Читать книгу Die Sagen von Berandan - Jo W. Gärtner - Страница 9

Kapitel 4

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Die Luft flirrte über dem blitzenden und blinkenden Blau des Sees. Es war noch früh am Morgen, doch bereits jetzt schien die Sonne heiß vom tiefblauen, wolkenleeren Himmel und trieb den beiden jungen Männern im schaukelnden Boot den Schweiß auf die Stirn. Joss und Rimon saßen je an einer Seite des breiten Bootes und stemmten sich in die Riemen, um den schwerfälligen Kahn über den Möckeln zu bewegen.

„Der Winter ist kaum vergangen und schon brüten wir in einer Gluthitze“, stöhnte Rimon.

Grimmig und traurig ruderte er weiter.

„Weißt du, Joss“, sagte er, „ich glaube wirklich, dass sie tot sind, und am liebsten würde ich umdrehen, weil ich nicht auf der anderen Seite des Sees Yolanda tot und übel zugerichtet entdecken möchte.“

Monoton ruderte er weiter, was ihm half, das Bild der toten Yolanda, das sich vor seinem inneren Auge aufgetan hatte, von sich zu schütteln.

„Wenn sie von den Gobblins erwischt worden sind, dann wirst du keine Leiche mehr entdecken. Die fressen doch alles auf“, rief Joss zurück und versuchte ein unbeschwertes Lachen, was ihm gründlich misslang.

„Sag mal, spinnst du?!“ Rimon ließ das Ruder los und sprang auf, wodurch das Boot gefährlich schaukelte.

„Ich mache mir unglaubliche Sorgen, weil ich Angst habe, dass Yolanda und die anderen tot sind, und dir fällt nichts Besseres ein, als darüber Witze zu machen?“

Sein Gesicht war puterrot angelaufen, seine Augen glühten vor Wut. Der ganze Körper war angespannt, die Hände zu Fäusten geballt. Er wollte die Faust mit all seiner Kraft in Joss’ Gesicht platzieren, wenn nicht ...

„Es tut mir leid!“, sagte Joss und zog seinen Kopf zwischen die Schultern, einen derben Schlag erwartend. „Entschuldigung. Das war nicht so gemeint.“

„Wie war’s denn dann gemeint?!“

Noch immer stand Rimon in der Mitte des Bootes vor Joss aufgebaut, jede Sehne seines Körpers zum Zerreißen gespannt.

„Ich wollte etwas Lustiges sagen. Ich wollte dich aufheitern. Aber das war nicht lustig, ich weiß. Alles andere als lustig.“ Mit gesenktem Blick saß Joss auf der hölzernen Bank des Ruderbootes, die Hände zwischen die Knie geklemmt.

Rimon versuchte, seinen Ärger hinunterzuschlucken, doch die Anspannung löste sich nur langsam.

„Ist schon gut“, sagte er trocken, „lass uns weiterrudern.“

Stumm legten sie sich wieder in die Riemen, die sengende Sonne über ihnen, das Boot quälend langsam. Während die Sonne sich immer mehr dem Zenit näherte, erreichten sie endlich die Mitte des tiefen, dunklen Sees und kamen der Insel nahe.

„Siehst du das auch?“, fragte Joss plötzlich und zeigte aufgeregt zur Insel.

Rimon konnte nur Steine entdecken – die ganze Insel bestand nur aus Steinen, Felsen und Klippen, wild aufeinandergetürmt und tief zerklüftet.

„Was meinst du?“, fragte Rimon.

„Dort“, rief Joss und fuchtelte aufgeregt mit seinem Arm. „In der kleinen Bucht. Siehst du den Haufen? Das sieht aus, als läge dort etwas. Kleidung oder eine Rüstung.“

„Ja, jetzt sehe ich es auch. Was mag das wohl sein? Und wie kommt es an diesen verlassenen Ort?“

„Sollen wir es uns einmal anschauen?“

„Muss das sein? Sollen wir nicht lieber einfach weiterrudern und nach Yolanda suchen? Wir wissen ja nicht, was das auf der Insel ist. Vielleicht ist es gefährlich.“

Joss drehte sich zu Rimon um und schaute ihn mit einem breiten Grinsen an, seine blauen Augen blitzten freudig.

