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2 – Abhanden gekommen

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Nicki war langsam aber sicher stinksauer. Da hatte sie sich wochen- sogar monatelang mit diesem eingebildeten, zugegebenermassen gut aussehenden Schürzenjäger abgegeben, hatte versucht ihn zu einem anständigen und brauchbaren Mann zu formen und war sogar geneigt, ihn als Erzeuger ihrer künftigen Kinder in Betracht zu ziehen. Zuerst hatte sie ihn als oberflächlichen Weiberhelden eingeschätzt, denn das war auch das was man über ihn erzählte. Aber sie wollte es genau wissen, wollte unter die Oberfläche sehen und gab ihm eine Chance. Und siehe da, der Weiberheld war einsichtig und formbar - ein gelehriger Schüler. Offensichtlich hatte sie die richtigen Knöpfe gedrückt, denn zum Erstaunen aller informierten Freundinnen entwickelte er sich prächtig - so wie sie es sich vorgestellt hatte. Und jetzt, quasi während sie im Urlaub die Ernte einfahren wollte, auch um weitere Zukunftspläne zu schmieden, taucht er im dümmsten Moment ab. Sie war mehr als wütend, sie kochte und brodelte innerlich und dennoch fragte sie sich, ob sie sich Sorgen machen musste? Würde Peter wirklich einfach so verschwinden? Mitten im Urlaub? Auf einer Insel? Würde er so etwas wirklich tun? Streit hin oder her?

Nicki dachte nach. Die letzten vier Tage verliefen eigentlich so, wie sie sich es vorgestellt hatte. Wie sie beide es sich vorgestellt hatten. Nachdem das Flugzeug endlich gelandet war und der Bus sie nach einer über einstündigen Fahrt zum Glück im richtigen Hotel abgeliefert hatte, ging der Urlaub richtig los. Das Wetter war prächtig, blauer Himmel und Sonne satt. Es war heiss, aber nicht so heiss, dass man keine Lust mehr hatte, sich zu bewegen. Zudem hatten der Pool und das Meer genau die richtige Temperatur. Nicht einmal Stechmücken, Quallen oder schlechtes Essen beeinträchtigten ihre Erholung. Nach dem Frühstück gingen sie für gewöhnlich wieder auf ihr Zimmer und bereiteten sich auf das Nichtstun vor. Diese Vorbereitung bestand hauptsächlich aus einer gewissenhaften Sonnenbrandprävention, bei der sie sich gegenseitig eincremten. Bis heute hatten sie diese Aktion noch nie beenden können, ohne ihre noch glänzenden Körper aneinander und ineinander zu reiben. Zu anziehend waren ihre ausgezogenen Körper.

Alles schien perfekt zu sein. Sie hatten sich in den letzten Wochen gut aneinander gewöhnt, waren zu einem eingespielten Team geworden und wollten das Zusammensein im ersten gemeinsamen Urlaub so richtig auskosten. Es sich gut gehen lassen, denn sie arbeiteten beide viel und hart und hatten sich diese gemeinsame Belohnung redlich verdient.

Dafür bestens geeignet schien dieses Fünf-Sterne-All-Inclusive Hotel in dem man jederzeit mit allem versorgt war. Ein traumhafter Blick aufs Meer, keine oder kaum Kinder im Hotel, Essen und Trinken wann und so viel man mochte. Einfach an nichts denken müssen, die Zeit geniessen. Essen, Trinken, Sex, Strand, Baden – das waren die fünf bevorzugten Handlungen, die sich je nach Lust und Laune auch noch miteinander kombinieren liessen. Dafür standen in ihren Augen auch die fünf Sterne. Und jeder dieser Sterne war bis dahin verdient. Das einzige an das sie nicht gedacht hatten war, dass sie aufgrund ihrer Jobs bisher noch nie länger als zwei Tage am Stück zusammen waren. Und am Morgen des fünften Tages, beide hatten aufgrund der nicht zu vernachlässigenden Menge konsumierten Alkohols vorsichtshalber schon mal ein Aspirin eingeworfen, war es endlich so weit: Sie gerieten zum ersten Mal aneinander. Peter funktionierte im restalkoholisierten Zustand verständlicherweise noch etwas langsam, gezeichnet von der vergangenen Nacht mit Discobesuch und gleich zwei anstrengenden aber befriedigenden Sessions im Bett. Er schaute dieser provozierend vorbeiwandelnden blonden Arschgeweih-Tussi etwas zu lange und zu wenig unauffällig hinterher und fing sich umgehend einen bösen Blick von Nicki ein:

„Frag sie doch gleich noch nach ihrer Handy-Nummer“,

motzte sie.

