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6 – Arschgeweih

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Nickis Plan war einfach, aber durchdacht. Hinter die Lösung des ersten Rätsels zu kommen sollte ihr aufgrund der ihr von der Natur verliehenen Vorzüge nicht allzu schwer fallen. Den Chef der Security-T-Shirt-Träger hatte sie schnell ausgemacht. Es war ein einheimischer, kräftig gebauter kopfhaarloser Mitvierziger namens Miguel. Trotz leichtem Bauchansatz nicht unattraktiv. Von ihm sollte sie leicht in Erfahrung bringen können, wie sich das mit den Videokameras tatsächlich verhielt. Es kostete sie kaum ein Lächeln, um von einem anderen Angestellten zu erfahren, wann Miguels Feierabend war.

In den bis dahin verbleibenden drei Stunden telefonierte sie nochmals mit Peters Eltern, die zum jetzigen Zeitpunkt keine Hilfe von den deutschen Behörden erhalten konnten. Peter war erst seit zu kurzer Zeit verschwunden und man hatte keinen Anhaltspunkt an dem man ansetzen konnte. Gäbe es eine politisch motivierte Entführung mit Lösegeldforderung oder der Forderung inhaftierte Gefangene freizulassen, hätte das Auswärtige Amt einen Ansatzpunkt für Verhandlungen gehabt. Aber so müsse man zum jetzigen Zeitpunkt abwarten. Etwas anderes hatte sie von den Behörden nicht erwartet. Dennoch, obwohl sie selbst wahrscheinlich noch verzweifelter war, versuchte sie seine Eltern zu trösten und Hoffnung zu verbreiten. Denn noch war wirklich alles möglich.

„Selbst ist die Frau“, sagte sich Nicki, zog sich nach dem Duschen eine sehr kurze, verwaschene, hellblaue Jeans und ein dünnes weisses, im Gegenlicht leicht durchsichtiges T-Shirt an. Auf einen BH verzichtete sie bewusst - weniger ist manchmal mehr. Sie wusste, dass ihr die meisten Männer so aus der Hand fressen würden. Wie einfach gestrickt und berechenbar sie doch zumeist waren – zum Glück. Auch Miguel würde da keine Ausnahme sein. Allerdings wusste sie, dass es den Angestellten untersagt war, etwas mit den Gästen anzufangen, deshalb durfte sie sich nicht allzu plump anstellen.

Nicki setzte sich mit ihrer Zeitschrift bewaffnet auf eine Mauer und positionierte sich so, dass Miguel nach der Schichtübergabe an ihr vorbei kommen musste. Als sie scheinbar gedankenverloren aufstand, stolperte sie, kurz bevor er sich auf ihrer Höhe befand, geplant zufällig. Als ungeübte Absichts-Stolperin wurde der Sturz tatsächlich echter als vorhergesehen und sie schlug sich das Knie auf. Eine Meisterleistung. Immerhin wurde Miguels Helfer-Gen beim Anblick einer schönen Frau in Not vollautomatisch aktiviert. Er half Nicki aufzustehen, als sie mit echtem Schmerz verzerrtem Gesicht auf dem Boden sass. Super!, dachte sie. Da muss ich jetzt nicht mal mehr schauspielern.

Der Security-Mann brachte sie schnell in den nahe gelegenen Aufenthaltsraum für Angestellte und versorgte sie mit Desinfektionsspray und einem Pflaster aus dem Verbandskasten. Um den Sitz des Pflasters zu prüfen und um es noch einmal fest zu drücken, beugte sie sich nach vorn und gab dadurch für einen kurzen Moment den Blick auf ihre zwei prachtvollen wohl proportionierten Erste-Klasse-Brüste frei. Der arme Miguel konnte eigentlich gar nicht vorbei sehen. Und selbst wenn er es gewollt hätte und sich verschämt zur Seite gewandt hätte, wofür es in seinen Augen keinen Grund gab, wäre dies eine äusserst seltene und deshalb denkwürdige männliche Willensbezeugung gewesen. So jedoch musste er sich, wie es den meisten seiner Geschlechtsgenossen gegangen wäre, zwingen, den Blick nach einer kurzen Zeit wieder abzuwenden, um eine peinliche Situation zu vermeiden. Nickis kurzer Blick zeigte ihm jedoch eindeutig, dass er ertappt worden war.

