Читать книгу Das Haus des Meisters - Jochen Nöller - Страница 5

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Prolog

Ursay: Der Händler

Mit einem seidenen Tuch wischte sich Ursay den Schweiß von der Stirn. Es war heute wieder erbärmlich heiß. In teure Gewänder gekleidet, stand der beleibte Händler vor seinem Laden und hielt Ausschau. Heute sollte ein wichtiger Kunde erscheinen. Seltsamerweise hatte er über diesen keinerlei Informationen, nicht einmal den Namen wusste er. Und dies ärgerte ihn maßlos. Wissen war Macht und nicht zu wissen, mit wem man verhandelte, konnte sehr nachteilig für die Geschäfte sein.

Normalerweise belieferte er nur die Elite, die reichsten der Reichen. Neue Kunden rar gesät und meist unerwünscht. Er hatte schließlich einen Ruf zu verlieren. Ohne die direkte Empfehlung eines seiner Stammkunden würde er einen Neuling nicht mal in seine Geschäftsräume vorlassen. Und genau da lag sein Dilemma. Der oberste General, ein wohlhabender und gern gesehener Käufer, hatte ihn letzte Woche angesprochen und erwähnt, dass ein guter Bekannter sich die Ware ansehen wolle. Das war nichts Neues und meist steckten hinter solchen Empfehlungen mittellose Gaffer. Die wenigsten konnten sich seine Gebrauchsgüter leisten. Deshalb hatte er in Gedanken schon seine Zeit mit einer Stunde ohne Umsatz eingeplant. Jedoch ließ eine Bemerkung des Stammkunden den Händler nicht mehr los: »Es wäre äußerst peinlich für mich, wenn ihm die Ware missfallen würde.«

Ursay wusste, was auf dem Spiel stand. Der General hatte ihm auch schon einige gut zahlende Abnehmer beschert. Aber bei keinem hatte er sich bisher so mysteriös ausgedrückt. Die Meinung dieses Unbekannten wurde offenbar hoch geschätzt. So etwas durfte er nicht auf die leichte Schulter nehmen. Im schlimmsten Fall – wenn der Fremde unzufrieden war – könnte das den Verlust vieler gut zahlender Kunden bedeuten. Das wäre sein Ruin. Von einer schlechten Reputation würde er sich nicht mehr erholen. Bei diesen Konsequenzen konnte er die Begrüßung nicht einfach einem Sklaven überlassen. So stand er nun höchstpersönlich vor seinem Geschäft und wartete auf den ominösen Kunden.

Er holte seine mit Juwelen verzierte Taschenuhr hervor und schaute angespannt auf die Zeiger. Nur noch wenige Augenblicke bis zur verabredeten Zeit. Erneut tupfte er sich den Schweiß von der Stirn und schaute zum Himmel empor. Die Sonne war zu dieser Jahreszeit erbarmungslos. Ohne den Schutz der magischen Kuppel, die das gesamte bewohnte Gebiet umschloss, befände sich hier sengende Wüste und er wäre wohl nur ein Häufchen Asche, vom Winde verweht.

Nachdem die Menschen vor etlichen Jahren die Erde im Sol-System verlassen mussten, ließen sie sich auf Jusmin im Hermes-System nieder. Mit der Macht der Magier erschufen sie auf dem Wüstenplaneten eine Kuppel als Barriere gegen die Sonne und die Elemente. Darunter erbaute die Menschheit ein neues Reich. Sie verschmolzen Magie und Technologie und errichteten eine hochmoderne Metropole. Die einzige und wahre Stadt unter dem Schutzschirm nannten sie New Haven. Dort, im Zentrum des bewohnbaren Bereichs lebten die normalen Menschen in technologisierten Wohnungen. Daneben gab es das Viertel der Magier, das fast ausschließlich ihresgleichen betreten durften. Auch lehnten die Magier sämtliche Technologie ab, sie nutzten ausschließlich ihre eigenen Kräfte.

Ursay stampfte wütend auf und verfluchte sich selbst für seinen grandiosen Einfall, ausgerechnet am Rand der Barriere – dem Ort, der am wenigsten geschützt war – seinen Gebäudekomplex aufgebaut zu haben. Die Wahl war zwar in Anbetracht der Tatsache, dass er schalten und walten konnte, wie er wollte und niemanden dabei störte, perfekt, hatte aber die Schattenseite der Einsamkeit und Hitze.

In diesem Moment tauchte eine schwarze Luxuslimousine hinter einer Reihe von Bäumen auf. Er hatte gerade genügend Zeit seine Hände zu reinigen und das benutze Tuch sowie seine Uhr unter seiner Robe in der Hosentasche verschwinden zu lassen, da hielt der Wagen direkt vor ihm an.

