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|15|Kapitel 2: Fälle zum Verfassungsrecht – Grundrechte |17|Fall 1: Körperscanner
ОглавлениеMenschenwürde Art. 1 I GG, Allgemeines Persönlichkeitsrecht Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG, präventive Verfassungsbeschwerde gegen geplante Gesetzesvorhaben
240 Abgeordnete der C-, F- und S-Parteien bringen einen Gesetzentwurf im Bundestag ein mit dem Antrag, § 5 Abs. 1 Luftsicherheitsgesetz zu ändern. Die geltende Fassung dieser Bestimmung lautet:
„Die Luftsicherheitsbehörde kann Personen, welche die nicht allgemein zugänglichen Bereiche des Flugplatzes betreten haben oder betreten wollen, durchsuchen oder in sonstiger geeigneter Weise überprüfen. Sie kann Gegenstände durchsuchen, durchleuchten oder in sonstiger geeigneter Weise überprüfen, die in diese Bereiche verbracht wurden oder werden sollen.“
Die neue Fassung soll lauten:
„Die Luftsicherheitsbehörde kann Personen, welche die nicht allgemein zugänglichen Bereiche des Flugplatzes betreten haben oder betreten wollen, durchleuchten oder in sonstiger geeigneter Weise überprüfen.“
Durch diese Gesetzesänderung soll der umstrittene Einsatz von Körperscannern auf deutschen Flughäfen als zusätzliche Sicherheitskontrolle ermöglicht werden. Die vorgeschlagene Gesetzesänderung sieht außerdem vor, dass nur eine unstreitig nicht gesundheitsschädliche Terahertz-Technologie für die Durchleuchtung verwendet werden darf.
Anlass für die von den Gesetzesinitiatoren begehrte flächendeckende Einführung von Körperscannern auf deutschen Flughäfen war folgender Vorfall: Ein junger Mann aus dem Jemen, Abdul N., wollte in Frankfurt/Main das Flugzeug auf dem Weiterflug nach New York wechseln. Der islamistisch hochgradig radikalisierte Mann hatte unter der Kleidung am Bein eine Sprengladung aus knetbarem Sprengstoff befestigt. Auf dem Weiterflug nach New York wollte er die Bombe hochgehen lassen und das vollbesetzte Flugzeug zum Absturz bringen. Auf dem Weg zu seinem „Gate“ (Eingangsstelle für den Weiterflug) begegneten ihm zwei Beamte der Bundespolizei mit Spürhunden für die Drogenfahndung. Einer der Hunde sprang den entgegenkommenden Abdul N. unvermittelt an und biss ihn in das Hosenbein. Bei der anschließenden Körperkontrolle wurde die Bombe entdeckt.
Der Fall erregte in Sicherheitskreisen großes Aufsehen und verschärfte den Druck auf die Einführung von Körperscannern. Die Begründung für die Gesetzesinitiative zur Einführung dieser neuen Sicherheitstechnologie stellt vor allem auf folgenden Punkt ab: Die Verwirklichung solcher Risiken, wie sie der Fall Abdul N. zeige, dürfe nicht dem puren Zufall überlassen bleiben. Ob der Frankfurter Fall durch Körperscanner wirklich schon an den allgemeinen Kontrollstellen entdeckt worden wäre, |18|ist unklar. Terahertzstrahlen werden nur von konsistenten Gegenständen am Körper zurückgeworfen, nicht z.B. von Flüssigkeiten. In Stellungnahmen von Experten heißt es, der Frankfurter Fall wäre mit ziemlicher Sicherheit schon bei einer Körperscanner-Kontrolle entdeckt worden. Er wäre also wohl keine Zufallsentdeckung geblieben. Diese Einschätzung bleibt aber letztlich eine Vermutung, weil die Technologie noch in der Entwicklung und Testphase ist. Kritiker der Gesetzesinitiative meinen, die Körperscanner-Technologie sei mit Persönlichkeitsrechten der Fluggäste unvereinbar, da der nackte Körper durch die Kleider hindurch ziemlich detailscharf sichtbar werde. Das sei insbesondere gegenüber weiblichen Fluggästen, aber auch gegenüber Fluggästen, die aus religiösen Gründen eine Einsicht anderer in unbedeckte Bereiche ihres Körpers strikt ablehnen, rechtswidrig und unzumutbar. Technische Weiterentwicklungen der Scannertechnologie, die detailscharfe Einblicke in den unbekleideten Körper deutlich absenken, ohne den für den beabsichtigten Sicherheitsgewinn wesentlichen Durchleuchtungseffekt zu beeinträchtigen, sind unstreitig technisch noch nicht einsatzfähig.