„Meinst du, das hat sie in den Ferien dabei?“,

war dann auch nicht ganz die passende Antwort, um den aufkommenden Sturm im Keim zu ersticken. Dabei hatte er nur etwas gedankenverloren studiert, ob die soeben vorbeigewandelten Brüste echt waren oder mit Silikon aufgepimpt wurden. Nur so aus Interesse, quasi aus der analysierenden Sicht des interessierten Technikers. Er hielt sich für einen Experten auf diesem Gebiet und glaubte an den Wippbewegungen erkennen zu können, ob Brüste echt waren oder eben nicht. Aber bevor er sich ein abschliessendes Urteil erlauben konnte, war der erste Streit lanciert. Dieser endete knapp sieben Minuten später damit, dass Peter aufgrund einer mangelnden Verteidigungsstrategie beleidigt sein Handtuch nahm und mit einer Autozeitschrift unterm Arm in Richtung Strand verschwand. Nicki, die demonstrativ in ihre Frauenzeitschrift starrte, liess er am Pool liegen.

Eigentlich dachte Nicki, dass er nach spätestens einer Stunde wieder am Pool stünde. Viele Gründe sprachen dafür. Peter musste noch einen Brand von gestern haben und war sicher ziemlich durstig, ausserdem hatte er sicher bald Hunger, denn um diese Zeit gaben sie sich normalerweise dem Nachmittags-Snack hin, gefolgt von den ersten Drinks des Tages und einem kleinen Quickie auf dem Hotelzimmer. Eine alte viertägige Tradition, die er nicht einfach so aufgeben würde. Zudem benötigte er bald wieder Sonnencreme, ansonsten würde er ziemlich schnell einen Sonnenbrand bekommen. Dass sich Peter nach knapp zwei Stunden noch nicht blicken liess, machte sie noch wütender. Messerscharf kombinierte sie, dass er sich von irgendwoher Sonnencreme für seinen Luxuskörper organisiert haben musste. Und Peter wäre nicht Peter, wenn er hier nicht die für ihn beste und bequemste Variante wählen würde. Diese hatte im Idealfall lange Beine, zwei Brüste und einen geilen Arsch und würde sich netterweise bereit erklären, ihm den Rücken einzucremen. Womöglich war es sogar das Arschgeweih mit den noch nicht zweifelsfrei identifizierten Brüsten. Diese Gedankenspiele liessen Nicki vor Wut fast platzen.

„Aber nicht mit mir, Junge“.

Diesem Gedanken musste nachgegangen werden und so machte sich Nicki auf in Richtung Strand, um Spuren und Beweise zu sammeln. Der Strandbereich für das Hotel war abgetrennt, so dass sie wusste, wo sie suchen musste. Es kam eigentlich nur ein Strandabschnitt von ungefähr zweihundert Metern in Frage. Deshalb ging es auch nicht lange bis sie sein Handtuch entdeckte. Es lag einfach am Strand - in der prallen Sonne, obwohl es noch freie Sonnenschirme gab. Komisch, dachte sie. Das Handtuch war zwar nicht einzigartig, aber in Kombination mit der darauf liegenden Autozeitschrift gab es keine Zweifel. Allerdings lagen Badetuch und Zeitschrift alleine da. Ohne Peter mit seinem Geniesser-Gesichtsausdruck und ohne weitere Accessoires wie darauf drapierte Brüste mit Arsch – mit oder ohne Geweih. Im Wasser konnte sie ihn auch nicht entdecken. So blieb Nicki nichts anderes übrig, als ihn auf der Toilette, im Hotelzimmer oder, im allerschlimmsten Fall, in einem anderen Hotelzimmer zu vermuten. Vorsichtshalber nahm sie das Handtuch mal mit.