Die Kabinentür öffnete sich und ein jung aussehender Mann, gekleidet in ein schlichtes weißes Gewand, stieg aus dem Inneren. Ursay musterte den Neuankömmling argwöhnisch. Kein Diener, der die Tür öffnete? Keine teuren Kleidungsstücke? Erleichtert atmete er aus. Das würde einfach werden, dieser Jüngling sah nicht aus, als könnte er sich seine Ware leisten. Immer freundlich bleiben, ermahnte Ursay sich in Gedanken und korrigierte den vermutlichen Aufenthalt des Knaben auf eine halbe Stunde seiner wertvollen Zeit.

Mit perfekt einstudierter Gestik verbeugte sich Ursay und begrüßte den Burschen: »Einen schönen guten Tag, junger Herr. Ich bin Ursay, der bescheidene Besitzer dieses Etablissements. Wenn ich Euch hereinbitten dürfte. Ich habe mir erlaubt, Euch einen guten Tropfen zur Begrüßung kalt stellen zu lassen.«

»Ich wünsche ebenfalls einen guten Tag. Kann mein Fahrer hier stehen bleiben?«, fragte der Junge.

Irritiert sah der Händler auf. Weit und breit war nichts zu sehen, außer seinen eigenen Ländereien, den Baracken und dem Hauptgebäude.

»Natürlich, junger Herr. Wie es Euch beliebt.« Mit diesen Worten hielt er die Eingangstür auf.

»Sehr zuvorkommend«, erwiderte der Junge und ging festen Schrittes in den Laden. Ganz Geschäftsmann, prüfte Ursay unauffällig die Robe des Besuchers, als der an ihm vorbeiging. Er sah seinen ersten Eindruck bestätigt und schüttelte den Kopf. Ja, das würde schnell und schmerzlos über die Bühne gehen. Mit diesen Gedanken folgte er dem Jüngeren in sein Geschäft.

Mit einem Kopfnicken und ein paar schnellen Gesten machte er seinem Primär klar, dass er den Gast bedienen durfte. Dieser Muskelberg, eines humanoiden gelben Tigers, mit schwarzen Streifen, war schon lange in Ursays Diensten und wusste genau, was sein Meister von ihm erwartete. Mit einem Schmunzeln sah Ursay, dass der Junge vor Schreck zusammenzuckte, als der Sklave aus dem Schatten trat und sich tief verbeugte. »Seid gegrüßt, Herr, ich bin der Primär des Hauses. Bitte vergebt mir mein ungebührliches Erscheinen. Es lag nicht in meiner Absicht euch zu erschrecken. Wenn der Herr mir bitte folgen möge.«

Der Kunde straffte seine Robe, wie um seine Verlegenheit zu überspielen und staunte: »Wow, du bist also einer der Sklaven, die man hier erwerben kann? Was ist ein Primär? Du siehst aus wie eine Mischung aus Mensch und Tiger. Ich hoffe, dass ich dich mit diesen Worten nicht beleidigt habe?«

Völlig verdattert hob das Wesen den Blick und suchte den seines Herrn. Empört rümpfte der Händler die Nase. Dieser Junge kannte nicht einmal die Grundlagen der Sklavenhaltung. Ein solch unsägliches Verhalten musste er augenblicklich unterbinden. Nicht auszudenken, welch schädlichen Einfluss so etwas auf seine Ware haben konnte.

Mit einem Räuspern trat Ursay näher zu dem Knaben. »Verzeiht, junger Herr, aber ein Sklave wird nicht nach seiner Meinung oder seinen Gefühlen gefragt. Ein Sklave ist nichts weiter als ein Gegenstand. Der Meister sagt dem Sklaven, was er wie zu tun hat und dann hat dieser die Befehle umzusetzen.« Etwas freundlicher klärte er den Jüngling über die Ränge auf: »Der Primär ist der oberste Sklave in einem Haushalt. Er ist eine Art Verwalter und befehligt die anderen Sklaven.«

»Oh, ich wusste nicht, dass es so strenge Regeln gibt. Bitte verzeiht mir meinen Fehler, werter Tigermensch«, flötete der Junge und deutete eine höfliche Verbeugung an.

Dem Händler stieg die Zornesröte ins Gesicht. Der Primär hingegen ließ sich auf die Knie fallen und drückte den Kopf zitternd auf den Boden.

»Habe ich was Falsches gesagt?«

Innerlich kochend, antwortete Ursay mit bemüht freundlicher Stimme: »Werter Herr, wenn ein Gast sich bei einem Wesen entschuldigt und sich auch noch verbeugt, dann ist es das Todesurteil für den Sklaven.«

»Aber er hat doch gar nichts getan?«, erwiderte der Junge schockiert.

