Читать книгу Vergessene Pfade Königssee und Berchtesgadener Land - Joachim Burghardt - Страница 17
JAGD UND WILDEREI
ОглавлениеWährend die Almwirtschaft auf vielfache Weise im Bewusstsein der Bergtouristen verankert ist – man denke an Almen als Gastronomie- und Produktions-Betriebe, an Selbsterfahrungstrips gestresster Großstädter auf der Alm oder an den Event des Almabtriebs –, handelt es sich bei der Jagd um eine Art »vergessene Nutzungsform« im Gebirge, die aber ebenfalls ein uralter Bestandteil der alpinen Geschichte und Kultur ist.
Spätherbstlicher Nachmittag im Berchtesgadener Land
»Der Fischmeister und seine Knechte zu St. Bartholomae mit dem Baeren im Jahre Christi 1675«
Von jeher wurden die Berchtesgadener Alpen von allerlei illustren Persönlichkeiten – etwa Salzburger Fürstbischöfen, Berchtesgadener Fürstpröpsten und bayerischen Königen – zur Jagd besucht. Ernst Zettler bezeichnete die Berchtesgadener Alpen in seiner Bearbeitung des Zeller-Führers in den 1930er-Jahren gar als »das schönste Jagdgebiet der ganzen Alpen«. Das Wimbachtal zählte zu den wichtigsten Revieren, es trug früher aufgrund seines Wildreichtums den Namen »Tiergarten«. Der letzte Fürstpropst von Berchtesgaden ließ sich als komfortablen Jagdstützpunkt das heute als Gaststätte dienende Wimbachschloss errichten, und auch St. Bartholomä war ein wichtiger Jagdstützpunkt. Unzählige Legenden ranken sich um die Abenteuer und Tragödien der Jagd rund um den Königssee, und vieles davon mutet heute befremdlich an. Ein gewisser Hans Duxner soll im 17. Jahrhundert allein 127 Lämmergeier erlegt haben, während sich Urban Fürstmüller zur selben Zeit mit 25 erlegten Bären und 43 geschossenen »Gambsgeyern« hervortat. Mit Begeisterung und Stolz berichtet mancher Literat davon, wie man Hirsche, die von Hunden in den Königssee hineingehetzt wurden und verängstigt um ihr Leben schwammen, aus dem Boot heraus bequem abknallte. Noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts stellt Friedrich Schönau in seinem pathosgeladenen Buch über die »Hochlandromantik um den Königssee« die Adlerjagd als heroisches Tun dar und spricht einige Kapitel später vom Pflanzenschutz! Der »Adlergraf« Max Arco-Zinneberg verewigte seine Jagderlebnisse u. a. in seinem unbeholfenen Mundartgedicht »Rat für Adlerjäger« (1865), in dem er lehrt, dass man die »schlauen Luder« besonders gut anlocken und schießen könne, wenn man nahe dem Adlerhorst ein Kätzchen festbindet oder den flugunfähigen Jungvogel zum Schreien bringt – Schönau fand diese Verse fast neunzig Jahre später noch »lustig« und »köstlich«. Helden dieses Schlages waren es, die für die Ausrottung mehrerer Tierarten rund um den Königssee verantwortlich zeichneten.
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MENSCHLICHE SPUREN IM GEBIRGE
Selbst an entlegenen Orten in den Berchtesgadener Alpen hat der Mensch Spuren hinterlassen, die mehr oder weniger deutlich zu erkennen sind:
Hütten und Biwakschachteln, Gebäuderuinen und Mauersockel (z. B. einer Jagdhütte von Hermann Göring), Steinmauern, Wege/Steige/Pfade, Forst- und Almstraßen, künstliche Tritte im Fels, Holzstufen, Trittstifte, Kratzspuren auf Felsen von Steigeisen und genagelten Schuhen, Farbmarkierungen und Wegweiser, Markierungsstangen, Steinmänner, Weg- und Gipfelkreuze, Wasser-, Strom- und Telefonleitungen, Spuren der Weidetierhaltung, Reste von Wildgehegen, Kletterhaken und Schlingen, durch Sprengung verändertes Felsgelände, Messgeräte, GPS-Sendestationen und Wetterstationen, Geocaches, alte Bergbauschächte, Materialseilbahnen, Gedenktafeln, abgeworfene Flugzeugtanks aus dem Zweiten Weltkrieg, herumliegender Müll, Hubschrauberlandeplätze, Anlegestege, Bundeswehr-Einrichtungen, Überreste von Klausen, Metallroste zur Abdeckung von Dolinen und Höhlen, künstlich veränderte Bachläufe, Material von Höhlenforschern und anderen Wissenschaftlern, Flugzeugwrackteile im Watzmannkar, ein Auto auf dem Grund des Königssees.