„Ah, so ist das also. Der Herr hat Angst! Der Herr ist ein kleiner Angsthase! Ha!“ Joss lachte laut.

„Nein, nein, ich habe keine Angst. Aber haben wir nicht Wichtigeres zu tun, als nachzuschauen, was dort auf dieser Insel liegt?“

„Und was ist, wenn das, was dort auf der Insel liegt, mit Yolanda zu tun hat?“, flüsterte Joss geheimnisvoll.

Er blickte Rimon mit von der Sonne geblendeten, zusammengekniffenen Augen erwartungsvoll an. Rimon überlegte.

„Also gut, lass uns dorthin rudern“, sagte er schließlich.

Langsam kamen sie der Insel näher, bis sie nur noch wenige Meter vom steinigen Ufer entfernt waren.

„Bei Erdan, das sind Leichen!“, rief Joss.

Jegliche Farbe verschwand aus seinem Gesicht. Er vergaß das Rudern, sodass sie sich ein wenig im Kreis drehten und Rimon den Blick frei auf die zwischen zwei großen Felsbrocken liegende Bucht hatte.

Tatsächlich. Es sah so aus, als lägen tote Körper am Ufer – fein säuberlich übereinandergestapelt.

„Sie ist tot. Ich wusste es. Sie alle sind tot!“ Tränen quollen aus Rimons Augen und flossen über seine Wangen, von wo aus sie auf seine braune Hosen tropften und dort ein Muster aus vielen kreisrunden dunkelbraunen Flecken hinterließen. Er ließ das Ruder fallen und starrte ins Nirgendwo.

„Erdan, wie kannst du nur so ungerecht sein?! Wie kannst du nur?“, rief er – und fügte dann leise hinzu: „Und ich habe sie im Stich gelassen!“

Alles in ihm brach auf, alle Dämme barsten und immer dickere Tränen rannen über die Wangen hinunter. Rimon schluchzte und schluchzte und bekam dabei fast keine Luft mehr zum Atmen. Mit der Faust schlug er sich hart gegen die Stirn. Nochmals. Und nochmals.

Joss wankte über das schwankende Boot zu Rimon, legte ihm einen Arm um die Schulter und zog seinen Kopf fest zu sich an seine starke Brust.

„Ich bin an allem schuld, Joss! Ich habe sie einfach so alleine gelassen!“, wimmerte Rimon.

„Rote Haare hat sie, Yolanda, oder nicht?“, fragte Joss mit beruhigendem Ton.

„Ja“, schluchzte Rimon, „die tollsten roten Haare, die du dir nur vorstellen kannst!“

„Dann liegt sie nicht dort am Ufer. Zumindest kann ich keine roten Haare entdecken. Du etwa?“

„Was?“ Rimon löste sich aus Joss‘ Umarmung und starrte ihn verwirrt mit vom Weinen geröteten und verquollenen Augen an. „Was sagst du?“

„Ich sage, dass ich keine roten Haare entdecken kann. Ich zähle vier Leichen, und alle tragen sie eine lederne Rüstung, unter denen ich grüne Haut sehe.“ Ein breites Grinsen erstrahlte in Joss‘ Gesicht, seine Augen leuchteten.

„Was???“ Rimon glotzte Joss so doof an, dass dieser laut lachen musste.

„Und das heißt, dass dort keine Yolanda, kein Mensch und auch kein Miglin liegen, sondern vier grüne, widerliche Gobblins!“

Joss stand auf, reckte seine Arme in die Höhe und lachte sein lautes, fröhliches Lachen. „Nun glotz doch nicht so dumm! Da liegen vier verfluchte Gobblins! Tote Gobblins!“

Erst langsam begriff Rimon. Sie waren inzwischen ganz nahe ans Ufer herangetrieben und nun sah auch Rimon, dass Joss die Wahrheit sagte. Der Haufen aus den toten Körpern bestand aus vier Gobblins – einer hielt sogar tot noch sein krummes Schwert fest umklammert in der Hand. Ja, wirklich, das waren Gobblins. Nicht Yolanda! Rimon wurde ganz schwindelig und wäre er nicht schon gesessen, so hätte er sich schleunigst setzen müssen, um nicht mit schwachen, zitternden Beinen über Bord zu gehen.

