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3 – Ferngesteuert

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Als Peter am nächsten Morgen aufwachte, fühlte er sich wie gerädert. Schnell hatte er begriffen, dass der gestrige Tag kein Traum gewesen war und er Nicki nicht erleichtert beim Frühstück davon berichten konnte. Diese Wirklichkeit fühlte sich dennoch verdammt unecht an. Er versuchte einmal mehr seine Gedanken zu sortieren und zu rekonstruieren was passiert war. Aber er konnte es nicht, der Filmriss war komplett. Nun blieb ihm nichts andere übrig, als gedankliche Puzzleteile bis hin zu seiner Gedächtnislücke zusammenzusetzen und mit den wenigen Infos, die er zu seinem jetzigen Situation hatte, miteinander zu verbinden.

Zeit scheine ich ja zu haben, sagte er sich und musste wegen dieser Feststellung sogar ein wenig lächeln. Analysieren und Schlussfolgerungen ziehen kann ich doch auch. Also ging Peter in Gedanken grob die Tage und Wochen zuvor durch, um eine Verbindung zu seiner jetzigen Situation zu finden. Er ging dabei äusserst strukturiert vor, indem er gedanklich virtuelle Schubladen bildete, in die er einzelne Zeitabschnitte und Personen ablegte. Seine letzte bewusste Erinnerung war die Tatsache, dass er mit Nicki auf der Insel in den Ferien war. Er musste also die Zeit bis zu dem Punkt rekonstruieren können, an dem 'es' passiert sein musste.

Er holte vorsichtshalber etwas weiter aus und durchforstete zuerst seine Beziehung zu Nicki, suchte nach Auffälligkeiten und seltsamen Situationen – und musste feststellen, dass er einerseits nicht wirklich viel von ihr wusste und dass ihm andererseits überhaupt nichts merkwürdig vorkam. Sie hatten sich auf einer Party in der Stadt kennen gelernt, auf der beide nur sehr wenige Leute kannten und dort fast den ganzen Abend zusammen geredet und getrunken. Zuerst ging die Unterhaltung über die üblichen harmlosen Themen, wie den Job, die Hobbies oder warum es sie gerade in diese Stadt verschlagen hatte. Je später der Abend wurde und je mehr Alkohol schon die Kehlen heruntergeflossen geflossen war, umso intensiver und ernster wurden die Gesprächsthemen. Ziemlich schnell war beiden klar, dass sie sich unbedingt bald wieder sehen mussten und somit tauschten sie ihre Handynummern aus. Zu Peters Erstaunen gingen sie nach der Party getrennt nach Hause, obwohl beide Single waren. Aus seiner Perspektive hätte der Abend durchaus besser enden können, schliesslich hatte er schon ganz schön viel Zeit investiert und alle anderen weiblichen Geschöpfe links liegen gelassen. Zum Glück hatte er als Faustpfand ihre Handynummer. Doch bevor er davon Gebrauch machte, begegneten sie sich wieder zufällig in der Stadt. Das war mehr als ein Zeichen. Von nun an nahmen die Dinge ihren natürlichen Lauf und ein paar Tage später waren sie ein glückliches Paar. Das war nun ungefähr drei Monate her. Durch die Arbeit, die sie beide gut auslastete hatten sie einige Abende unter der Woche und die Wochenenden gemeinsam verbracht. Zusammengerechnet war dies nicht wirklich viel Zeit. Also, was wusste er wirklich von ihr?

Nicki kam ursprünglich aus Hamburg und hatte noch eine jüngere Schwester, die er leider noch nie getroffen hatte. Ihre Eltern waren wohl das was man gut bürgerlich nannte. Nickis Mutter kümmerte sich um die Kinder und begann erst wieder als Schulsekretärin zu arbeiten, als Yvonne, die um zwei Jahre Jüngere, dreizehn Jahre alt war. Ihr Vater hatte es zum Abteilungsleiter in einem Verlag gebracht, so dass sie behütet in einem Einfamilienhaus in einem Hamburger Vorort aufwachsen konnte. Nach Köln hatte sie das Jura-Studium verschlagen und wegen einem Kerl war sie dort nach dem Studium hängen geblieben. Der Stadt blieb sie treu – den Kerl hat sie in den Wind geschossen. Die Freunde und Bekannten die er bis jetzt kennen gelernt hatte fand er allesamt In Ordnung und er sah keinen Grund, in ihnen etwas Bösartiges zu vermuten. Sie kamen fast alle aus ihrem studentischen Umfeld, garniert mit ein paar Arbeitskollegen. Das Einzige das in Nickis Leben wirklich etwas aus dem Rahmen fiel war ein Studentinnen-Kalender mit angeblich künstlerisch anspruchsvollen, aber dennoch äusserst freizügigen Bildern. Ein einziges Foto von ihr. Peter konnte sehr gut verstehen, warum gerade sie eine der zwölf Auserkorenen war.

