Читать книгу Der Gott des Zwielichts - Joachim Kurtz - Страница 11

Auf den regnerischen Frühling folgte ein langer, ungewöhnlich heißer Sommer.

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Aedhwyn genas von seiner Verletzung, wenn auch bei weitem nicht so schnell wie Yldrun es sich erhofft hatte. Nach dem Ausbrennen der Wunde hielt das Fieber an und erhöhte sich auch erwartungsgemäß während der folgenden Tage und Nächte; sooft sie an Aedhwyns Lager trat, fand Yldrun seinen vom Wachen erschöpften Leibsklaven mit einem durchnässten Schweißtuch auf dem Schoß neben ihm sitzen. Zu ihrer Befriedigung nahm die Vereiterung jedoch einen gesunden Verlauf, und der befürchtete Wundbrand blieb aus.

Bei allen Besuchen war sie peinlich darauf bedacht, Dhréadyn nicht zu begegnen. Und wiewohl sie wußte, daß dies früher oder später nicht zu vermeiden sein würde – oder auch gerade deswegen – fuhr ihr der Schrecken durch alle Glieder, als der zu Recht angesehenste unter den bhyandrischen Heilkundigen einmal unerwartet hinter ihr im Halbdunkel von Aedhwyns Zelt stand. Der zuckende Widerschein des Kohlebeckens machte seine gefurchten Züge mit den selbst durch den Bart hindurch erkennbaren, abwärts gezogenen Mundwinkeln nicht gerade angenehmer, und Yldrun war froh, dem Raubvogelblick nicht länger standhalten zu müssen, als sie zum Verlassen des Zelts brauchte. Dhréadyn wich keinen Schritt zur Seite, so daß sie gezwungen war, einen kleinen Bogen um ihn zu machen. Das behagte ihr ganz und gar nicht. Wäre die Begegnung weniger überraschend verlaufen, hätte sie sich zweifellos behauptet, und ihr Rival und Standesgenosse hätte den Weg freimachen müssen. So aber war sie es, die das Feld räumte; sie tat es mit dem Gefühl, Dhréadyns kleine, mißgünstige Augen stächen ihr wie beodrische Pfeilspitzen in den Rücken.

Der Heilprozeß verlief unterdessen langsam, zu langsam, nach Yldruns Empfinden. Einfluß hatte sie jedoch keinen mehr darauf, denn die Pflege des Königs oblag allein seinem Leibarzt, der jetzt umso eifersüchtiger über seinen schon einmal verletzten Zuständigkeitsbereich wachte. Sie beschränkte sich auf ihre täglichen, oder fast täglichen Besuche, und dieses Recht wagte ihr Dhréadyn nicht streitig zu machen, jedenfalls nicht offen. Und sie mußte noch nicht einmal den Verband öffnen, um sich über den Verlauf der Heilung ein Bild zu machen: es genügte ihr, daran zu riechen und sich von Khadmyr, der bei jedem neuen Aufstrich des Pflasters zugegen war, die fortschreitende Vernarbung nach bestem Vermögen beschreiben zu lassen.

Es war wenige Tage vor der Sonnwende, als Aedhwyn – entgegen Dhréadyns wie auch Yldruns mehrfachen Rat – zum ersten Mal, und in voller Montur, das Lager verließ. Nicht, daß er auch nur annähernd kampftüchtig gewesen wäre; die Ausfahrt unternahm der eigensinnige Alte aus reinem Überdruß, und seiner Gewohnheit entsprechend natürlich ohne Leibgarde oder sonstige Begleitung, abgesehen von Hwyldur, seinem Wagenlenker.

Aber um seine Wehrhaftigkeit wäre ja gar niemand besorgt gewesen. Seit jener Schlacht nämlich, bei der Aedhwyn die häßliche Pfeilwunde davongetragen hatte, war es zu keinem wenn auch noch so unbedeutenden Scharmützel mit den Kydhrimar mehr gekommen. Geschweige denn, daß der Feind sich nur auf Sichtweite dem vandrischen Lagerbereich genähert hätte. Die Kundschafter, die Mraeghdar ausschwärmen ließ, zogen immer weitere Kreise, wagten sich immer tiefer in die kydhrische Steppe vor. Bis zu drei Tagesreisen legten die Berittenen schließlich zurück, unter der Führung von Askailandro, einem noch jungen yildrischen Lanzenträger, der lange unter Kerothys' Befehl gestanden hatte, nach dessen Tod aber aufgerückt war und nun einen gleichwertigen Rang einnahm; allein, von den yildrischen und beodrischen Verbänden, die das vandrische Heer vor kaum einem Monat so erfolgreich abgewehrt hatte, fanden sie keine Spur mehr. Mit drei Tagesritten war hingegen eine Ausdehnung erreicht, deren Überschreitung auf mehr oder minder befestigtes kydhrisches Gebiet geführt hätte. Und ein solches Unterfangen konnte nicht ohne einen gewissen Truppenaufwand stattfinden.

So rätselhaft das urplötzliche Verschwinden der Kydhrimar ausgerechnet zu Beginn des Kriegsjahres war, so unterschiedlich gingen die drei vandrischen Könige damit um. Am schwersten tat sich zweifellos Lyghdar angesichts dieser ungeheuren Niedertracht. Überbordend vor Tatendrang, begab er sich allmorgendlich in Begleitung einer Handvoll Reiter auf Patrouille, in der wohl aussichtslosen, jedenfalls ein ums andere Mal unerfüllten Hoffnung, durch offensichtliche zahlenmäßige Unterlegenheit den Feind hervorlocken zu können, den er im mählich ansteigenden, von Süden her die Steppe begrenzenden Hügelland versteckt wähnte. Wenn er dann um die Mittagszeit zurückkam, hilflos vor Wut und Enttäuschung, kühlte er sein Mütchen meist an seinen Untergebenen – aber nur so lange wie er brauchte, um sturzbetrunken auf dem Schlaflager seines Zeltes ausgestreckt zu liegen, was in aller Regel am frühen Nachmittag der Fall war.

Als Aedhwyn beschloß, genesen zu sein, kurz vor der Sommersonnwende also, war Lyghdar nurmehr ein geharnischter Schatten, bleich, hohlwangig, glasigen Blickes, mit schlaffer Haut und tiefen, faltigen Ringen an blutunterlaufenen Augen. So begegnete er dem bhyandrischen König auf dessen erster, zielloser Fahrt mit dem Streitwagen, die ihn am Rand des Hügellands entlangführte. Das Zusammentreffen erlebte Aedhwyn durchaus nicht unvorbereitet, da er natürlich über Lyghdars tägliche, wenn auch absurde Kundschaften unterrichtet war. Aus einer Art Gewohnheit heraus hatte er die Hand auf dem Schwertknauf liegen, als der andere mit der Streitaxt in der Hand vom Rücken seines tänzelnden, abrupt ausgebremsten Rosses mißmutig auf ihn herabblickte. Wiewohl Lyghdar keinerlei Grund gehabt haben dürfte zu glauben, zwei einzelne Feinde kämen ihm auf einem Kriegswagen ausgerechnet vom vandrischen Lager her entgegen, hatte der unverhoffte Anblick dennoch die zu lange schon unterdrückte Kampflust in ihm aufwallen lassen, oder so schien es zumindest.

