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I. »Ehrt Gott mit eurem Leib« (1Kor 6,20) Grundlegendes zur christlichen Sexualethik 1. Die Notwendigkeit einer christlichen Sexualethik

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Muss man sich als Christ so intensiv mit sexualethischen Fragen beschäftigen, dass man ganze Bücher darüber lesen oder sogar schreiben müsste? Ich gehörte lange einer christlichen Gemeinde an, die nach etlichen Kontroversen entschieden hat, zu Fragen der Sexualethik keine Richtlinien zu erstellen. Denn die Ansichten der Mitglieder – evangelikaler Christen, die Wert darauf legten, die Lehre der Bibel in allen Punkten zu bejahen – gingen hinsichtlich dessen, was in diesem Bereich akzeptabel ist oder nicht, weit auseinander. Schließlich einigte sich die Gemeindeleitung darauf, keine allgemeingültigen Anforderungen festzulegen, seien es traditionelle oder moderne. Sie wollte es lieber dem Einzelnen und seinem Gewissen überlassen, ob er zum Beispiel das Zusammenleben vor der Ehe oder eine homosexuelle Partnerschaft vor Gott verantworten konnte.

Wie meiner damaligen Gemeinde geht es vielen anderen in unserer Zeit. Ihr vergebliches Ringen um Einheit spiegelt wider, dass der sexualethische Konsens im postchristlichen Westen zusammengebrochen ist. Noch vor fünfzig Jahren konnte man in Europa, jedenfalls in der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft, von einer breiten Zustimmung zu der Ansicht ausgehen, dass der ideale Rahmen geschlechtlicher Beziehungen die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau bildet und dass diese lebenslänglich dauern sollte. Auch wenn viele in ihrer Lebensgestaltung diese Norm nicht erfüllten, bejahte die Mehrheit ihre allgemeine Gültigkeit, und sie wurde von starken sozialen und gesetzlichen Sanktionen untermauert. Noch vor dreißig Jahren war dieser Konsens in christlichen Kirchen unangefochten. Dem ist nicht mehr so. Dafür, dass es keine allgemeingültige Sexualethik mehr gibt, lassen sich manche Ursachen vermuten. Allein darüber könnte man ganze Bücher schreiben; wir erwähnen hier nur drei in aller Kürze:

1. In der Gesellschaft werden seit Längerem alle geschlechtlichen Rollenunterschiede und Normen für sexuelle Beziehungen infrage gestellt. Hinzu kommt die postmoderne Relativierung aller moralischen Vorgaben. Davon konnte das traditionelle Verständnis der Ehe nicht unberührt bleiben.

2. In unserem individualistischen Zeitalter haben persönliche Präferenzen einen derart hohen Stellenwert bei allen moralischen Entscheidungen eingenommen, wie es Generationen vor uns nie für möglich gehalten hätten. Das subjektive Gefühl, dass einem etwas guttut und es niemandem schadet, reicht im Bereich der Sexualität aus, um sein Verhalten zu rechtfertigen. Argumente, die auf Prinzipien basieren, kommen dagegen nicht mehr an.

3. In christlichen Gemeinden mangelt es oft an Reflexion über die Bedeutung von menschlicher Sexualität. Fragen wie »Wozu hat Gott menschliche Sexualität geschaffen?« oder »Hat Sex aus der Perspektive des Schöpfers eine tiefere Bedeutung?« werden häufig nicht gestellt. Im Allgemeinen bemerkt man eine mangelnde Bereitschaft, über sexualethische Normen zu reden, sei es von der Kanzel oder unter Freunden. Viele haben Angst davor, welche Reaktion eine klare Unterweisung hervorrufen würde, bzw. davor, was diese von Einzelnen und Gemeinden verlangen würde. So nahe möchte man heute niemandem mehr treten.

Angesichts dieser Sachlage ist der Wunsch vieler Gemeinden verständlich, sich nie enden wollenden Kontroversen über sexualethische Themen zu entziehen, indem sie sich dazu nicht positionieren und es ihren Mitgliedern überlassen, ihrem eigenen Gewissen zu folgen. Aber ist ihre Strategie klug? »Jeder soll tun, was in seinen Augen recht erscheint« klingt nach einer passenden Parole der Spät- oder Postmoderne. Sie war aber bereits zur Zeit der Richter – also vor mehr als 3000 Jahren – die Devise der israelitischen Stämme (Ri 17,6; 21,5). Eine gründliche Lektüre des Richterbuches kann auch heute als Warnung dafür dienen, wo dies hinführt.

Im Übrigen lässt das Neue Testament diese Option nicht zu. In fast jedem Brief, der an eine heidenchristliche Leserschaft gerichtet ist, werden sexualethische Themen angesprochen (Röm 1,24-27; 1Kor 5,1-2; 6,12-20; 1Kor 7; Gal 5,16.19; Eph 5,3; Kol 3,5; 1Thess 4,1-8; 1Petr 2,11; 2Petr 2,18; Judas 7). Die Apostel Paulus und Petrus sowie Judas, der Bruder Jesu, die diese Briefe geschrieben haben, sagen nicht etwa: »Überlasst es dem Einzelnen, wie er sein Leben in sexueller Hinsicht gestalten möchte, solange er das Liebesgebot beachtet«, sondern vielmehr: »Strebt in euren Gemeinschaften nach sexueller Reinheit. Bringt euren Mitgliedern die Maßstäbe Gottes bei und fordert von ihnen ihre Einhaltung.«

Ein Hauptanliegen dieses Buches ist es, dass christliche Kirchen und Gemeinden vor einer klaren Sprache über biblische Standards keine Angst haben müssen. Eine christliche Sexualethik, die danach ausgerichtet ist, muss uns nicht peinlich berühren; im Gegenteil: Sie kann auch begeistern – gerade in unserer Zeit, die für viele orientierungs- und haltlos geworden ist. Eine biblisch begründete Sexualethik ist keine schlechte Nachricht darüber, was Gott uns alles vorenthalten will, sondern eine gute Nachricht darüber, wie schön das Leben sein kann, wenn man Gottes Design für das intime Miteinandersein entdeckt. Ich wünsche mir Gemeinden, die voller Zuversicht und Freude Gottes Plan für menschliche Sexualität verkünden und vorleben.

Es geht dabei nicht um Sehnsucht nach den »guten alten Zeiten«, als alles in der Welt – jedenfalls in sexueller Hinsicht – in Ordnung war. Solche Zeiten gab es nicht. Die bürgerliche Sexualethik vor der Sexuellen Revolution ist nicht mit einer biblischen Sexualethik gleichzusetzen. Manches, was vorher war, war gewiss nicht gut; manches war besser. Wie zu allen Zeiten. Wir jagen hier keiner Fata Morgana nach, sondern wir wollen herausfinden, was die Bibel in Bezug auf Sexualverhalten gebietet bzw. verbietet und was die Gründe dafür sind, und in weiterer Folge erste Überlegungen anstellen, wie sich dies am besten in unserer Zeit anwenden lässt.

Was sich Gott dabei gedacht hat

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