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ein gewachsenes Geflecht

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Das vielschichtige, dezentral organisierte Textgewebe der Bibel verlangt Leserinnen und Leser, die einerseits sensibel genug sind, auf das zu achten, was der Text an Struktur anbietet, die aber andererseits auch selbstständig genug sind, im Text zu surfen, um sich fehlende Informationen zu holen oder ihr Verständnis zu vertiefen. Diese Spannung zwischen Hingabe an den Text und eigenwilligem Manövrieren kennzeichnet vermutlich jeden Umgang mit Literatur, aber bei der Bibel ist diese Spannung auch noch in der Struktur des Textes verankert.

Um ein Gefühl dafür zu bekommen, was der biblische Kanon für ein Gebilde ist, muss man sich klarmachen, dass es weder im Frühjudentum noch in der frühen Kirche eine zentrale Autorität – wie Synode oder Papst – gab, die hätte entscheiden können, welche Texte zur Bibel zu rechnen sind. Es waren vielmehr bestimmte Gewohnheiten, die sich allmählich durchsetzten, weil sie offensichtlich eine gewisse Plausibilität hatten – zumindest für die Gruppen und Kreise, die für die Traditionspflege wichtig waren. Für das Lesen wäre es natürlich wichtig, die Leitidee zu kennen, die darüber entschied, ob ein Text akzeptiert und aufgenommen wurde oder nicht. Was die Bildung des Neuen Testaments angeht, so gab es sicher verschiedene Kriterien. Eines war die Überzeugung von der Einheit Gottes, der die Welt im Prinzip gut geschaffen hat. Deswegen wurden Texte aussortiert, die einen bösen Schöpfergott von einem guten Erlösergott unterschieden. Eine andere Leitidee war die Realität der Menschwerdung. Texte, die irgendwie nahelegten, dass eine göttliche Person in Jesus nur scheinbar oder vorübergehend als Mensch erschien, wurden abgelehnt. Daneben spielten aber sicher auch Autoritätsmomente eine Rolle. Das heißt, es wurden Texte aufgenommen, weil man sie einem bestimmten Autor zuordnete. Das bedeutet, dass es durchaus sein könnte, dass man die Pastoralbriefe nicht aufgenommen hätte, wenn man gewusst hätte, dass sie nicht wirklich von Paulus sind. Auch der (religiös ziemlich inhaltsarme) Dritte Johannesbrief dürfte seinen Platz im Neuen Testament der Tatsache verdanken, dass man seinen Verfasser mit dem vierten Evangelisten und diesen mit dem Apostel Johannes (Sohn des Zebedäus) identifizierte.

Die eigenartige, historisch gewachsene Struktur stellt für die Lesenden eine große Herausforderung dar, die einer Bergwanderung nicht unähnlich ist. Zwar hängen die Berge alle irgendwie mit den anderen zusammen, aber die Wege von einem Gipfel zum anderen sind selten gerade, meistens verschlungen. Oft gibt es mehrere Möglichkeiten, aber deswegen ist doch nicht jeder Weg möglich. Wer im Gebirge den Absturz vermeiden will, muss genau auf das Gelände achten und immer bereit sein, dazuzulernen. Das gilt übertragen auch für das Bibellesen. Wer da den Absturz in das Missverständnis (oder gar den Unsinn) vermeiden will, muss ebenfalls darauf achten, welche Wege möglich sind. Natürlich kann ich theoretisch alles mit den Texten machen und alles mit allem kombinieren. Der Text kann sich gegen keine Vergewaltigung wehren, aber wenn ich hören und verstehen will, dann muss ich darauf achten, welche Wege zwischen den Texten gangbar sind. Wenn ich den Text als Kommunikationspartner respektiere, dann frage ich also, welche Beziehungen zwischen den biblischen Texten selbst angelegt sind. Das ist manchmal mühsam und verlangt viel Selbstdisziplin.

Hände weg!?

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