Geistesgegenwärtig versuchte er von dieser Situation abzulenken und fragte Nicki ob es nicht sie wäre, die ihren Freund sucht, es wurde unter den Angestellten erzählt und zudem hätte der Direktor es an einem kurzen Meeting so halb nebenbei erwähnt. Sie bejahte dies und ergänzte, dass der Direktor ihr die volle Unterstützung zugesagt hatte und sie sogar schon persönlich zur Polizei gefahren hätte. Gleichzeitig zeigte sie auf eine in Sichtweite des Eingangs gelegene Überwachungskamera.

„Nehmen die alles auf? Wie lange bleiben die Bilder denn gespeichert?“

Aha, daher wehte also der Wind. Miguel hätte also gewarnt sein müssen. Doch der Testosteronschub überflutete jegliche Warnlämpchen und stülpte ihnen eine Mütze darüber.

„Die Anlage ist relativ neu und wir sind noch am Testen,“

hörte sie als Antwort. Diesen Satz hatte sie vom Direktor schon zu hören bekommen. Gerade, als sie sich darüber Gedanken machen wollte, ob Miguel etwa auch nicht zu trauen sei, fügte er hinzu:

„Aber wir zeichnen schon seit über zwei Wochen auf. Ab morgen wollten wir anfangen die ersten Tage wieder zu überschreiben. Geplant ist, immer die letzten zwei Wochen aufgezeichnet zu haben, so dass mindestens ein typischer kompletter Urlaub gespeichert ist. Dies haben wir so definiert, damit im Falle eines Diebstahls die ganze Periode in der ein Gast hier ist, überprüft werden kann. Die Anlage soll zur Sicherheit der Gäste und auch des Personals eingesetzt werden – falls einmal ein Angestellter ungerechtfertigter Weise des Diebstahls bezichtigt wird. Natürlich gibt es immer noch genug tote Winkel…“

„Können wir diese Bilder gleich ansehen?“ fragte Nicki mit einer sehr gekonnt eingesetzten Mimik, der sich Miguel kaum entziehen konnte. Warum Frauen nur diese Macht besassen?

„Eigentlich dürfen Gäste diesen Raum überhaupt nicht sehen. Aber wenn der Direktor Ihnen die volle Unterstützung zugesagt hat und Sie sogar persönlich zur Polizei gefahren hat, dann hat er bestimmt nichts dagegen“.

Das hatte Miguel sich schön zurecht gelegt und er sagte es mehr zu sich, um sich vor sich selbst zu rechtfertigen, denn er wusste genau, dass er gegen eine Hausregel verstiess und damit Gefahr lief, seinen Job zu verlieren. Nicki vermied es hingegen zu erwähnen, dass der Direktor behauptet hatte, es gäbe keine Aufzeichnungen.

Miguel entschuldigte sich für einen Moment, um zu Hause Bescheid zu geben, dass er noch vom Direktor aufgehalten wurde und nicht wusste, wie spät es werden konnte. Es konnte aber lange gehen. Das Zeitfenster hatte er bewusst offen gelassen, man wusste ja nie, ob man darauf angewiesen war und Nicki hatte irgendwie den Jagdinstinkt in ihm geweckt. Die Frage, um welchen Jagdinstinkt es sich hierbei handelte, den zur Lösung des Falles 'verschwundener Peter' oder den der kurzfristigen Eroberung von Nicki, hätte er wohl nicht so einfach beantworten können.

Kurz darauf gingen sie in den Technikraum. Dieser war nur einige Schritte entfernt und hatte den Namen nur zum Teil verdient. Das Türschloss war modern und sicher schwer zu knacken, das Fenster war vergittert, also ebenfalls ohne grobes Werkzeug unbezwingbar. Nicki beglückwünschte sich insgeheim, diesen Weg gewählt zu haben. Innen befanden sich eine Neonröhre an der Decke, die einige Zeit flackerte und sich schliesslich doch noch entschied, anzuspringen, eine surrende Klimaanlage oben an der Wand zum Schutz der Technik vor Hitze und ein Regal mit einem Server, der wohl für die verschiedenen Computer-Terminals war. Letzteres vermutete Nicki aber nur, denn so gut kannte sie sich auf diesem Gebiet nicht aus. Weiter befand sich auf einem Tisch ein Computer in dem ein paar Kabel steckten, welche von einem schwarzen Kästchen kamen.