Auf Aedhwyn machte er einen wirren Eindruck, als er unvermittelt und grußlos fragte:

„Du hier?“

„Bhyrduns Segen, Lyghdar. Wie du siehst, bin ich des Darniederliegens müde.“

„Dhwyrd schütze dich. Ich wunderte mich schon, daß du es so lange aushältst.“

„Die Beodhrim und ihre verfluchten Pfeile“, knurrte Aedhwyn. „Am Ende wird Mraeghdar noch recht haben.“ Und mit einem flüchtigen Blick auf seine linke Hüfte: „Dies war nicht meine erste Kriegsverletzung, bei Kadhus stinkendem Atem, du weißt es wohl; aber noch einen Tag länger ohne die Feuerkur – wenn ich Yldrun Glauben schenken darf, und das tue ich – und Ardwihal hätte jetzt einen Einwohner mehr. Aber sag mir: haben die Feinde dein Aussehen so ruiniert, daß....“

„Sehr witzig, Aedhwyn. Als ob du nicht wüßtest, daß uns die feigen Hurensöhne haben sitzen lassen, ehe wir uns auch nur aufwärmen konnten!“

Fast hätte man schwören mögen, daß Lyghdars Gesicht vor Ärger etwas von seiner gewohnt frischen Färbung zurückbekam. Aedhwyn verkniff sich ein Lächeln und begann ihn mit größtmöglicher Ernsthaftigkeit zu tadeln:

„Warum vergeudest du dann auf so unsinnige Weise deine Kraft, und die deiner Leute noch dazu? Was, wenn der Feind uns nur zu zermürben sucht, um dann im ungeahntesten Augenblick zuzuschlagen? Willst du ihm etwa in diesem Zustand begegnen? Geh, heiß einen Sklaven ein kupfernes Blech aufpolieren und schau dich selbst an, wenn du mir nicht glaubst!“

Nicht ohne Befriedigung registrierte Aedhwyn ein gefährliches Funkeln in Lyghdars leicht verengten Augen. Kaum daß es aufgeglommen war, wandte der Lugdhir den Blick ab, knirschte etwas unverständliches zwischen den Zähnen hervor und gürtete die Streitaxt.

So nahm endlich auch er selbst die Hand vom Schwertknauf.

Wenig später trafen sie beide, daß heißt Lyghdar ohne Leibgarde und Aedhwyn ohne seinen Wagenlenker, bei Mraeghdar ein. Hwyldur war angewiesen, mit dem Wagen am khyltrischen Tor zu warten, und Lyghdar hatte seine beiden Leibgarden zusammen mit den übrigen Männern in das eigene Lager geschickt, wohin er sich in Kürze ebenfalls begeben würde.

Nun war es kein Geheimnis, womit der Großkönig seit dem Ausbleiben neuer kydhrischer Angriffe einen Großteil seiner Zeit zubrachte. Aber Aedhwyn stellte sich dem Anblick zum ersten Mal in eigener Person; so konnte er sich nicht eines mißbilligenden Kopfschüttelns enthalten als er sah wie Mraeghdar, den beodrischen Bogen in der Linken und das gefiederte Pfeilende zwischen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand haltend, konzentrierten Blickes und mit seitwärts gewandtem Kopf die Sehne spannte und auf einen eisernen Helm zielte, der in einiger Entfernung über einen senkrecht aus dem Boden ragenden Pfahl gestülpt war. Offensichtlich – und das war das Beste! – nahm er Anweisungen von einem dicht dabei stehenden Kydhmar entgegen, wobei es sich zweifellos um jenen Gefangenen handelte, dem er vor bald zwei Monaten, am Tag von Yldruns rettendem Eingriff, überraschend und im allerletzten Augenblick den Feuertod erspart hatte.

Zwischen ihnen stand Kalyomelas.

Aedhwyn zuckte zusammen, als der von der Sehne schwirrende Pfeil mit nicht geahnter Wucht durch den Helm krachte und federnd im Holzpfosten steckenblieb, gefolgt von einem lobenden Ausruf des Kriegsgefangenen, in kydhrischer Sprache, aber augenblicklich durch Kalyomelas verdolmetscht. Aedhwyn, nicht zuletzt um sich selbst über den unerwartet heftigen Eindruck hinwegzutäuschen, stimmte in Lyghdars betont langsames Klatschen mit ein, womit sie nun beide spöttischen Beifall bekundeten.

Als Mraeghdar sich zu ihnen umwandte, war an seinem Gesicht unschwer abzulesen, daß er ihre Anwesenheit tatsächlich nicht bemerkt hatte. Was er hingegen verbarg, waren seine Gemütsregungen über den nachgeäfften Beifall. Stattdessen verkündete er seinerseits mit spöttelnder Erfreutheit:

„Ah, welch seltener Besuch! König Aedhwyn, darf ich vorstellen: Piloktas, Sohn des Paimakto, vom Stamm der Beodhrim. Wie du siehst, nicht nur ein fähiger Schütze, sondern auch ein ausgezeichneter Lehrer im Umgang mit dem Kriegsbogen.“

„Und du sein eifriger Schüler, nicht wahr?“

„Und das ist erst der Anfang. Warte nur, bis....“

„Vor einem Monat waren es noch Hirten und Heidebewohner, die du mit dem kydhrischen Spielzeug bewaffnen wolltest. Wie sagtest du doch: ungelenkes Fußvolk, Bauern, Halbsklaven....?“

„Sehr richtig. Soll ihnen der Großkönig in etwas nachstehen, im Umgang mit Kriegsgerät zumal?“

Lyghdar, der mit verschränkten Armen und ernster Miene dem Wortwechsel der beiden Könige gelauscht hatte, begann auf diese Worte hin mit leise glucksender Stimme in sich hineinzulachen und drehte sich um. Kopfschüttelnd murmelte er etwas unverständliches daher, während er sich einige Schritte vom Ort des Geschehens entfernte.

Achtlos warf Mraeghdar den Bogen von sich und starrte Lyghdar aus den Augenwinkeln hinterher; aus Stein gehauen, hätten seine Züge nicht kälter und unbeweglicher sein können.

Schließlich erklärte er mit über die Schulter gewandtem Kopf den heutigen Unterricht für beendet. Kalyomelas zog sich unverzüglich, wenn auch zeremoniell zurück; Mraeghdar nahm keine Notiz davon, so wenig wie von Piloktas' eifriger Nachahmung des Kniefalls und der bodentiefen Verbeugung. Geduldig wartete er, bis der beodrische Gefangene den Bogen aufgehoben und den Pfeil aus dem Holzpfosten gezogen hatte. Als er dann auch noch anfing, die zuvor am Ziel vorbeigegangenen Geschosse aus der Palisadenwand zu ziehen, wurde es ihm zuviel. Ungeahnt plötzlich wirbelte er herum, riß einem bereitstehenden Sklaven den mit Wasser gefüllten Messingkrug aus der Hand und schleuderte ihn nach Piloktas.

Blechern polterte das Gefäß gegen die Palisadenwand, knapp neben seinem bis auf den zusammengebundenen Schopf in der Mitte kahlgeschorenen Kopf. Zu Tode erschrocken ließ der Beodhir alles fallen, außer dem Bogen, und machte sich hastig und geduckt aus dem Staub.

Mit einem tiefen Seufzen wandte sich Mraeghdar erneut Aedhwyn und Lyghdar zu.

„Hört zu“, ließ er verlauten: „Laßt uns während der kommenden Tage zusammenfinden, und ich will euch meine Pläne im Einzelnen kundtun....“

„Ausgezeichnet!“ nahm Lyghdar den Vorschlag auf. Er war jetzt wieder hinzugetreten und packte die anderen beiden vertraulich bei der Schulter. „Ist nicht bald Sonnwende? Gut. Dhréadyn und Yldrun werden sie euch auf den Tag genau bezeichnen. Kommt in mein Lager und seid meine Gäste, ich will mit euch ein Getränk verkosten, das wir aus einem fernen Land beziehen.“ Bei diesen Worten blinzelte er verschwörerisch in Richtung des Großkönigs. „Ihr werdet es lieben, bei Dhwyrd! Mraeghdar, du wirst uns dein Vorhaben verkünden; dann wollen wir zu Haeldwyrs Ehren ein Fest feiern und ihm und den anderen Göttern ein Blutopfer darbringen. Mögen sie uns ein siegreiches Jahr bescheren und Bhrygia unsere Weiber fruchtbar machen! – Und daß ich es auch ja nicht vergesse“, fügte er noch an, als er sich bereits zum Gehen gewandt hatte: „Bring deine kydhrischen Huren mit, Großkönig. Sie sollen gegen meine Gespielinnen von jenseits des Meeres antreten, und dann möchte ich sehen, ob nicht auch du auf den Geschmack kommst...!“

* * *

Schweigend saßen sie in der Dämmerung beisammen. Hinter ihnen, weit jenseits der Steppe und was danach kommen mochte, entfaltete die Nacht ihre kobaltischen Schwingen. Sie hatte den Sommer im Gefolge, und ehe ein ganzes Jahr vergangen war, würde sie nicht mehr so rasch vorübergleiten wie heute.