Hauptsächlich um ihm eins auszuwischen. Ausserdem würde er ohne Handtuch eh bald zurückkommen. Immer noch wütend ass sie zwei Stücke Kuchen und gönnte sich hinterher die erste Whisky Cola. Zum Abendessen würde er allerspätestens wieder auftauchen und dann müsse man mal sehen, was er für eine Ausrede auf Lager hatte. Die Zeit bis dahin verging rasch, zwei weitere Whisky Cola waren ebenfalls rasch vernichtet, doch Peter liess sich noch immer nicht blicken. Nicki überlegte. Sie waren schliesslich auf einer Insel, sehr weit konnte er also nicht sein. Er würde auch beim Rückflug neben ihr sitzen müssen, egal was bis dahin passierte. Würde er wirklich so etwas tun? Etwas später ging sie alleine zum Abendessen. Lustlos bediente sie sich am Buffet, trank aus Frust etwas zu viel Wein und wankte danach durch die Lobby des Hotels zum Lift, fuhr in den dritten Stock und steuerte auf das als Liebesnest gedachte Meerblick-Zimmer zu, in der Hoffnung nun dort endlich auf Peter zu treffen und ihm ordentlich die Meinung geigen zu können. Mit Unterstützung des Alkohols hatte sie sich ein gewaltiges Plädoyer zurechtgelegt.

Als sie ihren Blick durch das grosszügige Zimmer schweifen liess, stellte Nicki schnell fest, dass Peter noch nicht wieder zurück war. Die Klimaanlage lief auf Hochtouren und hatte den Raum spürbar heruntergekühlt. Die beiden Sessel standen noch genau gleich, Peters Klamotten vom Vortag lagen immer noch akkurat vom Zimmermädchen zusammengelegt auf dem Bett und sogar der Fernseher hatte noch den gleichen Kanal gespeichert. Das wusste sie genau, da sie ihn ausgeschaltet hatte. Wäre Peter hier gewesen, hätte er bestimmt einmal durch die Kanäle gezappt und wäre wohl nicht in diesem Sender hängen geblieben. Es lag also alles noch genauso da, wie sie es gemeinsam nach dem Frühstück zurückgelassen hatten. Als sie sich kurz darauf fluchend ins Bett legte und den Fernseher anmachte, zeigte der Alkohol seine Wirkung. Sie dachte noch, dass Whisky Cola nicht ideal mit Rotwein harmoniert und musste als erste Massnahme einen Fuss aus dem Bett strecken um zu bremsen, als das Bett vermeintlich anfing sich zu drehen. Dann schlief sie wider Erwarten ein. Mitten in der Nacht wurde sie plötzlich wach und steuerte zielstrebig schnellen Schrittes auf die Toilette zu, um sich so einiges nochmals durch den Kopf gehen zu lassen. Nach ein paar grossen Schlucken Wasser aus der Flasche ging es ihr etwas besser, doch da sie noch keinen klaren Gedanken fassen konnte, legte sie sich wieder hin und schlief durch bis zum Morgen. Nachdem Nicki zwei Aspirin gefrühstückt hatte, beschloss sie, Peter zu suchen. Denn nun war sie langsam aber sicher überzeugt davon, dass ihm irgendetwas zugestossen sein musste. Die Wut war über Nacht verflogen. Nun begann sich die Sorge breit zu machen.