„Hier laufen die Daten der Überwachungskameras zusammen,“

befleissigte sich Miguel zu sagen. Er nahm ein Faltblatt in die Hand das Nicki als seine persönliche Bedienungsanleitung identifizierte, vermutlich eine Mitschrift aus einer erst kürzlich erhaltenen Schulung.

„Die Daten landen hier auf der Festplatte, welche auch noch längere Zeiträume aufzeichnen könnte. Ich weiss gar nicht, ob der Chef weiss, dass ich das schon alles gespeichert habe. Die Live-Bilder kann man von den anderen Terminals auch sehen, aber um das gespeicherte wieder abzurufen braucht es ein Login und ein Passwort“.

Er zeigte auf seine Anleitung und war sichtlich stolz auf sein Herrschaftswissen.

Nicki beugte sich pflichtbewusst und interessiert nach vorne. Zum einen um eventuell die Zugangsdaten zu erspähen und zum anderen, um Miguel vorsichtshalber noch einmal einen kurzen Blick auf die göttlichen Rundungen in ihrem Ausschnitt zu gewähren. Als Zückerchen und Motivationsspritze sozusagen. Sicher ist sicher. Der Login war denn auch denkbar einfach zu merken. Solche Passwörter werden in der heutigen Zeit von den IT-Systemen kaum noch akzeptiert. Als Login den Hotelnamen zu verwenden ging ja noch, aber dann als Passwort 'Miguel' zu einzusetzen, war nicht wirklich kreativ. Aber warum sollte man nicht auch mal Glück haben, dachte sie.

„So, wir sind drin,“

vernahm sie. Da sage mal einer, Männer wären nicht Multitasking fähig. Er konnte sich gleichzeitig einloggen und ihr in den Ausschnitt linsen. Guter Mann.

„Hier haben wir das jeweilige Datum und hier alle zwanzig Kameras. Damit wir nicht ewig brauchen, kann ich die Bilder aller Kameras auf einmal in kleinen Fenstern einblenden. Ist zwar etwas klein, aber man spart viel Zeit. So, wonach suchen wir?“

Ganz offensichtlich wollte er als Security-Vollprofi bei Nicki punkten und sie liess ihn selbstverständlich gewähren und versuchte ein staunend-bewunderndes Gesicht aufzusetzen.

„Es war an unserem fünften Tag hier. Donnerstag, kurz vor zwölf Uhr. Am Pool.“

Miguel brauchte mehrere Versuche, um die entsprechenden Einstellungen vorzunehmen. Schon befürchtete er, dass Nicki an seiner Professionalität zweifeln könnte, als der Bildschirm das Wunschergebnis anzeigte. Sie quittierte das mit einem:

„Schau Miguel, hier ist er. Da sind wir am Pool.“

Er nahm wohlwollend zur Kenntnis, dass Nicki ihn beim Vornamen nannte und duzte. Allem Anschein nach schien es nicht schlecht für ihn zu laufen. Auch wenn die Umstände dafür seltsam waren. 'Mal sehen was da noch ging', dachte er. Sie beobachteten beide, wie Peter nach dem Streit verärgert von dannen zog. Und zwar eindeutig in Richtung Strand. Nicki wollte Miguel schon bitten, die Bilder schneller abzuspielen, als sie die Urheberin ihres Streits, Arschgeweih-Tussi in persona, ebenfalls zielstrebig in Richtung Strand gehen sah. Und zwar nicht wie jemand der in den Ferien war und eh nichts zu tun hatte, sondern wie jemand der ganz genau wusste, wohin er ging. Und es sah sogar so aus als folgte sie Peter oder als wollte sie ihn nicht aus den Augen verlieren. Bildete Nicki sich das nur ein?

„Miguel, du als Security-Profi. Was meinst du zu der da?“

und zeigte auf die Erscheinung mit dem Stempel über dem Hintern.