Wie Peter wandelte sie jedoch seit Längerem auf seriösen Pfaden. Direkt nach dem Studium fing sie an in einer Anwaltskanzlei zu arbeiten und wurde dort dann ein Jahr nach dem zweiten Staatsexamen fest angestellt. Vor kurzem hatte sie gewechselt und war Partnerin in einer kleinen, aber feinen Anwaltskanzlei geworden. Peter hatte natürlich nicht alle ihre Aussagen überprüft, aber warum sollte er das auch tun? Er hatte keinerlei Veranlassung dazu.

Selbst der Streit, das Letzte an das er sich erinnerte, wunderte ihn im Nachhinein nicht und er konnte ihre Reaktion durchaus nachvollziehen. Ausserdem schmeichelte es ihm, da sie offensichtlich eifersüchtig war. Nun befand er sich jedoch gedanklich in einer Sackgasse. An den Streit erinnerte er sich also, auch daran, wütend in Richtung Strand gegangen zu sein, aber danach war definitiv Schluss. Nichts, nada, niente – als wäre die Zeit genau dort stehen geblieben und hätte in diesem beschissenen Bett wieder angefangen zu laufen. Die virtuelle Nicki-Schublade war also erst einmal mit groben Erinnerungs-Brocken gefüllt, jedoch ohne Ergebnis und ohne die Möglichkeit, irgendwelche Schlussfolgerungen ziehen zu können. Später würde er weitere Infos hier ablegen und die Schubladen eventuell noch zusätzlich in Fächer unterteilen.

In die nächste Schublade wollte er den Aufenthalt auf der Insel stecken. Den Flug, das Hotel, die Leute mit denen sie hier Kontakt hatten, die Touren, die sie unternommen hatten. Die Hotelangestellten war er gedanklich relativ schnell durchgegangen. Direkten Kontakt gab es nur an der Rezeption, im Restaurant, am Pool und an der Bar. Die hübsche Rezeptionistin kam ihm wieder in den Sinn. Er glaubte sich daran zu erinnern, dass 'Julie' auf ihrem Namenschild stand. Sie hatte ihn verstohlen, viel versprechend angelächelt, was ihm aber angesichts der Umstände – schliesslich war er ja nicht alleine hier – völlig normal vorkam. Auch die Bedienungen im Restaurant und an der Bar waren genauso, wie er es von anderen Urlauben auch schon gekannt hatte. Er war schon kurz davor die Schublade 'Hotel' wieder zu schliessen, da kamen ihm diese Baywatch-für-Arme-Gestalten in den Sinn. Diese waren zwar ebenfalls so, wie solche Typen ebenso zu sein hatten. Sie entsprachen voll dem Klischee, doch hatte er nun das Gefühl, dass einer dieser Animateure etwas zu oft in ihre Richtung geschaut hatte. Er schlussfolgerte, dass es wohl eher an den wirklich spektakulären Kurven seiner Begleitung gelegen haben muss, als an seinem durchtrainierten Körper. Denn so wie dieser Typ sich abends an der Bar bei einer anderen Touristin ins Zeug gelegt hatte, konnte der nun wirklich nicht schwul sein. Und so schloss er auch diese Schublade ohne Ergebnis. Es folgten noch ein paar weitere, in die er einzelne Fragmente steckte: seinen Job, die Anreise, die Insel, die Post und E-Mails der letzten Wochen. Diese Schubladen blieben jedoch ziemlich leer, zum Teil weil er nicht wusste, was er hineintun sollte und zum Teil, weil er genau wusste, dass dies mit seiner Situation hier nichts zu tun haben konnte. Da Peter sich vorgenommen hatte, schrittweise vorzugehen, wollte er später weitere Puzzleteile hinzufügen und sich nun noch einmal dem hier und jetzt widmen. Vermutlich würde sich alles bald aufklären. Bestimmt kam gleich ein Arzt herein, erklärte ihm, dass er aufgrund einer seltenen Sonnenmilchunverträglichkeit in Verbindung mit Alkohol und Sand einen Schock erlitten hatte und er aufgrund eines temporären epileptischen Anfalls angebunden werden musste. Jetzt aber wäre alles wieder gut und er konnte ins Hotel zurück. Daran wollte er wirklich glauben, aber so ganz schaffte er es nicht.