An der Rezeption fing sie mit ihrer Detektivarbeit an. Für gewöhnlich waren dort immer zwei bis drei Personen anwesend, die sich um die Anliegen der Gäste kümmerten. Nicki wunderte sich nicht, dass sich ausgerechnet die hübscheste der Damen an der Rezeption an Peter erinnern konnte, sie wusste sogar noch was er für Kleider anhatte, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Normalerweise wäre ihr das sauer aufgestossen, doch in Anbetracht der Situation sah sie grosszügig darüber hinweg. Doch leider konnte die hübsche Julie, sie hatte ein Namensschild an der prall gefüllten Bluse, auch nicht helfen, da sie ihre Arbeit erst am Morgen begonnen hatte. Ihre Kollegin sowie ein weiterer männlicher Mitarbeiter hatten denselben Schichtplan und konnten somit auch nichts beitragen. Sie unterliess es, die beiden zu befragen. Dafür erfuhr sie von Julie, dass die beiden Kollegen, die am vorigen Nachmittag und Abend Dienst hatten, heute wieder um 14.00 Uhr anfangen würden. Vielleicht konnten die ja dann helfen? Bis dahin wollte Nicki weitere Recherchen anstellen.

Sie ging also zurück in Ihr Zimmer und fuhr ihren kleinen Laptop hoch, den sie unterwegs sowohl geschäftlich als auch privat nutzte. Im Urlaub blieb er zwar meistens aus, doch benutzte sie ihn ab und zu um nach E-Mails zu sehen und um mit Freunden in Kontakt zu bleiben. Heute nutzte sie ihre lieb gewonnene Infrastruktur, um die bisherigen Urlaubsfotos von ihrer Digitalkamera hochzuladen. Sie wählte ein Bild aus, auf dem Peter ihrer Meinung nach besonders gut getroffen war, lud es auf einen memory stick, ging damit zur Rezeption und bat Julie, es für sie in Farbe auszudrucken.

So fragte sie mit dem A4-grossen Farbausdruck des Fotos in der Hand der Reihe nach alle Angestellten, die sie finden konnte. Carlos, den immer fröhlichen Mann an der Bar, zwei Kellner, die inkognito, ohne Namensschilder an der Brust, gerade Kaffeetassen hin- und her trugen und einen ebenfalls namenlosen Putzmann der versuchte den Boden begehbar zu halten, da dieser gegen Ende der Frühstückszeit so aussah, wie er vermutlich bei einem All-Inclusive-Angebot aussehen muss. Offensichtlich bedeutete ein Fünf-Sterne-Hotel nicht automatisch, dass das Verhalten der Gäste gleich viele Sterne verdient hätte. Alle Angestellten hatten eines gemeinsam: sie konnten sich nicht daran erinnern, Peter seit gestern Vormittag gesehen zu haben.

Sie erweiterte Ihren Suchradius und fragte ausserhalb des Hotelgebäudes weiter. Die Hotelanlage war ziemlich weitläufig, selbst wenn man den Hotelstrand nicht mitrechnete. Neben der Vorfahrt zum Hotel, die selbst für grosse Busse ausreichend Platz bot, befand sich ein Stück täglich sorgsam gepflegter Rasen, im Anschluss daran war eine ungefähr zwei Meter hohe, blickdichte Hecke und direkt dahinter die geflieste Terrasse des Frühstücks-Restaurants. Als Nicki die Terrasse betrat, waren nur noch zwei einzeln reisende Damen, ein Herr mit dem gleichen Schicksal, zwei Paare um die dreissig und eine Familie mit zwei kleineren Kindern anwesend. Sie genossen die Ruhe und den Schatten unter den Sonnenschirmen. Nicki machte die Runde und befragte sie alle. Doch ihren Freund Peter hatte in der fraglichen Zeit niemand gesehen. Der einzelne Herr, der sich als Patrick aus Rotterdam vorgestellt hatte, bot sich jedoch an, ihr bei der Suche zu helfen. Als Nicki sich mit Peters Bild zu ihm heruntergebeugt hatte, linste Patrick Nicki jedoch einen Tick zu auffällig und zu lange in den Ausschnitt. Bestimmt war er mit dem erhaschten Blick hochzufrieden, doch Nicki vermutete, dass dies der eigentliche Grund für die angebotene Hilfe war und lehnte dankend ab.