Am Horizont verglomm die Leuchtspur des fliehenden Tages. Funkenflug stob von Haeldwyrs eisenbeschlagenen Rädern, aus dem tiefer werdenden Blau des Himmels blitzten die ersten Sterne hervor. An mehreren Stellen wurde Holz und Reisig übereinandergeschichtet. Durch das geschäftige Treiben drang das Aufeinanderschlagen von Feuerstein und Schlageisen, begleitet vom Singen der Grillen. Der Boden darunter, die sanft nach Westen hin abfallende Hügelflanke, war frisch getränkt vom Blut der siebenundzwanzig geopferten Ochsen.

Mraeghdar griff nach dem Trinkhorn auf dem Tisch neben ihm, nahm einen tiefen Zug und nickte anerkennend:

„Man kann sich daran gewöhnen, durchaus. Wie sagtest du, heißt das Zeug? Wayim?“

„Yahim, meine ich von den Fremden gehört zu haben“, antwortete Lyghdar. „Es freut mich, daß er dir mundet. Dies hier ist schwarzer Yahim. Es gibt ihn nämlich auch von einer durchscheinenden Farbe. Das hängt von den Früchten ab, habe ich mir erklären lassen. Jedenfalls....“

„Jedenfalls steigt er gehörig zu Kopf“, ließ sich Aedhwyn von der anderen Tischseite her vernehmen. „Womöglich haben deine Fremden recht, und man sollte ihn mit Wasser verdünnen.“

„Der Meinung bin ich auch“, stimmte Mraeghdar zu. „Aber schließlich feiern wir heute ein Fest und ehren die Götter, also sollten wir nicht kleinlich sein. Sonst danken Dhwyrd und die Seinen es uns ebenso, wenn sie den Sieg austeilen.“

„Schön“, knüpfte Lyghdar an den Hinweis an, und seine Miene wurde augenblicklich ernster: „Laß uns auf deine Pläne zurückkommen, Mraeghdar. Du willst also allen Ernstes mehr Fußvolk ausheben lassen?“

„So ist es.“

„Und es mit Pfeilen und Bögen bewaffnen?“

„Mit Kriegsbögen kydhrischer Bauart. Irmwyn ist bereits beauftragt, Pfeilspitzen zu schmieden wie die, welche mein Bote ihm überbrachte. Seine darin erworbene Fertigkeit soll er an die fähigsten Schmiede nach ihm weitergeben, und die werden sie wiederum im gesamten Land verbreiten. Auch Vaelundar setzt alles daran, dem kydhrischen Metall seine Geheimnisse zu entlocken.“

„Und dieser Paimoktas....“

„Piloktas. Er ist ebenfalls nach Kadhlynaegh unterwegs, zusammen mit Kalyomelas, und in Begleitung einer Eskorte. Unter Kalyomelas' Aufsicht wird er die ersten khyltrischen Bogenschützen ausbilden; sein Bogen aber, wie auch der seines toten Stammesbruders, soll den tüchtigsten Waffenbauern diesseits und jenseits des Bhréandyr als Vorlage dienen.“

„Und wer wird das alles bezahlen, wenn ich fragen darf?“

„Das Volk natürlich, zu dessen Wohl dies alles geschieht.“

Lyghdar schwieg in sich hinein und starrte hangabwärts auf die Feldfeuer, die wie eine Hinterlassenschaft des Sonnengottes vor dem zusehends verblassenden Widerschein am Himmelsrand aufloderten. Wenn der Lugdhir grübelte, nahmen seine Züge einen etwas vierschrötigen Ausdruck an. Zumal, wenn ein Trinkhorn oder ein Bierkrug in Griffweite stand.

In das allgemeine Schweigen hinein seufzte Aedhwyn:

„Über kurz oder lang wirst du von Lyghdar und mir die gleichen Maßnahmen erwarten, fürchte ich?“

„Nicht, ohne euch zuvor von der Richtigkeit meiner Entscheidung überzeugt zu haben.“

„Wenn du uns davon überzeugst. Aber lassen wir das vorerst. Humh! Und um nicht einzurosten, willst du uns einstweilen in einen Feldzug gegen die Kydhrimar führen?“

„Dagegen wirst du hoffentlich keine Einwände haben?“

An Aedhwyns Gesicht war unschwer abzulesen, daß er diese Frage als Beleidigung auffaßte. Statt einer Antwort hielt er mit einem Rätsel dagegen:

„Er schwingt keine Axt und wirft keine Lanze, und ist doch unser ärgster Feind; ihr wißt, von wem ich spreche?“ Die Lösung lag freilich auf der Hand, so daß er übergangslos einfordern konnte: „Ihm keinen Fußbreit! – Aber die Kydhrische Mark, soll sie etwa ungeschützt verbleiben?“

„Ungeschützt? Die Kydhrische Mark?“ Mraeghdar lachte kurz und trocken. „Du überraschst mich, Aedhwyn. Als würde dein Reich nicht von den drei stärksten Festungen gehalten, welche die Vandrimar jemals erbaut haben! Die mächtigste davon, Dhiunan, nennst du deine Hauptstadt. Mit Fianagh im Norden und Gwylnagh im Osten bildet sie das Rückgrat der Mark, ein Bollwerk, das alle vandrischen Länder beschirmt. Seit wann bedarf der Schutz eines weiteren Schutzes?“

„Und wozu sind wir dann überhaupt hier?“

„Als Vorhut. Und als solche verfolgen wir den Feind, wenn er sich zurückzieht. Das ist genau das, was wir jetzt tun werden. Nicht mehr und nicht weniger“

Aedhwyn wirkte beinahe verlegen, wie er sich mit der flachen Hand über das schlohweiße Haupthaar strich. Nach einer Weile griff er kommentarlos zum Trinkhorn und schien seine Aufmerksamkeit auf die Vorbereitungen für das Festmahl zu richten. Mraeghdar und Lyghdar warfen einander einen Blick zu, der stilles Einvernehmen ausdrückte. Beide kannten sie den bhyandrischen König gut genug um zu wissen, daß kaum etwas aus ihm herauszuholen wäre, was einer Zustimmung näher käme.

Mraeghdar griff nach seinem eigenen Horn, lehnte sich befriedigt im gerundeten Armstuhl zurück und trank auf einen Zug den verbliebenen Inhalt aus. Dann hielt er das Gefäß mit ausgestrecktem Arm von sich und befahl mit schwer gewordener Zunge:

„Mehr Wayin!“

Kaum hatte er es wieder abgesetzt, bis obenhin voll mit dem tiefroten, die Sinne benebelnden Getränk, als Lyghdar ihn am Ellbogen packte und hangabwärts deutete.