„Lass das doch noch mal laufen.“

Miguel musste sich eingestehen, dass er sie ziemlich attraktiv fand. Auch die Tätowierung störte ihn keineswegs. Über so etwas hatte er sich noch nie Gedanken gemacht. Eher darüber, ob diese Brüste wohl echt waren? Auf den ersten Blick waren sie gut, fast zu gut um echt zu sein. Irgendetwas liess sie unnatürlich wirken. Waren es die Gesetze der Schwerkraft? Aber vermutlich wollte seine Gesprächspartnerin sich nicht darüber unterhalten. Und deren Brüste sahen im Vergleich dazu so was von echt aus – das musste ja fast bedeuten ja, dass die anderen nicht echt waren. Aber egal. Zwischenzeitlich hatte er den Film ein wenig zurückgedreht und konzentrierte sich auf Nickis Frage an ihn, den Security-Profi. Schmeichelhaft. Ihm fiel das Gleiche auf. Sie schlenderte nicht an den Strand, sie hatte es eilig und vor allem hatte sie Peter im Visier. Bewaffnet war sie mit einer grossen weissen Paris-Hilton-Sonnenbrille und einem offenen Plastik-Korb durch dessen Geflecht ein Hotelhandtuch, Sonnencreme, zwei 0.5 Liter Isostar-Flaschen und eine Frauenzeitschrift zu erkennen waren. Der Detektiv im Miguel rührte sich. Er hielt den Film an, zoomte das Bild heran und punktete damit, dass man nun erkennen konnte, was für eine Zeitschrift das war, die da oben auf lag. Die deutsche Ausgabe der Vogue. CSI Miami auf der Insel. Vielleicht war diese Info ja mal noch nützlich. Jetzt liess er den Film weiterlaufen, bis Peter und das Arschgeweih aus dem Bild liefen. Dann liess er den Film wieder schneller laufen und sie konzentrierten sich beide darauf, Peter und die Unbekannte wieder in einem der zwanzig parallel laufenden Filme zu erkennen. Ihr Hauptaugenmerk richteten sie selbstverständlich auf die Kamera, die den Rückweg vom Strand filmte. Sie sahen auch Nicki, die in Richtung Strand ging, um gleich darauf wieder mit Peters Handtuch zurück zu kommen. Da es eigentlich nur diesen Weg zurück zum Hotel gab, mussten theoretisch alle denselben Rückweg benutzen. Wer dies nicht tat, musste über das Nachbarhotel einen beträchtlichen Umweg in Kauf nehmen und das Hotel wieder von vorne durch den Haupteingang betreten oder in ein Boot steigen. Weder Peter noch die Paris-Hilton-Sonnenbrille mit ihrem tiefergelegten Abzeichen kehrten vom Strand zurück.

Nicki fragte sich, was sie nun für Schlüsse daraus ziehen konnte. War Peter etwa doch ein Riesenarschloch und vergnügte sich fröhlich vor sich hin in einem anderen Hotel? Wenn dem so war und ihre Menschenkenntnis tatsächlich nicht zu gebrauchen war, konnte sie sich schon mal in einem Kloster anmelden. Aber noch glaubte sie an sich und ihre Fähigkeiten, andere Menschen einzuschätzen. Folglich machte sich diese in ihren Augen blöde, aufreizende verdächtige Kuh noch verdächtiger.

Miguel sah derweil andere Probleme auf sich zukommen. Er hatte seine Frau angeflunkert – belogen wäre ein wenig übertrieben, da er ja tatsächlich für einen Hotelgast ermittelte – in der Hoffnung er könnte anderweitig von der Situation profitieren. Investitionen sollten sich schliesslich rentieren. Stattdessen hatte er zwar zweimal schöne Einblicke gehabt, aber die Zeit lief ihm davon. Er lief nun Gefahr, seine Frau zu verärgern und an dieser Stelle dennoch leer auszugehen. Also doppelter Mist. Arschkarte. Andererseits war ihm Nicki auch sympathisch und sie war ja tatsächlich in Not. Als er seinen Jagdtrieb mit einiger Anstrengung übersteuern konnte spürte er, dass er ihr gerne half. Er fühlte, dass sie einem Verbrechen auf der Spur sein könnten. Und so fand er sich damit ab, das ganze restliche aufgezeichnete Material auch noch sichten zu müssen.

Und das Fleisch ist wach

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