Ursay verschränkte die Arme und sah unbarmherzig zu seinem Primär hinab.

»Es ist egal, ob der Sklave etwas getan hat oder nicht. Übertriebene Freundlichkeit ist eine der Möglichkeiten, auf das Fehlverhalten eines Wesens hinzudeuten. Nach den Gesetzen der Sklavenhaltung bin ich verpflichtet, meinen Primär zu entsorgen.«

Schlagartig änderte sich das Gebaren des Knaben und er entschied mit fester Stimme: »Nein! Das möchte ich nicht.«

Jetzt reichte es aber, schoss es Ursay durch den Kopf und er schimpfte mit zornigem Unterton: »Junger Herr…« Doch weiter kam er nicht. In seiner überschäumenden Wut vergaß auch er die Regel des Anstands und ließ seine Hand auf die Schulter des Unruhestifters niederfahren. Doch noch ehe er den Knaben berühren konnte, wurde er von einer unsichtbaren Macht erfasst und etwa zwei Meter zurückgeschleudert. Unsanft landete er auf seinem Allerwertesten. Mit weit aufgerissenen Augen hob er den Blick und erstarrte. Magische Runen waberten über die Robe des Gastes und tanzten unheilvoll. Einen Augenblick später verschwanden die Zeichen und die Kleidung war wieder makellos weiß. In diese Robe war Magie mit eingewoben worden.

»Eure… Robe…«, brachte der Ladenbesitzer stotternd hervor.

»Die Schutzzauber meines Gewands aktivieren sich von selbst, wenn ich angegriffen werde. Je gefährlicher die Situation, desto mächtiger die Verteidigung«, erklärte der Junge und sah mit kaltem Blick über seine Schulter zum Händler.

Ursay war kein Magier, aber eines wusste er: Magische Gegenstände gehörten zu den teuersten Gütern unter der Kuppel. Der Preis für solche Dienste war dermaßen astronomisch, dass nur die reichsten Nicht-Magier sich so etwas leisten konnten. Er hatte einst einige Schutzzauber erstanden und zahlte seit etlichen Jahren die Schulden dafür ab. Beim Umgang mit den wilden Tieren, die er zu gehorsamen Sklaven erzog, war es unerlässlich, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.

Notgedrungen musste er seine Meinung über den Kunden revidieren. Dieser Mann war eindeutig kein Magier, also musste er außerordentlich wohlhabend sein. So wie der Rest seiner Kunden. Ächzend erhob sich der Ladenbesitzer und verbeugte sich tief.

»Verzeiht mir, Herr. Ich wollte euch keinesfalls angreifen. Mir ist wohl mein Temperament durchgegangen bei dem Gedanken, meinen Primär zu verlieren.«

»Was das betrifft, so erwarte ich als Entschuldigung diesen Sklaven wohlbehalten das nächste Mal wiederzusehen. Andernfalls muss ich ein ernstes Wort mit dem General reden.« Der Junge hielt einen Augenblick inne, bevor er forderte: »Ich wünsche ein Regelwerk über die korrekte Haltung und den Umgang mit Sklaven. Du, Tiger, du wolltest mich führen, steh auf und geh voraus.«

Erschrocken über diese Wendung sprang der Sklave auf die Beine und ging in gebückter Haltung und mit gesenktem Kopf voraus.

Ursay war sprachlos. Dieser Kunde war eindeutig etwas Besonderes, kein Wunder, dass sich der General so ominös ausgedrückt hatte. Ein Junge mit einer verzauberten Robe, ohne jegliches Wissen über Sklavenhaltung und dennoch … Seinen Primär musste er nicht entsorgen, dafür hatte der junge Herr gesorgt. Nur war es jetzt eine Art Befehl, der Befehl eines Knaben, der ihn dazu zwang, seinen Sklaven zu verschonen. Er schüttelte den Kopf und vertrieb diese wirren Gedanken. Ein angesehener und vor allem reicher Kunde musste zufriedengestellt werden. Sein Händlerherz schlug beim Gedanken an das viele Geld, das er verdienen konnte, schneller.

Nur kurz abreagieren, dachte er sich und rief zwei seiner Haussklaven herbei. Nach ein paar gezielten Schlägen lag der eine am Boden und die schlechte Laune des Geschäftsmannes war wie weggeblasen – oder vielmehr weggeschlagen. Er gluckste über seinen Wortwitz und ging, sich die Hände reibend und in Erwartung eines einfachen Geschäftes mit viel Profit, zu dem Kunden. Der zweite Sklave schleifte den Bewusstlosen weg und machte anschließend sauber.

Das Haus des Meisters

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