Hinter der Terrasse zweigten zwei Wege ab. Der eine führte in Richtung der Sportanlagen wo man Tennis, Boules und Beachvolleyball spielen konnte. Der andere Weg führte zur Poolanlage mit den beiden Poolbars. Nicki wählte für ihre weitere Suche die Poollandschaft, weil sie bei der nun allmählich aufkommenden Mittagshitze niemanden beim Sport vermutete. Dort angekommen, traf sie auf zwei der ewig zu gut gelaunten Animateure. Cristiano und José. Sie waren gerade dabei Polster auf den Liegestühlen zu verteilen und Sonnenschirme aufzuspannen und schienen ansonsten nicht wirklich viel zu tun zu haben. Ihr 'richtiger' Job begann etwas später, denn fairerweise wurde die Animation, die bekanntermassen nicht jedermanns Sache ist, erst ab 15.00 Uhr hochgefahren.

Als Nicki auf die beiden Gute-Laune-Profis zusteuerte warfen sie sich einen viel sagenden, typischen Männerblick zu. Einen von der Sorte, bei dem sofort klar wurde, dass die beiden sich gerne sehr intensiv mit Nicki beschäftigt hätten. Dass Peter nicht dabei war, schien ihnen gerade recht zu sein. Nachdem sie den beiden erzählt hatte, dass sie Peter seit einem Tag suchte, fanden sie es angesichts des durchaus beeindruckenden Körperbaus von Nicki nicht so tragisch, dass Peter noch nicht wieder aufgetaucht war. Sie vermuteten – wahrscheinlich nicht ganz uneigennützig – dass Peter etwas mit einem anderen weiblichen Gast hatte. Oder aber, was anscheinend ebenfalls öfter vorkam, dass er mit einer einheimischen Angestellten das Hotel verlassen hatte. Dann käme er spätestens am Tag danach reumütig wieder zurück, doch dies hätte schon so manche Beziehung gekostet.

Na vielen Dank auch! Das war genau die Information, die Nicki gebrauchen konnte. Aber warum sollte Peter sie mit einer einheimischen Hotelangestellten betrügen? Sie war zwar eifersüchtig, doch hatte sie Peter ganz anders eingeschätzt. Sie wusste um ihre körperlichen Vorzüge und auch um ihre Qualitäten in Bett, welche ihr mehrfach unaufgefordert von unterschiedlichen Männern bestätigt wurden. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie Peter dahingehend nicht genügen könnte. Dazu hatten die beiden bislang zu viel Spass im Bett. Ausserdem müsste er dann – sollte sie sich tatsächlich derart in ihm getäuscht haben – ja langsam aber sicher wieder auf der Anlage auftauchen.

Der hoteleigene Baywatch-Mann Enrique hatte nach Nickis Ansicht bestenfalls zwei Sterne verdient. Er sah aus wie ein David Hasselhoff für Arme, zwar relativ jung, ein gutes Stück kleiner, dafür mit einem Bäuchlein gesegnet, welches vom Herumsitzen an Strand und Pool sowie von seinem undisziplinierten Lebenswandel im Hotel zeugte. An Peter konnte er sich überhaupt nicht erinnern. Er interpretierte seinen Job wohl relativ einseitig und benutzte sein Fernglas eher für spannende Beobachtungen am Strand, die wohl selten etwas mit Männern zu tun hatten. Auch weitere Angestellte, die entweder lustlos am Gärtnern waren, irgendetwas aufräumten oder sauber machten, hatten keine Ahnung wo Peter stecken könnte. Also ging Nicki wieder zurück an die Rezeption und verlangte mit dem Hotelmanager sprechen zu können. Man versprach ihr, dass er in einer Stunde anwesend sein würde und sie dann mit ihm reden könnte. In der Zwischenzeit ging sie noch einmal das ganze Hotelareal ab und fragte noch den ein oder anderen Gast, ohne jedoch einen Hinweis zu erhalten.

Der Hotelmanager empfing sie eine Stunde später in seinem Büro. Nicht schlecht, dachte sie. Ein wunderschöner, riesiger dunkelbrauner Holzschreibtisch mit einem Laptop darauf und einem Stapel weissem, unbeschriebenem Papier auf dem ein schicker Montblanc Füller in einem Ständer mit einem Marmorfuss steckte. Direkt neben dem Papierstapel stand das obligatorische Tintenfässchen – natürlich randvoll. Alles sah sehr aufgeräumt und geordnet aus.

