Читать книгу Und das Fleisch ist wach - Joachim Schrott - Страница 9
5 – Nicht alleine
ОглавлениеEin Schlüssel drehte sich in der Türe, die Türklinke wurde hinuntergedrückt und langsam wurde die Türe aufgestossen. Für Peter sollte sein Leiden endlich ein Gesicht bekommen. Er wollte endlich sehen, wer die Peiniger waren, die ihn im wahrsten Sinne des Wortes ans Bett fesselten. Was er mit dieser Information dann anfangen sollte war ihm auch noch nicht klar. Aber ein konkretes Feindbild zu haben, konnte bestimmt nicht schaden.
Eins nach dem anderen, dachte er sich und versuchte sich schlafend zu stellen. Manchmal ergeben sich die Dinge von alleine. Durch den schmalen Augenschlitz konnte er leider nicht richtig scharf sehen. Er konnte jedoch gut erkennen, dass eine Krankenschwester hereintrat. Eher klein und fest als gross und schlank. Gekleidet ganz in weiss wie momentan alles in seiner Umgebung. Noch dazu mit einem Häubchen auf dem Kopf wie in den 50er-Jahre-Filmen. Fehlte nur noch, dass sie schwarz-weiss war. Wo er war hier nur gelandet? An Zeitmaschinen glaubte er bislang nicht ernsthaft. Allerdings hätte er es auch nicht geglaubt, wenn ihm jemand erzählt hätte, dass er diese Geschichte erleben würde. Er blieb vorsichtig und traute sich nicht, die Augen weiter zu öffnen. So konnte er auf den ersten gewagten Blick hin, leider nicht mehr erkennen.
Die Schwester sah auf den Apparat mit dem Bildschirm, dessen Piepsen ja eigentlich akustisch einen nicht angeschnallten Auto-Insassen warnen sollte. Da alle Anwesenden wussten, dass man kaum besser angeschnallt sein konnte als Peter, musste dieser Lärm offensichtlich noch etwas anderes anzeigen. Als sie auf die Infusion sah, erkannte sie das Problem sofort, zog Peters Decke beiseite und bemerkte, dass ihr Patient aus irgendeinem Grund halb verdreht auf dem Schlauch lag. Vorsichtig zog sie den Schlauch hervor und stellte befriedigt fest, dass der Durchfluss wieder gewährleistet war. Peter rechnete deshalb damit, jeden Moment wieder ins Tal der Träume entschwinden zu müssen. Doch es geschah nichts dergleichen.
Offensichtlich hatte man vergessen, diesen Knopf des Registers zu drücken. Als die Schwester seine Decke wieder zurecht gerückt hatte, öffnete er aus einer spontanen Eingebung heraus die Augen und fragte - unüberlegter Weise auf Deutsch:
„Wo bin ich? Was ist passiert? Wer sind Sie?“
Überrascht hatte er mit dieser spontanen Aktion alle beide. Sie, weil sie dachte, dass er tief schläft und ihn, weil er seine Stimme nicht wieder erkannt hatte. Dass er krächzte hatte er zuvor bei seiner Ruferei schon festgestellt, war aber noch nicht dazu gekommen, sich darüber Gedanken zu machen. Die Stimme war um einiges höher als sonst. Fast so, als hätte er einen tiefen Zug aus einem Heliumballon genommen. Mit inzwischen ganz geöffneten Augen konnte er wieder scharf sehen, was ihm jedoch nichts half. Denn auch eine optisch scharf gestellte Krankenschwester musste noch lange nicht scharf aussehen. Eher das Gegenteil war der Fall, sie war etwas klein geraten und wohl etwas zu schwer für ihre Grösse, aber irgendwie nicht unattraktiv. Er stellte sie sich recht behende und quirlig vor. Ein Energiebündel das alles andere als böse aussah. Ihr Gesicht war sogar freundlich und sympathisch und passte somit nicht wirklich an diesen ungastlichen Ort. Hastig, fast panikartig verliess die Schwester den Raum und schloss diesen schnell und deutlich hörbar von aussen wieder ab. Dies, ohne sich umzudrehen und ohne ein Wort zu sagen.
Sie hinterliess einen verdutzten Peter, dessen Stimme ihn wohl wesentlich mehr überraschte als sie und ihm beträchtliche Sorgen bereitete. Sie klang für ihn wie die Stimme eines fremden Mannes. Peter, der sich inzwischen selbst einige Wörter aufsagte, nur um seine merkwürdige Stimme erneut zu hören, hatte nun Zeit, darüber nachzudenken. Er wusste nicht so richtig, was er davon halten sollte. Er dachte lange über eine logische Erklärung nach. Und auch nach weiteren Sprachübungen und sogar einer kleinen Gesangseinlage glaubte er die Stimme noch immer nicht als die seine zu erkennen. Es klang ein wenig nach Stimmbruch, wie in der Pubertät. Eine Folge eines medizinischen Eingriffs? Manipulierte Stimmbänder, Medikamente? Vorsichtshalber wollte er das vorerst nicht zu Ende denken.
Seine erste Idee mit dem abgeklemmten Schlauch war somit nur mässig erfolgreich gewesen. Als neue Erkenntnis hatte er lediglich, dass seine Stimme wie die eines Teenagers klang und dass er in den 50er Jahren gelandet war. Nicht wirklich hilfreich. Und einen DeLorean als Zeitmaschine wie in den Back-to-the-Future-Filmen hatte er auch nirgends gesehen.
Der nächste Geistesblitz folgte sogleich und sollte ihm nun helfen herauszufinden, wie lange er schon verschwunden war. Da er als vermeintlich vor Testosteron strotzender Mann einen kräftigen Bartwuchs hatte, musste er also lediglich seinen Kopf in Richtung Brust klappen und ihn mit dem Kinn auf der Haut hin und her reiben. Es kostete ihn viel Kraft, den gefühlt fünfzig Kilogramm schweren Schädel in Richtung einstiger Heldenbrust zu bewegen. Und es bescherte ihm nahezu zeitgleich vor Anstrengung die schon bekannten wie Nadeln stechenden Kopfschmerzen. Die Belohnung dieser Qual war die Erkenntnis, dass er offensichtlich erst kürzlich rasiert worden war - und zwar an Kinn UND Brust und dass er entweder einen dicken Hals oder ein leichtes Doppelkinn bekommen hatte. Irgendwie passte einfach überhaupt nichts zusammen.
Jeden Moment rechnete er damit, dass das leise Klicken ihn vom Schmieden weiterer Pläne abhalten würde. Stattdessen schlief er während des Wartens auf Geistesblitz Nummer drei nach einer Weile ohne jegliche Einwirkung von aussen ein. Wundern darüber konnte er sich also nicht.