Also sah er sich erneut im Raum um. Zentimeter um Zentimeter suchte er sein neues Zuhause ab, als ob die entscheidende Information an der leeren Wand stehen könnte. Durch eine leichte Drehung, die Dehnung seiner Armmuskeln und durch die Tatsache, dass die Stofffesseln ein wenig elastisch waren, konnte er sein Sichtfeld ein ganzes Stück erweitern. Immerhin schien alles sehr sauber zu sein. Er sah zu seiner Rechten eine Türe, ebenfalls weiss gestrichen, versehen mit einem Sicherheitsschloss wie bei einer Haus- oder Wohnungstüre. Auf Kopfhöhe hatte die Türe ein kleines Fenster wie bei einer Gefängnistüre, die er aus Filmen kannte. Links über ihm entdeckte er eine kleine Kamera und elektronische Apparate wie sie in Arztserien in den Krankenzimmern stehen. Allerdings gab nichts von alldem ein Geräusch von sich. Auch konnte er mit seinem eingeschränkten Blickfeld keinen Bildschirm erkennen von dem aus er Rückschlüsse hätte ziehen können. Mehr war mit den Augen erst einmal nicht herauszufinden.

Nun versuchte er die spärlichen Infos zusammen zu setzen und zu verbinden, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Die Lage war ernst und die Theorie mit dem Sonnenmilchschock alles andere als realistisch. Anscheinend war er operiert worden und wurde nun gesund gepflegt oder zumindest am Leben erhalten. Oder aber er war ein Versuchskaninchen. Ob die Versuche schon stattgefunden haben, konnte er allerdings nicht feststellen. Das hiesse zumindest, dass man ihn nicht umbringen wollte. Zumindest nicht sofort. Das sollte ja eigentlich erst mal beruhigend sein. Doch warum hielt man ihn dann fest? Wusste er zu viel? Wenn ja, warum wusste er nichts davon, dass er zu viel wusste? Seines Wissens hatte Peter keinerlei Informationen mit denen er jemanden hätte in die Pfanne hauen können. Selbst wenn er wollte, konnte er niemanden verraten.

Nur einen Augenblick nachdem Peter das Gefühl hatte, dass man ihm nicht nach dem Leben trachtete, beschlich ihn ein neuer, schrecklicher Gedanke:

„Bin ich vielleicht ein lebendes Ersatzteillager?“

Der Schritt vom Crash Test Dummy – seinem ersten Gedanken – hin zu gestohlenen Nieren, Lebern und anderen Körperteilen war nicht so weit. Davon hatte er schon öfter gehört. Immer wieder finden Meldungen den Weg in die Schlagzeilen wo man von betäubten und verschleppten Touristen hört, die sich eines Morgens vor Schmerzen windend in einer finsteren Ecke eines Hotels oder auf dem Gehweg eines einschlägigen Viertels wieder fanden. Einen spannenden Thriller zu diesem Thema hatte er sogar auf DVD zu hause. Er glaubte sich an den Titel 'Kleine schmutzige Tricks' oder so ähnlich erinnern zu können. Peter wusste genau was heute so alles transplantiert werden konnte. Finger, ganze Hände, Lebern, Lungen, Nieren, Haut – sogar Herzen. Und von einem ganzen transplantierten Gesicht hatte er auch schon gehört. Der Schwarzmarkthandel für Organe war ein blühendes Geschäft, denn es gab genug alte, reiche Säcke, die keine Lust auf Wartelisten hatten und deshalb bereit waren, jeden Preis für die Verlängerung oder die Verschönerung des eigenen Lebens zu bezahlen. Wo die Organe her kamen, war zweitrangig. Ein Kühlregal im Supermarkt des Grauens.