„Mraeghdar, was hältst du von einem weiteren Blutopfer? Dhwyrd zu Gefallen, und mit Bhrigyas Segen?“

* * *

Ein Kelch aus gleißendem Stahl, überbordend vor Licht, bog sich der Himmel über die windgepflügte Steppe. Nur scheinbar begrenzt vom Ring des Horizonts, wogte mageres Gras wie ein Flächenbrand. In Gestalt einer Raupe kroch das vandrische Heer auf der hitzeverzehrten Erde voran, dreigeteilt zunächst, nach Khyltrim, Bhyandrim und Lugdhrim, wobei jede dieser Einheiten noch einmal in Lehen unterteilt war, die sich unter Führung ihrer jeweiligen Herzöge voneinander absetzten. Während Mraeghdar seinen Männern vorausritt und Aedhwyn die Bhyandrim mit dem Streitwagen anführte, bildete Lyghdar mit seinen Leibgarden den Abschluß, um im Falle eines Hinterhalts, so unwahrscheinlich sich dieser auch darstellte, selbst der Erste sein zu können. Die Reiter flankierten das Fußvolk teils an der linken, teils an der rechten, aber nie bei zwei aufeinanderfolgenden Lehen auf der gleichen Seite. Zwischen Fußvolk und Reiterei gingen die Viehtreiber und peitschten die Ochsen vorwärts. Lärmend und staubend wälzte sich der Heerzug dahin, in all seiner Länge und Breite, und wirkte doch beinahe verloren angesichts der unermeßlich scheinenden Einöde.

Lyghdars Opfer war zugleich ein großartiges Geschenk gewesen, wenn schon kein uneigennütziges. Als das Mädchen vor ihm stand, verschlug es ihm beinahe die Sprache – wie zuletzt an Kerothys' Sterbelager – und mehr als die Sprache, den Atem. Der Lugdhir hatte nicht übertrieben. Ein weißes, federleichtes Gewand, von einer Beschaffenheit, wie Mraeghdar sie noch nie zuvor gesehen hatte, lag um einen feingliedrigen, biegsamen Leib, hob die apfelgroßen Brüste ebenso hervor wie die anmutig geschwungenen Hüften. Vom freiliegenden Nabel aus, der seine Aufmerksamkeit als erstes in Anspruch nahm, ließ er langsam den Blick aufwärts wandern. Kohlschwarzes Haar ringelte sich um die schmalen Schultern, rahmte ein fein geschnittenes Gesicht mit hohen Wangen. Nicht weniger dunkel, und weit und tief wie der Nachthimmel, waren die glänzenden, angstvoll aufgerissenen Augen mit den langen Wimpern. Aber nichts übertraf an Liebreiz ihren Mund: wie Blütenblätter öffneten sich die zarten, rosigen Lippen und ließen gerade noch den unteren Rand zweier Zähne erkennen, die selbst im Schein der Fackeln weiß wie Schnee zu sein versprachen. Eigens für ihn habe er sie aufgespart, schmeichelte ihm Lyghdar. Für eine Gelegenheit wie diese.

Starr und stumm vor Schrecken lag sie wenig später unter ihm, inmitten der Opferfeuer. Gern hätte Mraeghdar versucht, sie zu beruhigen, allein, er wußte nicht wie. Seine Sprache schien sie nicht zu verstehen. Sachte, beinahe zärtlich, faßte er sie beim Kinn und schaute ihr lange und tief in die schwimmenden Augen. Dann deckte er mit der einen Hand flach ihren Mund ab, griff ihr mit der anderen in den entblößten, flaumigen Schritt und ertastete ihre trockene, zurückweichende Spalte. Noch nie war er ein geduldiger Liebhaber gewesen; als er merkte, daß seine Liebkosungen nicht fruchteten, drang er brutal in sie ein.

Blut für Dhwyrd. In Bhrygias Namen. Mraeghdar, der allen voranritt, lächelte träumerisch.

Lyghdar überließ ihm das Mädchen auch während der folgenden zehn Tage und Nächte, bis zum gemeinsamen Aufbruch in die Steppe. Nicht ein einziges Wort brachte Mraeghdar in dieser Zeit aus ihr heraus, geschweige denn ihren Namen, nur ihre kleinen, spitzen Schreie, wenn er sie mit von Mal zu Mal sanfterer Gewalt nahm; womit keineswegs gesagt war, daß er ihr Genuß bereitete, so weit kam es wohl doch nicht. Das Heer war fast marschbereit, als Lyghdar seine entjungferte Sklavin wieder einforderte, um sie eilends nach Biannum an seinen Hof zurückzusenden. Er sparte nicht an Männern für die Eskorte, und den Anführer verpflichtete er unter Androhung fürchterlichster Hinrichtungsarten mit seinem Leben. Was aus keinem seiner Worte hervorging, war dennoch leicht zu erraten: der lugdrische Herrscher hoffte, wenn schon nicht auf einen leiblichen Sohn, so doch auf einen fähigen Nachkommen, an den er einmal seinen Herrscherstuhl würde weitergeben können. Wer ihn gezeugt hätte, war zweitrangig, nur ein herausragender Krieger mußte er sein. Sollte er sie tatsächlich geschwängert haben, zweifelte Mraeghdar keine Sekunde daran, daß Lyghdar das Mädchen umgehend in den Stand einer rechtmäßigen Nebenfrau erheben würde.

Rechts hinter ihm, um eine Pferdelänge versetzt, fast auf einer Höhe mit den Leibgarden, ritt Askailandro. Vor Stolz platzte der Yildhir beinahe aus seinem ledernen Brustpanzer, wobei er mit größtem Eifer bemüht war, sich seines neuen Amtes würdig zu zeigen. Bis auf weiteres bestand seine Aufgabe darin, dem vandrischen Heer den Weg durch die Steppe zu weisen. Mraeghdar wußte, daß er sich auf ihn verlassen konnte. War er auch fast noch ein Knabe gewesen, als er unter der Obhut seines Vaters zu den Vandrimar überlief, blieb er doch in der Steppe heimisch wie nur je ein Kydhmar. Tatsächlich hatte er kaum über die Kydhrische Mark hinaus vandrisches Gebiet betreten. Sein Leben war das Feldlager, er kannte kein anderes, und unter Kalyomelas’ und Kerothys’ beständiger Anleitung war ein herausragender Späher aus ihm geworden.

Nun waren aber sieben volle Tage seit dem Aufbruch vom äußersten Rand der Mark vergangen: sieben Tage ausdauernden Marschierens durch eine größtenteils staubtrockene, fast baumlose, allenfalls von dürrem Gesträuch bewachsene Landschaft, während ein ums andere Mal der erbarmunglsose, weiße Glutball der Sonne über sie hinrollte. Dies war der achte, und brütend senkte sich der Nachmittag herab. Den Weg nachts zurückzulegen, im ungetrübten Schein des Mondes, wäre niemandem in den Sinn gekommen, den Vandrimar so wenig wie den zu ihnen übergelaufenen kydhrischen Söldnern. Tatsächlich hätte es kaum Sinn gemacht, denn wo hätte man tagsüber einen schattigen Ort zum Schlafen gefunden? Hinter sich im Zug hörte Mraeghdar das durstige Brüllen der Ochsen, welche die Proviantwagen und die zuletzt vor vier Tagen am Dhrys aufgefüllten Wasservorräte zogen. Sein Hengst schüttelte ungeduldig die von Fliegen umschwirrte Mähne. Rast war dringend geboten. Dabei war es seine feste Absicht gewesen, das Heer bis zum Abend durchmarschieren zu lassen.

Warum? fragte er sich. Warum, bei allen Göttern, greifen die Hurensöhne nicht an?

Abrupt gebot der Großkönig Halt. Hraedlin und Hwyrdun wandten sich ihrerseits um und machten das entsprechende Handzeichen, und gleich darauf wurde in die Hörner geblasen. Ein erleichtertes Raunen ging durch den gesamten Heerzug, indem er fast auf einmal zum Stehen kam. Mraeghdar machte den quer vor ihm auf dem Pferderücken liegenden Wasserschlauch los und trank aus voller Brust, mit zurückgebeugtem Kopf, als er Hufschlag und das Rattern von Wagenrädern herannahen hörte. Kurz darauf, nachdem er ein weiteres Mal getrunken und wieder abgesetzt hatte, kamen mit einem Wiehern die in die Zügel genommenen Pferde von Aedhwyns Zweispänner neben ihm zu stehen.