Auch effektive Sicherheitsgewinne durch die neue Körperscanner-Technologie gegenüber den herkömmlichen Metalldetektoren sind letztlich nicht geklärt. Daher lautet ein Kritikpunkt an der Gesetzesinitiative, die Einführung der neuen Sicherheitstechnologie sei weder geeignet noch erforderlich. Der Unverhältnismäßigkeitseinwand wird auch mit der krassen Abweichung zur Kontrolle des in demselben Flugzeug mitgeführten Begleitgepäcks begründet. Während die Fluggäste nunmehr flächendeckend durchleuchtet werden sollen, werden beim Begleitgepäck im Frachtraum – was tatsächlich so vorgesehen ist – unverändert nur stichprobenartige Durchleuchtungen vorgenommen. In der Gesetzesdebatte im Bundestag wird diesem Einwand entgegengehalten, schon wenige Einzelentdeckungserfolge, die über die bisherige Technologie hinausführen, könnten die Eignung und Erforderlichkeit der neuen Technologie begründen.
Von der Fraktion „Die Linke“ wird die Frage an die Autoren der Gesetzesinitiative aufgeworfen, was mit eingescannten Daten passiere. Die Antwort lautet, grundsätzlich würden die Daten sofort gelöscht. Im Falle eines Sicherheitsbefundes, wenn also Gegenstände am Körper entdeckt werden, sei in die Scannertechnologie eine automatische Datenweiterleitung an die zuständigen staatlichen Sicherheitsbehörden integriert. Darüber kommt es im Bundestag zum Streit. Der Vorwurf der Fraktion „Die Linke“ lautet: Ihr sammelt heimlich biometrische Daten. Das sei vom Luftsicherheitsgesetz nicht gedeckt und verfassungswidrig.
Auch die Frage der administrativen Umsetzung der neuen Scannertechnologie bleibt umstritten. Die Autoren der Gesetzesinitiative teilen hierzu mit, die Sache werde wie bei der etablierten Metalldetektoren-Kontrolle und Handgepäckdurchleuchtung ablaufen. Es handele sich um eine Eigensicherung des Flughafenbetreibers, in der Regel also ein privatwirtschaftliches Unternehmen, als Teil seiner unternehmerischen Verantwortlichkeit und seines Hausrechts. Die Sicherheitskontrollen, auch die geplante neue Scannertechnologie, stellten keine Aufgabe staatlicher Sicherheitsbehörden dar. Sie würden durch private Sicherheitsunternehmen im Auftrag des Flughafenbetreibers durchgeführt. Die administrative Umsetzung hierfür bezüglich der Körperscanner sei bereits durch den Entwurf einer neuen Richtlinie des Bundesministers des Innern auf der Grundlage des Luftsicherheitsgesetzes vorbereitet. Danach werde die neue Sicherheitsvariante mit Körperscannern ebenfalls als Form der Eigensicherung durch |19|den jeweiligen Flughafenbetreiber über die zuständige Luftsicherheitsbehörde durchgeführt.
Dieses Konzept stößt auf erhebliche Kritik im Bundestag. Mehrere Abgeordnete vertreten den Standpunkt, die neue Kontrolle mit Körperscannern an Flughäfen sei aufgrund der Eingriffe in Persönlichkeitsrechte und der vorgesehenen hoheitlichen Auswertung und Speicherung gescannter Daten eine hoheitliche Aufgabe, die nur von staatlichen Behörden durchgeführt werden könne. Mit dieser neuen Sicherheitstechnologie seien die verfassungsrechtlichen Privatisierungsgrenzen klar überschritten. Die Autoren der Gesetzesinitiative meinen demgegenüber, einen prinzipiellen Unterschied zur bisherigen Detektorenkontrolle und Handgepäckdurchleuchtung könnten sie bei den Körperscannern nicht erkennen.
Fallfragen:
1 Ist der vorgelegte Gesetzesentwurf zur Änderung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Luftsicherheitsgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar?
2 Wäre eine Verfassungsbeschwerde von Frau F, einer regelmäßig ins Ausland fliegenden Geschäftsfrau, mit dem Antrag, die Verfassungswidrigkeit der geplanten Gesetzesänderung schon vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens festzustellen, zulässig?
Bearbeitungshinweis: Europarechtliche und datenschutzrechtliche Fragen sind nicht zu erörtern