Erst neulich hatte er einen Bericht gelesen, in dem verschiedene 'Glückspilze' porträtiert wurden. Da war von einem deutschen oder österreichischen Bauern berichtet worden, der etwas ungeschickt im Umgang mit einer Maschine war und man daraufhin beide geschnetzelten Unterarme über den halben Hof verteilt zusammenklauben konnte. Ein anderer hatte denselben Effekt mit einer selbstgebauten Silvesterrakete erzielen können und wieder ein anderer hatte eine Hand einem Pit Bull überlassen müssen. Sie alle hatten Glück im Unglück und kamen in den Besitz von neuen Händen oder Unterarmen. Deren Vorbesitzer waren wohl weniger glücklich, da zwar immerhin die Arme intakt blieben, aber irgendein lebenswichtiges Organ wie das Herz versagt hatte und sie dadurch zum Spender wurden. Solche Operationen waren zwar nicht immer von Erfolg gekrönt, denn fremde Körperteile oder Organe wurden oft auch vom eigenen Körper abgestossen – aber einen Versuch war es wohl wert gewesen.

Sofort versuchte er zu erfühlen ob an seinem Körper etwas fehlte, er versuchte jedes Körperteil zu erspüren, spannte Muskeln an, liess sie wieder locker und so wähnte er sich nach einem ersten durchgeführten Check, den er absolvierte so gut es gefesselt eben ging, vollständig und komplett. Ausser den pulsierenden Kopfschmerzen, die schon nach der kleinsten Anstrengung auftraten, tat ihm nichts anderes mehr weh. Da aber seine Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt war und er ausserdem örtlich betäubt sein konnte, war der Erkenntniszuwachs höchst marginal.

Aber warum verdammt noch mal kam niemand zu ihm? Oder besser gesagt, warum bemerkte er es nicht wenn jemand kam? Die Infusion wechselte sich schliesslich nicht von alleine und dieser Pissbeutel musste ja auch mal geleert werden. So kam er zu dem Schluss, dass die für ihn kaum sichtbaren Apparate hinter seinem Bett wohl auch zur Steuerung seiner Infusion dienen konnten und man ihn jederzeit, quasi per Knopfdruck und ferngesteuert, in einen tiefen Schlaf versetzen konnte.

So gesehen war die Ausgangslage also nicht gerade als ideal zu bezeichnen. Der nächste Schritt musste nun sein, herauszufinden wie das hier alles funktionierte, herauszufinden nach welchen Regeln gespielt wurde. Nur so konnte er den noch unbekannten Gegner vielleicht mit den eigenen Waffen schlagen. Dennoch blieben leichte Zweifel. Vielleicht bildete er sich das alles nur ein und er war tatsächlich krank? Dass er noch niemanden zu Gesicht bekommen hat, war vielleicht auch logisch zu erklären. Im ersten Moment hatte er keine Ahnung an welchem Punkt er ansetzen konnte. Gerade als er sein Gehirn auf halbe Kraft runterfahren wollte, vernahm er ein leises, aber dennoch gut hörbares Klicken, etwa einen Meter hinter ihm.

'Einer der Apparate …', ging es ihm durch den Kopf. Da überkam Peter wieder die gleiche Müdigkeit, die ihn während seines Aufenthaltes in diesem Zimmer schon mehrmals übermannt hatte.

Wie lange er dieses Mal weggetreten war, konnte er nicht einschätzen. Aber es konnte nicht allzu lange sein, da das Licht, welches durch das Fenster drang noch die gleiche Intensität zu haben schien wie vor seinem Schlaf. Er war also tatsächlich per Fernsteuerung ausgeknockt worden. Wie im Film. Mal sehen, ob ich Veränderungen feststellen kann, dachte er - und er konnte. Sein Bett war zurecht gezogen, der Beutel mit dem Urin war geleert und die Bandagen an seinen Armen waren nicht ganz an den gleichen Stellen. Das heisst, er musste losgebunden und bewegt worden sein. Das Klicken der Maschine vor seinem Schlaf war dabei immer noch in seinem Bewusstsein. Wenn er eine neue Situation herbeiführen wollte, wenn er also anfangen wollte das Ruder selbst in die Hand zu nehmen, dann musste er anfangen, den Gegner mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Wenn er nur wüsste, gegen welchen Gegner er anzutreten hatte.

Da Peter keine Fehler begehen wollte, nahm er sich Zeit und versuchte sich an Bücher, Zeitschriften und Filme zu erinnern in denen es gefesselte Personen geschafft hatten, zu fliehen. Tatsächlich lieferten ihm diese Überlegungen einige Helden, die es geschafft hatten, sich selbst zu befreien. Aber Filmhelden hatten es vermutlich etwas leichter als er, weil ihnen ein netter Regisseur alles für die Befreiung Notwendige mitgab. MacGyver zum Beispiel hätte aus einer Rolle Klopapier, einem Tennissocken und einer Tube Klebstoff eine Bombe und ein zwanzig Meter langes elastisches Seil zum abseilen gebaut. Und das mit nackten Füssen, weil er an den Händen gefesselt war. Leider half ihm hier die Parallelität mit den Fesseln und den nackten Füssen nicht wirklich weiter.