„Wie ich sehe, hast du deine Absicht geändert“, ließ sich der greise König vernehmen. Mraeghdar nickte und wischte sich mit dem Handrücken Mund und Bart ab.

„Bis zum Bhryg ist es wohl doch weiter als es zunächst aussah“, entgegnete er und ließ sich reichlich Wasser über den Kopf laufen, ehe er den zugeschnürten Schlauch wieder am Sattelknauf befestigte. „Wie auch immer, dies ist unser letzter Halt, ehe wir das Quellgebiet erreichen. – Askailandro, deine Lanze!“

Mraeghdar, der mittlerweile sein Roß gewendet hatte, fing die ihm senkrecht zugeworfene Waffe auf, drehte sie mit der bronzenen Spitze nach unten und rammte sie aufrecht in den Boden. Dann saß er ab und zog das an seiner linken Hüfte baumelnde Schwert aus der Scheide. Prüfend blinzelte er Richtung Sonne, ehe er es einen guten Schritt vom äußersten Ende des Lanzenschattens entfernt ebenfalls in die Erde stieß. Mittlerweile war auch Lyghdar hinzugekommen und brachte fast aus dem Galopp seinen Braunen zum Stehen.

„Was hat das zu bedeuten?“ erkundigte er sich mit einer fragenden Geste zu den auffällig positionierten Waffen. Mraeghdar wies mit ausgestrecktem Finger zu Boden.

„Wenn die Spitze des Schattens die Klinge berührt, werden wir weiterziehen“, erläuterte er, was Lyghdar dazu veranlaßte, seinerseits mit dem Blick den Stand der Sonne zu messen.

„Wozu halten wir überhaupt an?“ begehrte er weiter zu wissen, Ungeduld in der Stimme. „Wie weit ist es noch bis zu diesem verdammten Fluß? Ich dachte....“

„Mraeghdar hat recht“, verteidigte Aedhwyn die Entscheidung des Großkönigs. „Die Männer sollen ausruhen, die Reiter ihre Pferde tränken, und die Treiber das Vieh. Wäre es nicht Unsinn, jetzt noch mit dem Wasser zu geizen, so kurz vor dem Ziel, und wenn jeden Augenblick mit einem Angriff zu rechnen ist....?“

„Daß ich nicht lache!“ spottete Lyghdar und beschattete mit der Hand die Augen, um in die von sanften Hügeln durchzogene Steppe vor ihm zu spähen. „Ein Angriff, was?! Aber ja, es wimmelt nur so von....“

„Du hast ja recht“, unterbrach ihn Mraeghdar schroff: „Mich würde es ebenfalls wundern, wenn sie uns jetzt noch zuvorkämen.“

„Worauf warten wir dann noch? Wenn man wenigstens etwas Schatten fände in dieser Wüstenei....!“

„Laß die Männer sich erfrischen. Und wenn sie alles aufbrauchen, bis zum letzten Tropfen!“ Der Großkönig kehrte Lyghdar den Rücken zu und ließ den Blick über das dürre Grasland schweifen. „Noch vor Einbruch der Nacht erreichen wir den Bhryg, mit seinen baumbestandenen Ufern. Wo sein Bett sich zu weiten beginnt, werden wir den ganzen morgigen Tag rasten und Kräfte sammeln. Und nicht weit davon, in der Ebene, siedeln dyraktrische Ackerbauern. Ehe wir noch tiefer in die Steppe ziehen, werden wir ihre Kornvorräte plündern, ihre Viehbestände rauben und über alles Weibsvolk herfallen, dessen wir habhaft werden können. Denn das eine verspreche ich dir: haben wir erst einmal den Bhryg hinter uns gelassen, soll es uns an nichts mehr fehlen. An Speise nicht, an Trank nicht, und schon gar nicht an Beute!“

„Das hoffe ich doch sehr!“ knurrte Lyghdar. „Aus keinem anderen Grund bin ich den weiten Weg nämlich gekommen.“ Mit diesen Worten ließ er sein Roß tänzelnd auf der Stelle wenden.

Dann fügte er noch an: „Sagtest du etwas von Korn? – Gut zu wissen. Ich habe nämlich mein Lebtag noch kein kydhrisches Bier probiert.“ Und preschte mit einem Handschlag auf die Flanke seines Rosses davon, zurück zu seinen Truppen.

Mraeghdar, den Blick stetig nach Osten gerichtet, lachte verschmitzt in seinen dichten, strähnigen Bart, während er die Finger seiner linken Hand darübergleiten ließ.

Der abnehmende Mond stand hoch über dem Horizont, als sie endlich den oberen Lauf des Bhryg erreichten. Es war eine drückende, windstille Nacht, die Hitze des vorausgegangenen Tages hatte kaum nachgelassen; aber auch nach Anbruch der Dunkelheit verfolgte Askailandro beharrlich seinen Weg, zur Zufriedenheit Mraeghdars, der die Ankunft an den Kühle verheißenden Flußauen keinesfalls aufschieben und eine weitere Nacht mitten in der Steppe kampieren wollte.

Als die Vordersten das silberne Licht hinter anmutigen Baumsilhouetten auf Stromschnellen tanzen sahen, gab es kein Halten mehr. Die Strapazen waren vergessen, jeder wollte der erste sein. Johlend brach das Fußvolk aus den Reihen hervor, allen voran die Khyltrim, und ergoß sich über die mäßig steile Uferböschung, durch deren Grassohle stellenweise der nackte Fels schimmerte. Die Herzöge, ihrerseits erleichtert über das Ende des sich bis zur Verzweiflung hinziehenden Marsches, nahmen ihre scheuenden Pferde in die Zügel und ließen die Untergebenen einhellig gewähren. Noch im Laufen warfen die Soldaten Waffen, Schilde und allen sonstigen Ballast von sich und wateten ungeachtet der eisigen Kälte knietief ins Wasser – von den Nachfolgenden vorwärtsgeschoben, konnten sie teils gar nicht anders. Alles hallte wider von Lachen, Schreien und aufspritzendem Wasser, und bald mußten sich die Ersten mit Muskelkrämpfen ans Ufer zurückschleppen.

Behutsam lenkte Mraeghdar sein Reittier die Böschung hinab und freute sich an dem heiteren Treiben, wiewohl er wußte: käme es jetzt zu einem feindlichen Angriff, wäre alles verloren. Im Stillen dankte er den Göttern, daß es Nacht war, verließ sich aber so wenig auf ihren trügerischen Schutz wie all die Nächte zuvor.

„Hraedlin! Hwyrdun! Hebt Wachen unter dem Reitervolk aus, wenigstens dreißig, zehn aus jedem Stamm. Postiert sie auf den Hügeln jenseits des Flusses. Und laßt sie die erste Runde unter sich auslosen, ehe sie sich die Schädel einschlagen. Danach sucht mich dort drüben, hangaufwärts, am Rand des Hains. – Askailandro, du bleibst bei mir!“

Nach einem Marsch wie dem heutigen hätte Mraeghdar es keinem Fußsoldaten zugemutet, Wache zu stehen. Mochten die Reiter murren, wie sie wollten: seinem Befehl, und kam er auch nur aus dem Mund seiner Leibgarde, würde sich keiner von ihnen widersetzen. Kein Bhyandir, kein Lugdhir, und schon gar kein Khyldir. Im Bewußtsein, das richtige angeordnet zu haben, ritt er schräg hangabwärts auf das seichte Uferwasser zu, gefolgt von seinem yildrischen Späher. Hraedlin und Hwyrdun dirigierten ihre Reittiere zwischen den einstweilen von ihren Jochen befreiten Ochsen hindurch, die ebenfalls zur Tränke geführt wurden, und waren bald außer Sichtweite.