„Schau dir diesen Pfeil an, Joss.“ Rimon zeigte auf den Pfeil, der dem Gobblin, der ganz unten lag, im Kopf steckte. „Die Truthahnfedern und die roten und grünen Ringe, die um den Schaft gemalt sind. So gestaltet Yolanda alle ihre Pfeile.“

Seine Finger glitten über die weiche Truthahnfeder am Ende des Pfeils. Hoffnung keimte in ihm auf. Vorsichtig lächelnd blickte er zu Joss, der wusste, was er dachte.

„Wenn das Yolandas Pfeil ist, dann lebt sie vielleicht noch!“ Nur mit Mühe konnte er neue Tränen, nun jedoch Tränen der Freude, unterdrücken. „Sie lebt!“, gluckste er.

Joss sah weniger erfreut aus. Besorgt betrachtete er die vier toten Körper und ließ dann seinen Blick über die umliegenden Felsen schweifen. Sein Körper war angespannt, dem Blick schien nichts zu entgehen, den Ohren kein Laut zu leise.

„Was ist?“, fragte Rimon nervös.

„Schau dir den Arm dieses Gobblins an.“

Mit seiner Linken zeigte er auf den schlaff herabhängenden Arm des zuoberst liegenden Gobblins. Er war nicht grün, sondern rot vom Blut und an den Stellen, an denen die Knochen zum Vorschein kamen, weiß. Tiefe Bisse hatten große Stücke Fleisch aus dem Arm gerissen und diesen bis zum Ellenbogen abgenagt. Sehnen und Fleisch hing lose herab, ein strenger fauliger Geruch ging von dem Arm aus, Fliegen saßen zuhauf auf den offenen Fleischwunden.

„Da müssen noch mehr von diesen Kreaturen herumstreunen. Wer sonst, wenn nicht ein wildes Tier würde einem Gobblin den Arm abnagen?“

Rimons Lachen, seine Freude und sein Glück waren wie weggeblasen. Die Angst ergriff wieder Besitz von ihm und schnürte ihm die Kehle zu.

„Bleib du hier und bewache das Boot. Ich werde die Insel erkunden. Wenn einer der Gobblins auftauchen sollte, schrei so laut du kannst. Und wenn es zu viele sind, rette dich mit dem Boot auf das Wasser. Gobblins hassen das Wasser.“

Damit stand Joss auf, zog sein Schwert aus der Scheide und suchte sich einen Weg durch die Felsen.

„Pass auf dich auf“, flüsterte Rimon, doch Joss war schon zu weit weg, um dies zu hören.

Rimon war alleine. Der leichte Wind trieb kleine Wellen ans Ufer, die über die Kiesel schwappten. Die Pferde schnaubten leise. Schmeißfliegen surrten über den Gobblins und gierten nach Blut und Fleisch. Ansonsten war alles still.

Ein Gobblin stierte ihn aus toten Augen an und ließ ihn nicht mehr los. Das rote Feuer der Pupillen war genauso kräftig, genauso giftig wie bei lebenden Gobblins. Rimon wollte seinen Blick abwenden, doch die toten grünen Augen holten ihn immer wieder zurück und nahmen ihn gefangen. Der Gobblin, der ihn so anstarrte, lag auf dem Rücken über einem anderen. Sein Kopf hing leicht herab, sodass sein Mund offen stand und Rimon die scharfen Eckzähne sehen konnte. Es schien, als wolle der Gobblin ihn mit seinen giftigen Augen nicht mehr loslassen, ihn herlocken, um ihn dann mit seinen Hauern in den Tod zu reißen. Rimon stand wie in Stein gemeißelt da. Er konnte kein Glied regen und wagte nicht zu atmen.

„Starr mich nicht so an!“, flüsterte er.

Doch der Gobblin starrte unaufhörlich und bedachte sein jämmerliches Flehen nur mit Hohn.

„Starr mich nicht so an!“, rief Rimon nun lauter, als könne er so den toten Gobblin überzeugen, endlich die Augen zu schließen und ihn in Frieden zu lassen.

