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LIEBLICH UND LIEBENSWERT: DAS BERCHTESGADENER LAND

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Dass Berchtesgaden und seine Berge heute so gerühmt werden, hat natürlich einige ganz handfeste Gründe. Reizend sind etwa seine alten und zugleich lebendigen Traditionen, die in anderen Landesteilen oft nur noch als museale Erinnerung nachwirken. Interesse wecken auch die hiesige Almwirtschaft und der Salzbergbau. Die starke Zersiedelung der Landschaft in viele Einzelgehöfte (»Lehen«) ist schön anzuschauen, wirkt ländlich und malerisch und stellt kleinräumige Vielfalt her. Das ehemalige Augustiner-Chorherrenstift und seine umliegenden Straßenzüge dagegen bilden das urbane Zentrum des pittoresken Marktfleckens Berchtesgaden.


Schönheit ist überall – man muss sie nur entdecken!

Ist nicht immer wieder der Gedanke faszinierend, dass hier bis ins Jahr 1803 ein mehr oder weniger unabhängiger Fürstpropst herrschte? Mit der Stiftskirche, dem Wallfahrtskirchlein Maria Gern, der Pfarrkirche St. Sebastian in der Ramsau und der Kapelle von St. Bartholomä existieren vier Sakralgebäude, die als Fotomotive überregional berühmt wurden und oft als repräsentative Aushängeschilder für ganz Bayern herhalten. Schließlich und endlich wären auch die sprachlich-dialektalen Eigenheiten und überhaupt der so selbstbewusste, sympathische bis dickschädlige Menschenschlag zu nennen – man muss vom Berchtesgadener Landl, wie es die Einheimischen selbst nennen, einfach begeistert sein. Doch diese Aspekte menschlicher Kultur sind nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite steht die Natur – eine überaus facettenreiche Bergwelt, in der steile Felswände ebenso zum Landschaftsbild beitragen wie flache Hochplateaus und bewaldete Hügel. Die Zergliederung in neun sehr unterschiedliche Einzelgebirge, im Kreis um Berchtesgaden angeordnet, lassen diesen Alpenteil interessanter erscheinen als eher gleichförmige Massive, und es war vielleicht gar nicht vermessen, dass das Berchtesgadener Land in der Zeit der Romantik sehr oft als »Schweiz im Kleinen« bezeichnet wurde. Letzten Endes sind es wohl einige Besonderheiten, die den Berchtesgadener Alpen die Aura des Außergewöhnlichen verleihen: Erstens natürlich »König« Watzmann als Blickfang und Wahrzeichen des Landes, zweitens der Königssee als geheimnisvoller, herrlicher See, aber auch die Gesamtheit der umliegenden Berge mit all ihren charakteristischen Formen und Eigenheiten. Vom Enzian bis zur seltenen Bergkieferart, vom Murmeltier bis zum Steinadler, vom tiefen Gewässer bis zur himmelhohen Felswand – so viel atemberaubende und gleichzeitig idyllische Natur auf verhältnismäßig engem Raum gibt es nur ganz selten.

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FUNDSTÜCKE DER REISELITERATUR

Die vielen erhaltenen Reiseberichte aus dem 18. und 19. Jh. sind heute von einem unschätzbaren kulturhistorischen Wert. Bei der Lektüre fällt auf, dass einige Reisende in erschreckender Deutlichkeit über die Berchtesgadener und Pinzgauer Bevölkerung urteilten:

So stellte C. Meiners im Jahr 1788 fest, in Berchtesgaden seien »beyde Geschlechter … weder groß, noch schön«, und er könne sich nicht besinnen, »eine einzige schöne Bäuerin, oder einen einzigen großen wohlgewachsenen Bauernkerl« gesehen zu haben. Franz Friedrich von Spaur wurde im Jahr 1800 noch deutlicher: »In diesem Winkel der Erde scheint indessen alles zur Herabwürdigung des Menschen sich zu vereinigen.« Auch Franz Sartori giftete 1811: »Wer die Menschheit auf einer tiefen Stufe von Selbsterniedrigung und gewohntem Elende sehen will, der darf nur eine Excursion durch den Markt Berchtesgaden machen«; die dort ansässigen Bettler jener Zeit bezeichnete er als »Halbmenschen«.

Sogar Hermann von Barth ließ seinen sonst so leuchtenden Edelmut vermissen, als er 1874 genervt vermerkte, die »pinzgauerische Stupidität« werde noch auf ferne Jahrhunderte hinaus das Wahrzeichen des Berchtesgadener Ländchens sein, und das Gehirn des Pinzgauers sei nur rudimentär ausgeprägt. Und noch 1909 führt F. Bohlig in seinem Watzmannführer aus, der Berchtesgadener sei freundlich, artig, dienstgefällig und höflich, »worin er sich vom benachbarten Pinzgauer sehr zum Vorteil unterscheidet«.


Der Watzmann gehört untrennbar zu Berchtesgaden.

Der entscheidende Punkt bei der Betrachtung der Berchtesgadener Alpen aber scheint mir das Miteinander von Mensch und Berg zu sein, das Verwobensein der landschaftlichen Pracht mit den Spuren der Wald- und Almbauernkultur: Unter großen Mühen angelegte Viehtriebsteige, Waldpfade und Weideflächen, architektonisch und kulturhistorisch wertvolle Almgebäude und vor allem unzählige Flurnamen erzählen noch heute Geschichten aus einer vergangenen Zeit und wirken identitätsstiftend. Ein aufmerksamer Blick in die Alpenvereinskarte lässt ganze Welten menschlichen Berg-Erlebens vor dem geistigen Auge heraufziehen: Da gibt es die Verlorene Weid, das Himmelreich, ’s Paradeis, die Wunderquelle, die Regentiefe, Gold- und Silberbründl, das Kälbergrubenwindloch, die Rosengrube und die Bärengrube, das Tote Weib, den Saurüssel, den Großen Hundsschädel und eine Lindwurmhöhle. Diese Landschaft ist, obwohl hochalpin und schwer zugänglich, von menschlichem Tun und Schaffen durchdrungen. Das macht sie lieblich und liebenswert – viel mehr, als dies in einem von Menschen unberührten Ödland der Fall sein könnte.

Vergessene Pfade Königssee und Berchtesgadener Land

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