Darüber hinaus zeigt sich das Schalten und Walten des mehr oder weniger vernunftbegabten Zweibeiners auch am Fehlen früher vorhandener Tierarten (z. B. Lämmergeier, letztes Exemplar am Königssee 1855 abgeschossen), an der Wiederansiedlung von zuvor ausgerotteten Tierbeständen (z. B. Steinböcke im Hagengebirge) und an der teils stark anthropogen veränderten Flora (infolge von Alm- und Forstwirtschaft). Vom Menschen wirklich unberührt sind letztlich nur wenige unzugängliche und für Kletterer uninteressante Steilflanken.
Immer wieder kamen sich Jäger und Bergsteiger im wahrsten Sinn des Wortes ins Gehege. Der Zeller-Führer von 1911 lässt sich seitenlang über die »unglaublichen« und »unerhörten« Zustände insbesondere im Blühnbachtal zwischen Hagengebirge und Hochkönig aus, da Alpinisten aufgrund von Jagdinteressen nicht selten belästigt, an ihren Bergtouren gehindert oder sogar verhaftet würden. Einige Jahre später waren auch weite Teile rund um die Röth über dem Obersee für Bergsteiger tabu, da sich Top-Nazi und »Reichsjägermeister« Hermann Göring das Gebiet als persönliches Jagdrevier ausgesucht hatte. Wo gejagt wurde, wurde natürlich auch gewildert. So verrät die Literatur auch einiges über legendäre Persönlichkeiten und dramatische Ereignisse rund um die Wilderei, und bis heute erinnern Gedenkkreuze wie das Jägerkreuz am Hohen Brett an erschossene Jäger oder Wilderer. Drei Pinzgauer Wilderer sind mit ihrer Geschichte in den Berchtesgadener Sagenschatz eingegangen: Sie erfroren im Jahr 1886 im östlichen Steinernen Meer im Schneesturm und sind seitdem als die »Drei Eismandl« von der Wildalm bekannt. Und einmal, im Jahr 1705, wurde ein gewisser Sebastian Maltan sogar für vier Jahre auf die Galeere geschickt – er hatte wiederholt gewildert. Der letzte Todesfall im Zusammenhang mit Wilderei ereignete sich im Jahr 1947 in der Ramsau (Quelle: H. Schöner 1982), als ein Jäger beim Zusammentreffen mit einem Wilderer von diesem einen Herzschuss erhielt. Heute ist alles anders. Die Jagd wird nicht mehr von Adeligen im Rahmen volksfestartiger Treibjagden, sondern von professionellen Berufsjägern quasi im Verborgenen durchgeführt, und sie dient der Regulierung, ja sogar dem Schutz bestimmter Arten. Die Wilderei, die nach dem Strafgesetzbuch mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden kann, scheint ihren romantischen Reiz des Anarchischen verloren zu haben. Was bleibt, sind jagdliche Relikte im Volksgut (man denke an zahlreiche Jagd-Redewendungen in der Sprache, an Jägerfiguren in Sagen und Märchen sowie an Lederhose und Gamsbart als Bestandteile der bayerischen Tracht) – und natürlich im Wegenetz des Gebirges. Verblasst ist dagegen die Erinnerung an eine höfische Jagdkultur, »die Landschaft, Wald, Wild und Menschen in eine gleichermaßen eigenartige wie einzigartige Beziehung brachte« (J. Heringer 1981).