„Wenn ich dich aber anstarren möchte?“

Keine zehn Meter von Rimon entfernt stand Grilac und grinste Rimon böse an. Rote Pupillen in grünen Augen – die Blicke des Todes. Sie waren wieder da.

Mit weit aufgerissenen Augen, starr vor Schreck stand Rimon da. Er hatte nichts gehört. Wo war dieser Gobblin plötzlich hergekommen? Er wollte Joss um Hilfe rufen, aber er brachte keinen Laut über die Lippen. Der Mund öffnete sich und blieb stumm.

„Ha, da schaust du, was?“, höhnte Grilac.

Er nahm sein krummes Schwert vor sich in beide Hände. Es glänzte in der Sonne nicht silbern, wie die der anderen, jetzt toten Gobblins. Grilacs Schwert war rot vom Blut.

Die spitzen Ohren des Gobblins waren aufrecht in die Höhe gereckt, als wollten sie jeden Atemzug des Gegners auffangen. Zwischen ihnen wuchs auf einem ansonsten kahlen grünen Kopf ein kleiner Haarbüschel, der verwildert in alle Richtungen stand. Die eben noch höhnisch lachenden Augen verengten sich nun zu gefährlichen Schlitzen und schleuderten dem zitternden Jungen feuerrote Blitze entgegen. Sie wollten töten, nichts anderes, nur töten. Die Flügel der schmalen, spitzen Nase zitterten leicht, wohingegen die Lippen grimmig zusammengepresst waren. Der scharfe Blick, die strengen Gesichtszüge ließen keine Zweifel zu: Dieser Gobblin war bereit, um alles oder nichts zu kämpfen. Dieser Kampf würde tödlich ausgehen – für mindestens einen der beiden.

Eine leichte, schwarze Lederrüstung kleidete den kampfbereiten Grilac. Der komplette Oberkörper war gepanzert, ebenso die Unterarme und die Schienbeine, um die ebenfalls ein lederner Schutz gebunden war. Die Rüstung wies deutliche Spuren einer Auseinandersetzung auf, denn an verschiedenen Stellen war sie von Schwertern zerfetzt worden, sodass nun einzelne lederne Stücke funktionslos herabhingen. Auch eine klaffende Wunde am ungeschützten Oberarm zeigte, dass dieser Gobblin erst vor kurzem einen Kampf auf Leben und Tod geführt hatte. Und heute würde er erneut einen solchen Kampf führen. Den ersten hatte er bereits gewonnen.

Rimon wusste nicht ein noch aus. Er wollte schreien, doch seine Lippen blieben stumm. Er wollte davonrennen, ins Boot springen und schnell wegrudern, aber sein Körper rührte sich nicht. Er zitterte wie Espenlaub, sein Blick voller Panik auf den Gobblin gerichtet. Was sollte er nur tun? Er hatte doch keine Chance gegen diesen kampferprobten Gobblin!