„Das habe ich von meinem Vater geerbt“, sagte er spontan auf Deutsch mit einem kleinen schweizerischen Akzent, als er Nicki’s irritierten Blick sah. Er hatte sich demnach vorbereitet. Sie erwiderte mit einem wissenden Nicken. Sein Bürostuhl war ebenfalls vom Typ „Chefsessel“. Ganz in dunkelbraunem Leder und einer kopfhohen Rückenlehne. Vor dem Schreibtisch waren zwei bequeme Besucherstühle platziert. Hier sitzen also alle, die sich über irgendetwas beschweren möchten, dachte Nicki. Schön mit einem Schreibtisch dazwischen, damit der gebührende Abstand zum Herrn Hoteldirektor gewahrt wird. An der weissen Wand waren einige Fotos der Hotelanlage in silbern glänzenden Metallrahmen aufgehängt. Ein Aktenschrank, ein dunkelbraunes, zum Schreibtisch passendes Ledersofa, ein Glastisch, eine kleine Palme sowie eine eingebaute Klimaanlage komplettierten das Ensemble. Ziemlich geschmackvoll, dachte Nicki – gar nicht übel.

Sie schätzte den Hotelmanager auf ca. 40 Jahre, er war trotz hellbraunen etwas zu langen Haaren, ziemlich gut aussehend. Dazu war seine Haut natürlich braun, nicht zu vergleichen mit der touristischen, ins Rote gehenden Schnellbräunung und er hatte eine sportliche Figur. Ein Mann also, den sie unter anderen Umständen interessant gefunden hätte. In wenigen Minuten schilderte sie ihm was geschehen war, wollte wissen ob so etwas schon einmal passiert sei und was sie nun seiner Meinung nach unternehmen sollte. Der Hotelmanager hörte sich ihre Geschichte in aller Ruhe an und entgegnete in seinem nicht ganz akzentfreien Deutsch.

„Es ist gut, dass Sie zu mir kommen, das hört sich ja nicht gut an. Es stimmt tatsächlich, dass es schon Gäste gab, die nach etwas zu viel Alkohol mit einheimischen Angestellten die Hotelanlage verlassen haben. Das kommt jedoch selten vor, weil es den Angestellten untersagt ist, sich mit Urlaubern einzulassen. Und doch waren die meisten Hotelgäste natürlich Singles und konnten sich das Abenteuer ohne schlechtes Gewissen erlauben. Sie kamen bis jetzt auch immer am nächsten Tag zurück. Allerdings hat bis heute keiner von ihnen für eine solche Affäre die Beziehung zu seiner eigenen Freundin oder Frau riskiert. Und, ich hoffe sie nehmen mir diese Bemerkung nicht übel, Sie zu betrügen wäre aus Männersicht nicht der cleverste Schachzug. Hoffen wir dennoch, dass Ihrem Peter genau das passiert ist, auch wenn Sie dann natürlich Ihre Beziehung hinterfragen.“

„Wieso soll ich das hoffen? Gibt es keine plausible und angenehmere Erklärung?“

„Ich fürchte nein“,

meinte der Direktor.

„Immerhin sind wir auf einer Insel und von hier verschwinden eigentlich keine Leute spurlos. Und schon gar keine Touristen. Ich empfehle Ihnen, bis morgen abzuwarten. Ich werde inzwischen die Angestellten bei unseren täglichen Meetings befragen, ihnen das Foto von Ihrem Freund zeigen und Sie anweisen, sich sofort bei mir zu melden, sobald sie etwas gehört haben. Versuchen Sie zu entspannen und wenn Ihr Peter morgen nicht zurück ist, überlegen wir gemeinsam wie wir vorgehen.“

Na super, dachte Nicki. Alle schlagen in die gleiche Kerbe. Aber war Peter tatsächlich so bescheuert? Hatte sie ihn doch falsch eingeschätzt?

