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Vorwort
ОглавлениеOft und von vielen Seiten aus wurde schon an mich das Ansinnen gestellt, ich solle meine Memoiren schreiben und veröffentlichen, aber aus mancherlei Gründen vermochte ich mich bisher nicht dazu zu entschliessen.
Meiner bisherigen Ansicht nach kann es allerdings nicht schaden, wenn Leute, die mancherlei Interessantes erlebten, davon Aufzeichnungen machen, die Veröffentlichung derselben sollten sie — so dachte ich — aber Anderen nach ihrem Tode überlassen, welche auch bevollmächtigt werden sollten, etwa nothwendig erscheinende Randglossen daran zu knüpfen.
So weit ein Memoirenschreiber mit seiner eigenen Person in den zu schildernden Vorgängen verwickelt ist, wird es ihm schwer fallen, über die Klippen und Gefahren hinweg zu kommen, die sich einer durchweg objectiven, total realistischen Darstellung der einschlägigen Dinge in den Weg stellen. Ent-weder wird man leicht davor zurückschrecken, gelegentlich einer Selbstkritik neben den Licht- auch die Schatten-Seiten der eigenen Person hervor zu heben, was zu subjectiver Schönfärberei, wenn nicht gar zu prahlerischer Aufschneiderei ausarten kann. Oder man verfällt in das entgegen gesetzte Extrem und befleissigt sich einer über- resp.untertriebenen Beschei-
denheit. In beiden Fällen kann kein eigentliches Portrait, sondern nur eine mehr oder weniger verzerrte Karrikatur zum Vorschein kommen. Selbst ein Goethe hat durch seine Autobiographie nichts Anderes geliefert, weshalb er sich denn auch schliesslich bemüssigt fand, dieselbe mit „Wahrheit und Dichtung"- zu betiteln.
Ich für meinen Theil will es nun wenigstens versuchen, in den von mir erlebten und nun zu erzählenden Geschichten meine Person so auftreten zu lassen, wie sie im Spiegel meiner Selbsterkenntniss vor mir steht — ohne Abstrich und ohne Aufputz. In wie weit mir das gelingt — darüber mögen Mit- und Nachlebende urtheilen, die, sei es auf Grund persönlicher Erfahrungen, sei es durch Musterung des einschlägigen literarischen oder anderweitigen Materials, dazu berufen und im Stande sind.
Betreffs der Charakterzeichnung anderer Personen von Interesse, mit denen ein Memoiren-Schreiber im Laufe eines langen öffentlichen Lebens zusammentraf, ist die Aufgabe nicht minder schwierig. So gross da auch die Versuchung sein mag, Diesem oder Jenem gegenüber seinem Privat- oder Parteihass die Zügel schiessen zu lassen, oder so stark das Verlangen ist, Einem im Allgemeinen sympathisch erschienene oder erscheinende Personen hinsichtlich durch dieselben gemachten Fehlern ein Auge zuzudrücken und Beschönigung zu treiben — es darf einer solchen Verlockung nicht Folge geleistet werden. Andernfalls hat das diesbezüglich Geschriebene gar keinen praktischen Werth. Auch in dieser Hinsicht will ich mich daher befleissigen, mich strikt an die Wahrheit zu halten — so weit das eben menschenmöglich ist.
Mehr oder weniger leicht lässt sich mit guter Absicht und festem Willen diese Regel einhalten so weit es sich um Personen handelt, die todt sind oder sich aus dem öffentlichen Leben gänzlich zurückgezogen haben. Anders steht die Sache hinsichtlich Solchen, die noch immer auf dem Welttheater agiren oder gar in jener Sphäre hausen, in der man sich selber bewegt. Das öffentliche Leben bringt es einmal so mit sich, dass oft die intimste Freundschaft, die man heute zu Jemandem hegt, morgen in bitterste Feindschaft — oft Bagatellsachen halber — umschlägt, oder auch das Umgekehrte mag
eintreten. Ja, es mögen diese Extreme wiederholt einander ablösen. Welch' eine Schwierigkeit, unter solchen Umständen ein definitives und gerechtes Urtheil zu fällen ! Immerhin soll es meinerseits auch nach dieser Richtung hin wenigstens am
wohlwollenden Versuch nicht fehlen.
Am leichtesten ist die Sache betreffs der Schilderung von Zuständen und Ereignissen, die ein Erinnerungs- Auf Zeichnerkennen gelernt und erlebt hat, namentlich wenn man sich eines guten Gedächtnisses erfreut, wie ich mir schmeicheln darf, von der Natur mit einem solchen begnadet worden zu sein.
In dem ersten Bändchen meiner Memoiren, das ich zunächst herausgebe, kommen die meisten der obgedachten Bedenken freilich nicht in Betracht; allein ich wollte mit meiner auf vielseitiges Verlangen zu leistenden Erzählerei gar nicht beginnen, ohne zuvor den von mir dabei einzunehmenden Standpunkt klar gelegt zu haben.
Jugendgeschichten, namentlich solche aus dem Proletarier- Leben, sind oft sehr uninteressant und gleichen sich, wie ein Windei dem anderen. Meist bilden sie nur eine Reihe von gleichartigen Gliedern an einer mehr oder weniger langen Elendskette.
Meine Jugendgeschichte stellte nun allerdings auch eine solche Kette vor, nur waren die einzelnen Glieder derselben nichts weniger als egal, sondern äusserst mannigfaltiger Na-
tur, so dass die Leser, wenn sie dieselben zur Besichtigung vorgelegt bekommen, sich schwerlich dabei langweilen werden.
Häufig bewundert man meine „eiserne Constitution" oder, wie sich Manche ausdrücken, meine „Katzennatur", welche mir in meinem späteren Leben über alle erdenklichen Fähr-
lichkeiten, Schicksalsschläge und Strapazen hinweg geholfen hat, ohne dass ich auch nur den ausgezeichneten Humor verloren hätte, der mir, wie es scheint, angeboren wurde.
Wenn man meine Jugendgeschichten gelesen hat, wird man wissen, worin die Ursache davon bestand. Auf Vielen mag des Schicksals Tücke schon in der Kindheit ähnlich herum
hämmern, wie sie es mir gegenüber getrieben hat. Von hundert gehen dabei aber neunundneunzig zum Teufel. Wer aber einmal aus solcher Schmiede, wenn auch nicht unversehrt, wohl aber lebendig hervor gegangen ist, der darf sich auch für hinlänglich gestählt halten, um selbst die schwersten Schläge, die das weitere Leben bringen mag, mit Gleichmuth zu ertragen.
Mit Gruss und Hand !
New York, 1903.
John Most.