Als er und Askailandro wenig später wieder heraufkamen, die Pferde an den Zügeln führend, zog mondlichtgetränkter Nebel milchige Schlieren durch die Niederung und verfing sich, Spinnweben gleich, in den ausgreifenden Ästen der Bäume. Mit dem Tau zog auch kühlere Luft herauf; eingebettet in den gedämpften Lärm der sich ringsum niederlassenden Heerschar hörte man das Aufeinanderklacken von Feuerstein und Schlageisen, und bald waren die Flußauen von Lagerfeuern übersät wie der schwarzblaue Nachthimmel von Sternen. Mraeghdar ließ Askailandro vorausgehen, und mit sicherem Schritt hielt der Yildhir auf die zuvor bezeichnete Stelle jenseits der Bäume zu, wo jetzt ebenfalls ein Feuer flackerte.

„Ihr da!“

Askailandro, der in früher Jugend zu den Vandrimar übergelaufen war, beherrschte deren Sprache bis zur Perfektion. Was er aber an Akzent beibehalten hatte, konnte in seiner Fremdartigkeit leicht als anmaßend, wenn nicht gar bedrohlich empfunden werden.

„Verschwindet! Platz dem Großkönig!“

Drei der um das Feuer herum versammelten Soldaten, insgesamt acht an der Zahl, sprangen sofort auf und griffen zu ihren Waffen. Zwei weitere wandten argwöhnisch den Kopf über die Schulter, als sie hinter sich die Stimme des Yildhir hörten, und ohne sich zunächst von ihren Sitzplätzen zu rühren. Erst als Mraeghdar selbst an Askailandro vorbei aus dem nächtlichen Hain trat, funkelnden Blickes, umtanzt von unstetem Licht, liefen sie alle aufgescheucht durcheinander, rafften ihre Sachen zusammen und hasteten davon, um irgendwo anders einen Platz zu suchen.

Wenig später fanden Hraedlin und Hwyrdun ihren Herrn neben dem Feuer auf seinen Fellen liegend, seitlich und mit angewinkelten Knien, die linke Hand um den Schwertknauf geschlossen. Als Kissen diente ihm der Sattel, auf dem er den ganzen Tag und die halbe Nacht hindurch geritten war. Die nackten Schultern hatte er in seinen Umhang gehüllt, und sein Atem hob stetig und langsam, mit der Gleichmäßigkeit des Tiefschlafs, die Brust unter dem ledernen Panzer.

Er erwachte im Morgengrauen. Vogelstimmen begrüßten den heraufdämmernden Tag. Was Mraeghdar aber vor allem wahrnahm, war Brandgeruch. Und es war nicht der Rauch des nurmehr leise vor sich hinglimmenden Lagerfeuers.

Alarmiert hob er den Kopf und stützte gleich darauf den ganzen Oberkörper auf dem rechten Ellbogen ab. Prüfend witterte er den Morgenwind. Kein Zweifel. Der von jenseits des Flusses herangetragene Geruch war ihm wohlbekannt und nur zu deutlich von dem des Feldfeuers unterscheidbar. Hellwach geworden, sprang der Großkönig auf und gürtete beide Schwerter.

Nicht weit von ihm ragte Hwyrduns breitschultrige Gestalt aus dem Halbdunkel. Er erkannte ihn an der blonden, frei über den Rücken fallenden Mähne. Die Arme vor der Brust verschränkt, was bei ihm gewöhnlich ein Zeichen äußerster Unruhe war, hielt er den Blick nach Osten gerichtet. Als er Mraeghdar die Waffen anlegen hörte, wandte er sich mit sichtlicher Erleichterung um.

„Dhwyrd sei Dank!“

„Warum hast du mich nicht geweckt, Dummkopf?“

„Ich wagte es nicht. Niemand hätte es gewagt, außer bei einem Angriff. Aber jenseits der Hügel....“

„Wo hat Hrudyn die Pferde angepflockt? Meinen Rappen, schnell!“

Aber die Garde hatte natürlich vorausgedacht, und so standen zwei der ausgeruhteren Pferde, wenn auch nicht der verlangte Rappe, an eine nahe Birke gebunden bereit. Kurz darauf kreuzten Mraeghdar und Hwyrdun auf ihren bis zur Brust einsinkenden Reittieren den Fluß, um dann einen der von Osten her das Tal begrenzenden Hänge hinauf zu galoppieren. Von unten, vom Ufer aus gesehen, zeichneten sich die unruhigen Silhouetten der berittenen Wachen vor der heraufglühenden Morgenröte ab. Im Näherkommen wurden Stimmen vernehmbar, und der Hufschlag hin und her trabender Rosse.

Dann sah Mraeghdar die Rauchsäulen.

Häßlich und schwarz quollen sie aus der Ebene, dräuend vor dem rosigen Saum des werdenden Tages. Er zählte sieben; da jedoch drei davon nur halb erkennbar waren, entzogen sich etliche weitere dem Blick womöglich ganz. Der Rauch begann sich, sobald er eine gewisse Höhe erreicht hatte, im Wind zu verteilen und auf die Flußauen und ihre Umgebung hin auszugreifen, wo der Geruch immer deutlicher wahrnehmbar wurde. Die Ausdehnung der Brandherde blieb indessen auf einen gerade noch einsehbaren Bereich im Südosten begrenzt – genau da, wo Mraeghdar das Siedlungsgebiet der Dyraktrim vermutete.

Hwyrduns Stimme riß ihn aus seinen Gedankengängen.

„Ob das der Grund dafür sein mag, daß die kydhrischen Angriffe so lange ausbleiben?“

Mraeghdar blickte ihn von der Seite her an.

„Stammeskriege, meinst du?“ Hwyrdun nickte, und nach kurzem Überlegen fuhr der Großkönig fort: „Gut möglich. Es muß wohl schon eine Zeitlang her sein, daß die Kydhrischen zuletzt übereinander herfielen.“

„Allerdings. Seit ich mit vierzehn Jahren als Lanzenträger in den Dienst des Königs getreten bin, haben sie es uns an Zuwendung nicht fehlen lassen.“

Einmal mehr konnte Mraeghdar nicht umhin zu bemerken, daß sein Leibwächter es tunlichst vermied, Yngmars Namen auszusprechen, geschweige denn ihn als seinen Vorgänger zu bezeichnen.

„Vermagst du dir vorzustellen, wie es andernfalls um die Einigkeit der Vandrimar bestellt wäre?“

Hwyrduns leicht verengte Augen ließen ein grimmiges Lächeln erahnen, als dessen Bestätigung der sich kräuselnde Schnurrbart gelten durfte.

„Siehst du? Jetzt sind sie es, die genau das gleiche Lehrstück benötigen. Von uns. Aber das ist der Lauf der Dinge.“ Mraeghdar brummte resigniert in sich hinein, ehe er sich wieder den unmittelbaren Anforderungen der sich vor ihm abzeichnenden Lage zuwandte. „Wo ist Hraedlin? Verliert euch nicht aus den Augen. Ruht euch aus, wenn ihr könnt, aber sorgt mir dafür, daß es nicht an Schildwachen fehlt, und daß sie die Brände im Auge behalten! Sobald das Gröbste vorbei ist, heben wir einen Erkundungstrupp aus und reiten in die Ebene, um nach Überlebenden zu suchen. Ich will im einzelnen wissen, was es mit den Feindseligkeiten auf sich hat.“

Es war um die Mittagszeit als Mraeghdar, begleitet von Askailandro mit vier seiner Untergebenen, sowie Hraedlin und zwanzig ausgewählten khyltrischen Reitern, an der immer noch von Rauchschwaden überhangenen Brandstätte eintraf. Lyghdar und zwölf seiner Berittenen, die beiden Leibgarden nicht eingerechnet, waren ebenfalls mitgekommen.

Was sie dort aber zu sehen bekamen, gab ihnen Rätsel auf. Nicht nur, daß sie keine Überlebenden fanden: sie fanden noch nicht einmal Tote, oder auch nur Spuren einer Kampfhandlung, wie zerhauene Waffen oder verschossene Pfeile.