Die Starre fiel von ihm ab, als sein Gegenüber mit erhobenem Schwert auf ihn zustürzte. Die Wunde an dessen Arm schien ihm, obwohl sie sehr groß war und äußerst schmerzhaft aussah, nichts auszumachen. Wie von einer fremden Hand geführt, hob Rimon das Schwert über seinen Kopf und parierte den ersten Schlag. Auch den zweiten und den dritten und den vierten. Er parierte, ohne dass er sich von der Stelle bewegt hätte. Doch allmählich kehrte das Leben in ihn zurück. Er musste sich verteidigen, wenn er am Leben bleiben wollte. Er hatte nur eine winzige Chance, aber diese musste er nutzen. Der Gobblin war flink. Behände tänzelte er um den Jungen herum, führte immer wieder überraschende Hiebe gegen ihn, die Rimon nur mühsam abwehren konnte. Wieder ein Hieb, von oben, dann von rechts, von links, wieder von oben. Rimon parierte einen Schlag nach dem anderen, doch schon bald merkte er, wie seine Arme müde wurden. Wo blieb nur Joss? Er musste den Kampflärm doch hören. Rimon musste unter den ständigen Angriffen des Gobblins zurückweichen. Dem wutverzerrten Gesicht, den heftigen Hieben, den funkelnden Augen hatte er nichts entgegenzusetzen. Da spürte er einen Felsen hinter sich, der ihm den weiteren Rückzug versperrte. Er stand mit dem Rücken zur Wand, den mordlustigen Gobblin vor sich, der nun gierig und höhnisch lachte. Er richtete die Spitze seines Schwertes gegen den Kopf des Jungen, bereit zum letzten Schlag. Da schlug Rimon, mit dem Mut der Verzweiflung, mit seinem Schwert das Krummschwert des Gobblins zur Seite, zugleich stürzte er nach vorn, rempelte gegen den Gobblin, der kurz nach hinten taumelte, sich aber sofort wieder fing, und rannte an ihm vorbei zum Boot. Grilac, von der ersten Gegenwehr des Menschen überrascht, fluchte und sprang dem fliehenden Rimon mit schnellen Schritten hinterher. Rimon hatte noch nicht die Hälfte des Weges zum Boot zurückgelegt, als er den heißen Atem des Gobblins in seinem Nacken spürte. Ein wildes Gilfen drang aus Grilacs Mund – das Schreien, das Rimon seit seiner ersten Begegnung mit Gobblins nie mehr vergessen würde und das ihn schon in viele Träume hinein verfolgt hatte. Das blutverschmierte Krummschwert zum Schlage erhoben, durch Mark und Bein gehendes, gierig-wildes Kriegsgeschrei von sich gebend stürzte sich Grilac auf Rimon. Nun hatte er ihn. Der Mensch hatte nicht den Hauch einer Chance. Doch plötzlich stoppte der kleine Junge vor ihm, duckte sich und warf sich gegen die Beine des Gobblins, der in seiner jähen Ekstase unaufhaltsam dahinflog, über den Jungen stolperte und in hohem Bogen auf den steinigen Boden stürzte. Das Schwert rutschte ihm aus den Händen, Steine bohrten sich tief in sein Gesicht. Grilac jaulte vor Schmerzen laut auf. Für einen Augenblick lag er benommen bäuchlings auf den Steinen, doch als er hörte, wie Rimon auf ihn zugerannt kam, wie er sah, dass das Schwert des Menschen auf ihn niedersauste, da kamen seine Kräfte wieder, er rollte sich zur Seite, stürzte sich zu seinem Schwert, ergriff es und stellte sich aufrecht und kampfbereit dem Menschen entgegen. Blut troff ihm von der Nase und aus dem Mund, das Grilac mit wütendem Schnauben mit seinem freien Arm aus dem Gesicht strich. Rimons Schlag war nur um einen Wimpernschlag zu spät gekommen, ansonsten hätte er den vor sich auf dem Boden liegenden Gobblin erwischt. Nun stand er schon wieder grimmig und mit seinem Schwert zum Kampfe bereit vor ihm, doch der Gobblin war verletzbar. Das hatte Rimon nun erkannt und neue Kräfte durchströmten seinen jungen, schmächtigen Körper. Aber auch Grilac schien seine Kräfte gesammelt zu haben, denn schon wieder stürzte er auf Rimon zu und schlug einen Schwerthieb nach dem anderen. Die Wut hatte ihn gepackt und er hämmerte mit seinem Schwert nur so auf Rimon ein, auf den die Schläge wie Hagelkörner einprasselten. Doch sie waren nicht mehr so gezielt wie zuvor, sodass sie Rimon besser abwehren konnte. Seine Arme wurden unter dem Ansturm müder und müder, aber noch wehrte er einen Schlag nach dem anderen ab, ohne aber nur einen Hieb selbst zu setzen. Wo war Joss?!

Dann ließen die auf ihn niederstürzenden Schläge nach. Auch der Gobblin wurde müde. Er trat einen Schritt zurück, das Schwert immer noch mit beiden Händen gepackt und mit seinen langen Armen weit vor sich haltend, er atmete schwer. Noch immer floss ihm Blut aus den Wunden in seinem Gesicht, die er sich bei dem Sturz auf die Steine zugezogen hatte.

