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Die Fotografin

Aus den Johanna-Dateien

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19. 12. 2020

Der Auftrag kam von Reuters. Ich hatte schon so etwas erwartet, als ich gestern Abend die Bilder im Fernsehen sah: Qualmwolken über einem sinkenden US-Kreuzer, Flüchtlingsströme in der arabischen Wüste, Helikopter über dem Golf von Aden. Diese Region kommt nie zur Ruhe.

„Ich muss in den Jemen“, eröffnete ich Louis, als er am Nachmittag zwischen zwei Sitzungen kurz zu Hause vorbeischaute. „Wann?“ Ich sagte es ihm, er nickte, und zum Abschied gab es den üblichen Pseudokuss und die üblichen Floskeln: „Viel Erfolg, und pass auf dich auf.“

Stuart zog nicht mal die Brauen hoch, als ich ihm nach der Schule den Einkaufszettel für die nächsten acht Tage vorlegte und ihm erklärte, dass ich vorübergehend verreise; beruflich. Nun gut, was will ich von einem Achtzehnjährigen erwarten? Dass er sich an mein Jackett hängt, heult und mich anfleht, ihn niemals nicht zu verlassen? Nein, Stuart wollte nur wissen, ob Mrs. Baker zu den üblichen Zeiten kochen und saubermachen würde. „Natürlich“, sagte ich, und mir war klar, wo die Feste seiner Clique in den nächsten Wochen stattfinden würden.

Am Spätnachmittag rief Mary-Lou von der Universität aus an. Ich sagte ihr, wohin ich fliegen würde, und sie rief: „Gott, Mom – da ist doch Krieg!“

Ich: „Deswegen fliege ich ja hin.“

Sie: „O Scheiße! Und Weihnachten bist du auch weg?

Ich: „Ja, leider.“

Sie: „Wann wirst du endlich mit diesem Scheißjob aufhören!“

Ich: „Wenn du mir ein Gebiss in den Mund schieben und mir die Windeln wechseln musst, damit ich salonfähig bin.“

Sie: „Du bist gemein! Ich hab Angst, Mom. Bitte sei vorsichtig! Ich brauch dich noch!“

Nach diesem Telefonat schöpfte ich Hoffnung. Offenbar gibt es doch noch so etwas wie Liebe in unserer Familie.

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21. 12 .2020

Gegen Mittag Ortszeit in Sanaa gelandet. Es ist heiß, viel heißer, als ich beim Start aus dem britischen Springs befürchtet hatte. Im Hotel einchecken, drei Stunden schlafen, ein wenig essen, viel Tee trinken. Bei Einbruch der Dunkelheit dann mit einer Patrouille der Regierungstruppen in Richtung Kampfgebiet. Ein paar US-Marines begleiten uns.

Von der Wüste sah ich nur, was die Scheinwerfer des Jeeps der Nacht entrissen: Die Piste, ein paar Schilder, ein paar Dünen. Nach drei Stunden – Mitternacht war schon vorbei – Lichtschein am Südhimmel. Ich hielt es anfangs tatsächlich für Wetterleuchten!

Der amerikanische Kontaktoffizier sprach von einem „hübschen Feuerwerk“. Die Art, wie er das sagte – gut gelaunt und grinsend – verriet mir, was Sache war: Die Bombenangriffe der US-Marine und der jemenitischen Armee hatten begonnen. „Jetzt heizen wir der verfluchten Terrorbande ein“, sagte der Mann. „Wenn sie wieder einen Religionskrieg wollen, können sie ihn haben!“

Truppen aus Somalia waren an der Südostküste des Jemens gelandet und hatten sich mit starken Verbänden der Rebellen vereinigt. Die Regierungstruppen und die US-Marine griffen sie aus der Luft und mit Panzerverbänden an.

Bald hörte man den Detonationslärm der Bombeneinschläge. Von massiven Kampfhandlungen war die Rede. Wir hielten vor einer Straßensperre. Ich erkannte saudische Soldaten, saudische Panzer, saudische Mannschaftswagen und zwei US-Panzer. Weiterfahrt erst nach Ende der Kämpfe, hieß es. Sie überließen mir einen Jeep als Nachtlager.

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31. 12. 2022

Seit zwei Tagen im Kampfgebiet: Drei menschenleere Dörfer an der Küste, niedergebrannt. Planierraupen, die Massengräber in den Feldern ausheben. Ein Flüchtlingslager am Gebirgsrand, sechsundvierzig Meilen nordöstlich von Aden, etwa zwölftausend Menschen, viele Kinder, wenige Männer. Große, fragende Augen verfolgen mich. Ein alter Mann erzählt Geschichten und schneidet Grimassen, um die Kinder aufzuheitern. Eine Frau spuckt mich an und schlägt mit einem toten Huhn nach mir, weil ich die Szene fotografiere. Meine Eskorte von der US-Army beruhigt sie.

Zwischen den verbrannten Dörfern und dem Flüchtlingslager eine Piste von etwa sechzig Meilen, und auf der Straße ein Konvoi von gut einer Meile Länge: Panzer, Lastwagen, Raketenwerfer, Jeeps, dazwischen einige zivile PKWs und Vans. Alle verkohlt und ausgebrannt und zerbeult, viele umgestürzt, einige aufgerissen wie mit Dynamit geöffnete Konservendosen.

