganz Mecklenburg zu bewässern. Jede Menge Beton wäre natürlich erforderlich. Aber was soll ´s.“ Wie erwartet, rümpfte Friedemann angewidert die Nase. Tanja hätte gewiss sofort eingelenkt, weil ihr der eigene Spott vor allem selbst am meisten wehtat, aber Friedemann hatte sich derart brüsk abgewandt, dass sie gar keine andere Möglichkeit sah, als ihr boshaftes Spielchen fortzuführen.

„Und was macht ihre Freundin, wenn ich fragen darf?“ Friedemann war in der Tat so unbeholfen wie ein Pinguin auf Glatteis. Die künftige Germanistin baggert gerade deinen Kumpel an, um ihn ordentlich durchzuvögeln, du Vollidiot, dachte Tanja.

„Och, die ist Verkäuferin in einem Supermarkt. Aldi! Kennen Sie bestimmt.“

„Gewiss kenne ich Aldi. Der österreichische Bergkäse, den die dort verkaufen ist wunderbar und dabei spottbillig. Auch die Weine sind ganz passabel. Der Ruf der Aldi-Kette ein qualitätsloser Billigmarkt zu sein, ist schlechter als sein Sortiment erlaubt. Bedauerlicherweise werden sogar die Konsumenten immer mit einem bestimmten sozialen Kontext assoziiert. Ich jedenfalls, kaufe gern bei Aldi,“ stotterte er, bemüht um Konversation. Das Unwohlsein stand ihm buchstäblich im Gesicht geschrieben. Friedemann haderte noch einen Augenblick mit sich, stand dann auf und ging zu Gerhard hinüber. Er tuschelte eine Weile mit ihm, während Susanne die Schiffsseite wechselte und sich neben Tanja platzierte. Kurz darauf wurde das Boot gewendet. Gerhard fuchtelte mit den Armen und tat furchtbar unglücklich.

„Es tut mir leid. Wir müssen noch einmal anlegen. Friedemann ist eingefallen, dass er heute einen wichtigen Termin im Landratsamt hat. Entweder wir gehen zurück ins Haus, oder Sie nehmen mit mir alleine vorlieb. Nun?“ Susanne zögerte nicht eine Sekunde.

„Ich will Boot fahren!“, verkündete sie, und Tanja wollte sich, trotz eines kurzen mitleidvollen Schwalls schlechten Gewissens, keine Blöße geben und rief übermütig:

„Ich auch!“, wobei sie der Freundin vor lauter Überschwang den Ellenbogen in die Seite knuffte. Obgleich Gerhard mit dem Rücken zu den Beiden stand, hätten sie leicht feststellen können, dass ihm vor heimlichen Entzücken ein wenig die Unterlippe zitterte. Aber sowohl Tanja als auch Susanne hatten ihre Köpfe über die Reling geschoben und betrachteten nun schwärmerisch die kleinen silbrigen Wellen, die am Rumpf des Schiffes hin und hereilten wie flinke Tierchen.

Kurz darauf berührte das Boot den Holzsteg und Friedemann floh, als hätte ein Galeerensklave unverhofft seine Freiheit wiedergewonnen.

Rethra

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