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IV.
ОглавлениеObwohl mein Besuch der Volksschule, wie gesagt, ein äusserst minimaler war, vermochte ich doch mit 12 Jahren das Aufnahms-Examen für die Real-, resp. Gewerbeschule zu bestehen. Die Herrlichkeit dauerte aber nicht lange, bald kam es zu allerlei Krach zwischen diversen Professoren und mir; denn wozu ich keine Neigung hatte, das liess ich mir auch nicht einpauken oder eindrillen. Mit Lust warf ich
mich über Naturwissenschaft, Geschichte und Mathematik her. Dagegen war mir alles Zeichnen, Malen und dergleichen, sowie das Studium fremder Sprachen ein Gräuel. Das führte zu Strafarbeiten, Karcer und Aerger aller Art, wofür ich mich durch Spottverse und allen eidenklichen Schabernak, den ich den betreffenden Lehrern anthat, zu rächen suchte. Das Ende vom Liede war Relegation wegen Inscenirung einer Niess- Demonstration durch Vertheilung von Schneeberger Schnupftabak und Anzettelung eines Schülerstrikes wider den französischen Professor Baurier^ der über die ganze Klasse eine schwere Strafarbeit verhängt hatte.
Zu Hause brach das Ungewitter indessen erst 14 Tage später über mich herein, denn ich entfernte mich täglich zwei Mal von der Wohnung mit einem Bündel Bücher unter dem
Arme und gab mir den Anschein, als ob gar nichts besonderes vorgefallen wäre. Theils hatte ich Angst vor stiefmütterlichen Hieben, theils dachte ich überhaupt nicht daran,
was nun aus mir werden sollte.
Eines schönen Sonntags Morgens, als ich noch im Bette lag, kam aber der Unglücksrabe in Gestalt eines Klassengenossen daher geflogen. Es war das der Sohn eines Bäcker-
meisters, der allmonatlich die Brodgelder zu collecten pflegte.
Zwischen diesem und der Stiefmutter entspann sich folgender Dialog, den ich, obgleich er in der Küche geführt wurde, leicht belauschen konnte.
„Aber was ist denn los mit dem Hans", sagte der Junge, „sein Vater braucht ja nur zum Rector zu gehen, dann wird Alles wieder gut".
„Was soll los sein ?" antwortete sie ganz verwundert und machte eine Beklommenheitspause, begleitet von einem mir nur zu sehr bekannten pfauchenden Pusten.
„Na, er wurde doch zum Teufel gejagt".
„Wa — as ? Unsinn ! Er geht ja täglich zur Schule".
Er schlug eine helle Lache auf, während es mir nichts weniger als lachhaft zu Muthe war. Dann sagte er: „Aber, Frau M., das gibt's doch gar nicht. Der Hinausschmiss passirte ja schon vor zwei Wochen".
Nun hörte ich, wie das mir verhasste Satansweib bald die Hände zusammenschlug, bald mit der Faust auf den Tisch loshämmerte und dazwischen hinein das Blaue' vom Himmel
herunter fluchte.
Ich fand es rathsam, aufzustehen und mich anzukleiden, und zwar zog ich zur Vorsorge gegenüber allen üblen Eventualitäten drei Paar Unterhosen übereinander an. Doch er-
wies sich diese Massregel für überflüssig. Es flogen diverse Thüren auf und zu. Ich hörte ein grosses Geschrei, das von einer Controverse zwischen meinem Vater und seinem Hausdrachen herrührte, von welcher ich aber nur die letzten Worte, die bei geöffneter Thüre gesprochen wurden, verstehen konnte. „Ich vergreife mich an dem Kerl nicht mehr", brüllte das rasende Weib, „mache jetzt du mit ihm was du willst; aber 'raus muss er aus dem Haus, der Lump, der Hund, der Taugenichts, aus dem im ganzen Leben nichts werden kann "
Raus! — das stimmte eigentlich auch mit meinem eigenen Verlangen überein, obgleich ich keine Ahnung betreffs des Wohin u. s. w. hatte. Ich kniff mir den nöthigen Muth
in die Hinterbacken und betrat das Schlafzimmer meines Vaters, in welchem sich obgedachtes Donnerwetter ausgetobt hatte.
Mein Vater sah leichenblass aus und zitterte am ganzen Leibe. Stumm und ernst musterte er mich einige Minuten lang, die mir jedoch wie kleine Ewigkeiten vorkamen. Ohne weitere Einleitung sagte er dann : „Ich habe dein Bestes gewollt — meine Geduld mit deinen losen Streichen ist erschöpft — ich werde dich deinem Schicksal überlassen".
Pause ! Ich spielte den verstockten Sünder. Dann kam der kathegorische Imperativ : „Du hast zu wählen, welches Geschäft du erlernen willst — drei Tage gebe ich dir Bedenk-
zeit. Dann kommst du in die Lehre, wo man dir deine Mucken sicher austreibt. . .
Ohne weiteres Besinnen — wieso ich auf diese Idee kam, ist mir weder damals, noch später klar geworden — bemerkte ich: „Wie wäre es, wenn ich die Buchbinderei erlernte ?"
„Buchbinder. So, so. Hast du bestimmte Gründe dafür?"
„Nicht besonders starke; aber ich denke, dass das Buchbinden nicht allzuschwer sein kann, wenigstens kam mir das beim Zuschauen so vor....... Uebrigens gehe ich später ja doch zum Theater ! ...."
So tragisch die ganze Scene war und so peinlich sie wohl hauptsächlich meinen Vater berühren mochte — er musste lachen, wurde aber bald wieder ernst und sprach das grosse Wort gelassen aus : „Junge Schauspieler, alte Bettler ! "
Thatsächlich hatte ich schon damals den Bühnenvogel, der auch später nie gänzlich ausflog. Der gab mir die Courage, die Bemerkung hinzuwerfen : „Ja, gewöhnliche Schau-
spieler — die mögen wohl an den Bettelstab gerathen; ich aber werde es zur Berühmtheit bringen. Es steckt so 'was in mir, das muss zum Vorschein kommen "
Mein Vater grinste und deutete nach einem Spiegel.
„Da guck hinein ", sagte er. „Solch' ein armseliges Gestell und ein total entstelltes Gesicht — das will zum Theater gehen — es ist zum Todtlachen."
Ich liess mich aber nicht irre machen, sondern bemerkte trocken: „Später wird sich das Alles noch verwachsen.
„Und legen, " lautete die lakonische Antwort, womit die Zukunfts-Musik umsomehr ein Ende hatte, als das Giftweib auf der Bildfläche erschien und mir ein Paar gezogene Augen zeigte, welche glühende Pfeile auf mich zu schleudern schienen.
Als die Canaille von dem Buchbinder- Piojekte hörte, war sie sofort mit dem Einwurf bei der Hand, dass das wohl hohes Lehrgeld kosten werde, das ich nie und nimmer werth sei.
Man solle mich auf's Land schicken, dort einem Schneider oder Schuster überliefern — das koste gar nichts, u. s. w.
Doch bestand mein Vater auf meinem Berufs-Wahlrecht.