Ungläubig suchten sie ihren Weg zwischen gänzlich abgebrannten, teilweise noch glimmenden Getreidefeldern hindurch. Sie hatten bereits einige Meilen zurückgelegt, als unvermittelt verkohlte Holzpfosten vor ihnen aus dem Boden ragten, gekrönt von dünnen, sich himmelwärts ringelnden Rauchspiralen: die Reste einer heruntergebrannten Siedlung. Schneewehen gleich, wirbelte weiße Asche darüber hin. Wortlos trabten sie weiter, auf einem Streifen nackter Erde, der bis zu vier Reitern nebeneinander Platz bot und bis gestern noch eine Dorfstraße gewesen sein mußte. Mraeghdar und Lyghdar ritten voraus, dicht gefolgt von Askailandro, den Blick unentwegt auf die Spuren am Boden gerichtet; Fußstapfen, Hufabdrücke und von Wagenrädern gefurchte Rillen bildeten ein ungleichmäßiges Muster, das umso dichter wurde, je näher sie dem gegenüberliegenden Rand der Ruinenstätte kamen.

Wo die Straße aus der einstigen Siedlung hinausführte, hielten sie an.

„Was bei allen Pforten der Hölle hat das zu bedeuten?“ brach Lyghdar endlich das allgemeine Schweigen.

Mraeghdar mußte vor sich selbst eingestehen, daß er ratlos war. Nur um sich nicht um eine Antwort verlegen zu zeigen, entgegnete er:

„Erinnerst du dich, was ich dir bei unserer letzten Siegesfeier gesagt habe? In Aedhwyns Zelt?“ Und auf die offensichtliche Verwirrung des Gefragten hin, half er seinem Gedächtnis auf die Sprünge: „Der Krieg ist nicht mehr, was er einmal war. Das habe ich dir gesagt. Noch nicht einmal der Krieg.“

Er ahnte nicht, wie recht er mit dieser Feststellung noch behalten sollte.

„Krieg?!“ Lyghdar blickte mißbilligend um sich. „Was hat das hier mit....“

„Askailandro“, rief Mraeghdar, „hast du vielleicht eine Ahnung, was hier vor sich geht?“

Seine kydhrische Herkunft half dem jungen Späher jedoch auch nicht weiter. Irgendetwas schien ihn zu beschämen; ob es das befremdliche Verhalten jener Steppenbewohner war, zu deren weitläufiger Verwandschaft er sich aus Sicht seines vandrischen Herrn zu bekennen hatte, oder sein eigenes Unvermögen, wenigstens eine Erklärung dafür zu finden, mußte dahingestellt bleiben. Stumm schüttelte er den Kopf und mied dabei jeglichen Blickkontakt.

Fluchend hielt Mraeghdar den nackten Arm vors Gesicht, um es vor einer heranwehenden Rauchfahne zu schützen. Indem er sich über die tränenden Augen wischte, befahl er, immer noch an den Späher gewandt:

„Du und deine Männer, verfolgt die Spuren. Findet heraus, wo das elende Pack sich verkrochen hat und ob es sich lohnt, sie zu verfolgen! – Alle anderen, zurück zum Lagerplatz!“

Mit den letzten Worten drückte er seinem Rappen die Fersen in die Flanken, und die Reiterschar bildete eine Gasse, um ihn vorausreiten zu lassen. Zurück blieben die vier Yildhrim unter der Führung von Askailandro, die unverzüglich und wie befohlen die Fährte aufnahmen.

Wie es sich herausstellte, führten die Spuren nirgendwo hin; denn sie führten, und das kam aufs Gleiche heraus, in alle Richtungen.

Askailandro und sein kleiner Spähtrupp kamen am späten Nachmittag zurück und fanden den Großkönig im Schatten der Flußauen vor, wo er eine Versammlung aller Heerführer einberufen hatte, der Könige samt ihrer Herzöge. Letztere bildeten einen Halbkreis. Mraeghdar selbst saß mit dem Rücken zum Stamm einer gewaltigen Weide, zwischen Lyghdar zur Linken und Aedhwyn zur Rechten, und hatte seine eigenen Leute genau gegenüber plaziert; die lugdrischen Fürsten schlossen Schulter an Schulter mit ihren khyltrischen Standesgenossen auf und vervollständigten den Halbkreis zur Seite ihres Königs hin, und in genau gleicher Weise hatten sich auch Aedhwyns Herzöge auf der anderen Seite niedergelassen. Mehr als sechzig Mann mochten so versammelt sein, einschließlich der Könige und ihrer Leibgarden.

Mraeghdar forderte unverzüglich die fällige Kundschaft ein. Aber alles was es zu berichten gab war, daß sich die Fährte nach wenigen Meilen zu zerstreuen begann: bald verzweigte sie sich nach links, bald nach rechts, wobei sich der überwiegende Teil des Trecks jedoch linkerhand, also in nördlicher oder nordöstlicher Richtung, abgesetzt zu haben schien, so Askailandro. Diese Nachricht bewirkte zunächst allseitiges Schweigen. Jedem der Anwesenden schien einzuleuchten, was sie mit größter Wahrscheinlichkeit zu bedeuten hatte: daß sich die Bewohner der heruntergebrannten Siedlung nämlich in mehrere kleine Züge aufgeteilt hatten, um die Kunde vom herannahenden vandrischen Heer zu verbreiten. Die Frage, die niemand aussprach, war: würden die Vandrimar nichts als niedergebrannte Felder und Wohnstätten vorfinden, wenn sie ins dyraktrische Stammesgebiet einfielen, oder würden sich ihnen die Bewohner schließlich doch in einer offenen Schlacht entgegenstellen? Dies, und auch darüber gab es keine Worte zu verlieren, hing zweifellos von der Unterstützung anderer Stämme ab. Wurde ihnen diese aber versagt, konnten einzig Streitigkeiten untereinander als Grund angenommen werden.

„Langsam machen mir die Kydhrischen wahrhaftig Sorgen.“ Es war Lyghdar, der als erstes den zu Ende gesponnenen Gedanken auf den Punkt brachte, nicht ohne seine gewohnt hämischen Bemerkungen. „Zuerst laufen sie uns davon, mitten im Kriegsjahr, und ziehen sich in ihr angestammtes Gebiet zurück wie ein geprügelter Hund unter den Tisch. Suchen wir sie, haben sie wiederum nichts besseres zu tun, als Hals über Kopf zu fliehen. Damit nicht genug, brennen sie zuvor noch ihre Ernte und ihre Häuser ab, die sie schon nicht verteidigen wollen. Und warum?“ Herausfordernd blitzte Lyghdar in die Runde. „Was meint ihr wohl? – Weil jede Verteidigung aussichtslos ist. Weil sie auf den Beistand ihrer Verbündeten angewiesen sind, und der wird ihnen offensichtlich nicht gewährt, aus welchem Grund auch immer. Kurzum: worauf warten wir noch? Der Weg für einen Plünderzug stand nie offener!“

Auf diese Worte hin hob unter den versammelten Herzögen ein lebhaftes Debattieren an. Schienen Lyghdars Worte im Allgemeinen auch Zustimmung zu finden, wollte doch jedes Für und Wider im Einzelnen abgewägt werden. Dann aber stand ein Herzog aus den Reihen der Bhyandrim auf und bat um Gehör. Solange er saß, hatte er sich seiner äußeren Erscheinung nach kaum von seinen Standesgenossen abgehoben. Jetzt wirkte er dafür umso ehrwürdiger: hochgewachsen und korpulent, trug er einen dichten, silbrig durchwirkten Bart, der ihm bis fast an die Gürtelspange reichte. Zweifellos war er betagt genug, sich in mehr Schlachten verdient gemacht zu haben als die meisten der übrigen Anwesenden, seinen König vielleicht ausgenommen.