Es ist die Hölle, und ich versuche mich hinter meiner Kamera vor ihr zu verstecken.

Ich sehe verkohlte Menschen aus zerbrochenen Windschutzscheiben hängen, ich sehe verkohlte Armstümpfe aus Seitenfenstern ragen, ich sehe Regierungssoldaten Leichensäcke von der Piste in den Wüstensand schleifen.

Ein Todeskonvoi, ein Massengrab aus Blech, Eisen, Gummi und Fleisch. Ich stelle mein Hirn ab, ich fotografiere, ich wechsle Film um Film.

Etwas abseits und hinter der Brandschrottkarawane ein paar US-Panzer. Sie hätten dem Rebellenkonvoi aufgelauert und ihn angegriffen, sagt mein Kontaktoffizier und deutet in den Himmel, aus dem US Marineflieger drei Tage zuvor Raketen und Bomben auf Konvoi und Panzerverband gefeuert hatten. „Friendly fire.“ Mein Begleiter zuckt mit den Schultern und macht eine betretene Miene.

Zwischen den Panzern tote US-Soldaten. Wollten sie fliehen? Mein Begleiter zuckt wieder mit den Schultern. Die Luke eines ausgebrannten Panzers steht offen, ein verkohlter Leichnam hängt halb heraus. Auf dem Geschützrohr hocken drei Geier. Ich wechsle den Film ...

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18. 2. 2021

Gestern zurück aus dem Jemen. Stuart hat mich in seinem Mini vom Flughafen abgeholt. Geile Bilder hätte ich geschossen, sogar in der Schule würden sie darüber sprechen. Er will mich ausfragen, gibt aber schnell auf, als er merkt, dass ich ihm nur Stichworte hinwerfe. Ich frage nach seiner Schwester und seinem Vater. Louis hat er seit Tagen nicht gesehen – Kabinettssitzungen und Unterhausdebatten über eine Gesetzesvorlage des Innenministeriums. Interessant, wie gut der Junge informiert ist. Ich erfahre, dass Mary-Lou einen festen Freund hat.

Louis hat sich den Abend freigenommen und fährt mit mir zum Essen zu Turner’s in die Walton Street; immerhin. Geduldig hört er sich an, was ich zu erzählen habe. Zurück zu Hause zeigt er mir die Zeitungen mit meinen Fotos. Er hat sie aufgehoben; immerhin.

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29. 4. 2021

Warum ich das mache, haben sie mich heute gefragt. All die Reisen, all die gefährlichen Orte, all die schrecklichen Dinge. Viola Heath fing damit an, die Frau des Sicherheitsberaters. Die Sektparty in der deutschen Botschaft gähnte dem ersten Tiefpunkt entgegen, und wir standen zu siebt auf der Terrasse.

Die Bilder seien ja sehr schön – sehr schön!, ich zitiere wörtlich – und ich würde ja nun auch einen Preis bekommen, aber das muss doch schrecklich sein für eine kultivierte Frau, all die Zerstörung, all die Toten, und dann die hungernden Kinder und der viele Dreck vor allem. Die Schauspielerin, die in der Serie „Doktor Forster“ die Rechtsanwältin spielt, sagte das; ich hab ihren Namen vergessen. Ein Glück.

„O, Sie bekommen einen Preis?“, flötete Sandy McAllister von der BBC. „Welchen denn?“

„Vielleicht den World Press Photo Award“, half ihr Frank Springs auf die Sprünge. „Möglicherweise hat Joan das weltbeste Pressefoto des Jahres 2020 geschossen.“

Bei der TIMES wusste man schon mehr als ich, und alle gratulierten mir, dabei war mein Foto erst nominiert und noch lange nicht ausgezeichnet worden. Aber ich hatte keine Lust, die Sache klar zu stellen – wenigstens hatten sie die bescheuerte Frage der Heath vergessen.

Dachte ich. Aber ich hatte Wanda Cox nicht auf der Rechnung, Louis’ Stellvertreterin ist bekannt für ihre Penetranz und Humorlosigkeit. Jeden beschissenen Small Talk behandelt sie wie eine geheime Unterredung mit dem Premierminister. Sie sagte also: „Was ist jetzt, Joan – verraten Sie uns, warum Sie diesen Risikojob machen?“

Ich hätte ihr in den Hintern treten können. Oder nein: Ich trat ihr in den Hintern, ich lächelte nämlich so ausgesucht freundlich, wie man es von der Gattin eines Staatssekretärs erwartet und sagte: „Es gibt nicht viele interessante Menschen. In diesen Kriegsgebieten und Flüchtlingslagern aber trifft man hin und wieder einen.“

Keine weiteren Fragen. Unsere kleine Gesellschaft auf der Terrasse der deutschen Botschaft zerstreute sich sehr rasch. Den Rest des Abends hatte ich Ruhe vor Heath, Cox und Konsorten. Bis zum Morgen tanzte ich mit Springs, seinen Politikredakteuren und fast allen Beamten des Innenministeriums. Einmal sogar mit meinem eigenen Mann ...

Als die Erde zerschmettert wurde: Science Fiction Fantasy Großband 3 Romane 8/2021

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