Als sie sich vom Hoteldirektor verabschiedete, erhaschte Nicki einen Blick auf den Bildschirm des Laptops und konnte sehen, dass der Bildschirm in vier Felder eingeteilt war. Sie sah alternierende Ansichten der Hotelanlage – Ausschnitte von Überwachungskameras. Aber bevor sie sich eine schlaue Frage dazu ausdenken konnte, stand sie auch schon wieder vor der Türe.

Nicki war wieder sich selbst überlassen. Sie hielt sich an den ihr soeben erteilten Rat und versuchte sich mit Schwimmen, Lesen, Essen und Trinken abzulenken. Dabei arbeitete ihr Gehirn stetig im Hintergrund weiter und suchte dabei nach Auffälligkeiten, Hinweisen und Ungereimtheiten. Als sie die Juli-Ausgabe ihrer Frauenzeitschrift bereits zum dritten Mal lustlos durchgeblättert hatte, fiel ihr der Laptop des Hoteldirektors wieder ein. Es gibt also Überwachungskameras. Warum hat der Kerl dann nicht sofort vorgeschlagen am Computer nach Peter zu suchen, wurden die Bilder etwa nicht aufgezeichnet? Das konnte sie sich kaum vorstellen, wo doch Speicherplatz heutzutage kaum noch etwas kostet. Selbst als Juristin kannte man sich da zumindest etwas aus. Oder hat er Kameras dort platziert, wo es normalerweise verboten war – wie etwa in Umkleiden, Duschen, Toiletten oder Pausenräumen der Angestellten? Sie glaubte nicht, dass auf dieser Insel jemals ein solches Gesetz verabschiedet worden war. Verboten wäre das also vielleicht nicht – wohl aber unanständig. Und äusserst geschäftsschädigend, falls Gäste dahinter kommen sollten. So schätzte sie den Hoteldirektor aber nicht ein. Ausserdem glaubte sie, dass diese Bilder auch noch auf anderen Computern, wie zum Beispiel an der Rezeption, zu sehen sein mussten und nicht nur auf dem Laptop des Chefs. Zudem musste es noch eine Security-Abteilung geben. Jedenfalls hatte sie Personal bemerkt, das den Gästen Sicherheit mittels Security-T-Shirt suggerieren sollte.

Oder konnte es vielleicht sein, dass der Direktor sie nicht kompromittieren wollte und er doch gesehen hatte wie Peter im Schlepptau einer anderen Frau die Anlage verliess? Kann ja sein, dass es unter Männern ein Gentleman's Agreement in dieser Richtung gibt und er Peter hiermit die Chance eröffnete, sich bis zu seinem Erscheinen eine gescheite Ausrede auszudenken? Da ihr diese Gedanken keine Ruhe gaben, machte sie sich erneut auf, den Hoteldirektor zu besuchen. Das musste sofort geklärt werden. Als Nicki an seine Tür klopfte erntete sie jedoch keinerlei Reaktion. Als sich nach dem zweiten Versuch immer noch nichts tat, fasste sie sich ein Herz, drückte die Türklinke herunter und fühlte sich hierbei schon fast wie eine Spionin. Als sie sich dagegen lehnte, um sie zu öffnen passierte nichts. Die Türe war verschlossen.

Fast war sie froh darüber, denn sie hatte keinen blassen Schimmer was sie gemacht hätte, wenn sie plötzlich im Büro gestanden wäre. Vielleicht war der Laptop ja weg? Im besten Fall wäre es ausgeschaltet gewesen und mit einem Passwort gesichert. Oder noch schlimmer – vielleicht vernascht der Direktor gerade Julie, die sie soeben nicht an der Rezeption erblickt hatte und er konnte somit gar nicht antworten weil er alle Hände voll zu tun hatte? Bevor sie weitere Spekulationen in diese Richtung anstellte, verschwand sie vor der Türe des Direktors. An der Rezeption erhielt sie die Auskunft, dass er vor fünfzehn Minuten etwas hastig das Büro verlassen habe und erst am nächsten Morgen wieder erreichbar sein werde. Nun hiess es also Geduld haben.

Und das Fleisch ist wach

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