Im Film Con Air mit Nicolas Cage zog ein Gefangener, der eingeschlossen in einem Käfig mit einem Flugzeug von einem Gefängnis zu einem anderen transportiert werden sollte, eine Büroklammer aus dem Mund, um mit dieser dann die Handschellen zu öffnen. Die Büroklammer hatte er vorsichtshalber bestimmt immer im Mund, da man nie wissen konnte, ob man nicht mal mit Handschellen gefesselt wird.

In anderen Filmen zogen die Helden ein Messer aus dem Stiefel, um ihre Fesseln durchzuschneiden. Überhaupt laufen künftige Gefangene aus diesem Grund anscheinend immer in Stiefeln herum, in denen vorsichtshalber ein Messer deponiert ist. Peter fragte sich, was der Typ mit der Büroklammer wohl getan hätte, wenn er mit einem Seil statt mit Handschellen gefesselt gewesen wäre. Und was hätte derjenige mit dem Messer gemacht, wenn er mit Handschellen statt mit einem Seil gefesselt gewesen wäre? Film und Wirklichkeit schienen nicht immer nahe beieinander zu sein. Wieder andere konnten ihren Körper so winden, dass sie plötzlich ohne Fesseln dastanden. Seine Fesseln waren jedoch so stramm, dass es da nicht wirklich viel zu winden gab. Er suchte weiter nach Parallelen zu seinem Fall.

Normalerweise schreien ans Bett gefesselte wie verrückt, dass sie auf die Toilette müssen, Hunger oder Durst haben und überraschen dann den etwas tölpelhaften Aufpasser, um ihn zu überwältigen. Nur hatte keiner von denen im Film die Abwasserleitung schon direkt am Körper installiert und Hunger und Durst konnte man mit der Infusion wohl auch nicht glaubhaft vermitteln. Sein Regisseur war offensichtlich eine Pfeife.

Peter musste sich also etwas anderes einfallen lassen. Ein erneutes Klicken schräg hinter ihm brachte ihn auf eine Idee. Er erwartete sekündlich seinen nächsten Müdigkeitsanfall, doch der blieb dieses Mal aus. Die Maschine musste ihm wohl etwas anderes zugeführt haben. Peter musste es also vor seiner nächsten Zwangspause schaffen, die Infusion irgendwie daran zu hindern, in seinen Körper zu gelangen. Da die Leitung ungefähr auf Ellbogenhöhe unter der Bettdecke verschwand und der Schlauch in die passende Richtung zeigte, vermutete er den Port am linken Handgelenk.

Der Plan war einfach und sicher kein Geniestreich. Das war ihm klar. Und vor allem war er nicht zu Ende gedacht, da er nicht zu Ende gedacht werden konnte. Dazu hatte er schlicht zu wenige Informationen. Peter wusste, dass er improvisieren musste. Folglich versuchte er in den nächsten Minuten seinen Körper so weit wie möglich nach links zu manövrieren und ihm eine Krümmung wie bei einer Banane zu geben. Netterweise waren diese Bemühungen von starken, stechenden Kopfschmerzen begleitet. Mit dieser kaum sichtbaren Schmalspurakrobatik schaffte er es, sein linkes Handgelenk unter seinen Beckenknochen zu schieben. Sofort spürte er, dass seine Vermutung korrekt war, denn den harten Einlass des Ports bekam er direkt am Becken zu spüren. Nach einer weiteren Verlagerung um einige wenige Zentimeter konnte er den Schlauch so an den Beckenknochen drücken, dass dieser den Durchfluss stoppen sollte. Nun konnte er nur noch abwarten und hoffen, dass er den Plan seiner Widersacher damit ausreichend durchkreuzte. Der Apparat zumindest quittierte seine Bemühungen nach kurzer Zeit mit einem aufdringlichen Piepsen, welches ihn an das Signal in seinem Auto erinnerte, wenn er den Sicherheitsgurt nicht angelegt hatte. Schräg, dachte er, denn besser angeschnallt als jetzt war ich noch nie. Dann hörte er hastige Schritte von aussen näher kommen.

Und das Fleisch ist wach

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