„Na, du kleiner widerlicher Menschenknilch“, keifte er mit böser Stimme, „hast du noch immer nicht genug? Aber keine Sorge, ich werde dich schon noch in Stücke hauen!“

Damit stürzte er sich erneut auf Rimon, mit lautem Surren zischte sein Schwert über Rimons Kopf hinweg, der sich gerade noch ducken konnte. Doch als er sich wieder aufrichtete, sah er bereits aus dem Augenwinkel den Ellenbogen des grünen Grilacs auf ihn zusausen. Mit einem heftigen Krachen landete er auf Rimons Wangenknochen. Der Schlag zog Rimon den Boden unter den Füßen weg, er taumelte, sah schwarz, alles drehte sich. Schwer fiel er zu Boden, den Kopf auf einen Stein schlagend. Verschwommen sah er über sich den Gobblin im Gegenlicht der Sonne, ein schwarzer Schatten, das Schwert triumphierend über sich schwingend, bereit, es sogleich niedersausen zu lassen und den Menschen in die heiligen Reiche Erdans zu befördern.

Hohngelächter des Gobblins, dann Joss‘ Schrei von irgendwoher – „Rimon!!“, der irritierte Blick Grilacs, das Gelächter erstirbt, das triumphierende Schwert sinkt, er wendet sich von Rimon ab, bereit zum Kampf gegen Joss? Nein, er rennt davon. Er wird doch wohl nicht aufgeben? Oh nein, nein, er rennt zum Boot. Wo ist Joss? Joss ist viel zu weit weg. Steh auf, Rimon! Steh auf! Er darf das Boot nicht erreichen. Yaris! Er darf Yaris nicht haben. Steh auf. Doch der Gobblin ist bereits am Boot, Joss immer noch viel zu weit weg, auch wenn er wie von der Tarantel gebissen rennt und schreit und tobt. Der Gobblin schiebt den Kahn ins Wasser, gleich ist er weg. Weg mit Yaris. Sie werden hier verdursten, jämmerlich verdursten und verhungern. Steh auf. Mit letzter Kraft hebt Rimon seinen Kopf, ein stechender Schmerz durchfährt die Wange, der Kopf dröhnt. Steh auf! Rimon steht, Grilac springt ins Boot, Rimon taumelt, das Boot schwankt. Schon ist es zu weit vom Ufer weg, als dass Rimon es noch erreichen könnte. Joss schreit und rennt, aber er ist zu spät. Alles ist zu spät. Das Schwert in den Händen wankt Rimon, dann beginnt er zu laufen, er rennt. Der Kopf schmerzt, er ist so müde, so schrecklich müde. Lauf weiter! Aber das Boot ist weg, unerreichbar, als Rimon am Wasser ankommt und bis zu den Knien in den See rennt. Grilac lacht, er höhnt, Yaris wiehert. Ein letztes Mal nimmt Rimon all seine Kraft zusammen. Er kreist das Schwert über seinem Kopf, kreist es nochmal und nochmal, schneller und schneller, dann schleudert er es dem Boot hinterher. Es schwirrt durch die heiße Luft des Maitages, fliegt weiter und weiter. Grilac lacht. Er hat es geschafft. Sie können ihn nicht mehr einholen. Er ist lebend von dieser verdammten Insel herunter­gekommen. Er … röchelt. Er starrt auf die Klinge, die in seinem Hals steckt, die Augen treten heraus, wollen platzen. Die Schmerzen sind nicht aushaltbar, aber kein Schmerzensschrei kommt über Grilacs Lippen, das Schwert hat ihm alle Luft genommen. Die Augen herausquellend, feuerrot und giftgrün, sie wollen schreien, aber sie können nicht. Grilac stürzt ins Wasser, den Ungeheuern des Sees entgegen. Mögen sie ihm einen angenehmen Empfang bereiten.

Rimon kniete im Wasser, die letzte Kraft war von ihm gewichen, den Flug des Schwertes hatte er nur noch wie im Traum wahrgenommen.

„Danke, Erdan! Danke. Du hast uns gerettet. Du hast die Waffe geführt!“, flüsterte er.

Joss rannte an ihm vorbei und stürzte sich, sein Schwert und seine Lederrüstung von sich werfend, ins Wasser. Kurz darauf hatte er das Boot erreicht und es wieder an Land gezogen. Er ging ein zweites Mal in den See, tauchte unter und wenig später jubelnd mit Rimons Schwert in der Hand wieder auf.

Rimon lachte. Dann weinte er.

Die Sagen von Berandan

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