„Sprich, Bhelundir!“

Mraeghdar selbst erteilte ihm das Wort. Aller Augen richteten sich auf Aedhwyns gestandenen Heerführer und blieben erwartungsvoll an ihm hängen. Nicht ohne sich zuvor dankend vor seinem Großkönig zu verneigen, rief Bhelundir mit seiner über die langen Jahre an der Mark brüchig gewordenen Stimme:

„Vandrische Krieger: wer unter euch, Khyldir oder Lugdhir, ist einst mit mir in Bryannars Gefolge gegen die Masgadhrim geritten? – Und wer unter euch Bhyandrim?“ fügte er an, indem er den Blick über seine um ihn her sitzenden Stammesgenossen schweifen ließ.

Insgesamt vier Hände erhoben sich, drei aus der Schar der Khyltrim und eine weitere dicht bei dem Sprechenden. Doch dabei blieb es keineswegs: Aedhwyn selbst nickte seinem Herzog einvernehmlich zu. Bhelundir schwellte stolz die Brust, wie einer, der sich einer eng verschworenen Gemeinschaft angehörig weiß.

„Wir fünf, ja. Wir und Aedhwyn, den ich seither meinen König nenne. Sonst ist keiner mehr am Leben, auch nicht von denen, die damals mit uns zurückkehrten.“

Dann richtete er sich an einen der drei khyltrischen Veteranen jenes so ruhmreichen wie blutigen Feldzugs, dessen bloße Erwähnung jüngere Krieger vor Ehrfurcht verstummen ließ: „Dhunmar, gedenkst du noch derer, die ihr Blut vergossen, allein um Bryannars Leichnam zurückzugewinnen? – Und du, Bhaldur“, wandte er sich an seinen bhyandrischen Mitstreiter, „hörst du noch die Schreie der Fallenden, als wir in den Marschen des Tainyr in einen Hinterhalt gerieten? Wie viele waren es, die wir sterbend oder unbestattet dem Feind überlassen mußten? Nacht für Nacht suchen sie mich heim, mit verdrehten Augen und zerrissenen Mündern, immer noch, nach all den Jahren. Wann werden sie endlich Ruhe finden? Zuweilen.... – Aber nicht darum habe ich das Wort erbeten.“ Bhelundir senkte die gefurchte Stirn und rieb die Nasenwurzel zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, ehe er erhobenen Hauptes fortfuhr: „Lyghdar von den Lugdhrim, Ehre und Ruhm seien mit ihm, deutet es als Zeichen von Schwäche und Uneinigkeit, daß der Feind seine eigenen Häuser und Felder niederbrennt. Und sicher würde ich seine Meinung teilen, erinnerte ich mich nicht an die Arglist der Masgadhrim damals, als Bryannar uns auf dem gleichen Weg wie jetzt Mraeghdar in die Steppe führte....“

„Mir scheint, ich hatte bereits den gleichen Gedanken.“, rief Aedhwyn in die versammelte Runde. „Hört Bhelundirs Bericht, und hört ihn aufmerksam!“

Der Herzog verneigte sich erneut, diesmal zu Aedhwyn hin.

„Ihr alle habt mit eigenen Augen gesehen“, nahm er seine Rede wieder auf, „wie das Land vom Dhrys an aussah. Mit frisch aufgefüllten Wasservorräten sind wir von seinen Ufern aus weitergezogen, und wie ihr wißt, taten wir gut daran: kein müdes Rinnsal haben wir gekreuzt, ehe wir den Bhryg erreichten, und keinen einzigen Brunnen bekamen wir weit und breit zu Gesicht. Das aber, versichere ich euch, ist das Werk der Masgadhrim, die bis in Bryannars Zeit mit ihren Viehherden das Gebiet zwischen den beiden Flüssen durchstreiften.“

An dieser Stelle hielt Bhelundir erneut inne. Er schien darauf zu warten, daß jemand anderes auf die von ihm nur vage umrissene Episode Bezug nahm und sie anhand eines genaueren Berichts bestätigte, oder vielleicht genoß er auch nur das allgemeine Erstaunen, das er mit seiner bisherigen Anspielung bewirkt hatte. Wie auch immer, meldete sich nach wenigen Augenblicken der Stille ein weiterer der khyltrischen Veteranen zu Wort, den der bhyandrische Herzog zuvor nicht beim Namen genannt hatte:

„Oh ja, ich erinnere mich sehr wohl. Die listigen Steppenfüchse, sie gruben auf ihrer Flucht die Quellen ab und schütteten die Brunnen zu, oder vergifteten sie....“

„....aber erst als sie annehmen durften, daß wir vor Durst halb wahnsinnig sein mußten. Du sagst es, Yrmin: die Masgadhrim brachten uns auf einer Länge von wenigstens vier Tagesmärschen um alles Wasser, was uns zuerst die Verfolgung erschwerte und später beinahe den Rückzug vereitelte. Ihre Rinder und Schafe trieben sie ohnehin vor sich her, aber dafür raubten wir, als wir den Bhryg einmal überquert hatten, die Kornvorräte der Dyraktrim aus, nebst ihren Viehbeständen. Die Erinnerung an jenen Krieg scheint den Kydhrischen nicht weniger tief verhaftet zu sein als uns, nach dem zu urteilen, was wir heute in der Ebene zu sehen bekommen haben....“

„Warte“, hakte Mraeghdar ein, „laß mich raten, worauf du hinauswillst! Während ihr die Masgadhrim vom Dhrys bis an den Bhryg verfolgtet, sorgten sie auf ihrer Flucht dafür, daß ihr kein Wasser hattet.“

Bhelundir nickte.

„Dann fielt ihr bei den Dyraktrim ein und nahmt ihnen, was ihr zuvor von den Masgadhrim nicht bekommen konntet, namentlich das Vieh, und dazu noch ihre Ernte.“

Bhelundir nickte erneut.

„Und die Absicht der Dyraktrim soll es jetzt sein, uns nach dem Vorbild der Masgadhrim zur Verfolgung durch ein bereits ausgeplündertes Gebiet zu nötigen.“

„Und uns somit durch Hunger zu schwächen“, befand der Herzog. „Genau das ist meine Befürchtung.“

Auf die Flußauen senkte sich der Abend herab. Von Westen her ergoß sich sonnengelbe Glut, statt des steilen, grellweißen Mittagslichts, und eine leichte Brise brachte Frische und Linderung; als sie durch das Laub strich, ging ein hundertfaches Flüstern über die Köpfe der Versammelten hinweg, was die erneut eingetretene Stille nur umso deutlicher hervorhob.

„Hat es euch allen die Sprache verschlagen, bei Dhwyrd?!“

Mraeghdars ungeduldige Stimme riß auch die Nachdenklichsten aus ihrer Selbstversunkenheit. Dabei wußte er auf Bhelundirs Einschätzung der gegenwärtigen Lage hin selbst nichts zu sagen, jedenfalls nicht unmittelbar, und daher auch seine Gereiztheit. Er war es nicht gewohnt, nach Worten suchen zu müssen, und schon gar nicht zweimal am gleichen Tag.

„Niemand mehr hat etwas zu sagen?“

Der Großkönig war jetzt aufgestanden und schritt angespannt vor den Herzögen auf und ab. Die Blicke, mit denen er sie dabei bedachte, waren vernichtend. Schließlich knurrte er mit seitwärts geschraubtem Kopf:

„Die Versammlung ist beendet!“

Zu schnell verließ er in Begleitung seiner Leibgarden den Versammlungsplatz, um noch sehen zu können, daß sich aus den Reihen der Khyltrim zögerlich eine Hand heben wollte. Sie gehörte dem vierten der von Bhelundir aufgerufenen Veteranen, und was er sagen wollte, blieb vorläufig ebenso unausgesprochen wie sein Name.

Der Gott des Zwielichts

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